Bescheidbeschwerde – Senat – Erkenntnis, BFG vom 10.09.2020, RV/7105562/2017

Zurechnung der Einkünfte an den faktischen Machthaber, Versagung der Unternehmereigenschaft

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Vorsitzende Dr. Anna Radschek, die Richterin Mag. Anna Mechtler-Höger sowie die fachkundigen Laienrichter Hermann Greylinger und Mag. Andrea Prozek in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Wien 2/20/21/22 vom betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Umsatz- und Einkommensteuer 2010 und Umsatz- und Einkommensteuer 2010 bis 2013 in der am antragsgemäß durchgeführten Verhandlung in Anwesenheit der Schriftführerin Andrea Moravec

A) zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde gegen die Bescheide betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Umsatz- und Einkommensteuer 2010 und gegen die Einkommensteuerbescheide 2011 bis 2013 wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Die angefochtenen Bescheide werden aufgehoben.

Die Umsatzsteuerbescheide 2011 bis 2013 werden abgeändert.

Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgaben sind den als Beilage angeschlossenen Berechnungsblättern zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

B) beschlossen:

Die Beschwerde gegen den Umsatz- und Einkommensteuerbescheid 2010 wird gemäß § 261 Abs. 2 BAO als gegenstandslos erklärt.

Gegen diesen Beschluss ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 133 Abs. 9 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Im Zuge einer die Jahre 2010 bis 2013 umfassenden, mit Bericht vom abgeschlossenen abgabenbehördlichen Prüfung wurden folgende Feststellungen getroffen:

Tz 1 Allgemeines

Aufgrund von Ermittlungen wegen des Verdachts von Sozialbetrug sei die Finanzpolizei auf eine Arbeiterpartie aufmerksam geworden, welche von XY, dem Stiefvater der Bf, in unterschiedlicher Mannstärke zur Durchführung von Bauaufträgen beschäftigt, beaufsichtigt und angewiesen worden sei. Weitere Ermittlungen hätten ergeben, dass Arbeiter, die dieser Gruppe zuzurechnen gewesen seien, in chronologisch übereinstimmender Reihenfolge bei mehreren Anmeldevehikeln angemeldet gewesen seien. Diese seien jedoch weder als Arbeitgeber noch als Leistungserbringer in Betracht gekommen.

Tz 2 Buchhaltung und Belege

Im Zuge einer abgabenbehördlichen Prüfung und im Rahmen von Durchsuchungen bei der Bf und bei XY seien abgestempelte Blankoformulare von vorgeblichen Fremdleistern gefunden und sei festgestellt worden, dass die Leistungsbeschreibung mangelhaft sei und die Belege formelle Mängel aufwiesen. Die Nummerierung der Ausgangsrechnungen sei nicht fortlaufend und nicht chronologisch erfolgt, sie sei jeden Monat neu begonnen und Rechnungsnummern seien doppelt vergeben worden.

Außerdem sei die Ausgangsrechnung AR 1006-05 über einen Nettobetrag in Höhe vom 9.200,00 Euro nicht bei den Umsätzen erfasst gewesen.

Auf Grund der Mängel sei es als erwiesen anzusehen, dass die Erlöse weder chronologisch richtig noch vollständig erfasst worden seien, weshalb ein Sicherheitszuschlag von 10 % zu den 20 %-igen Umsätzen in Ansatz gebracht worden sei.

Tz 3 Vorsteuern

In den Fällen des Übergangs der Steuerschuld gemäß § 19 Abs. 1a UStG 1994 dürfe der leistende Unternehmer in der Rechnung keine Umsatzsteuer gesondert ausweisen. Eine trotzdem ausgewiesene Steuer werde gemäß § 11 Abs. 12 UStG 1994 geschuldet und berechtige den Leistungsempfänger nicht zum Vorsteuerabzug.

Folgende Vorsteuerbeträge seien daher vorzuschreiben:


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***1***
4.272,00
***2***
5.304,00
***2***
4.000,00
***3***
32.03.2011
3.179,00
***4***
5.607,00
***4***
4.819,50
Summe
2011
24.003,10
(richtig: 27.182,10)
***5***
2012
58.259,10
***5***
2013
33.624,30

Tz 4 Aufwand Fremdleistungen

Die Bf habe Firmenmäntel missbräuchlich zur Scheinanmeldung von Dienstnehmern sowie zur Erstellung von Schein- und Deckungsrechnungen verwendet. Die Firmenmäntel seien weder als Dienstgeber noch als Leistungserbringer in Frage gekommen. Da weder Bautagebücher noch Stundenaufzeichnungen oder sonstige Unterlagen vorgelegt worden seien, sei es nicht möglich gewesen, den Lohnaufwand für die erbrachten Leistungen der Arbeiter, die XY beschäftigt habe, zu ermitteln. In Anlehnung an das VwGH-Erkenntnis vom , 2003/13/0115, sei der Aufwand in Höhe von 50% des geltend gemachten Fremdleistungsaufwandes geschätzt worden.

Das Finanzamt folgte den Feststellungen der abgabenbehördlichen Prüfung und erließ zum Teil nach Wiederaufnahme der Verfahren geänderte Umsatz- und Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2010 bis 2013, die an die Bf adressiert waren und ihr auch zugestellt worden sind.

In der dagegen erhobenen Beschwerde wies der (damalige) rechtsfreundliche Vertreter auf die ihm erteilte unbeschränkte Zustellvollmacht hin und beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem gesamten Beschwerdesenat.

Er führte aus, er habe in seiner Eingabe vom seine Zustellvollmacht in sämtlichen Abgabenverfahren der Jahre 2010 bis 2013 erklärt. Ungeachtet dessen seien die entsprechenden Steuerbescheide und der Prüfbericht nicht ihm, sondern der Bf direkt zugestellt worden. Diese Erledigungen seien ihm bis dato nicht zugekommen, sondern er habe nur durch Übermittlung einer Scan-Kopie per Email Kenntnis erlangt. Der Zustellmangel sei somit nicht geheilt.

Im Einzelnen brachte er vor:

ad Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Umsatz- und Einkommensteuer 2010

Die Verfahren betreffend Umsatz- und Einkommensteuer 2010 seien bereits mit Bescheiden vom wiederaufgenommen worden. Die Frage, ob der Abgabenbehörde in derselben Sache wiederholte Wiederaufnahmen erlaubt seien, sei in letzter Zeit von den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts nicht beantwortet worden.

Liege der vom Finanzamt angenommene Wiederaufnahmegrund nicht vor oder habe das Finanzamt die Wiederaufnahme tatsächlich auf keinen Wiederaufnahmegrund gestützt, müsse die Berufungsbehörde den vor ihr bekämpften Wiederaufnahmebescheid ersatzlos beheben.

In diesem Verfahren sei allein die Tatsache neu hervorgekommen, dass die Bf nicht Inhaberin des Einzelunternehmens gewesen sei, sondern der faktische Machthaber XY. Das Finanzamt sei aber diesen Ermittlungsergebnissen gerade nicht gefolgt und gehe weiter davon aus, dass die Bf Inhaberin des Einzelunternehmens sei. Alles Übrige, was die Behörde als neu hervorgekommene Tatsachen heranziehe, sei bereits in Urkunden enthalten, die den Prüforganen bereits vor Erlassung des letzten Abgabenbescheides vorgelegen und bekannt gewesen seien.

Zusammenfassend sei anzumerken, dass

  • tatsächlich neu hervorgekommene Tatsachen gar nicht zur Grundlage dieser Bescheide gemacht, sondern verworfen worden seien,

  • und die Bescheide sich auf Würdigungen von bereits zuvor bekannten Tatsachen und Beweismitteln stützen würden.

