Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 06.08.2020, RV/7101702/2020

Familienbeihilfenanspruch - Sachverständigengutachten

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R. in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Dr. Thomas Hofer-Zeni, Landstraßer Hauptstraße 82/11, 1030 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 2/20/21/22 vom betreffend Abweisung des Eigenantrages vom auf Familienbeihilfe und erhöhte Familienbeihilfe ab Dezember 2018 zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Der Sachwalter bzw. gerichtliche Erwachsenenvertreter der Beschwerdeführerin (Bf.) stellte am folgende Anträge:
Antrag auf Zuerkennung der Familienbeihilfe für die Bf. sowie auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung ab dem Zeitpunkt des Eintrittes der erheblichen Behinderung, den die/der medizinische Sachverständige feststellt im Höchstausmaß von rückwirkend fünf Jahren ab Antragstellung
mit u.a. folgenden Angaben:
Geburtsdatum: [TT/MM/1961]
Staatsbürgerschaft: Österreich
Personenstand: ledig
Für dieses Kind wird Pflegegeld bezogen: ja; seit [blank]; pflegegeldauszahlende Stelle: PVA

Den Anträgen waren Geburtsurkunde, Bestätigung der Meldung und Urkunde der Bestellung des Sachwalters angeschlossen.

Am brachte der Sachwalter der Bf. einen weiteren Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung ein wie folgt:
Bei dem Kind besteht folgende erhebliche Behinderung bzw. Erkrankung:
Oligophrenie

Mit Bescheid vom wurde der Antrag auf Familienbeihilfe und erhöhte Familienbeihilfe ab Dezember 2018 abgewiesen. Dies mit folgender Begründung:
Gemäß § 8 Abs. 5 ff Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) in der derzeit gültigen Fassung gilt ein Kind als erheblich behindert, bei dem nicht nur eine vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 % betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit ist durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.
Eine rückwirkende Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe ist für max. fünf Jahre ab der Antragstellung möglich bzw. ab dem Monat, ab dem das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen den Grad der Behinderung festgestellt hat (§ 10 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 in der geltenden Fassung).
Da Sie nicht zur Untersuchung des Sozialministeriumservices erschienen sind, konnte kein Grad der Behinderung festgestellt werden.

Die Beschwerde wurde wie folgt eingebracht:
Der Antrag auf erhöhte Familienbeihilfe wird im Wesentlichen deshalb abgewiesen, da die Antragstellerin nicht zur Untersuchung des Sozialministerium-Service erschienen ist.
Hiezu ist zunächst einmal auszuführen, dass aufgrund der psychischen Erkrankung der Betroffenen, die sich im Wesentlichen auch in der Form einer Schizophrenie mit Affektlabilität, Beziehungsideen und paranioder Reaktionsbereitschaft gegenüber dem Erwachsenenvertreter äußert, nur sehr schwer zur Kooperation zu bewegen ist. Dies ist allerdings krankheitsbedingt und hier bestehen durchaus auch Phasen, in denen eine Begleitung zu einer Untersuchung möglich ist. Es wird daher der Antrag gestellt, es möge ein neuerlicher Termin zur Anberaumung einer entsprechenden medizinischen Untersuchung bekannt gegeben werden.
Darüber hinaus werden die dem Erwachsenenvertreter vorliegenden psychiatrischen Gutachten vorgelegt, aus diesen ist ersichtlich, dass bei (der Bf.) eine angeborene Oligophrenie vorliegt (Psychiatrisches Gutachten Univ.Prof. Dr.med. F. St. vom ), ebenso wie die Sachverständige Dr. I. A. von einer angeborenen Minderbegabung ausgeht, mit später aufgetretenen psychotischen und schizophrenen Symptomen.
In eventu wird daher der Antrag auf Vornahme eines Aktengutachtens anhand der vorliegenden Gutachten gestellt.
Beweis: beiliegendes Gutachten Univ.Prof. Dr.med. F. St. vom ,
beiliegendes Gutachten Univ.Prof. Dr.med. F. St. vom ,
beiliegendes Gutachten Dr. I. A. vom .
Aus diesen Gründen wird daher der Antrag gestellt, es möge der Beschwerde gegen den Abweisungsbescheid vom Folge gegeben und Familienbeihilfe im beantragten Umfang zuerkannt werden.

