Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 24.09.2020, RV/2100747/2019

KfZ Steuer und Standortvermutung

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***1*** in der Beschwerdesache ***2*** über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Graz-Stadt vom betreffend Normverbrauchsabgabe 11/2018 und vom betreffend Kraftfahrzeugsteuer 10.2018-12.2018 zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Die angefochtenen Bescheide werden aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Der Beschwerdeführer (Bf) ist deutscher Staatsbürger, in Österreich berufstätig und war im gegenständlichen Zeitraum mit Hauptwohnsitz in Österreich gemeldet.

Am wurde eine Nachschau gemäß § 144 BAO hinsichtlich der Nutzung von Kraftfahrzeugen mit ausländischem Kennzeichen durch die Finanzpolizei durchgeführt und mit dem Bf eine Niederschrift aufgenommen. Darin gab der Bf an, dass das gegenständliche (Leasing-)Fahrzeug am auf ihn zugelassen und im November 2018 erstmals nach Österreich verbracht worden sei. Er sei der Verwender dieses Fahrzeuges. Er sei in Österreich mit einem Hauptwohnsitz bei seiner Freundin gemeldet und habe in Deutschland im Haus seiner Eltern einen Nebenwohnsitz. Seinen Lebensmittelpunkt sehe er wirtschaftlich in Österreich. Seine Freizeit verbringe er mit seiner Freundin.
Nach Durchsicht dieser Niederschrift wies er in einer Ergänzung darauf hin, dass sich auch sein Freundeskreis in Deutschland befinde, die Beziehung zu seiner Freundin problematisch sei und er beabsichtige, im Sommer 2019 in die USA zu gehen.

In der Folge erließ das Finanzamt eine Kfz Bescheid und einen Bescheid über die Festsetzung der Normverbrauchsabgabe und führte begründend aus, es sei entscheidungsrelevant, ob der Mittelpunkt der Lebensinteressen und damit der Hauptwohnsitz iSd § 82 Abs. 8 KFG im Inland gelegen sei. Der Begriff des Wohnsitzes im Sinne der österreichischen Rechtsordnung stelle auf den Mittelpunkt der Lebensbeziehungen ab, wobei es auf die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen ankomme. Von besonderer Bedeutung seien dabei nach der Rechtsprechung des VwGH etwa Grund- und Hausbesitz, emotionale Bindungen an Hab und Gut oder der gemeinsame Familienwohnsitz. Bei mehreren Wohnsitzen vereinige jeweils einer die stärksten persönlichen Beziehungen auf sich; demnach gebe es nur einen Mittelpunkt der Lebensverhältnisse. Dies treffe im Normalfall für den Familienwohnsitz zu.
Im vorliegenden Fall sei festgestellt worden, dass der Bf seinen Hauptwohnsitz bzw. den Lebensmittelpunkt im Inland habe, wodurch das vom Bf verwendete Fahrzeug im Sinne des Kraftfahrgesetzes als Fahrzeug mit dauerndem Standort im Inland anzusehen sei.

Dagegen wandte sich der Bf mit dem Rechtsmittel der Beschwerde und begründete diese wie folgt:

"In den Bescheiden wird die Festsetzung der NOVA und Kraftfahrzeugsteuer damit begründet, dass ich durch meinen Wohnsitz in Österreich den Tatbestand des § 1 Z. 3 NOVAG erfült hätte. Tatsächlich habe ich nach wie vor meinen Familienwohnsitz an der Adresse meines Elternhauses in Deutschland und pendle monatlich zwischen dem Familienwohnsitz in Deutschland und dem Wohnsitz in Österreich.
Gemäß RZ 36 NOVAR gilt bei Tages,- Wochen- und Monatspendlern sowie bei Saisonarbeitern nach wie vor der Familienwohnsitz als Mittepunkt der Lebensinteressen und somit als dauernder Standort des Fahrzeuges.
Aus den dargelegten Gründen habe ich das Fahrzeug weder widerrechtlich im Inland verwendet, noch wäre dieses gemäß § 82 Abs. 8 KFG nach Ablauf eines Monats ab der Einbringung im Inland zum Verkehr zuzulassen gewesen und erfülle ich daher nicht den Tatbestand des § 1 Z. 3 NOAVG."