Damit sei es der Behörde nicht gelungen, einen tauglichen Wiederaufnahmegrund darzustellen, weshalb der Wiederaufnahmebescheid aufzuheben sei.

ad Abgabenbescheide

In Erfüllung der abgabenrechtlichen Mitwirkungspflicht habe er als rechtsfreundlicher Vertreter der Bf am ein umfangreiches Vorbringen mit detailliert ausgearbeiteten Ermittlungsanträgen gestellt. Diese seien unerledigt und das Abgabenverfahren daher grob mangelhaft. Das in dieser Eingabe erstattete Vorbringen und sämtliche dort gestellten Anträge würden hiemit wiederholt.

Ergänzend sei anzuführen, dass die Bescheide nicht begründet seien. Aufgrund der nachträglichen Übersendung des Prüfberichtes vom sei möglicherweise anzunehmen, dass die Behörde ihre Bescheidbegründung auf diesen Bericht stütze. Da aber auch dieser Prüfbericht nicht dem rechtsfreundlichen Vertreter zugestellt worden sei, blieben die Bescheide formell unbegründet.

Es möge zwar zulässig sein, in der Begründung eines Abgabenbescheides auf den Prüfbericht zu verweisen, die rechnerische Ermittlung der Abgabenforderung müsse sich aber einwandfrei aus dem Prüfbericht ergeben. Im vorliegenden Fall seien die Zahlenkolonnen derart unübersichtlich, dass die rechnerische Ermittlung der bescheidmäßig vorgeschriebenen Abgabennachforderung nicht nachvollziehbar sei.

Zur bestrittenen Höhe der Abgabenforderung würden insbesondere auch Rechenfehler eingewandt, wie z.B. in Tz 3 bei der Vorsteueraddition für 2011 sei die Summe nicht 24.003,10 Euro, sondern 27.182,10 Euro. Dieser Fehler sei bei der ersten Stichprobe aufgedeckt worden, weshalb auf Grund der Lebenserfahrung anzunehmen sei, dass der Prüfbericht noch zahlreiche weitere Rechenfehler aufweise.

Bereits in der Eingabe vom habe der rechtsfreundliche Vertreter auf Widersprüche bei den angeblichen Meldedaten der Arbeiter hingewiesen und den Antrag auf Zustellung der "Beilage Dienstnehmerwanderung" gestellt. Aus der dem Prüfbericht angehängten Beilage sei erkennbar, dass die in der Eingabe vom geäußerten Einwände zuträfen und dass diese im Prüfbericht nicht berücksichtigt worden seien: Die Liste der angeblichen Anmeldevehikel in Tz 1 stimme nicht mit der "Beilage Dienstnehmerwanderung" überein. Der Prüfbericht gebe keine Erklärung für diese Abweichungen und Widersprüche.

Die Behauptung, die Rechnungen der ***6*** seien laut Ermittlungen der Finanzpolizei gefälscht, werde in keiner Weise konkretisiert, sodass eine Überprüfung dieses Vorwurfes und eine Stellungnahme dazu nicht möglich sei.

Für die mündliche Verhandlung vor dem Beschwerdesenat würden daher folgende Anträge gestellt:

  • Beischaffung der von der Finanzpolizei beschlagnahmten Unterlagen, insbesondere der darin enthaltenen Ausgangsrechnungen und der sogenannten "abgestempelten Blankoformulare" zur Überprüfung der im Prüfbericht erhobenen Vorwürfe. Der Verweis auf eine allenfalls mögliche Akteneinsicht bei der Staatsanwaltschaft könne die Einhaltung der Verfahrensprinzipien der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit nicht ersetzen.

  • Beischaffung der von der Finanzpolizei beschlagnahmten Unterlagen und Ladung der Prüferin als Zeugin, um sie zu befragen, welche Ausgangsrechnungen sie physisch eingesehen habe und um mit ihr die angeblich diesen Rechnungen anhaftenden Mängel zu erörtern.

  • Beischaffung der sogenannten "abgestempelten Blankoformulare" und Erörterung mit der Prüferin, inwieweit sich aus deren Inhalt eine Schätzungsbefugnis im ausgeübten Umfang ableiten lasse.

  • Vernehmung der Prüferin als Zeugin, auf Grund welcher Tatsachen sie zum Schluss gekommen sei, dass die Rechnungen der Fa. ***6*** gefälscht seien.

  • Vernehmung von AB und XY als Zeugen zum Beweis dafür, dass die in Tz 4 des Prüfberichtes genannten Unternehmen auch im Prüfungszeitraum ordnungsgemäße Geschäfte geführt hätten.

Mit Beschwerdevorentscheidungen vom wurden die Beschwerden als unbegründet abgewiesen und wie folgt ausgeführt:

Zur angeblich fehlerhaften Zustellung sei anzumerken, dass sich die mit der Eingabe vom geltend gemachte Zustellvollmacht ausschließlich auf die aus der Prüfung resultierenden Bescheide bzw. nur auf die Jahre 2010 bis 2013 beziehe und daher gemäß § 103 Abs. 2 BAO nicht als Zustellvollmacht wirken könne.

Die Abgabenbehörde sei in den Fällen des § 103 Abs. 2 BAO nur dann zur Zustellung an einen gewillkürten Vertreter verpflichtet, wenn dieser die ausdrückliche Erklärung abgebe, dass alle dem Vollmachtgeber zugedachten Erledigungen, die im Zuge eines Verfahrens ergehen oder Abgaben beträfen, hinsichtlich derer die Gebarung zusammengefasst verbucht würde, dem Bevollmächtigten zuzustellen seien. Bei der Einkommen- und Umsatzsteuer handle es sich um solche Abgaben. Die Zustellung der angefochtenen Bescheide an die Bf selbst sei daher mangels eines Zustellungsbevollmächtigten wirksam erfolgt.

ad Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend U und E 2010

Dass XY nicht der ausführende Unternehmer gewesen sei, stelle tatsächlich keine neue Tatsache dar, sei aber auch nicht Grundlage für die Wiederaufnahme der Verfahren gewesen. Dass die eine Wiederaufnahme rechtfertigenden Tatsachen der Finanzbehörde bereits im Rahmen der Umsatzsteuersonderprüfung für 2011 bekannt geworden seien, sei nicht zutreffend. Die Wiederaufnahme betreffe das Jahr 2010, welches nicht vom Prüfungsauftrag umfasst gewesen sei. Darüber hinaus sei zu diesem Zeitpunkt nicht ersichtlich gewesen, dass die Bauarbeiten unter dem Deckmantel von Scheinfirmen durchgeführt worden seien.

Die Wiederaufnahme sei aufgrund der in Tz 2 aufgezählten Buchhaltungsmängel und deshalb erfolgt, weil die in Tz 4 angeführten Fremdleistungen in Wirklichkeit von einer Arbeiterpartie des XY erbracht worden seien. Aufgrund der mit Mängeln behafteten Buchhaltung sei ein Sicherheitszuschlag in Höhe von 10% verhängt worden. Gleiches gelte für die in Tz 4 angeführten Fremdleistungen, die tatsächlich nicht von den in den Rechnungen angeführten Scheinfirmen erbracht worden seien. Es seien daher die Vorsteuern aus diesen Rechnungen zu versagen und die Betriebsausgaben im Schätzungswege zu ermitteln gewesen.

Diese Änderungen hätten zu einem vom Vorbescheid deutlich abweichenden Ergebnis geführt, weshalb der Rechtsrichtigkeit der Vorrang vor der Rechtsbeständigkeit einzuräumen gewesen sei.

ad Umsatz- und Einkommensteuerbescheide 2010 bis 2013:

Die Bf betreibe ein Baugewerbe, in welchem XY mit seiner Arbeiterpartie in unterschiedlicher Mannstärke tätig werde. Die erbrachten Leistungen seien mithilfe von Scheinfirmen als Fremdleistungen behandelt worden.

