Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 05.02.2020, RV/2100848/2013

Haftung eines deutschen Geschäftsführers einer deutschen GmbH, (Un)Kenntnis der österr. Rechtslage

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag. Franz Glashüttner in der Beschwerdesache Bf., D, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde FA vom , betreffend Haftung zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.

Die Haftung wird mit einem Betrag von 86.885,73 € festgesetzt.

Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgaben sind dem Ende der Entscheidungsgründe zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Mit Haftungsbescheid vom wurde Bf. von der belangten Behörde für aushaftende Abgabenschuldigkeiten der GmbH mit Sitz in D in Höhe von 98.697,70 Euro gemäß § 9 iVm § 80 BAO in Anspruch genommen. Zur Begründung führte die belangte Behörde ua aus:

"Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten des Vertreters:

Haftungsrelevant ist nur, wenn sich die Uneinbringlichkeit aus der Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten ergibt ().
Zu den abgabenrechtlichen Pflichten gehören insbesondere

  • die Abgabenentrichtung aus den Mitteln, die der Vertreter verwaltet,

  • die Führung gesetzlicher Aufzeichnungen (),

  • die zeitgerechte Einreichung von Abgabenerklärungen ( 2000/ 14/0006).

Die Pflicht des Vertreters, die vom Vertretenen geschuldeten Abgaben zu entrichten, besteht nur insoweit, als hierfür liquide Mittel vorhanden sind ().
Der Zeitpunkt, für den zu beurteilen ist, ob dem Primärschuldner die für die Abgabenentrichtung erforderlichen Mittel zur Verfügung standen, bestimmt sich danach, wann die Abgaben bei Beachtung der abgabenrechtlichen Vorschriften zu entrichten gewesen wären (; ).
Bei Selbstbemessungsabgaben (wie der Umsatzsteuer) ist maßgeblich, wann die Abgaben bei ordnungsgemäßer Selbstberechnung abzuführen gewesen wären. Maßgeblich ist somit der Zeitpunkt der Fälligkeit der Abgaben, unabhängig davon, wann sie bescheidmäßig festgesetzt wurden.
Reichen die Mittel des Primärschuldners nicht aus, die offenen Schuldigkeiten zur Gänze zu entrichten, so ist der Vertreter grundsätzlich zur Befriedigung der Schulden im gleichen Verhältnis (anteilig) verpflichtet (Gleichbehandlungsgrundsatz). Er darf hierbei Abgabenschulden nicht schlechter behandeln als die übrigen Schulden (; , , 2000/16/0149).
Er ist jedoch nicht verpflichtet, den Abgabengläubiger besser als die übrigen Gläubiger zu behandeln ().
Bei Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes erstreckt sich die Haftung des Vertreters nur auf jenen Betrag, um den bei gleichmäßiger Behandlung sämtlicher Gläubiger die Abgabenbehörde mehr erlangt hatte, als sie infolge des pflichtwidrigen Verhaltens des Vertreters tatsächlich bekommen hat (; 95/ 14/0090; 2000/ 14/0149).
Allerdings hat das Ausreichen der Mittel zur Abgabenentrichtung nicht die Abgabenbehörde nachzuweisen; vielmehr hat der Vertreter das Fehlen ausreichender Mittel nachzuweisen (; ). Gelingt ein solcher Nachweis nicht, kann die Haftung für den gesamten uneinbringlichen Abgabenrückstand geltend gemacht werden (, ).
Diese qualifizierte Mitwirkungspflicht entbindet die Abgabenbehörde jedoch nicht von jeglicher Ermittlungspflicht. Die Behörde hat bei entsprechenden Behauptungen und diesbezüglichem Beweisanbot die zur Entlastung des Vertreters angebotenen Beweise aufzunehmen und erforderliche Präzisierungen abzufordern, jedenfalls aber konkrete Feststellungen über die angebotenen Entlastungsbehauptungen zu treffen ( 95/ 15/0145; ).
Mit Vorhalt vom wurden Sie daher aufgefordert, Nachweise zu erbringen, wie die Zahlungsmittel zur Verfügung gestanden sind und in welchem Ausmaß die anderen Gläubiger der GmbH noch Befriedigung erlangten. Dieser Aufforderung sind Sie aber nicht nachgekommen.
Die letzte Zahlung auf das Abgabenkonto der GmbH erfolgte am . Seit diesem Zeitpunkt erfolgten keine Zahlungen, obwohl Umsätze getätigt wurden. Es ist daher davon auszugehen, dass Mittel der GmbH zur Verfügung gestanden sind, um ihre Verbindlichkeiten zu bezahlen, und dass die vorhandenen Mittel nicht im gleichen Verhältnis zur Befriedigung der Schulden eingesetzt wurden.
Sie waren zur anteilsmäßigen Verteilung der liquiden Mittel nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet. Durch die Nichtbeachtung dieses Grundsatzes für die Umsatzsteuer, den Säumniszuschlag, den Verspätungszuschlag und die Stundungszinsen haben Sie Ihre abgabenrechtlichen Pflichten als Vertreter der GmbH verletzt.
Ihnen als Vertreter der GmbH oblag der Nachweis, welcher Betrag bei Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger bezogen auf die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte einerseits und das Vorhandensein liquider Mittel andererseits an die Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre (; , 2004/14/0030).
Da Sie trotz Aufforderung vom keine rechnerische Darstellung der quotenmäßigen Gleichbehandlung aller Gläubiger übermittelt haben, wird die Schlechterstellung des FA zu 100% angenommen und die Haftung für den gesamten Abgabenrückstand ausgesprochen ().