Auf Grund der Untersuchung der Bf. durch einen Facharzt für Neurologie wurde das Sachverständigengutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom wie folgt erstellt:
Anamnese:
Die AW kommt in Begleitung im Rollstuhl. Sie habe die Pflichtschule besucht, sie habe bis 12/82 ein Anstellungsverhältnis gehabt, seit 1987 in psychiatrischer Behandlung wegen Oligophrenie und Schizophrenie, lebt derzeit im Caritasheim, wird dort behandelt, in den letzten Jahren kein stat. Aufenthalt an einer psychiatrischen Abteilung. Sie könne nicht aufstehen, bewegt aber seitengleich (diesbezüglich liegen keine Befunde vor)
Derzeitige Beschwerden:
diverse Schmerzen, sie könne nicht gehen
Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
kann keine Angaben machen
Sozialanamnese:
lebt in Caritasheim vollbetreut, I(nvaliditäts)Pension, Pflegestufe 4, Erwachsenenvertretung
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
Dr. St.: Es handelt sich bei (der Bf.) um eine Oligophrenie. Sie war offensichtlich in ihrer Ehe überfordert, und es kam zu Erregungszuständen, die bei solchen Kranken den Wert einer Psychose haben.
Sozialzentrum Caritas: Bezugnehmend auf Ihr Schreiben vom in dem Sie um einen Befundbericht über (die Bf.), geb. [TT/MM/1961] ansuchen, teilen wir Ihnen mit, daß sich die Pat. seit 1987 in unserer ambulanten Behandlung befindet. (Die Bf.) leidet unter einer Minderbegabung sowie an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis mit ausgeprägten Residuen. Sie wird kontinuierlich mit Haloperidol oral und als Depotpräparat behandelt.
Auffassungs- und Antriebes bei verminderter
Aktuell steht neben den Konzentrations-, Merkfähigkeitsstörungen und Störung des Kritikfähigkeit und eingeschränkter Krankheitseinsicht auch eine Wahnsymptomatik vor allem in Form von Vergiftungs- und Beeinträchtigungserleben im Vordergrund des psychopathologischen Befundes, (gezeichnet Dr. B P.)
Untersuchungsbefund:

Status (Kopf / Fußschema) - Fachstatus:
AW sitzt im Rollstuhl, Hirnnerven frei, deutliche orale Dyskinesien , Dysarthrie, an den OE keine Paresen, an den UE werden die Muskeln bds angespannt Vorfüße können bds gehoben werden, sagt, sie könne nicht aufstehen
Psycho(patho)logischer Status:
Allseits orientiert, Auffassung vermindert, deutlich kognitiv eingeschränkt, Stimmung dysthym, deutliche Somatisierungsneigung, Schlaf gut, nicht produktiv.

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung


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Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktions-einschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Begründung der Rahmensätze:
Pos.Nr.
Gdb %
1
Residualzustand bei Schizophrenie bei Oligophrenie
Unterer Rahmensatz, da keine ständige Beaufsichtigung notwendig.
80

Gesamtgrad der Behinderung 80 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern:
x ja
GdB liegt vor seit: 01/1987
Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:
GdB seit dem Jahr des Beginnes der dokumentierten Behandlung anzunehmen.
(Die Bf.) ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: JA
Die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ist nicht vor vollendetem 18. Lebensjahr eingetreten.
Die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ist nicht vor vollendetem 21. Lebensjahr eingetreten.
Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:
Auf Grund fehlender Vorbefunde kann eine Erwerbsunfähigkeit ab 1/1987 angenommen werden (Jahr der dokumentierten Behandlung)
x Dauerzustand