Die bei der Bf durchgeführte Prüfung habe ergeben, dass abgesehen von Deckungsrechnungen die Buchhaltung mangels fortlaufender Nummerierung auf Grund der nicht chronologischen oder doppelt vergebenen Rechnungsnummern formelle Mängel aufgewiesen habe.

Der rechtsfreundliche Vertreter der Bf habe wiederholt den Antrag gestellt, gemeinsam mit der Prüferin Einsicht in die bei der Staatsanwaltschaft befindlichen Unterlagen zu nehmen. Diesem Ansinnen sei aus verwaltungsökonomischen Gründen nicht gefolgt worden, es obliege bei beschlagnahmten Unterlagen dem Unternehmer und dessen Vertreter, sich Akteneinsicht bei den zuständigen Stellen zu verschaffen. Im Zuge der Prüfung sei der Bf mehrfach die Möglichkeit eingeräumt worden, die relevanten Unterlagen ausfindig zu machen und vorzulegen. Da dies nicht erfolgt sei, seien die bei der Bf vorhandenen Aufzeichnungen zugrundegelegt und ein Sicherheitszuschlag von 10% der 20%igen Umsätze verhängt worden.

Die gravierenden Buchführungsmängel in Verbindung mit den Feststellungen über die Scheinfirmen hätten zur Schätzung gemäß § 184 BAO berechtigt.

Es sei zwar richtig, dass unter Tz 3 bei der Vorsteueraddition ein Fehler unterlaufen sei, aber im Bescheid selbst sei der korrekte Betrag angesetzt worden.

Betreffend die von der Bf geltend gemachten Widersprüche zwischen Tz 1 des Prüfberichtes und der Beilage "Dienstnehmerwanderung" sei nicht dargetan worden, worin diese Differenzen bestünden und welche Auswirkungen sie auf die Bescheide gehabt hätten.

In Tz 1 sei lediglich beispielhaft eine generelle Abfolge der als Deckmäntel genutzten Scheinfirmen angeführt worden, die Beilage enthalte demgegenüber die genaue Anmeldungshistorie mehrerer Arbeitnehmer.

Der Beurteilung der Rechnungen der Fa. ***6*** als Fälschungen liege zugrunde, dass ein ehemaliger Arbeiter dieser Firma einvernommen worden sei und dieser explizit Herrn XY als Kontaktperson bezeichnet habe. Dieser habe sowohl das Material besorgt als auch die Arbeitnehmer engagiert und die Bezahlung vorgenommen. Daraus sei abzuleiten, dass die ***6*** genau wie die anderen Firmen in Wirklichkeit keine Leistungen erbracht habe.

Die abweisenden Beschwerdevorentscheidungen betreffend Umsatz- und Einkommensteuer für die Jahre 2010 bis 2013 wurden an die Bf zu Handen ihres rechtsfreundlichen Vertreters zugestellt. Die abweisende Beschwerdevorentscheidung betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Umsatz- und Einkommensteuer 2010 und die Begründung der abweisenden Beschwerdevorentscheidungen betreffend Umsatz- und Einkommensteuer 2010 bis 2013 wurden nach einem erfolglosen Zustellversuch an die Bf und Retournierung mit dem Vermerk "nicht behoben" in weiterer Folge ebenfalls zu Handen des rechtsfreundlichen Vertreters adressiert und zugestellt.

Die Bf erhob fristgerecht einen Vorlageantrag und führte aus:

1. Zustellantrag

Die den Beschwerdevorentscheidungen zugrunde liegenden Bescheide seien mangels rechtswirksamer Zustellung als nicht erlassen zu betrachten. Die in der Bescheidbegründung geäußerte Rechtsansicht zur Zustellvollmacht entspreche nicht der aktuellen Rechtslage, dies sei bereits in der Eingabe vom 31.08.20017 dargelegt worden. Es werde daher der Antrag gestellt, sämtliche Bescheide an den Vertreter zuzustellen.

2. Vorlageanträge

Die Bf stelle den Antrag, die Beschwerden vom dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorzulegen.

2.1. Wiederaufnahme

Zur Rechtsfrage, ob wiederholte (revolvierende) Wiederaufnahmen überhaupt zulässig seien, seien in der Beschwerdevorentscheidung keine Aussagen enthalten.

Bei den "neuen Tatsachen" handle es sich ausschließlich um Motive für die angestrebte neue Würdigung bereits zuvor bekannter Tatsachen und Beweismittel.

2.2. Bescheidbegründungen

Diese würden Großteils unsachliche Behauptungen der Prüferin wiederholen, die bereits in der Beschwerde substantiiert widerlegt oder als rechtlich unerheblich nachgewiesen worden seien.

2.2.1. "Arbeiterpartie des XY"

Warum die vermeintliche Tatsache, dass XY angeblich eine Arbeiterpartie als Anmeldevehikel beschäftige, die Abgabenbehörde dazu ermächtige, einerseits die belegten Aufwendungen der Bf für diese Arbeiter zu kürzen und andererseits Vorsteuerbeträge aus den an sie erteilten Rechnungen abzuerkennen, sei nicht nachvollziehbar.

Die Bf sei für die steuer- und sozialversicherungsrechtliche Gebarung des Herrn XY nicht verantwortlich.

2.2.2. Rechenfehler

Es werde zugestanden, dass der Prüferin Rechenfehler unterlaufen seien. Ein Rechenfehler in der Begründung eines Steuerbescheides sei ein Begründungsmangel, der den Bescheid rechtswidrig mache. Mit der Behauptung, es sei ohnehin der "korrekte" Betrag angesetzt worden, werde dieser Begründungsmangel nicht behoben. Außerdem finde diese Feststellung keine Bestätigung im Zahlenmaterial der Bescheide: der USt-Bescheid für 2011 weise einen Gesamtbetrag der (anerkannten) Vorsteuern von 23.581,44 Euro aus. Nirgends sei offengelegt, wie die Prüferin auf diesen Betrag komme. Es könne daher nicht behauptet werden, dass der "korrekte" Betrag angesetzt worden sei.

Da nahezu sämtliche Unterlagen der Bf durch die Finanzpolizei beschlagnahmt worden seien, sei sie umso mehr auf eine korrekte Aufschlüsselung dieser Zahlen angewiesen. Aus dem unübersichtlichen Rechenwerk gehe überdies nicht hervor, welche der abgezogenen Umsatzsteuerbeträge die Bf überhaupt als Vorsteuern geltend gemacht habe. Es bleibt deshalb die Möglichkeit, dass die Prüferin Umsatzsteuerbeträge solcher Rechnungen abziehe, die meine Mandantin gar nicht oder nicht in dieser Höhe geltend gemacht habe.

Die Diktion der Prüferin in Tz 3, die gekennzeichneten Vorsteuerbeträge würden vorgeschrieben, unterstütze den Verdacht eines methodischen Fehlers. Umsatzsteuerbescheide hätten richtigerweise nicht Vorsteuer vorzuschreiben, sondern Umsatzsteuer, die ihrerseits um die geltend gemachten Vorsteuerbeträge zu vermindern sei. Die erstgenannte Methode frage nicht danach, welche Vorsteuerbeträge der Abgabepflichtige überhaupt geltend mache. Richtigerweise seien die Rechenvorgänge der Verrechnung und Gegenverrechnung in der Bescheidbegründung abzubilden, um die Nachprüfbarkeit des Bescheides sicherzustellen.

Für das Jahr 2010 berge die von der Prüferin gewählte Methode des "Vorschreibens" von Vorsteuerbeträgen eine zusätzliche fatale Fehlerquelle: für dieses Jahr sei bereits zuvor ein Umsatzsteuerbescheid ergangen, in dem einige Vorsteuerbeträge nicht anerkannt worden seien. Da der nunmehr bekämpfte Umsatzsteuerbescheid für 2010 offenbar auf diesem Ergebnis aufbaue, komme es im Ergebnis zu einem doppelten Abzug derjenigen Vorsteuerbeträge, die bereits im letzten Bescheid nicht anerkannt worden seien.