Verschulden des Vertreters:

Verletzungen abgabenrechtlicher Pflichten berechtigen nur dann zur Haftungsinanspruchnahme, wenn die Verletzung schuldhaft erfolgte. Eine bestimmte Schuldform ist hierfür nicht erforderlich (; ). Daher reicht leichte Fahrlässigkeit (, ).
Der Vertreter hat darzutun, weshalb er nicht dafür habe Sorge getragen, dass der Vertretene die Abgaben entrichtet hat, widrigenfalls von der Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung angenommen werden darf (; ; ). In der Regel wird nämlich nur der Vertreter jenen ausreichenden Einblick in die Gebarung des Vertretenen haben, der ihm entsprechende Behauptungen und Nachweise ermöglicht (; 99/ 14/0128). Der Vertreter hat für die Möglichkeit des Nachweises seines pflichtgemäßen Verhaltens vorzusorgen (). Ihm obliegt kein negativer Beweis, sondern die konkrete (schlüssige) Darstellung der Gründe, die etwa der rechtzeitigen Abgabenentrichtung entgegenstanden ( 89/ 13/0212).
Wie der Verwaltungsgerichtshof ausführt, ist es Aufgabe des Geschäftsführers im Verwaltungsverfahren allfällige Gründe aufzuzeigen, die ihn darin gehindert haben, die Abgabenschuld am oder nach dem Fälligkeitstag zu begleichen ().
Aufgrund der Aktenlage muss davon ausgegangen werden, dass zu den jeweiligen Fälligkeitstagen bzw. ab dem ersten Fälligkeitstag liquide Mittel vorhanden waren, diese jedoch nicht nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz verteilt wurden. Warum keine Gleichbehandlung erfolgte, wurde trotz Vorhalt nicht dargetan.
Es liegt daher ein schuldhaftes Verhalten des Vertreters vor.

Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Uneinbringlichkeit:

Die Inanspruchnahme der gem. § 9 BAO bestehenden Haftung setzt voraus, dass die schuldhafte Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten kausal für die Uneinbringlichkeit ist. Bei schuldhafter Pflichtverletzung darf die Abgabenbehörde mangels dagegensprechender Umstände annehmen, dass die Pflichtverletzung Ursache der Uneinbringlichkeit ist (; ).
Es sind daher alle Voraussetzungen gem. § 9 BAO für eine Inanspruchnahme zur Haftung erfüllt.
Die Geltendmachung der persönlichen Haftung ist eine Ermessensentscheidung. Gem.
§ 20 BAO sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen.
Aus dem auf die Hereinbringung der Abgabenschuld beim Haftenden gerichteten Besicherungszweck der Haftungsnorm folgt, dass die Geltendmachung der Haftung in der Regel dann ermessenskonform ist, wenn die betreffenden Abgaben beim Primärschuldner uneinbringlich sind."

Mit Schreiben vom erhob der Bf. fristgerecht Berufung (nunmehr Beschwerde)gegen den Haftungsbescheid. In der Berufung brachte der Bf. ua vor, dass abgabenrechtliche Pflichten nicht verletzt worden seien. Die Umsatzsteuerbeträge seien zunächst fälschlicherweise in Deutschland angemeldet und dort abgeführt worden. Dass sich durch die Berichtigung der deutschen Umsatzsteuererklärungen ergebene Guthaben sei direkt an die österreichische Finanzverwaltung abgetreten bzw. gezahlt worden. Der Vorhalt vom habe der Bf. nie erhalten, sodass es ihm nicht möglich gewesen sei, der qualifizierten Mitwirkungspflicht nachzukommen.