In der in der Folge ergangenen Beschwerdevorentscheidung führte das Finanzamt nach Wiedergabe der gesetzlichen Bestimmungen im Wesentlichen aus, dass es sich beim Bf um einen deutschen Staatsbürger handle, der seit Oktober 2018 an der Med.Uni Graz und für die Joanneum Research Forschungsgesellschaft tätig sei.
Dem Bf sei zuzustimmen, dass bei Tages-, Wochen- und Monatspendlern sowie bei Saisonarbeitern als Mittelpunkt der Lebensinteressen und somit als dauernder Standort nach wie vor der Familienwohnsitz gelte. Der Bf vermeine, sein Familienwohnsitz befinde sich nach wie vor in Deutschland an der Adresse seines Elternhauses. Dem sei jedoch zu entgegnen, dass der Familienwohnsitz eines in Lebensgemeinschaft lebenden Steuerpflichtigen dort liege, wo er seine engsten persönlichen Beziehungen und einen eigenen Hausstand habe. Es sei daher im vorliegenden Fall nicht einmal ausgewiesen, dass der Bf in Deutschland überhaupt über einen eigenen Hausstand verfüge. Ein "Mitwohnen" im Wohnungsverband der Eltern oder auch ein noch bestehendes Jugendzimmer im Elternhaus könne nicht als eigene Wohnung bzw. eigener Hausstand angesehen werden. Auch für die angeführte Nebenwohnsitzmeldung in Deutschland seien im Zuge der Beschwerde keine Nachweise vorgelegt worden.
Zudem bestünden aus Sicht des Finanzamtes sowohl in privater als auch in wirtschaftlicher Hinsicht die engeren Beziehungen des Bf zu Österreich. Der Bf habe sich für eine berufliche Tätigkeit in Österreich entschieden und sehe aufgrund dessen auch selbst seinen wirtschaftlichen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen in Österreich (vgl. Seite 4 der Niederschrift).
Aufgrund der Beziehungen und des gemeinsamen Wohnsitzes mit der Freundin sei auch von überwiegenden privaten Anknüpfungspunkten im Inland auszugehen. Wenn der Bf in einer Ergänzung zur Niederschrift angebe, die Beziehung sei derzeit als "problematisch" zu werten, sei dazu auszuführen, dass dennoch eine aufrechte Beziehung sowie ein gemeinsamer Wohnsitz im verfahrensgegenständlichen Zeitraum bestanden habe. Zudem spreche auch die Dauer des Aufenthaltes für einen Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich, zumal der Bf in der Niederschrift selbst angegeben habe, er sei aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit in Österreich zeitlich sehr eingeschränkt und verbringe seine Freizeit mit seiner Freundin. Die weitere Ergänzung in der Niederschrift, wonach der Bf im Sommer 2019 in die USA gehen möchte, stelle eine bloße Absichtserklärung dar und ändere nichts am derzeitigen und im gesamten verfahrensgegenständlichen Zeitraum gegebenen Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich.

In seinem dagegen gerichteten Antrag auf Vorlage seiner Beschwerde an das Bundesfinanzgericht beantragte der Bf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

Im Vorlagebericht vom , dem nach ständiger Rechtsprechung Vorhaltscharakter zukommt, wies das Finanzamt darauf hin, dass keine Nachweise erbracht worden seien und auch die weitaus überwiegende Verwendung des Kfz im Ausland weder behauptet noch belegt worden sei, weshalb nicht von der Erbringung des Gegenbeweises iSd § 82 Abs. 8 KFG ausgegangen werden könne.

