zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 01.10.2020, RV/7104768/2018

Anspruch auf Familienbeihilfe bei Bezug einer polnischen und einer österreichischen Pension

Rechtssätze


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Stammrechtssätze
RV/7104768/2018-RS1
Hier: Kinder leben in Polen
Folgerechtssätze
RV/7104768/2018-RS1
wie RV/7104627/2015-RS1
Bei Bezug von Renten aus mehreren Mitgliedstaaten bestimmt Art. 68 Abs. 1 Buchst. b Z ii der Verordnung Nr. 883/2004, welche Rechtsvorschriften Vorrang haben. Dies sind primär die Rechtsvorschriften jenes Staates, in dem die Kinder wohnen, vorausgesetzt, dass aus diesem Staat eine Rente bezogen wird. Nur in Fällen, in denen sich der Wohnort der Kinder in einem Staat befindet, aus dem keine Rente bezogen wird, ist subsidiär die Länge der Versicherungs- oder Wohnzeiten entscheidend. Wohnt die Tochter des Bf. in Slowenien und bezieht der Bf. aus diesem Staat eine Rente, haben die Rechtsvorschriften Sloweniens Vorrang. Slowenien ist daher der für die Gewährung der Familienleistungen primär zuständige Mitgliedstaat. Dies schließt jedoch nicht aus, dass der Bf. nach Art. 68 Abs. 2 der Verordnung Nr. 883/2004 Anspruch auf den Unterschiedsbetrag in Höhe des darüber hinausgehenden Betrags der Familienleistungen nach den sekundär anzuwendenden österreichischen Bestimmungen (Differenzzahlung) hat.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Helga Hochrieser in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Mag. Patrycja Pogorzelski, Mahlerstraße 13/3, 1010 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 2/20/21/22 vom betreffend Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen für die Zeit von Juni 2013 bis Juli 2014 zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird - ersatzlos - aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

Entscheidungsgründe

Der Beschwerdeführer (Bf.) ist polnischer Staatsangehöriger und verfügt in Wien über einen Wohnsitz, sein Familienwohnsitz befindet sich in Polen. Am Antrag vom wurde nur mehr die österreichische Adresse angegeben. Die Familienbeihilfe wurde aufgrund der dem Finanzamt bekanntgegeben Sachverhalte zuerkannt.

In weiterer Folge erhob das Finanzamt, dass der Bf. sowohl in Polen als auch in Österreich eine Pension bezieht und forderte daher die Familienbeihilfe von Juni 2013 bis Juni 2014 mit Bescheid vom zurück. Da infolge einer Ortsabwesenheit des Bf. der Bescheid nicht rechtswirksam zugestellt wurde, erließ das Finanzamt am neuerlich einen Rückforderungsbescheid (siehe ).

Der Beschwerdeführer (Bf.) verfügt über einen Wohnsitz in Wien. Seine beiden Kinder leben in Polen. Ein Familienbeihilfeanspruch des Bf. für die in Polen lebenden Kinder wurde für den Zeitraum 2013 und 2014 verneint. Die Kindesmutter hat im besagten Zeitraum Arbeitslosengeld bezogen. Sämtliche Familienangehörige sind polnische Staatsbürger, daher Unionsbürger.

Der Bf. bezog für seine Kinder im Streitzeitraum Juni 2013 bis Juni 2014 in Österreich Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom forderte das Finanzamt vom Bf. die von ihm für seine Kinder im Zeitraum Juni 2013 bis Juni 2014 bezogene Familienbeihilfe und die Kinderabsetzbeträge in Höhe von insgesamt 5.371,60 € gemäß § 26 Abs. 1 FLAG 1967 iVm § 33 Abs. 3 EStG 1988 zurück. In der Begründung ist Folgendes ausgeführt:

"Nach Art. 11 der VO(EG) 883/2004 unterliegen Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats.