Mit Schreiben vom übermittelte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer nochmals den Vorhalt vom .

Der Bf. antwortete mit Schreiben vom auf das Ergänzungsersuchen der belangten Behörde. In diesem Schreiben brachte der Bf. ua vor, dass die aushaftenden Abgabenbeträge daraus resultieren würden, dass die Umsatzsteuerbeträge zunächst fälschlicherweise aus Unwissenheit in Deutschland angemeldet und dort abgeführt worden seien. Es sei ihm nicht bewusst gewesen, dass die Umsätze als sogenannte Versandhaus-lieferungen der österreichischen Umsatzsteuer zu unterwerfen gewesen seien.

Bei Erkennen der Falschmeldungen und Berichtigung der Steueranmeldungen sei das sich aus der Berichtigung der deutschen Jahresumsatzsteuer 2009 bis 2011 ergebene Guthaben an die belangte Behörde überwiesen bzw. direkt abgetreten worden. Die Erklärung der Umsätze sei daher nicht grundsätzlich unterblieben, sondern sie sei fälschlicherweise in Deutschland und nicht in Österreich erfolgt.

Die verspätet erfolgte Anmeldung der Umsatzsteuer in Österreich sei aus dem Nichtkennen des tatsächlichen Sachverhaltes bzw. dessen umsatzsteuerrechtlichen Relevanz und nicht aus einer vorsätzlich oder fahrlässig ausgeführten Handlung resultiert.

Das Schreiben enthält auch eine Aufzählung der Verbindlichkeiten und Vermögenswerte mit Stand 02/2012. Die Auflistung enthält keine exakten Angaben, sondern besteht aus "Circa"-Beträge. Weiters wurde ausgeführt, dass die Vermögensgegenstände ca. 70% der Verbindlichkeiten entsprächen. Der Geschäftsbetrieb sei im Februar 2012 eingestellt worden, danach seien die Vermögenswerte nahezu komplett realisiert worden. An die belangte Behörde seien durch Überweisung und Abtretung des Guthabens insgesamt 402.622,88 Euro geleistet worden. Dadurch ergebe sich eine Tilgungsquote von ca. 85%, da Verbindlichkeiten in Höhe von ca. 472.000 Euro gegenüber der belangten Behörde bestanden hätten.

Aus der beiliegenden Gläubigerliste sei zu entnehmen, dass noch weitere Verbindlichkeiten gegenüber anderen Personen entstanden seien und nach Verwertung der Vermögensgegenstände noch Verbindlichkeiten in Höhe von über 310.000 Euro nicht bedient werden hätten können.

Mit Schreiben vom ersuchte die belangte Behörde um Vorlage weiterer Unterlagen, die eine Gläubigergleichbehandlung nachweisen würden, da das Schreiben vom dafür nicht ausreichen würde.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die belangte Behörde die Berufung gegen den Haftungsbescheid als unbegründet ab und führte zur Begründung ua aus, dass der Hinweis im Schreiben vom , dass die Abgabenbehörde ca. 85% erhalten habe, keine Rückschlüsse dazu zulasse, in welcher Höhe liquide Mittel im haftungs-relevanten Zeitraum vorhanden gewesen seien und wie diese verteilt worden seien bzw. in welcher Höhe die anderen Gläubiger der GmbH Befriedigung erlangt hätten.

Die Unkenntnis von der Abgabenschuld in Österreich befreie den Bf. nicht von der Schuld, da es einem Geschäftsführer nach ständiger Rechtsprechung zumutbar sei, dass er über die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfüge bzw. vorher genaue Erkundigungen einziehe.

Mit Schreiben vom beantragte der Bf. eine Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde II. Instanz. In diesem Schreiben verweist der Bf. auf die beiliegenden Unterlagen, mit denen dieser den notwendigen Nachweis der Gläubiger-gleichbehandlung durch die Darlegung der tatsächlichen Verbindlichkeiten und liquiden Mittel erbringen wolle. Bei den Unterlagen handelt es sich um eine Aufstellung über die Kassen- und Bankbewegungen und eine monatliche Saldenliste für die Monate 2-5/2012.

Am legte die belangte Behörde die Berufung dem unabhängigen Finanzsenat vor.

Festgestellter Sachverhalt

Der Bf. war im haftungsrelevanten Zeitraum Geschäftsführer der GmbH.

Mit Beschluss vom lehnte das Amtsgericht C die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH mangels Masse ab. Infolgedessen wurde die GmbH aufgelöst.