Ein ordnungsgemäßer Steuerbescheid müsse so abgefasst sein, dass ein durchschnittlicher Leser auf Basis des übersichtlich dargestellten Zahlenmaterials die ausgewiesenen Steuerbeträge rechnerisch einwandfrei nachvollziehen könne. Sei diese Voraussetzung nicht erfüllt, so leide der Bescheid nicht nur an einem Begründungsmangel, sondern er verstoße auch gegen das Willkürverbot des Art. 2 StGG und des Art. 14 MRK.

Im Vorlagebericht führte die belangte Behörde aus, für den Vertreter V sei irrtümlich eine allgemeine Zustellvollmacht eingetragen worden, weshalb die elektronisch erstellten abweisenden Beschwerdevorentscheidungen zu den Einkommens- und Umsatzsteuerbescheiden 2010-2013 an ihn versendet worden seien, während die Bescheidbegründungen und die Abweisung der Beschwerde gegen die Wiederaufnahmebescheide 2010 direkt an die Adresse der Steuerpflichtigen ergangen seien. Da sich die Bf zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht im Inland befunden habe, hätten ihr diese Bescheide nicht ordnungsgemäß zugestellt werden können. Da der Vertreter sich zu diesen Bescheiden für zustellbevollmächtigt erklärt habe, sei am eine Neuzustellung der direkt an die Steuerpflichtige versendeten Bescheide an den Vertreter vorgenommen worden. Zu den direkt an den Vertreter zugestellten Einkommens- und Umsatzsteuerbescheiden 2010-2013 sei am ein Vorlageantrag eingebracht worden, gegen die neu zugestellten Abweisungen der Wiederaufnahmebescheide für 2010 sei ein Vorlageantrag am eingebracht worden. Der letztgenannte Vorlageantrag enthalte auch eine Vorlageergänzung betreffend die Einkommens- und Umsatzsteuerbescheide 2010-2013.

Inhaltlich verwies die belangte Behörde in ihrer Stellungnahme auf die Ausführungen in den Beschwerdevorentscheidungen vom . Die Frage, ob wiederholte Wiederaufnahmen zulässig seien, könne bejaht werden. Erforderlich für eine Wiederaufnahme sei lediglich, dass die Voraussetzungen des § 303 (1) BAO erfüllt seien. Solange die Verjährungsfristen nicht abgelaufen seien, stelle jede neu hervorgekommene Tatsache, die nicht bloß geringfügige Auswirkungen auf den Spruch habe, einen Wiederaufnahmegrund dar, egal wie oft zuvor bereits wiederaufgenommen worden sei. Die zweite Wiederaufnahme beruhe nicht auf den Erkenntnissen aus der Umsatzsteuersonderprüfung zu 2011, welche von Umfang und Intensität her nicht mit einer Außenprüfung vergleichbar sei, sondern auf jenen aus der Außenprüfung zu den Jahren 2010-2013. Im Zuge dieser seien neue Mängel festgestellt worden, nämlich die Beauftragung von Scheinfirmen, welche im Zuge der USO-Prüfung nicht entdeckt worden sei, da sie außerhalb des Prüfungsauftrags gelegen sei. Hätten sich die ersten Wiederaufnahmen auf dieselben Tatsachen gestützt wie die zweiten, wäre das Erfordernis von "neu hervorgekommen" nicht erfüllt gewesen und somit eine weitere Wiederaufnahme nicht zulässig gewesen. Wenn im Vorlageantrag angeführt werde, dass im Rahmen der Begründung der Beschwerdevorentscheidungen auf die Feststellungen der Prüferin verwiesen werde, sei dem zuzustimmen. Hingegen werde die Darstellung, dass diese Feststellungen "stimmungsmotivierte und unsachliche Behauptungen" darstellen würden, entschieden zurückgewiesen. Im bisherigen Verfahrensverlauf sei vom Vertreter zudem weder eine "Widerlegung" noch ein "Nachweis rechtlicher Unerheblichkeit" erbracht worden. Im Vorlageantrag werde Unverständnis über die steuerlichen Konsequenzen der Vertragsabschlüsse mit den vom Schwarzarbeitstrupp des XY genutzten Scheinfirmen geäußert. Entgegen der Meinung im Vorlageantrag hätten Scheinfirmen beträchtliche Auswirkungen auf die tatsächliche Höhe der Umsätze und Einkünfte und müssten Unternehmer, die wissentlich mit solchen Konstrukten zusammenarbeiten würden, mit der Nichtanerkennung von Betriebsausgaben und Vorsteuern rechnen. Eine Scheinfirma als solche sei ein juristischer Mantel, der nur Rechnungen ausstelle, aber selbst keine Tätigkeiten durchführe und in der Regel auch gar nicht durchführen könne, da er weder über Arbeitsmittel noch über Personal verfüge. Die im Firmenbuch eingetragenen Geschäftsführer seien praktisch niemals an der Geschäftsführung beteiligt und oft mittellos oder Ausländer, die nur gegen Entgelt für die Firmenbucheintragung ins Inland kämen. Von diesen Firmen würden so lang wie möglich Rechnungen gelegt und Steuerschulden angesammelt. Wenn die Behörden aufmerksam würden, werde die Scheinfirma in Konkurs geschickt, um nahtlos mit einem neuen Firmenmantel weiterzumachen. Auch in den Streitjahren seien bei der Bf die eigentlichen Arbeiten durch den Schwarzarbeitertrupp durchgeführt worden, die Scheinfirmen hätten lediglich dazu gedient, der Bf mit Scheinrechnungen den Abzug der Betriebsausgaben zu ermöglichen. Da dieselben Arbeiter und auch Herr XY jahrelang wiederholt für die Bf. tätig geworden seien, die rechnungslegenden Unternehmen aber ständig gewechselt hätten, sei es unglaubwürdig, dass die Bf nichts von diesen Vorgängen gewusst habe. Da die Beauftragung von derartigen Konstrukten im Gegensatz zu legitimen Unternehmern mit großen Risiken verbunden sei und bei Schwarzumsätzen keine Steuern abgeführt würden, seien "schwarze" Leistungen erfahrungsgemäß bis zu 50% billiger, auch wenn auf den Scheinrechnungen marktübliche Preise aufscheinen würden. Die Abgabenbehörde könne die Schätzungsmethode grundsätzlich frei wählen (, 94/13/0094; ; ; ). Sie habe jene Methode (bzw. jene Methoden kombiniert) zu verwenden, die im Einzelfall zur Erreichung des Zieles, nämlich der tatsächlichen Besteuerungsgrundlage möglichst nahe zu kommen, am geeignetsten erscheine (zB ). Die Ausführungen im Vorlageantrag zu Tz 3 und dem Vorsteuerabzug für das Jahr 2010 seien konfus und für das Finanzamt ebenso unverständlich wie laut Vorlage die Umsatzsteuerbescheide für den Vertreter. Sie würden dahingehend ausgelegt, dass der Vertreter aufgrund der Formulierung in Tz 3 des BP-Berichts zur Vorsteuer in den Umsatzsteuerbescheiden bemängle, dass in Umsatzsteuerbescheiden nicht Vorsteuern, sondern nur Umsatzsteuern vorgeschrieben werden könnten, wodurch der Vorsteuerbetrag gleichzeitig gestrichen und vorgeschrieben worden sein könnte. Anders als vom Vertreter vermutet, sei es nicht zu einer steuerlichen Doppelbelastung gekommen. Die Formulierung, dass aufgrund der Scheinrechnungen "die Vorsteuern vorgeschrieben" würden, beziehe sich darauf, dass die Höhe der von der Bf geschuldeten Umsatzsteuer betragsmäßig ident mit der auf den Rechnungen der Scheinfirmen ausgewiesenen Vorsteuer sei. Zum Jahr 2010 werde offenbar vom Vertreter der Bf davon ausgegangen, dass auf die frühere Wiederaufnahme aufgebaut worden sei und zuvor schon nicht anerkannte Beträge ein weiteres mal gestrichen worden sein könnten. Dem sei nicht so, im Zuge einer Außenprüfung würden die Geschäftsvorgänge eines Steuerpflichtigen überprüft, um die tatsächlichen Steuerbemessungsgrundlagen für Einkommens- und Umsatzsteuer zu ermitteln. Die neuen Steuerbescheide, die auf Basis des Prüfungsergebnisses errechnet worden seien, würden die alten Bescheide ersetzen. Da die vorangegangenen Steuerbescheide bei einer solchen Vorgangsweise gar nicht erst Bestandteil der Berechnung seien, könnten sie unter keinen Umständen zu dem im Vorbringen implizierten Fehler führen. Der Verweis des Vorlageantrags auf das Staatsgrundgesetz und die Menschenrechtskonvention sei verfehlt. Die Berechnungen der Prüferin seien anhand des Prüfberichts - auf welchen im Bescheid ausdrücklich verwiesen worden sei - für einen sachkundigen Leser durchaus nachvollziehbar und dass ein Laie unter Umständen Probleme mit dem Verständnis von Steuerbescheiden habe, sei aufgrund der Komplexität der Materie nicht vermeidbar. Die im Vorlageantrag explizit angeführten angeblichen Mängel seien bereits in den vorangegangenen Absätzen inhaltlich geprüft und verworfen worden.