Artikel 68 Prioritätsregeln bei Zusammentreffen von Ansprüchen bestimmt:

(1) Sind für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren, so gelten folgende Prioritätsregeln:

a) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus unterschiedlichen Gründen zu gewähren, so gilt folgende Rangfolge:

- an erster Stelle stehen die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelösten Ansprüche,

- darauf folgen die durch den Bezug einer Rente ausgelösten Ansprüche und

- schließlich die durch den Wohnort ausgelösten Ansprüche.

b) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus denselben Gründen zu gewähren, so richtet sich die Rangfolge nach den folgenden subsidiären Kriterien:

i) bei Ansprüchen, die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass dort eine solche Tätigkeit ausgeübt wird, und subsidiär gegebenenfalls die nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zu gewährende höchste Leistung.

ii) bei Ansprüchen, die durch den Bezug einer Rente ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass nach diesen Rechtsvorschriften eine Rente geschuldet wird, und subsidiär gegebenenfalls die längste Dauer der nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten,

iii) bei Ansprüchen, die durch den Wohnort ausgelöst werden' der Wohnort der Kinder. Lt. Artikel 68 Abs. 2 b (ii) der Verordnung (EG) ist bei Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus denselben Gründen (Rentenbezüge), jener Mitgliedstaat zur Leistung verpflichtet, in dem sich der Wohnort der Kinder beendet.

Zusammenfassend ergibt sich somit, dass Polen hinsichtlich der Kindesmutter Beschäftigungsstaat ist. Da Sie sowohl aus Polen als auch aus Österreich eine Rente beziehen und die Kinder in Polen wohnen, unterliegen Sie gemäß Art.11 ivm Artikel 68 Abs. 2 b (ii) der Verordnung (EG) den polnischen Rechtsvorschriften.

Polen ist somit ausschließlich für die Auszahlung von Familienleistungen zuständig."

Der Bf. erhob gegen den Rückforderungsbescheid Beschwerde, in welcher er Folgendes ausführte:

"Der Beschwerdeführer ist polnischer Staatsbürger und verfügt über einen Wohnsitz in Wien. Seine beiden Kinder leben in Polen und absolvieren ein Universitätsstudium.

Die Tochter des Beschwerdeführers, T., studiert in Bialystok, wobei diese Ortschaft ca. 260 km von ihrem Wohnort entfernt liegt, sodass sie in Bialystok eine Wohnung mit einer Studienkollegin angemietet hat. Der Sohn des Beschwerdeführers, S., wird sein Studium in Polen erst im Jahre 2020 beenden. Der Beschwerdeführer finanziert überwiegend den Unterhalt für seine Kinder.

Ein Familienbeihilfeanspruch des Beschwerdeführers für die in Polen lebenden Kinder wurde für den Zeitraum 2013 und 2014 aufgrund der Einkommenshöhe verneint. Die Kindesmutter hat im besagten Zeitraum Arbeitslosengeld bezogen.

Sämtliche Familienangehörige sind polnische Staatsbürger, daher Unionsbürger. Die Gattin des Beschwerdeführers arbeitet in Polen und bringt ein monatliches Einkommen in Höhe von ca. € 400,00 ins Verdienen. Der Beschwerdeführer ist Rentner und verfügt insgesamt über ein Einkommen in Höhe von € 1.020,00, sodass das gesamte Familieneinkommen bei ca. € 1.400,00 liegt.

Mit bekämpften Bescheid hat die belangte Behörde den Beschwerdeführer gemäß § 26 Abs.1 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 iVm § 33 Absatz 4 Z3 lit. a bzw. lit. c EStG 1988 verpflichtet, die bezogene Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag für den Zeitraum Juni 2013 bis Juni 2014 zurückzuzahlen.

Die belangte Behörde führt zusammenfassend aus, dass Polen hinsichtlich der Kindesmutter Beschäftigungsstaat sei. Da der Beschwerdeführer aus Polen und aus Österreich eine Rente bezieht und die Kinder in Polen wohnen, käme Art. 11 iVm mit Art. 68 Absatz 2b (ii) der Verordnung (EG) zur Anwendung, sodass die polnischen Rechtsvorschriften anzuwenden wären und Polen daher ausschließlich für die Auszahlung von Familienleistungen zuständig wäre.

Die belangte Behörde übersieht, dass Art. 60 Abs. 1 der Verordnung Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nummer 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (im folgenden Verordnung Nummer 987/2009) nicht ausschließt, dass ein Elternteil, der in einem anderen als dem zur Gewährung dieser Leistungen verpflichteten Mitgliedstaat wohnt, diejenige Person ist, die, sofern im Übrigen alle anderen durch das nationale Recht vorgeschriebenen Voraussetzungen erfüllt sind, zum Bezug dieser Leistungen berechtigt ist.