Das Finanzamt erließ eine abweisende Beschwerdevorentscheidung. Die Begründung lautet wie folgt:
Sie stellten am den Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe und auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung ab dem Zeitpunkt des Eintrittes der erheblichen Behinderung, den die/der medizinische Sachverständige feststellt im Höchstausmaß von rückwirkend fünf Jahren ab Antragstellung.
Laut Stellungnahme des Sozialministeriumservice vom sind Sie zur Untersuchung nicht erschienen.
Deshalb wurde am Ihr Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe und auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung ab dem Monat der Antragstellung Dezember 2018 abgewiesen.
Die Beschwerde vom wurde am form- und fristgerecht eingebracht.
In Ihrem Beschwerdebegehren führten Sie aus, dass Sie krankheitsbedingt nicht in der Lage seien Termine fristgerecht einzuhalten und ersuchten um einen neuerlichen Untersuchungstermin zur Anberaumung einer entsprechenden medizinischen Untersuchung.
Gemäß § 6 Abs. 2 lit d Familienlastenausgleichsgesetz 1967 besteht Anspruch auf Familienbeihilfe für Vollwaisen oder diesen nach § 6 Abs. 5 1. und 2. Satz Familienlastenausgleichsgesetz 1967 in ab geltenden Fassung gleichgestellten volljährigen Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres (bis vor Vollendung des 27. Lebensjahres), eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich den Unterhalt selbst zu verschaffen.
Gemäß § 8 Abs. 4 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes erheblich behindertes Kind. Voraussetzung für den Erhöhungsbetrag ist, dass der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht.
Gemäß § 8 Abs. 5 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) in der derzeit gültigen Fassung gilt ein Kind als erheblich behindert, bei dem nicht nur eine vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50% betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit ist nach der geltenden Rechtslage § 8 Abs. 6 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 in der Fassung BGBl Nr. 105/2002 durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.
Bei der Einschätzung des Grades der Behinderung wird die Verordnung über die Richtsätze für die Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Einschätzungsverordnung, BGBl. II Nr. 261/2010) angewendet.
Ein Anspruch auf Familienbeihilfe gemäß § 6 Abs. 5 1. u.2. Satz Familienlastenausgleichsgesetz 1967 in ab geltenden Fassung wäre unter den vorgesehenen Anspruchsvoraussetzungen dann gegeben, wenn bei Ihnen im Sinne des § 6 Abs. 2 lit. d Familienlastenausgleichsgesetz 1967 Ihr Unvermögen sich den Unterhalt selbst zu verschaffen vor Vollendung Ihres 21. Lebensjahres festgestellt worden wäre.
Tritt die Erwerbsunfähigkeit nicht vor Vollendung des 21. Lebensjahres ein, besteht weder Anspruch auf Familienbeihilfe, noch auf den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblichen Behinderung zu.
Laut amtsärztlichen Sachverständigengutachten vom wurde Ihr Behinderungsgrad im Ausmaß von 80 v.H. ab dem Monat Jänner 1987 und Ihr Unvermögen sich den Unterhalt selbst zu verschaffen ab dem Monat Jänner 1987, also nach Vollendung Ihres 21. Lebensjahres festgestellt. Da dieses amtsärztliche Gutachten in sich schlüssig und nachvollziehbar ist, ist das Finanzamt daran gebunden.
Mangels Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen des § 6 Abs. 2 lit. d Familienlastenausgleichsgesetz 1967 in Verbindung mit § 6 Abs. 5 1. und 2. Satz Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (bis § 6 Abs. 5 Familienlastenausgleichsgesetz 1967), bestand die Abweisung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblichen Behinderung ab dem Monat Dezember 2018 zu Recht.
Ihrem Beschwerdebegehren konnte sohin nicht stattgegeben werden.

Im daraufhin ohne weiter Begründung eingebrachten Vorlageantrag wurde ergänzend darauf hingewiesen, dass das in der Beschwerdevorentscheidung erwähnte Gutachten dem Erwachsenenvertreter nicht zugestellt worden sei, sodass eine entsprechende Stellungnahme und eine inhaltliche Auseinandersetzung damit nicht möglich gewesen sei. Es wurde um Übermittlung dieses Gutachten und um Gelegenheit zur Stellungnahme ersucht.