In der antragsgemäß durchgeführten mündlichen Verhandlung führte der nunmehrige rechtsfreundliche Vertreter der Bf aus, zur Zustellproblematik könne er keine Aussagen treffen, da ihm dazu die notwendigen Informationen fehlen würden. Er weise jedoch darauf hin, dass im Rahmen eines Strafverfahrens festgestellt worden sei, dass XY der eigentliche Machthaber gewesen sei, der den Namen der Bf missbraucht habe.

Der Vertreter der Amtspartei erklärte, dass alle Bescheide letztlich rechtswirksam zugestellt worden seien. Der damalige Geschäftsführer habe ausgesagt, dass er nicht der tatsächliche Geschäftsführer sei, die Bf habe aber angegeben, dass alles so sei, wie es in den Erklärungen aufscheine.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

1.1. Zustellung der angefochtenen Bescheide

Die angefochtenen Bescheide, die mit datiert sind, sowie der Betriebsprüfungsbericht vom wurden an die Bf zugestellt. Der (damalige) rechtsfreundliche Vertreter erhielt jeweils nur Kopien von der Bf übermittelt.

In der Eingabe vom führte der (damalige) rechtsfreundliche Vertreter der Bf wie folgt aus:

"Die Vollmacht ist (vorerst) beschränkt auf die Vertretung in sämtlichen Steuerangelegenheiten meiner Mandantin der Wirtschaftsjahre 2010 bis 2013. Es besteht Zustellvollmacht für alle in diesem Kontext ergehenden Zustellungen."

Die Beschwerdevorentscheidungen sowie deren Begründungen wurden der Bf zu Handen ihres (damaligen) rechtsfreundlichen Vertreters zugestellt.

1.2. Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Umsatz- und Einkommensteuer 2010

Im Bp-Bericht vom wurde hinsichtlich der Wiederaufnahme der Umsatz- und Einkommensteuerverfahren 2010 auf die Tz 1 bis Tz 8 verwiesen. In Tz 1 wurde der Sachverhalt dahingehend dargestellt, dass das Einzelunternehmen der Bf im September 2009 gegründet worden sei. Die überwiegende Tätigkeit in der Firma werde vom Stiefvater der Bf wahrgenommen, er kaufe Material ein, liefere dieses auf die Baustellen und kontrolliere die arbeitenden Subfirmen.

In Tz 2 wurden allgemeine Feststellungen betreffend die Subunternehmer getroffen, an die Bauaufträge weitergegeben wurden. In Tz 3 bis 6 traf die Prüferin konkrete Feststellungen hinsichtlich der Firmen ***3***, ***7***, ***8*** und ***9*** getroffen. In Tz 7 stellte sie dar, dass die Rechnung vom über den Betrag von 29.300,00 Euro netto nicht erklärt worden ist. In Tz 8 wird der anzuerkennende Aufwand im Zusammenhang mit den Subunternehmern dargestellt.

Mit Bescheiden vom wurde das Verfahren betreffend Umsatz- und Einkommensteuer 2010 wiederaufgenommen.

Die nunmehr streitgegenständlichen Bescheide vom , mit denen die Verfahren hinsichtlich Umsatz- und Einkommensteuer 2010 neuerlich wiederaufgenommen wurden, enthalten folgende Begründung:

"Die Wiederaufnahme des Verfahrens erfolgte gem. § 303 (1) BAO aufgrund der Feststellungen der abgabenbehördlichen Prüfung, die der darüber aufgenommenen Niederschrift bzw. dem Prüfungsbericht zu entnehmen ist. Daraus ist auch die Begründung für die Abweichung vom bisherigen Bescheid zu ersehen. ….."

Im Bp-Bericht vom wird hinsichtlich der Wiederaufnahme der Umsatz- und Einkommensteuerverfahren 2010 auf die Tz 2 und die Tz 4 verwiesen.

Unter Tz 2 sind die Mängel der Buchhaltung und der Belege angeführt. Es wurde in dieser Textziffer festgestellt, dass die Bezahlung der Rechnung vom über einen Betrag von 29.300,00 Euro netto sowie der Rechnung über einen Betrag von 9.200,00 Euro netto nicht verbucht worden ist. Sie schließt mit dem Hinweis, dass aufgrund der festgestellten Mängel ein Sicherheitszuschlag von 10% zu den 20%-igen Umsätzen in Ansatz gebracht wird.

Unter Tz 4 listete die Prüferin jene Firmen auf, die im Jahr 2010 missbräuchlich zur Erstellung von Schein- und Deckungsrechnungen verwendet worden sind.

1.3. Umsatz- und Einkommensteuer 2010 bis 2013

Die Bf war vom bis als nicht protokollierte Einzelunternehmerin als Gewerbeinhaberin ins Gewerberegister eingetragen. Als gewerberechtlicher Geschäftsführer fungierte UV. Dieser nahm allerdings keine Aufgaben wahr, sondern stellte lediglich seine Gewerbeberechtigung zur Verfügung. Das Einzelunternehmen der Bf trat im Geschäftsverkehr unter der Bezeichnung "Sanierungsteam Inhaber Bf" auf. Faktischer Geschäftsführer dieses Unternehmens war der Stiefvater der Bf, XY. Er war Ansprechpartner für Kunden, führte Bauaufträge durch, verfügte über eine Generalvollmacht und war zeichnungsberechtigt auf dem Geschäftskonto. Von den Arbeitern wurde er als "Chef" wahrgenommen, die Bf kannten die Arbeiter hingegen kaum bzw. überhaupt nicht. Auch für den gewerberechtlichen Geschäftsführer war ausschließlich XY Ansprechpartner.

Für das vom Stiefvater der Bf geführte Unternehmen arbeitete in den Streitjahren im Wesentlichen die gleiche Gruppe von Bauarbeitern. Die Arbeiter wurden nach Konkurs eines Anmeldevehikels auf das nächste Anmeldevehikel angemeldet.