Es obliegt jedoch der zuständigen nationalen Behörde, zu bestimmen, welche Personen nach nationalem Recht Anspruch auf Familienleistungen haben. Demnach ist Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 987/2009 dahin auszulegen, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Fiktion dazu führen kann, dass der Anspruch auf Familienleistungen einer Person zusteht, die nicht in dem Mitgliedstaat wohnt, der für die Gewährung dieser Leistungen zuständig ist, sofern alle anderen durch das nationale Recht vorgeschriebenen Voraussetzungen für die Gewährung erfüllt sind, was von dem vorlegenden Gericht zu prüfen ist.

Zu den beteiligten Personen im Sinne des Art. 60 Abs. 1 zweiter Satz der Verordnung Nummer 987/2009 gehören die Familienangehörigen im Sinne des Artikel 1 Buchst, i) Nummer 1 der Verordnung Nummer 883/2004. Darunter sind alle Personen zu verstehen, die auch nach nationalem Recht berechtigt sind, Anspruch auf Familienleistungen zu erheben (vgl. , EU: C: 2015: 720, "Tomislav Trapkowski").

Die belangte Behörde hat es unterlassen, zu prüfen, ob Familienleistungen der in Polen lebenden Kindesmutter zustehen und ob nicht der Antrag des Kindesvaters als Antrag der Kindesmutter zu behandeln wäre."

Mit Beschwerdevorentscheidung wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab. In der Begründung wurde Folgendes ausgeführt:

"Sachverhalt:

Es wurde Ihnen die Familienbeihilfe für obigen aberkannt, weil Sie in Österreich und Polen eine Pension beziehen und somit das Land zuständig ist, in dem die Kinder wohnen.

Ihre Beschwerde begründen Sie damit, dass Sie überwiegend den Unterhalt der Kinder finanzieren. Weiters wird erwähnt, dass zu prüfen ist, ob nicht der Antrag des Kindesvaters als Antrag der Kindesmutter zu behandeln wäre.

Rechtliche Grundlagen:

Gemäß § 5 Abs. 3 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) besteht kein Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder, die sich ständig im Ausland aufhalten.

In diesem Zusammenhang bestimmt jedoch § 53 Abs. 1 FLAG 1967, dass EWR-Staatsbürger grundsätzlich österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt sind. Dabei ist der ständige Aufenthalt eines Kindes in einem Staat des EWR nach Maßgabe der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen dem ständigen Aufenthalt eines Kindes in Österreich gleichzuhalten.

Im Beschwerdefall sind nicht nur die innerstaatlichen Bestimmungen des FLAG 1967 zu beachten. Vielmehr ist die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, die ab gilt, anzuwenden.

Artikel 11 Allgemeine Regelung

(1) Personen, für die diese Verordnung gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel.

Artikel 68 Prioritätsregeln bei Zusammentreffen von Ansprüchen

(1) Sind für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren, so gelten folgende Prioritätsregeln:

a) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus unterschiedlichen Gründen zu gewähren, so gilt folgende Rangfolge:

- an erster Stelle stehen die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelösten Ansprüche,

- darauf folgen die durch den Bezug einer Rente ausgelösten Ansprüche und

- schließlich die durch den Wohnort ausgelösten Ansprüche.

b) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus denselben Gründen zu gewähren, so richtet sich die Rangfolge nach den folgenden subsidiären Kriterien:

i) bei Ansprüchen, die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass dort eine solche Tätigkeit ausgeübt wird, und subsidiär gegebenenfalls die nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zu gewährende höchste Leistung.

ii) bei Ansprüchen, die durch den Bezug einer Rente ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass nach diesen Rechtsvorschriften eine Rente geschuldet wird, und subsidiär gegebenenfalls die längste Dauer der nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzelten;

iii) bei Ansprüchen, die durch den Wohnort ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder.

(2) Bei Zusammentreffen von Ansprüchen werden die Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften gewährt, die nach Absatz 1 Vorrang haben. Ansprüche auf Familienleistungen nach anderen widerstreitenden Rechtsvorschriften werden bis zur Höhe des nach den vorrangigen Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags ausgesetzt; erforderlichenfalls ist ein Unterschiedsbetrag in Höhe des darüber hinausgehenden Betrags der Leistungen zu gewähren. Ein derartiger Unterschiedsbetrag muss jedoch nicht für Kinder gewährt werden, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, wenn der entsprechende Leistungsanspruch ausschließlich durch den Wohnort ausgelöst wird.

Würdigung:

Da jede Person It. Artikel 11 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 nur den Rechtsvorschriften eines Staates unterliegen kann, muss anhand der Prioritätsregeln des Artikels 68 zunächst eine Zuordnung hinsichtlich der Renteneinkünfte getroffen werden.