Nach Zusendung des Sachverständigengutachtens des Sozialministeriumsservice gab der Erwachsenenvertreter folgende Stellungnahme ab und brachte zum Ausdruck, seiner Ansicht nach bestehe der Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe zu Recht:
Laut dem Gutachten liegt Residualzustand bei Schizophrenie bei Oligophrenie vor. Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass der Gdb seit 01/1987 vorliegt. Diesbezüglich ist festzuhalten, dass sich diese Feststellung lediglich auf den Ausbruch der Schizophrenie beziehen kann, nicht jedoch auf die Oligophrenie. Oligophrenie, nunmehr offenbar Intelligenzdefekt ist in der Regel angeboren oder wird im frühen Kindesalter erworben.
Wie aus dem vorgelegten Gutachten von Prof. Dr.med. St. vom , insbesondere der Exploration der Mutter, festzustellen ist, lag bei (der Bf.) bereits im Kindesalter auch eine entsprechende Behinderung vor. Sie sei Legasthenikerin gewesen, habe Sprachkurse machen müssen, sei immer wieder weggelaufen, habe auch die Lehre im Adolf-Lorenz-Haus nicht geschafft, sie sei körperbehindert gewesen und habe damals nur langsam rechnen und lesen können.
In dem Gutachten wird auch festgestellt, dass eine Oligophrenie mittleren Grades vorliegt.
Wie aus dem Gutachten Prof. Univ.Doz. Dr.med Dr. St. vom , Seite 6, ersichtlich, sind schizophreniforme Psychosen bei Oligophrenie sehr schwer und oft gar nicht deutbar. Eine Differenzialdiagnose gegenüber episodischen Erlebnisreaktionen muss im Gutachten offen bleiben, dies bedürfte gründlichster Nachforschungen, bei der Frage, ob es sich hier wirklich um eine schizophrene Psychose gehandelt hat, oder nicht.
Solche Untersuchungen sind hier offensichtlich nicht unternommen worden. Fest steht jedoch, dass jedenfalls eine erhebliche geistige Behinderung vorliegt, aufgrund derer die Antragstellerin dauernd außerstande ist, sich selbst einen Unterhalt zu verschaffen und diese Behinderung jedenfalls vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten ist.

Die Beschwerdevorlage erfolgte mit nachstehendem Sachverhalt und Anträgen:
Sachverhalt:
Mit Bescheid vom wurde der Eigenantrag der Bf. auf erhöhte Familienbeihilfe ab Dezember 2018 abgewiesen. Strittig ist, ob die Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten ist.
Im Gutachten des Sozialministeriumsservice vom wird ausgeführt, dass die Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen nicht vor vollendetem 21. Lebensjahr eingetreten ist.
Stellungnahme:
Es wird auf die BVE vom verwiesen.
Nach § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist die dauernde Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen anhand einer Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (zwischenzeitig in Sozialministeriumsservice [=SMS] umbenannt) auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen. Eine solche Bescheinigung stellte das SMS nicht aus, weshalb die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 nicht erfüllt sind.
In führt der Verwaltungsgerichtshof aus, dass § 6 Abs. 2 lit. d FLAG auf den Zeitpunkt des Eintritts der dauernden Erwerbsunfähigkeit abstellt. Eine solche Behinderung "kann durchaus die Folge einer Krankheit sein, die schon seit Längerem vorliegt (bei angeborenen Krankheiten oder genetischen Anomalien etwa seit Geburt), sich jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt manifestiert. Erst wenn diese Krankheit zu einer derart erheblichen Behinderung führt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt, ist der Tatbestand des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG erfüllt. Mithin kommt es weder auf den Zeitpunkt an, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu (irgend)einer Behinderung führt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem diejenige Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt."
Im Gutachten des SMS wurde schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, weshalb vor Jänner 1987 keine Feststellungen getroffen werden konnten. Das Gutachten des SMS erscheint insofern auch plausibel, da die Bf. bis Dezember 1982 (= Jahr in dem die Bf. das 21. Lebensjahr vollendete) eine Erwerbstätigkeit ausübte.
Es wird beantragt die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Die im Mai 1961 geborene Bf. besuchte Volks- und Hauptschule und eine Schneiderlehre (Krankengeschichte Wr. Städt. Krankenanstalt).

Im Dezember 1982 heiratete die Bf. 21 ½- jährig, nach ca. ½ Jahr kam es zu massiven Schwierigkeiten in der (ersten) Ehe.