Der Stiefvater der Bf nahm Kontakt zu den faktischen Machthabern der Scheinunternehmen auf veranlasste die Anmeldung der für ihn tätigen, großteils immer gleichen Arbeitnehmer bei ständig wechselnden Gesellschaften. Zahlungen an den berechtigten Versicherungsträger wurden nicht geleistet. Er bewirkte auch die Anmeldung der Arbeitnehmer bei den diversen Scheinunternehmen, bezahlte deren Löhne, und wurde von den Kunden als Hauptansprechpartner in Bauangelegenheiten des Einzelunternehmens der Bf wahrgenommen. XY verfügte über eine Vielzahl an Geschäftsunterlagen der (nicht operativen) Scheinunternehmen, wie Firmenstempel, Gewerbeberechtigungen und Ausweiskopien der Geschäftsführer.

Die Bf stellte sich als vorgeschobene Einzelunternehmerin zur Verfügung, obwohl sie mit der tatsächlichen Leitung des Unternehmens nur wenig zu tun hatte. Sie war für das Erstellen von Rechnungen und Kostenvoranschlägen zuständig und verrichtete Büroarbeiten. Sie verfügte über keine Erfahrung in der Baubranche und hätte sämtliche Entscheidungen erst nach Rücksprache mit ihrem Stiefvater treffen können.

Als vorgeschobene Unternehmerin wurden von der Bf folgende Umsätze erklärt, Umsätze nicht verbucht, Umsatzsteuerbeträge in den Rechnungen ausgewiesen und folgende Vorsteuerbeträge geltend gemacht (alle Beträge in Euro):


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2010
2011
2012
2013
Erklärte Umsätze
395.737,70
602.141,05
576.413,34
327.790,83
Nicht verbuchte Umsätze
9.200,00
3.333,33
10.000,00
29.000,00
Summe
404.937,70
605.474,38
586.413,34
356.790,83
20% USt
80.987,54
121.094,88
117.282,67
71.358,17
Vorsteuer laut Erklärung
17.405,68
50.763,54
94.881,99
55.746,73

Beweiswürdigung

Ad 1.1.

Beweis wurde aufgenommen durch Einsicht in die im Akt befindlichen Unterlagen und die vom steuerlichen Vertreter vorgelegte Eingabe vom .

Ad 1.2.

Beweis wurde aufgenommen durch Einsicht in den Betriebsprüfungsbericht vom und den Betriebsprüfungsbericht vom sowie in die Bezug habenden Niederschriften.

Ad 1.3.

Beweis wurde aufgenommen durch Einsicht

  • in das Urteil des Landesgerichts Wien vom , GZ *****, durch welches XY und die Bf rechtskräftig verurteilt worden sind,

  • in die dagegen eingebrachte Berufung, der vom Oberlandesgericht Wien mit Urteil vom , xxxxxx, keine Folge gegeben worden ist und

  • in die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes über die Nichtigkeitsbeschwerde, die mit Beschluss vom , uuuuuu, zurückgewiesen worden ist.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom , GZ *****, wurde die Bf des Verbrechens des Betrugs für schuldig erkannt. Sie sei als Inhaberin des im Geschäftsverkehr unter der Bezeichnung "Sanierungsteam Inhaber Bf" zur Verfügung gestanden und habe dadurch zu den Tathandlungen des XY einen Tatbeitrag geleistet. Dieser habe die faktischen Machthaber der nicht operativen Gesellschaften dazu verleitet, die für ihn arbeitenden Dienstnehmer zum Schein auf ihre Unternehmen anzumelden und die aus den Anmeldungen resultierenden Beiträge zur Sozialversicherung nicht zu leisten.

Hinsichtlich der Höhe der erklärten Umsätze und der geltend gemachten Vorsteuerbeträge gründet sich der Sachverhalt auf die Erklärungen der Bf, hinsichtlich der nicht erfassten Erlöse auf die (nicht bestrittenen) Feststellungen der abgabenbehördlichen Prüfungen.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Abweisung/Abänderung/Stattgabe)

Ad 1.1. Zustellung der angefochtenen Bescheide

Gemäß § 103 Abs. 2 BAO ist Abgabenbehörden und Verwaltungsgerichten gegenüber eine Zustellungsbevollmächtigung unwirksam, wenn sie

a) ausdrücklich auf nur einige dem Vollmachtgeber zugedachte Erledigungen eingeschränkt ist, die im Zuge eines Verfahrens ergehen, oder
b) ausdrücklich auf nur einige jener Abgaben eingeschränkt ist, deren Gebarung gemäß § 213 BAO zusammengefasst verbucht wird.

Folglich sind zB Zustellvollmachten, die sich ausdrücklich nur auf Bescheide, nicht aber auf Buchungsmitteilungen (Lastschriftanzeigen) erstrecken, oder die ausdrücklich nur Erledigungen betreffend Einkommensteuer, nicht aber auch Erledigungen betreffend mit dieser Abgabe gemäß § 213 Abs. 1 BAO zusammengefasst verbuchte Umsatzsteuer zum Gegenstand haben, der Abgabenbehörde gegenüber unwirksam (Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz, BAO3 § 103 Rz 8).

Verstößt die Einschränkung einer Zustellvollmacht gegen § 103 Abs. 2 BAO, dann wird die Zustellvollmacht als solche hinfällig und die Behörde hat daher so vorzugehen, als läge ihr gar keine ansonsten zivilrechtlich vollwirksame Zustellbevollmächtigung vor, was die ausschließlich unmittelbare Zustellung an den Vollmachtgeber nach sich zieht (Tanzer in Althuber/Tanzer/Unger, BAO Handbuch, Seite 310).

Ist die Vollmacht des steuerlichen Vertreters somit im Sinne des § 103 Abs. 2 lit. b BAO auf nur einige der zusammengefasst zu verbuchenden Abgaben eingeschränkt, so liegt jedenfalls keine wirksame Zustellungsbevollmächtigung vor ().

Unter einer zusammengefassten Verbuchung ist die Verrechnung mehrerer Abgabenarten auf ein und demselben Abgabenkonto zu verstehen ().

Aus der Eingabe vom ergibt sich, dass diese auf jene Erledigungen beschränkt ist, die die Wirtschaftjahre 2010 bis 2013 betreffen. Für eine (Zustell-)Bevollmächtigung hinsichtlich aller - auch andere Wirtschaftsjahre betreffenden Erledigungen - findet sich jedoch kein Hinweis.

Nach dem Wortlaut dieser Vollmacht sind nicht sämtliche von der belangten Behörde zu erhebenden und gemeinsam zu verbuchende Abgaben an den Vertreter zuzustellen, sondern nur die die Wirtschaftsjahre 201 bis 2013 betreffenden Erledigungen.

Bezieht sich die dem rechtsfreundlichen Vertreter erteilte Vollmacht aber nicht auf alle bei der belangten Behörde gemeinsam zu verbuchenden Abgaben aller Wirtschaftsjahre, liegt keine rechtmäßig erteilte (Zustell)Vollmacht vor.

Die Zustellung der nach der Betriebsprüfung ergangenen Bescheide vom und des Betriebsprüfungsberichtes vom erfolgte daher zu Recht an die Bf.

Im Hinblick auf die Tatsache, dass die Beschwerdevorentscheidungen und deren Begründung letztlich - unter Nichtbeachtung des § 103 Abs. 2 BAO und der Unwirksamkeit der Zustellvollmacht - an die Bf zu Handen des rechtsfreundlichen Vertreters zugestellt wurden, ist auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 90/14/0003, zu verweisen. Darin hat der Gerichtshof Folgendes ausgesprochen:

"Den erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage (162 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates XV. GP Seite 12) ist zu entnehmen, daß die gegenüber den sonstigen Bestimmungen des Entwurfes des Zustellgesetzes einschränkende Regelung des § 103 Abs. 2 BAO im Hinblick auf die in Massen ergehenden, weitgehend unter Einsatz der EDV-Anlage des Bundesrechenamtes erstellten Erledigungen notwendig erscheint.