Lt. Artikel 68 Abs. 2 b (ii) der Verordnung (EG) ist bei Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus denselben Gründen (Rentenbezüge), jener Mitgliedstaat zur Leistung verpflichtet, in dem sich der Wohnort der Kinder befindet. Die Subsidiärbestimmung, nach der die Zuständigkeit gemäß der längsten Dauer der Versicherungs- oder Wohnzelten zu bestimmen ist, kann nicht angewendet werden, da bereits eine Zuordnung nach dem Wohnort des Kindes möglich war.

Zusammenfassend ergibt sich somit, dass Polen hinsichtlich der Kindesmutter Beschäftigungsstaat ist. Da Sie sowohl aus Polen als auch aus Österreich eine Rente beziehen und die Kinder in Polen wohnen, unterliegen Sie gemäß Art.11 iVm Artikel 68 Abs. 2 b (ii) der Verordnung (EG) den polnischen Rechtsvorschriften.

Art. 68 Abs. 2 der Verordnung (EG) ist nicht anwendbar, da Personen nur den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates unterliegen können und somit auch keine Zahlung des Unterschiedsbetrages (wie im Fall von unterschiedlich zuständigen Staaten von Kindesmutter und Kindesvater) möglich ist. Zur Auszahlung der Familienbeihilfe ist ausschließlich Polen zuständig.

Innerstaatliche polnische Regelungen, die aufgrund der Einkommensverhältnisse oder des Alters der Kinder eventuell einen Nichtanspruch in Polen ergeben, sind irrelevant und ändern nicht die Sachlage."

Der Bf. stellte gegen die Beschwerdevorentscheidung einen Vorlageantrag und beantragte die Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Begründend wurde im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

"Mit Bescheid der belangten Behörde vom machte die belange Behörde die Rückforderung zu Unrecht bezogener Beträge gegen den Beschwerdeführer geltend. Dagegen erhob der Beschwerdeführer am Beschwerde und begründete dies zusammenfassend damit, dass die belangte Behörde Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nummer 987/2009 nicht angewendet habe. Demnach ist dieser Artikel dahingehend auszulegen, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Fiktion dazu führen kann, dass der Anspruch auf Familienleistungen einer Person zusteht, die nicht in dem Mitgliedstaat wohnt, der für die Gewährung dieser Leistungen zuständig ist, sofern alle anderen durch das nationale Recht vorgeschriebenen Voraussetzungen für die Gewährung erfüllt sind, was vom Finanzamt zu prüfen gewesen wäre.

Die belangte Behörde hat es unterlassen, zu prüfen, ob Familienleistungen der in Polen lebenden Kindesmutter zustehen und ob nicht der Antrag des Kindesvaters als Antrag der Kindesmutter zu behandeln wäre."

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

I Nationale Rechtsvorschriften

Nach § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet werden - unter näher geregelten Voraussetzungen - Anspruch auf Familienbeihilfe.

Gemäß § 2 Abs. 8 FLAG 1967 haben Personen nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet haben. Eine Person hat den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in dem Staat, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat.

Nach § 3 Abs. 1 und 2 FLAG haben Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, rechtmäßig in Österreich aufhalten, und für Kinder, die nicht österreichische Staatsbürger sind, nur dann, wenn sich diese nach §§ 8 und 9 NAG rechtmäßig in Österreich aufhalten.

§ 4 Abs. 1 FLAG 1967 normiert, dass Personen, die Anspruch auf eine gleichartige ausländische Beihilfe haben, keinen Anspruch auf Familienbeihilfe haben.

§ 4 Abs. 2 FLAG 1967 sieht vor, dass österreichische Staatsbürger, die gemäß Abs. 1 oder gemäß § 5 Abs. 5 vom Anspruch auf die Familienbeihilfe ausgeschlossen sind, eine Ausgleichszahlung erhalten, wenn die Höhe der gleichartigen ausländischen Beihilfe, auf die sie oder eine andere Person (§ 5 Abs. 5) Anspruch haben, geringer ist als die Familienbeihilfe, die ihnen nach diesem Bundesgesetz ansonsten zu gewähren wäre.

Gemäß § 5 Abs. 3 FLAG 1967 besteht kein Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder, die sich ständig im Ausland aufhalten.