Die Umsatzsteuer 2009, 2010 und 2011 wurde bei Fälligkeit von der GmbH nicht rechtzeitig an die Behörde abgeführt.

Gegenüber der belangten Behörde bestanden am Verbindlichkeiten in Höhe von 493.186,84 Euro. An die Behörde wurden insgesamt 402.622,88 Euro für die Abgabenrückstände der GmbH geleistet (127.777,64 Euro durch Überweisung am und 274.845,24 Euro durch Abtretung des Guthabens beim deutschen Finanzamt an die österreichische Behörde, verbucht am ).

Mit dem Haftungsbescheid vom setzte die Behörde einen Betrag in Höhe von 98.697,70 Euro fest.

Die Kontoauflösung der GmbH erfolgte am . Im Zuge der Kontoauflösung wurden die letzten Barmittel der GmbH zum Ausgleich des negativen Bankkontos verwendet.

Beweiswürdigung

Die Stellung des Bf. als Geschäftsführer ergibt sich aus der Bekanntmachung des Amtsgerichtes C vom .

Dass die GmbH mangels Masse aufgelöst wurde, ergibt sich aus der Bekanntmachung des Amtsgerichtes O vom über die Auflösung der GmbH.

Dass die Umsatzsteuer für die Jahre 2009 bis 2011 nicht fristgerecht entrichtet worden ist, ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Abgabenkonto der GmbH.

Ebenfalls durch Einsicht in das Abgabenkonto der GmbH ist die Überweisung und die Forderungsabtretung an die österreichische Behörde nachgewiesen.

Die Haftungssumme des Haftungsbescheides gibt den Rückstand des Abgabenkontos des GmbH wieder. Die einzelnen Teilbeträge finden sich in den vorliegenden Bescheiden wieder. Der Rückstand für die Umsatzsteuer 2011 ergibt sich aus der gesamten Haftungssumme abzüglich der Umsatzsteuer 05/2012, den Verspätungszuschlägen, den Säumniszuschlägen und den Stundungszinsen.

Der Nachweis für die Kontoauflösung und das Verwenden der letzten Barmittel für die Kontoauflösung wird durch die Vorlage der Aufzeichnung über den Geldfluss vom bis in Verbindung mit den monatlichen Saldenlisten erbracht. Diese Feststellungen decken sich auch mit dem Vorbringen des Bf., wonach der aktive Geschäftsbetrieb bereits im Februar 2012 eingestellt worden ist und anschließend das Vermögen der GmbH verwertet worden ist. Dies steht weiters im Einklang mit der Tatsache, dass das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH mangels Masse abgewiesen worden ist.

Die Rechtzeitigkeit der Berufung ergibt sich aus dem Rückschein für die Zustellung des Haftungsbescheides, wonach dieser dem Bf. am zugestellt wurde. Am langte das Berufungsschreiben bei der belangten Behörde ein. Die Rechtzeitigkeit des Vorlageantrages ergibt sich daraus, dass dieser am bei der belangten Behörde einlangte. Die Berufungsvorentscheidung wurde dem Bf. laut Rückschein am zugestellt.

Vor diesem Hintergrund durfte das Bundesfinanzgericht die obigen Sachverhaltsfeststellungen gemäß § 167 Abs. 2 BAO als erwiesen annehmen.

Rechtslage

Mit BGBl I 51/2012 (Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012) wurde im Rahmen der Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit mit das Bundesfinanzgericht eingerichtet und der bisher als Abgabenbehörde zweiter Instanz fungierende Unabhängige Finanzsenat per aufgelöst. Die Zuständigkeit zur Weiterführung der mit Ablauf des bei dieser Behörde anhängigen Verfahren ging auf das Bundesfinanzgericht über (Art. 129 iVm Art. 151 Abs. 51 Z 8 B-VG idF BGBl I 51/2012).

Zu diesem Zeitpunkt beim unabhängigen Finanzsenat anhängige Berufungen sind gemäß § 323 Abs. 38 BAO idF BGBl I 14/2013 (Finanzverwaltungsgerichtsbarkeitsgesetz 2012) nunmehr vom Bundesfinanzgericht als Beschwerden im Sinne des Art. 130 Abs. 1 B-VG zu erledigen.

Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in §§ 80 ff BAO genannten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Gemäß § 80 Abs. 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

Gemäß § 224 Abs. 1 BAO werden persönliche Haftungen durch Erlassung von Haftungsbescheiden geltend gemacht. In diesen Haftungsbescheiden ist der Haftungspflichtige unter Hinweis auf die gesetzliche Vorschrift, die seine Haftungspflicht begründet, aufzufordern, die Abgabenschuld, für die er haftet, binnen einer Frist von einem Monat zu entrichten.