Vom Normzweck her soll diese Bestimmung der Behörde demnach eine Erleichterung bieten. Macht die Behörde von dieser Erleichterung aber keinen Gebrauch und nimmt sie eine sich aus § 103 Abs. 2 BAO ableitbare Unwirksamkeit einer Zustellbevollmächtigung nicht wahr, indem sie dem Wunsch des Machtgebers entsprechend die Zustellung an den bezeichneten Machthaber verfügt, so kann sie sich später, noch dazu zum Nachteil des Machtgebers, nicht auf die in Rede stehende Bestimmung berufen, weil eine solche Vorgangsweise dem Grundsatz von Treu und Glauben widerspräche."

In Anbetracht der Judikatur des Höchstgerichtes ist es dem Bundesfinanzgericht daher verwehrt, die Unwirksamkeit der Zustellung der Beschwerdevorentscheidungen und deren Begründungen an die Bf zu Handen ihres rechtsfreundlichen Vertreters aufzugreifen.

1.2. Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Umsatz- und Einkommensteuer 2010 und Umsatz- und Einkommensteuer 2010

Gemäß § 303 Abs. 1 lit b BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Bei der amtswegigen Wiederaufnahme ist zwischen der Rechtsfrage, ob der Tatbestand einer Wiederaufnahme des Verfahrens gegeben ist, und der Frage der Durchführung der Wiederaufnahme, die im Ermessen der Behörde liegt, zu unterscheiden. Ist die Rechtsfrage dahingehend geklärt, dass ein Wiederaufnahmegrund tatsächlich gegeben ist, dann hat die Abgabenbehörde in Ausübung ihres Ermessens zu entscheiden, ob eine amtswegige Wiederaufnahme zu verfügen ist.

Eine auf neu hervorgekommene Tatsachen gestützte Wiederaufnahme des Verfahrens ist ausgeschlossen, wenn der Abgabenbehörde in dem wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung hätte gelangen können (VwGH vom 30.03.20016, 2006/15/0016).

Tatsachen im Sinne des § 303 BAO sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände, also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis geführt hätten, wie etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften. Das Hervorkommen neuer Tatsachen und Beweismittel ist allein aus der Sicht des von der zuständigen Behörde geführten konkreten Verfahrens zu beurteilen (). Das Neuhervorkommen von Tatsachen im Sinne des § 303 Abs. 1 lit b BAO bezieht sich damit im vorliegenden Fall auf den Wissenstand der Behörde auf Grund der Betriebsprüfung betreffend Umsatz- und Einkommensteuer 2009 und 2010, die mit Bericht vom abgeschlossen wurde, im Gegensatz zum Wissenstand aufgrund der mit Bericht vom abgeschlossenen abgabenbehördlichen Prüfung betreffend Umsatz- und Einkommensteuer 2010 bis 2013.

Den Bp-Berichten ist zu entnehmen, dass die Prüferin im Bericht aus dem Jahr 2017 die Nichtverbuchung eines Rechnungseingangs im Jahr 2010 über einen Nettobetrag von 9.200,00 Euro als Wiederaufnahmegrund heranzog; diese Rechnung war bei der im Jahr 2013 abgeschlossenen Prüfung nicht als Begründung für die Wiederaufnahme angeführt worden.

Ein behördliches Verschulden an der Nichtfeststellung der maßgeblichen Tatsachen bzw. Beweismittel im Erstverfahren schließt die Wiederaufnahme von Amts wegen nicht aus, ist aber unter Umständen bei der Ermessensübung zu berücksichtigen (vgl. mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Ritz, BAO6, § 303, Tz. 33). Darin liegt unzweifelhaft eine neue Tatsache im Sinne des § 303 BAO.

Wenn in der Beschwerde vorgebracht wird, dass aus der Begründung des Bescheides oder aus dem Prüfbericht klar definiert sein müsse, welche konkreten Tatsachen neu hervorgekommen seien, so ist der rechtsfreundliche Vertreter darauf zu verweisen, dass im Bp-Bericht konkret auf jene Textziffern verwiesen wird, auf die sich die Wiederaufnahme der Umsatz- und Einkommensteuerverfahren 2010 gründet. Es trifft zu, dass der Bericht aus dem Jahr 2017 Feststellungen als Wiederaufnahmegründe anführt, die bereits im Bericht aus dem Jahr 2013 als Wiederaufnahmegründe herangezogen worden sind. Es wurde aber im Bericht aus dem Jahr 2017 auch die nicht verbuchte Rechnung über einen Betrag von 11.040,00 Euro brutto als Wiederaufnahmegrund angeführt.

Um eine Wiederaufnahme des Verfahrens rechtmäßig verfügen zu können, muss der Wiederaufnahmegrund zu einem im Spruch anderslautenden Ergebnis führen. Im Hinblick auf die unter Pkt. 1.3 angestellten Überlegungen betreffend die Zurechnung der Einkunftsquelle ist jedoch davon auszugehen, dass auch die nicht verbuchte Rechnung über den Betrag von 9.200,00 Euro netto nicht der Bf, sondern XY zugeflossen ist und daher dieser Wiederaufnahmegrund letztlich zu keinem im Spruch anderslautenden Bescheid geführt hätte.

Das Bundesfinanzgericht darf nur jene Wiederaufnahmegründe heranziehen, die vom Finanzamt herangezogen worden sind, es darf jedoch die herangezogenen Wiederaufnahmegründe nicht ersetzen (Ritz, BAO6, § 279 Tz 11, mwN).

Der Beschwerde gegen die Bescheide betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Umsatz- und Einkommensteuer 2010 war daher stattzugeben; die angefochtenen Wiederaufnahmebescheide waren ersatzlos aufzuheben.

Gemäß § 307 Abs. 3 BAO tritt durch die Aufhebung des die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheides das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor seiner Wiederaufnahme befunden hat.

Durch die Aufhebung des Wiederaufnahmebescheides scheidet die neue Sachentscheidung ex lege aus dem Rechtsbestand aus; die alten Sachbescheide leben wieder auf (Ritz, aaO, § 307 Tz 8, mwN).

Gemäß § 261 Abs. 2 BAO ist eine gegen die Sachentscheidung gerichtete Beschwerde mit Beschluss als gegenstandslos zu erklären, wenn einer Bescheidbeschwerde gegen einen die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheid entsprochen wird.

Die gegen den Umsatz- und Einkommensteuerbescheid 2010 eingebrachte Beschwerde war daher mit Beschluss als gegenstandslos zu erklären.

1.3. Umsatz- und Einkommensteuer 2011 bis 2013

Sofern die Abgabenvorschriften nicht anderes bestimmen, sind gemäß § 116 Abs. 1 BAO die Abgabenbehörden berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen (§§ 21 und 22 leg. cit.) und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen. Entscheidungen der Gerichte, durch die privatrechtliche Vorfragen als Hauptfragen entschieden wurden, sind gemäß § 116 Abs. 2 BAO von der Abgabenbehörde im Sinn des Abs. 1 der genannten Bestimmung zu beurteilen. Eine Bindung besteht nur insoweit, als in dem gerichtlichen Verfahren, in dem die Entscheidung ergangen ist, bei der Ermittlung des Sachverhaltes von Amts wegen vorzugehen war.

Laut ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes entfaltet ein rechtskräftiges Strafurteil bindende Wirkung hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen, auf denen sein Spruch beruht, wozu jene Tatumstände gehören, aus denen sich die jeweilige strafbare Handlung nach ihren gesetzlichen Tatbestandselementen zusammensetzt. Ein vom bindenden Strafurteil abweichendes Abgabenverfahren würde zu Lasten der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes einer Durchbrechung der materiellen Rechtskraft und einer unzulässigen Kontrolle der Organe der Rechtsprechung durch die Verwaltung gleichkommen. Die Bindungswirkung erstreckt sich auf die vom Gericht festgestellten und durch den Spruch gedeckten Tatsachen. Es besteht eine Bindung der Abgabenbehörde an jene tatsächlichen Feststellungen im Strafurteil, auf denen der Spruch basiert, mit welchem der Beschuldigte eines Deliktes für schuldig befunden wird (vgl. für viele ).