Gemäß § 53 Abs. 1 FLAG 1967 sind Staatsbürger von Vertragsparteien des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), soweit es sich aus dem genannten Übereinkommen ergibt, in diesem Bundesgesetz österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt. Hierbei ist der ständige Aufenthalt eines Kindes in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums nach Maßgabe der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen dem ständigen Aufenthalt eines Kindes in Österreich gleichzuhalten.

Bei gemeinschaftsrechtlichen Sachverhalten werden die innerstaatlichen Normen durch die gemeinschaftsrechtlichen Regelungen überlagert. Infolge des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts (Art. 7 der Verordnung Nr. 883/2004) finden die auf den Wohnort im Bundesgebiet abstellenden Bestimmungen des § 2 Abs. 1 FLAG 1967, des § 2 Abs. 8 FLAG 1967 und des § 5 Abs. 3 FLAG 1967 im vorliegenden Fall keine Anwendung. Zufolge des in Art. 4 der Verordnung Nr. 883/2004 normierten Gleichbehandlungsgrundsatzes für Personen, für die diese Verordnung gilt, finden die durch den Anwendungsvorrang dieser Bestimmung verdrängten Bestimmungen des § 3 Abs. 1 und 2 FLAG mit besonderen Voraussetzungen für Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, im vorliegenden Fall keine Anwendung (vgl. ; ).

II Unionsrecht

Die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (im Folgenden: Verordnung Nr. 883/2004) gilt gemäß ihrem Art. 2 Abs. 1 u.a. für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen.

Die für den vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung Nr. 883/2004 lauten:

"Artikel 11

Allgemeine Regelung

(1) Personen, für die diese Verordnung gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel.

(2) Für die Zwecke dieses Titels wird bei Personen, die aufgrund oder infolge ihrer Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit eine Geldleistung beziehen, davon ausgegangen, dass sie diese Beschäftigung oder Tätigkeit ausüben. Dies gilt nicht für Invaliditäts-, Alters- oder Hinterbliebenenrenten oder für Renten bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten oder für Geldleistungen bei Krankheit, die eine Behandlung von unbegrenzter Dauer abdecken.

(3) Vorbehaltlich der Artikel 12 bis 16 gilt Folgendes:

a) eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats;

b) ein Beamter unterliegt den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, dem die ihn beschäftigende Verwaltungseinheit angehört;

c) eine Person, die nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats Leistungen bei Arbeitslosigkeit gemäß Artikel 65 erhält, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats;

d) eine zum Wehr- oder Zivildienst eines Mitgliedstaats einberufene oder wiedereinberufene Person unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats;

e) jede andere Person, die nicht unter die Buchstaben a bis d fällt, unterliegt unbeschadet anders lautender Bestimmungen dieser Verordnung, nach denen ihr Leistungen aufgrund der Rechtsvorschriften eines oder mehrerer anderer Mitgliedstaaten zustehen, den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats.

(4) …"

"Artikel 67

Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen

Eine Person hat auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden. Ein Rentner hat jedoch Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des für die Rentengewährung zuständigen Mitgliedstaats."

"Artikel 68

Prioritätsregeln bei Zusammentreffen von Ansprüchen

(1) Sind für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren, so gelten folgende Prioritätsregeln:

a) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus unterschiedlichen Gründen zu gewähren, so gilt folgende Rangfolge: an erster Stelle stehen die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelösten Ansprüche, darauf folgen die durch den Bezug einer Rente ausgelösten Ansprüche und schließlich die durch den Wohnort ausgelösten Ansprüche.

b) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus denselben Gründen zu gewähren, so richtet sich die Rangfolge nach den folgenden subsidiären Kriterien:

i) bei Ansprüchen, die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass dort eine solche Tätigkeit ausgeübt wird, und subsidiär gegebenenfalls die nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zu gewährende höchste Leistung. Im letztgenannten Fall werden die Kosten für die Leistungen nach in der Durchführungsverordnung festgelegten Kriterien aufgeteilt;

ii) bei Ansprüchen, die durch den Bezug einer Rente ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass nach diesen Rechtsvorschriften eine Rente geschuldet wird, und subsidiär gegebenenfalls die längste Dauer der nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten;

iii) bei Ansprüchen, die durch den Wohnort ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder.