Mit den massiven Schwierigkeiten in der Ehe und der Geburt ihres Mitte 1983 geborenen Kindes war eine Veränderung der - im 23. Lebensjahr befindlichen - Bf. zu beobachten. Ab dieser Zeit und bis April 1987 war die Bf. wegen leichter Verletzungen im Gesicht und an den Extremitäten infolge Raufhändel, angeblich darunter auch infolge Misshandlungen durch den Ehegatten - von dem sie im März 1985 geschieden wurde - in der chirurgischen Ambulanz.

Im Mai 1984 wurde die Bf., 23- jährig, das erste Mal ins Psychiatrische Krankenhaus aufgenommen und am zweitfolgenden Tag entlassen. Die 1 ½ Jahre nach Eheschließung erfolgte Diagnose lautete: depressive Reaktion bei Partnerkrise, eine depressive Verstimmung mit Herabsetzung der Konzentrationsfähigkeit; sie hatte Konflikte mit ihrem Ehegatten. Es war ein typischer Erregungszustand bei Oligophrenie.

Im Mai 1986 wurde die Bf. kurz nach der Entbindung ihres zweiten Kindes ein zweites Mal ins Psychiatrische Krankenhaus aufgenommen. Es lag eine Wochenbettpsychose von endoformem Charakter vor.

Im April 1987 lag bei der Bf. eine Oligophrenie vor, sie war (im Jahr 1983) in ihrer Ehe überfordert, es kam zu Erregungszuständen, die bei solchen Kranken den Wert einer Psychose haben.

Im Laufe des Jahres 1987 begann eine Lebensgemeinschaft und wurde im Jänner 1988 - mit der Erkrankung Oligophrenie mittlerer Grad - die Ehefähigkeit der Bf. bestätigt.

Ihr Lebensgefährte wurde als äußerst anständige und verlässliche Persönlichkeit, die einen offensichtlich guten Einfluss auf den Geisteszustand und das Leben der Bf. hat.

Beweiswürdigung

Diese Feststellungen beruhen auf dem Akteninhalt, insb. auf dem Inhalt der Gutachten (Univ.Prof. Dr.med. F. St.), und sind unstrittig.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Hatte die Bf. das 21. Lebensjahr im Mai 1982 vollendet, ist von einer vor dieser Zeit eingetretenen Behinderung: Oligophrenie mittlerer Grad auszugehen. Der Eintritt dieser Behinderung kann auf den Zeitraum vor Vollendung des 21. Lebensjahres rückprojiziert werden.

War im April 1987 eine psychotische Symptomatik abgeklungen oder zumindest nicht nachweisbar, zeigt das, dass die massiven Schwierigkeiten in der Ehe und die mit der Geburt ihres Kindes einhergegangenen Schwierigkeiten - beides im Jahr 1983 - zur Überforderung der Bf. geführt hatten.

Die sehr schwierige Umweltsituation 1983, die die Überforderung der Bf. nach sich zog, wirkte negativ auf die Bf. ein und brachte sie zum Straucheln. Eine andere Umweltsituation - eine solche, wie sie sich in der zweiten Jahreshälfte 1987 und Anfang 1988 darstellte - hätte der Bf. die angeführten Probleme nicht beschwert.

Eine Oligophrenie mittleren Grades (wie sie vor vollendetem 21. Lebensjahr gegeben war) allein, ohne Hinzutreten weiterer massiv, wie oben gesagt auf den Geisteszustand und das Leben einwirkender Umstände wie sie im Jahr 1983 auf die Bf. zugekommen waren, vermag ein Außerstande-Sein sich den Unterhalt selbst zu verschaffen nicht zu bewirken.

Im mit Entscheidung des unabhängigen Finanzsenates vom , RV/0415-W/13, abweisend erledigten Fall hatte der Gutachter ausgeführt:
Bei mittelgradiger Oligophrenie sind einfache Arbeiten bei guter Struktur möglich.
Hierüber erwog der unabhängige Finanzsenat:
Dies besagt aber noch keinesfalls, dass auch eine dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ab der Geburt vorliegt (der Verwaltungsgerichtshof lehnte die Behandlung der zur Zl. 2013/16/0111 eingebrachten Beschwerde mit Beschluss vom ab).