Mit Schreiben vom wurde dem Bf unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () die Möglichkeit gegeben, dem Bundesfinanzgericht unter Anschluss von Nachweisen darzutun, weshalb er im Sinne dieser Rechtsprechung davon ausgehe, dass er seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland habe.

Dieses Schreiben blieb unbeantwortet.

In der mündlichen Verhandlung vom brachte der steuerliche Vertreter des Bf erstmals vor, dass sich der Bf bis zum nur als "geduldeter Gast" in seinem Haushalt (als Freund seiner Tochter) aufgehalten habe.
Zum Beweis, dass der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Bf bis zum nicht in Österreich gelegen sein könne, legte er eine Meldebescheinigung der Meldebehörde in Deutschland und Tankrechnungen (in Deutschland) für den streitgegenständlichen Zeitraum vor. Im Übrigen weise er darauf hin, dass der Bf in der Zeit vom bis zum nur ein befristetes Dienstverhältnis in Österreich hatte.
Seinen Hauptwohnsitz in Graz habe der Bf dann am gegründet und nicht wie im ZMR ausgewiesen mit . Dazu legte der steuerliche Vertreter einen nicht unterfertigten Mietvertrag vor.

Zur Klärung der Frage wann der Bf seinen Wohnsitz in Graz gegründet hat, wurde die Verhandlung vertagt.

In der Folge wurde die Vermieterin des Bf vom Bundesfinanzgericht befragt und von ihr ein unterfertigter Mietvertrag sowie ein Meldezettel vorgelegt.

Vom steuerlichen Vertreter wurden weitere Unterlagen (Flugtickets nach Deutschland) nachgereicht.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Gesetzliche Grundlagen:

Gemäß § 1 Z 3 Normverbrauchsabgabegesetz (NoVAG) unterliegt die erstmalige Zulassung von Kraftfahrzeugen zum Verkehr im Inland der NoVA. Die Verwendung eines Fahrzeuges im Inland gilt dann als erstmalige Zulassung, wenn es nach dem KFG zuzulassen wäre. Abgabenschuldner ist derjenige, für den das Kraftfahrzeug zugelassen wird (§ 4 Z 2 NoVAG). Die Steuerschuld entsteht mit dem Tag der Zulassung (§ 7 Abs. 1 Z 3 NoVAG).

Gemäß § 1 Abs. 1 Z 2 Kraftfahrzeugsteuergesetz 1992 (KfzStG) unterliegen der Kraftfahrzeugsteuer Kraftfahrzeuge, die auf Straßen mit öffentlichem Verkehr im Inland ohne kraftfahrrechtlich erforderliche Zulassung verwendet werden (widerrechtliche Verwendung).

Gemäß § 3 Z 2 KfzStG ist Steuerschuldner die Person, die das Kraftfahrzeug auf Straßen mit öffentlichem Verkehr verwendet.

Die Steuerpflicht dauert gemäß § 4 Abs. 1 Z 3 KfzStG bei widerrechtlicher Verwendung eines Kraftfahrzeuges vom Beginn des Kalendermonates, in dem die Verwendung einsetzt, bis zum Ablauf des Kalendermonates, in dem die Verwendung endet.

In § 40 Abs. 1 KFG definiert der Gesetzgeber den dauernden Standort eines Fahrzeuges als den Ort des Hauptwohnsitzes des Antragstellers, bei Fahrzeugen von Unternehmungen als den Ort, von dem der Antragsteller über das Fahrzeug hauptsächlich verfügt.

Nach § 82 Abs. 8 KFG 1967 sind Fahrzeuge mit ausländischem Kennzeichen, die von Personen mit Hauptwohnsitz oder Sitz im Inland in das Bundesgebiet eingebracht oder in diesem verwendet werden, bis zum Gegenbeweis als Fahrzeug mit dauerndem Standort in Inland anzusehen ("Standortvermutung"). Die Verwendung solcher Fahrzeuge ohne Zulassung gemäß § 37 ist nur während eines Monats ab der erstmaligen Einbringung in das Bundesgebiet zulässig. Eine vorübergehende Verbringung aus dem Bundesgebiet unterbricht diese Frist nicht.