(2) Bei Zusammentreffen von Ansprüchen werden die Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften gewährt, die nach Absatz 1 Vorrang haben. Ansprüche auf Familienleistungen nach anderen widerstreitenden Rechtsvorschriften werden bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags ausgesetzt; erforderlichenfalls ist ein Unterschiedsbetrag in Höhe des darüber hinausgehenden Betrags der Leistungen zu gewähren. Ein derartiger Unterschiedsbetrag muss jedoch nicht für Kinder gewährt werden, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, wenn der entsprechende Leistungsanspruch ausschließlich durch den Wohnort ausgelöst wird.

(3) …"

Nach Art. 11 Abs. 3 Buchst. e der Verordnung Nr. 883/2004 unterliegt der Bf. als Rentenbezieher den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats.

Ein Rentner hat nach Art. 67 der Verordnung Nr. 883/2004 Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des für die Rentengewährung zuständigen Mitgliedstaats.

Bei Bezug von Renten aus mehreren Mitgliedstaaten bestimmt Art. 68 Abs. 1 Buchst. b Z ii der Verordnung Nr. 883/2004 welche Rechtsvorschriften Vorrang haben. Dies sind primär die Rechtsvorschriften jenes Staates, in dem die Kinder wohnen, vorausgesetzt, dass aus diesem Staat eine Rente bezogen wird. Nur in Fällen, in denen sich der Wohnort der Kinder in einem Staat befindet, aus dem keine Rente bezogen wird, ist subsidiär die Länge der Versicherungs- oder Wohnzeiten entscheidend.

Da die Kinder des Bf. in Polen wohnen und der Bf. aus diesem Staat eine Rente bezieht, haben die Rechtsvorschriften Polens Vorrang. Im vorliegenden Fall ist daher Polen der für die Gewährung der Familienleistungen primär zuständige Mitgliedstaat.

Dies schließt jedoch nicht aus, dass der Bf. nach Art. 68 Abs. 2 der Verordnung Nr. 883/2004 Anspruch auf den Unterschiedsbetrag in Höhe des darüber hinausgehenden Betrags der Familienleistungen nach den sekundär anzuwendenden österreichischen Bestimmungen (Differenzzahlung) hat.

Der (Laterza, Slg. 1980, 1915) zur Auslegung des (dem Art. 68 Abs. 1 Buchst. b Z ii der Verordnung Nr. 883/2004) vergleichbaren Art. 77 Abs. 2 Buchst. b Z i der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (in der Folge: Verordnung Nr. 1408/71), Folgendes ausgeführt:

"Wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom in der Rechtssache 100/79 (Rossi, Slg. 1979, 831) ausgeführt hat, haben die Verordnungen über die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer kein gemeinsames System der sozialen Sicherheit geschaffen, sondern "eigene Systeme bestehen lassen, die eigene Forderungen gegen eigene Träger gewähren, gegen die dem Leistungsberechtigten unmittelbare Ansprüche entweder allein nach nationalem Recht oder erforderlichenfalls nach durch Gemeinschaftsrecht ergänztem nationalen Recht zustehen". In dem gleichen Urteil hat der Gerichtshof außerdem klargestellt, daß "vorbehaltlich ausdrücklich vorgesehener vertragskonformer Ausnahmen … die Gemeinschaftsregelung so anzuwenden [ist], daß sie dem Wanderarbeitnehmer oder den ihm gegenüber Berechtigten nicht einen Teil der Leistungen nach dem Recht eines Mitgliedstaats aberkennt" oder zu einer Verminderung der Leistungen führt, die nach diesem durch das Gemeinschaftsrecht ergänzten Recht geschuldet werden. Die Verordnung Nr. 1408/71 geht bei dem Erlaß und der Erweiterung der Regeln zur Koordinierung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften von dem in der siebten und achten Begründungserwägung niedergelegten Grundprinzip aus, daß diese Regeln den Arbeitnehmern, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, alle ihnen in den einzelnen Mitgliedstaaten zustehenden Leistungen bis zum Höchstbetrag dieser Leistungen sichern sollen." (Rn 8, Hervorhebungen durch das BFG)

"Gemäß diesen Grundsätzen dürfen daher die Bestimmungen des Artikels 77 Absatz 2 Buchstabe b Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 nicht so angewendet werden, daß dem Arbeitnehmer durch die Ersetzung der in einem anderen Mitgliedstaat geschuldeten Leistungen der Vorteil der günstigeren Leistungen entzogen wird. Die der Verordnung Nr. 1408/71 zugrunde liegenden Prinzipien gebieten vielmehr, daß dann, wenn in dem in Artikel 77 Absatz 2 Buchstabe b Ziffer i vorgesehenen Fall der Betrag der vom Wohnstaat gezahlten Leistungen unter dem der von dem anderen verpflichteten Staat gewährten Leistungen liegt, dem Arbeitnehmer der höhere Betrag erhalten bleibt und er vom zuständigen Träger des letztgenannten Staates eine Zusatzleistung in Höhe des Unterschieds zwischen den beiden Beträgen erhält." (Rn 9, Hervorhebungen durch das BFG)