In der Entscheidung vom , RV/4055-W/02, erwog der unabhängige Finanzsenat:
Im gegenständlichen Berufungsfall stellte der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. in seinem schlüssig begründeten Gutachten vom den Grad der Behinderung mit 50 v.H. (Oligophrenie mit Verhaltensstörung) fest, ebenso wurde im Gutachten festgestellt, dass die Bw. nicht. dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Der ärztliche Dienst des zuständigen Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen hat sich dieser Einschätzung angeschlossen.

Weiters wird auf folgende Entscheidungen verwiesen: UFSG vom , RV/0517-G/07, UFSG vom , RV/0609-G/05, , , ).

Gemäß § 6 Abs. 5 Familienlastenausgleichsgesetz haben erheblich behinderte Kinder im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. c, deren Eltern ihnen nicht überwiegend den Unterhalt leisten und die sich nicht auf Kosten der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befinden, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 und 3).

Gemäß § 6 Abs. 2 lit. d FLAG haben volljährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und sich in keiner Anstaltspflege befinden.

Gemäß § 8 Abs. 6 FLAG ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen. Die diesbezüglichen Kosten sind aus Mitteln des Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen zu ersetzen.

Im vorliegenden Fall kommt es darauf an, ob die im Mai 1961 geborene Bf. wegen einer körperlichen oder geistigen Behinderung dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und dieser Umstand bereits vor Vollendung ihres 21. Lebensjahres - und somit vor Mai 1982 - eingetreten ist.

Das Gutachten zu einer solchen Sachfrage ist die begründete Darstellung von Erfahrungssätzen und die Ableitung von Schlussfolgerungen für die tatsächliche Beurteilung eines Geschehens oder Zustands auf der Basis des objektiv feststellbaren Sachverhalts durch einen oder mehrere Sachverständige. Sachverständige haben dabei fundierte und wissenschaftlich belegbare konkrete Aussagen zu treffen und dürfen ihre Beurteilungen und Feststellungen nicht auf Spekulationen, sondern ausschließlich auf die festgestellten Tatsachen verbunden mit ihrem fachspezifischen Wissen stützen. Alleine die Möglichkeit, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmter Sachverhalt vorgelegen sein könnte, reicht dabei keinesfalls aus, diesen Sachverhalt gutachterlich als gegeben anzusehen und zu bestätigen (vgl. -I/11).

In die Schlussfolgerungen ist auch einzubeziehen, dass andere als behinderungskausale Gründe (zB mangelnde oder nicht spezifische Ausbildung, Arbeitsplatzsituation, Arbeitswilligkeit, uä.) bei der Beurteilung ebenso wenig herangezogen werden dürfen, wie die Verschlechterung des Gesundheitszustandes nach Vollendung des 21. Lebensjahres (vgl. -I/11; ).

Es liegt in diesen Fällen vor allem am Antragsteller den behaupteten Sachverhalt, nämlich die bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretene dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, klar und ohne Möglichkeiten eines Zweifels nachzuweisen (vgl. Lenneis, in Csaszar/Lenneis/ Wanke, FLAG, § 8 Rz 32).

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seiner Rechtsprechung (sh. zB , und ) der Rechtsansicht des Verfassungsgerichtshofes angeschlossen; daraus folgt, dass auch das Bundesfinanzgericht für seine Entscheidungsfindung die ärztlichen Sachverständigengutachten heranzuziehen hat, sofern diese als schlüssig anzusehen sind. Es ist also im Rahmen dieses Beschwerdeverfahrens zu überprüfen, ob das erstellte Sachverständigengutachten diesem Kriterium entspricht.

Dies ist zu bejahen; der Gutachter hat bei seiner Einschätzung sämtliche ihm vorliegenden Unterlagen gewürdigt und hieraus die entsprechenden Schlüsse gezogen.

Wenn der Gutachter in der Folge den Zeitpunkt der voraussichtlich dauernden Erwerbsunfähigkeit ab 01/1987, also mit Beginn der dokumentierten Behandlung, annimmt, ist dies mangels Befunden davor als schlüssig und nachvollziehbar zu beurteilen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Mit gegenständlichem Erkenntnis wurde nicht über eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung entschieden. Feststellungen auf der Sachverhaltsebene betreffen keine Rechtsfragen und sind grundsätzlich keiner Revision zugängig.

Wien, am

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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.7101702.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at