Im gegenständlichen Fall ging das Landesgericht für Strafsachen in seinem Urteil davon aus, dass faktischer Machthaber des Einzelunternehmens "Sanierungsteam Inhaber Bf" nicht die Bf, sondern deren Stiefvater war; die Bf unterstützte lediglich ihren Stiefvater durch das Schreiben der Rechnungen und die Verrichtung von Büroarbeiten, während er gegenüber den Kunden auftrat, die Aufträge akquirierte, die Baustellen kontrollierte und koordinierte, sich um die Arbeiter kümmerte, die Arbeiten einteilte und mit einer Generalvollmacht ausgestattet war.

Ad Einkommensteuer - Zurechnung der Einkünfte

Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist als Träger der Erwerbstätigkeit bzw. als Zurechnungssubjekt der Einkünfte derjenige anzusehen, der die Möglichkeit besitzt, die sich ihm bietenden Marktchancen auszunützen, also Leistungen zu erbringen oder deren Erbringung zu verweigern (zB. ; , 0014; ). Weiters kommt es für die Zurechnung der Einkünfte entscheidend darauf an, wer wirtschaftlich über die Einkunftsquelle und so über die Art der Erzielung der Einkünfte und damit über die Einkünfte disponieren kann (vgl. ). Die rechtliche Gestaltung ist in solchen Fällen nur dann maßgebend, wenn sich in wirtschaftlicher Betrachtungsweise nichts anderes ergibt.

Wem die Einkünfte zuzurechnen sind, ist dabei in erster Linie nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu entscheiden (vgl. u. ). Maßgeblich ist die tatsächliche, nach außen in Erscheinung tretende Gestaltung der Dinge (vgl. , sowie Doralt/Toifl, § 2 Tz 142).

Wie im rechtskräftig abgeschlossenen, verurteilenden Straferkenntnis ausgesprochen wurde, nahm die Bf nicht Kontakt zu den Machthabern der Scheinunternehmen auf. Nicht sie ersuchte diese, die Arbeiterpartie des XY als Dienstnehmer anzumelden. Sie stellte sich lediglich als vorgeschobene Einzelunternehmerin zur Verfügung, obwohl sie mit der tatsächlichen Leitung des Unternehmens nur wenig zu tun hatte. Sie war nur für die Erstellung von Rechnungen und Kostenvoranschlägen zuständig und verrichtete Büroarbeiten. Auch legte ihr bisheriger Ausbildungsweg dar, dass sie fachlich nicht ausreichend befähigt gewesen ist, um eigenverantwortlich Entscheidungen zu treffen. Diese Entscheidungen wurden vielmehr von ihrem Stiefvater getroffen, der die Anmeldung der Arbeitnehmer bei den diversen Scheinunternehmen bewirkte, die Löhne der Arbeiter bezahlte, Kontakt mit dem Steuerberater hielt und als "faktischer Geschäftsführer" tätig war. Er wurde auch von sämtlichen Kunden als Hauptansprechpartner in Bauangelegenheiten wahrgenommen. Von den Arbeitern wurde er als "Chef" bezeichnet, die Bf kannten die Arbeiter kaum bzw. gar nicht.

Diese vom Gericht festgestellten Tatsachen zeigen, dass nicht die Bf als Trägerin der Erwerbstätigkeit bzw. als Zurechnungssubjekt der Einkünfte anzusehen ist. Sie besaß nicht die Möglichkeit, die sich bietenden Marktchancen auszunützen, also Leistungen zu erbringen oder deren Erbringung zu verweigern. Die streitgegenständlichen Einkünfte waren daher nicht der Bf zuzurechnen.

Gemäß § 39 EStG 1988 wird die Einkommensteuer nach Ablauf des Kalenderjahres (Veranlagungszeitraumes) nach dem Einkommen veranlagt, das der Steuerpflichtige in diesem Veranlagungszeitraum bezogen hat.

Bemessungsgrundlage für die Veranlagung ist das (ungerundete) Einkommen iSd § 2 Abs. 2 EStG 1988, das dem Steuerpflichtigen im Veranlagungsjahr zuzurechnen ist.

Da der Bf in den Jahren 2011 bis 2013 in Anbetracht der obigen Ausführungen kein Einkommen zuzurechnen ist, waren die Einkommensteuerbescheide dieser Jahre ersatzlos aufzuheben.

Ad Umsatzsteuer - Unternehmereigenschaft

Gemäß § 1 Abs. 1 Z 1, erster Satz, UStG 1994 unterliegen der Umsatzsteuer die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt.

Gemäß Art. 9 Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSyst-RL) gilt als Steuerpflichtiger, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbständig ausübt.

Gemäß § 2 Abs. 1 UStG 1994 ist Unternehmer, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Das Unternehmen umfasst die gesamte gewerbliche oder berufliche Tätigkeit des Unternehmers. Gewerblich oder beruflich ist jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt oder eine Personenvereinigung nur gegenüber ihren Mitgliedern tätig wird.

Das Gesetz definiert den Begriff der Selbständigkeit nicht, sondern grenzt diesen insofern negativ ab, als nach § 2 Abs. 2 Z 1 UStG eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit nicht selbständig ausgeübt wird, soweit die natürliche Person in einem Unternehmen derart eingegliedert ist, dass sie den Weisungen des Unternehmers zu folgen verpflichtet ist. Das Gesetz enthält somit keinen Kriterienkatalog, welcher für die Abgrenzung zwischen Selbständigkeit und Nichtselbständigkeit herangezogen werden könnte. Nach dem Wortlaut ist die Ausprägung der Eingliederung ("derart") in das Unternehmen zu untersuchen.

Wie bereits im Zuge der Zurechnung der Einkünfte festgestellt wurde, beschränkte sich die Tätigkeit der Bf auf die Verrichtung von Büroarbeiten für das Unternehmen ihres Stiefvaters. Sie übte keine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig aus, war also nicht Unternehmerin im Sinne des Umsatzsteuergesetzes.

Gemäß § 11 Abs. 14 UStG 1994 schuldet derjenige, der in einer Rechnung einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er eine Lieferung oder sonstige Leistung nicht ausführt oder nicht Unternehmer ist, diesen Betrag.

Gemäß § 12 Abs. 1 lit a UStG 1994 kann der Unternehmer die von anderen Unternehmern in einer Rechnung (§ 11) an ihn gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die im Inland für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuer abziehen.

Fehlte der Bf die Unternehmereigenschaft, war sie auch nicht berechtigt, die in Rechnungen an sie ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer abzuziehen, schuldete aber die Umsatzsteuer, die sie in den von ihr erstellten Rechnungen auswies.

Die angefochtenen Umsatzsteuerbescheide der Jahre 2011 bis 2013 waren daher abzuändern. Die auf die erklärten Umsätze entfallende Umsatzsteuer war gemäß § 11 Abs. 14 UStG 1994 vorzuschreiben und die Abzugsfähigkeit der geltend gemachten Vorsteuerbeträge war zu verneinen. Die Höhe der Umsatzsteuer ist den beiliegenden Berechnungsblättern zu entnehmen.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall hatte das Bundesfinanzgericht Tatsachenfragen in freier Beweiswürdigung bzw. in Bindung an das rechtskräftige, verurteilende Erkenntnis des Landesgerichts für Strafsachen Wien zu lösen, das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung war daher zu verneinen.

Beilage: 3 Berechnungsblätter (Umsatzsteuer 2011 bis 2013)

Wien, am

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