Im Urteil vom , C-1/88, Rs Baldi, hat der EuGH Folgendes ausgeführt:

"Sowohl für die Zeit, die unter Artikel 77 Absatz 2 Buchstabe a (Bezug einer Rente nur nach den italienischen Rechtsvorschriften), als auch für die Zeit, die unter Artikel 77 Absatz 2 Buchstabe b Ziffer i fällt (Bezug einer Rente jeweils nach den italienischen und den belgischen Rechtsvorschriften), hat der Kläger gegen die Ausgleichskasse [Belgiens] Anspruch auf einen Zuschlag zu den belgischen Familienbeihilfen, wenn der Betrag dieser Familienbeihilfen höher ist als der der italienischen Familienbeihilfen. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes sollen nämlich die Regeln der Verordnung Nr. 1408/71 den Arbeitnehmern, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, alle ihnen in den einzelnen Mitgliedstaaten zustehenden Leistungen bis zum Höchstbetrag dieser Leistungen sichern; gemäß diesen Grundsätzen darf Artikel 77 Absatz 2 Buchstabe b Ziffer i der Verordnung nicht so angewandt werden, daß dem Arbeitnehmer durch die Ersetzung der in einem Mitgliedstaat geschuldeten Leistungen durch die in einem anderen Mitgliedstaat geschuldeten der Vorteil der günstigeren Leistungen entzogen wird (Urteil vom in der Rechtssache 733/79, Laterza, Slg. 1980, 1915; im gleichen Sinne das Urteil vom in der Rechtssache 242/83, Patteri, Slg. 1984, 3171). Dieselben Überlegungen gelten hinsichtlich der Anwendung von Artikel 77 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71." (Rn 22, Hervorhebungen durch das BFG)

Im Urteil vom , C-59/95, Rs Bastos Moriana, hat der EuGH Folgendes ausgeführt:

"Die Artikel 77 und 78 dienen der Bestimmung des Mitgliedstaats, nach dessen Recht sich die Gewährung von Leistungen für unterhaltsberechtigte Kinder von Rentnern und für Waisen regelt; die Leistungen werden dann grundsätzlich nach dem Recht allein dieses Mitgliedstaats gewährt. Nach dem jeweiligen Absatz 2 Buchstabe b Ziffer i dieser Artikel werden die in Rede stehenden Leistungen nach dem Recht des Staates gewährt, in dessen Gebiet der Rentner oder die Waise des verstorbenen Arbeitnehmers wohnt, wenn für den Rentner oder den verstorbenen Arbeitnehmer die Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten gelten beziehungsweise gegolten haben.

Jedoch sind diese Bestimmungen nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes so auszulegen, daß der Anspruch auf Familienleistungen gegen den Staat, in dessen Gebiet der Empfänger einer Invaliditäts- oder Altersrente beziehungsweise die Waise wohnt, nicht den zuvor gegen einen anderen Mitgliedstaat eröffneten Anspruch auf höhere Familienleistungen beseitigt. Vielmehr schuldet letzterer eine Zusatzleistung in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen den beiden Leistungen. (vgl. inbesondere die Urteile vom Rs 733/79 (Laterza, Slg. 1980, 1915), vom Rs 807/79 (Gravina, Slg. 1980, 2205).

Diese Auslegung der Artikel 77 und 78 der Verordnung beruht auf dem vom Gerichtshof vielfach bekräftigten Grundsatz, daß der Zweck der Artikel 48 bis 51 EG-Vertrag verfehlt würde, wenn die Arbeitnehmer, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen, deswegen Vergünstigungen der sozialen Sicherheit verlören, die ihnen allein nach dem Recht eines Mitgliedstaats zustehen (insbesondere Urteil vom in der Rechtssache 24/75, Petroni, Slg. 1975, 1149, Rn 13). Daher dürfen die Bestimmungen der Verordnung nicht angewandt werden, wenn sie zu einer Verringerung der Leistungen führten, die dem Betroffenen nach dem Recht eines Mitgliedstaats allein aufgrund der dort zurückgelegten Versicherungszeiten zustehen (vgl. in diesem Sinne Urteil Petroni, a. a. O., Rn 16)." (Rn 15 bis 17, Hervorhebungen durch das BFG)