Der Hauptwohnsitz einer Person ist an jener Unterkunft begründet, an der sie sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, diese zum Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen zu machen.

Der Mittelpunkt der Lebensinteressen ist durch eine zusammenfassende Wertung aller Umstände zu ermitteln. Bei der Beurteilung des Mittelpunktes der Lebensinteressen ist regelmäßig nicht nur auf die Verhältnisse eines Jahres, sondern auf einen längeren Beobachtungszeitraum abzustellen (vgl. VwGH 2011/15/0193).

Im gegenständlichen Fall stellt sich der Sachverhalt nach den durchgeführten Ermittlungen des Bundesfinanzgerichtes wie folgt dar:

Der Bf ist deutscher Staatsangehöriger und hat im streitgegenständlichen Zeitraum ein in Deutschland zugelassenes Kraftfahrzeug verwendet. In Österreich hat er aufgrund eines vom bis befristeten Dienstvertrages vom mit dem Joanneum Research zu arbeiten begonnen.
Mit einem Arbeitsvertrag vom wird ein weiteres vom bis befristetes Arbeitsverhältnis an der Med Uni bescheinigt. Beide Dienstverträge sind an seine Adresse in Deutschland adressiert, für die eine Meldebestätigung der zuständigen Meldebehörde vorliegt. Dass sich der Bf im streitgegenständlichen Zeitraum auch regelmäßig in Deutschland aufgehalten hat, konnte er mit Tankrechnungen und Flugtickets belegen. Laut Melderegister hatte er in Österreich seinen Wohnsitz im Haus der Eltern seiner Freundin in Graz Umgebung.

Die weiteren Ermittlungen haben ergeben, dass der Bf in der Folge mit Mietvertrag vom eine Wohnung in Graz gemietet hat.

Aufgrund dieses unbestrittenen Sachverhaltes vertritt das Bundesfinanzgericht die Auffassung, dass der Bf seinen Mittelpunkt der Lebensinteressen im streitgegenständlichen Zeitraum (Oktober bis Dezember 2018) noch nicht in Österreich hatte.

Wenn auch der Bf den Wohnsitz im Elternhaus seiner Freundin in der mit ihm aufgenommenen Niederschrift als Hauptwohnsitz bezeichnet hat, so kann ihm aus der Sicht des Bundesfinanzgerichtes die offensichtlich falsche Wortwahl nicht zum Nachteil ausgelegt werden, zumal den melderechtlichen Daten lediglich Indizwirkung zukommt. Wesentlich sind die Gesamtumstände des zu beurteilenden Falles. Dabei ist auf einen längeren Beobachtungszeitraum abzustellen (). Im zu beurteilenden Fall ergibt sich jedoch eindeutig, dass es dem Bf im streitgegenständlichen Zeitraum an einem inländischen Hauptwohnsitz und dem Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich gemangelt hat.
Damit ist der Standortvermutung des § 82 Abs. 8 KFG des in Rede stehenden Kraftfahrzeuges jedoch der Boden entzogen.

Die angefochtenen Bescheide waren aufzuheben.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen dieses Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG eine Revision nicht zulässig, da das Erkenntnis nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Bei der vorliegenden Sach- und Rechtslage war wie im Spruch ersichtlich zu entscheiden.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 1 Abs. 1 Z 2 KfzStG 1992, Kraftfahrzeugsteuergesetz 1992, BGBl. Nr. 449/1992
§ 82 Abs. 8 KFG 1967, Kraftfahrgesetz 1967, BGBl. Nr. 267/1967
§ 1 Z 3 NoVAG 1991, Normverbrauchsabgabegesetz, BGBl. Nr. 695/1991
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.2100747.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at