Im Urteil vom , Rechtssache C-251/89 (Athanasopoulos u.a., Slg. 1991, I-2797), hat der EuGH ausgeführt, dass "Artikel 77 Absatz 2 Buchstabe b Ziffer i und Artikel 78 Absatz 2 Buchstabe b Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes nicht so ausgelegt werden dürfen, daß der Erwerbstätige oder die Waise eines verstorbenen Erwerbstätigen deshalb, weil die von einem Mitgliedstaat gewährten Leistungen durch in einem anderen Mitgliedstaat geschuldete Leistungen ersetzt werden, nicht mehr die höheren Leistungen erhält. Wenn daher in den durch diese Vorschriften erfassten Fällen der Betrag der vom Wohnstaat gezahlten Leistungen niedriger ist als der Betrag der von dem anderen leistungspflichtigen Staat gewährten Leistungen, so erhält der Erwerbstätige oder die Waise des verstorbenen Erwerbstätigen weiterhin den höheren Betrag und hat gegenüber dem zuständigen Träger des letztgenannten Staates Anspruch auf eine Zusatzleistung in Höhe des Unterschieds zwischen den beiden Beträgen (siehe Urteil vom in der Rechtssache 1/88, Baldi, Slg. 1989, 667; im gleichen Sinn Urteil vom in der Rechtssache 807/79, Gravina, Slg. 1980, 2205, Randnr. 8)." (Rn 17)

Der EuGH hat weiters ausgeführt dass "die Verordnung Nr. 1408/71 im Lichte des mit Artikel 51 EWG-Vertrag - ihrer Rechtsgrundlage - verfolgten Ziels auszulegen ist, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zu sichern. Dieses Ziel würde aber nicht erreicht, wenn das Recht eines Mitgliedstaats über die Fälle hinaus, die die gemeinschaftsrechtliche Regelung im Einklang mit den Zielen des Vertrages ausdrücklich vorsieht, die Gewährung der Vergünstigungen der sozialen Sicherheit, die nach diesem Recht geschuldet werden, von der Voraussetzung abhängig machen würde, daß der Arbeitnehmer im betreffenden Mitgliedstaat wohnt. Bezüglich der Leistungen für unterhaltsberechtigte Kinder von Rentnern und der Leistungen für Waisen sehen die Artikel 77 Absatz 2 und 78 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 ausdrücklich vor, daß diese Leistungen nach Maßgabe dieser Vorschriften ohne Rücksicht darauf gewährt werden, in welchem Mitgliedstaat die Rentner und die Kinder oder aber die Waisen oder die Person, die ihren Unterhalt bestreitet, wohnen." (Rn 19, 20, Hervorhebungen durch das BFG)

Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes entfaltet Art. 13 der Verordnung Nr. 1408/71 keine Sperrwirkung für die Anwendung des Rechts des nicht zuständigen Mitgliedstaats (vgl. BFH , III R 8/11; BFH , III R 51/09; BFH , III R 32/11). Die frühere gegenteilige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (z.B. BFH , III R 41/05) ist zwischenzeitlich überholt. Dies hat in gleicher Weise für die im Wesentlichen inhaltsgleiche Regelung des Art. 11 der Verordnung Nr. 883/2004 zu gelten.

Da der Bf. für seine Kinder im Streitzeitraum in Polen keinen Anspruch auf Familienleistungen hatte, steht ihm die österreichische Familienbeihilfe in voller Höhe zu (vgl. auch , betreffend eine polnische Staatsbürgerin, die im Streitzeitraum Renten aus Österreich und aus Polen bezog).

Die Rückforderung der im Zeitraum Juni 2013 bis Juni 2014 bezogenen Familienbeihilfe und der Kinderabsetzbeträge ist somit zu Unrecht erfolgt.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Diese Voraussetzung liegt im Beschwerdefall vor, da zu der gegenständlichen Rechtsfrage eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
Art. 7 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 4 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
§ 2 Abs. 8 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 2 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 5 Abs. 3 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 53 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 4 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 4 Abs. 2 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
Verweise
Art. 4 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1

Zitiert/besprochen in
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.7104768.2018

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at