Wenn die Abgabenbehörde Entscheidungen nach ihrem Ermessen treffen muss, muss sich die Abgabenbehörde für diese Entscheidungen gemäß § 20 BAO an die Grenzen halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentschei-dungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen.

Erwägungen

Voraussetzung für eine Haftung sind eine Abgabenforderung gegen den Vertretenen, die Stellung als Vertreter, die Uneinbringlichkeit der Abgabenforderung, eine Pflichtverletzung des Vertreters, dessen Verschulden an der Pflichtverletzung und die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit.

Im Beschwerdefall ist unstrittig, dass Abgabeforderungen gegen die GmbH bestanden und dass der Bf. Geschäftsführer der GmbH war. Weiters ist unstrittig, dass die Abgabenforderungen bei der GmbH, die mangels Masse aufgelöst wurde, uneinbringlich sind.

Die Haftung nach § 9 BAO besteht dann, wenn ein Vertreter seine ihm auferlegten Pflichten schuldhaft verletzt. Die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen haben gemäß § 80 Abs. 1 BAO insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden. Die Entrichtung der Abgaben stellt daher eine abgabenrechtliche Pflicht des Vertreters dar (). Die abgabenrechtlichen Pflichten wurden nicht erfüllt, wenn Abgaben, die zu entrichten gewesen wären, nicht entrichtet worden sind (). Der Zeitpunkt, für den zu beurteilen ist, ob den Vertreter diese Pflicht getroffen hat, bestimmt sich danach, wann die Abgabe nach den abgabenrechtlichen Vorschriften zu entrichten gewesen wäre. Bei Selbstbemessungsabgaben ist maßgebend, wann die Abgabe bei ordnungsgemäßer Selbstberechnung zu entrichten oder abzuführen gewesen wäre (). Für die Umsatzsteuer 2011 bedeutet das, dass zu prüfen ist, ob die Pflicht zur Entrichtung der Abgabe am vom Geschäftsführer verletzt wurde. Da die Abgaben laut Abgabenkonto nicht am jeweiligen Fälligkeitstag entrichtet worden sind, verletzte der Bf. seine ihm auferlegte Pflicht zur Abgabenentrichtung.

§ 9 BAO setzt für die Haftung ein Verschulden des Geschäftsführers an der Pflichtverletzung voraus. Das tatbestandsmäßige Verschulden kann in einem vorsätzlichen oder in einem fahrlässigen Handeln oder Unterlassen bestehen (). Die Schuldhaftigkeit iSd § 9 Abs 1 BAO erfasst jede Form des Verschuldens und damit auch die leichte Fahrlässigkeit ().

Der Bf. bringt vor, dass die Umsatzsteuerbeträge fälschlicherweise aus Unwissenheit in Deutschland angemeldet und abgeführt worden seien. Der Umstand, dass die Umsätze in Österreich steuerpflichtig waren, sei ihm damals nicht bewusst gewesen. Dem ist entge-genzuhalten, dass Gesetzesunkenntnis oder irrtümlich objektiv fehlerhafte Rechtsauf-fassungen nur dann entschuldbar und nicht als Fahrlässigkeit zuzurechnen sind, wenn die objektiv gebotene, der Sache nach pflichtgemäße, nach den subjektiven Verhältnissen zumutbare Sorgfalt nicht außer Acht gelassen wurde (). In der Unterlassung einer entsprechenden, den Umständen und persönlichen Verhält-nissen nach gebotenen oder zumindest zumutbaren Erkundigung liegt ein Verschulden; dies gilt insbesondere bei selbstständiger Erwerbstätigkeit und bei Tätigkeiten, die typischerweise mit Abgabenpflichten und damit mit Erklärungspflichten verbunden sind ().

Als Geschäftsführer einer GmbH, die Umsätze im Ausland tätigt, entspricht es der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes sich über die Steuerpflicht der Umsätze im Ausland zu informieren. Im vorliegenden Fall liegen keine Umstände oder persönlichen Verhältnisse vor, die es dem Bf. unmöglich gemacht hätten sich über die Abgabenpflicht in Österreich zu erkundigen. Dem Bf. ist daher hinsichtlich der Unkenntnis über die Steuerpflicht in Österreich ein Verschulden anzulasten.

Zunächst ist festzuhalten, dass der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes folgend, sich der Zeitpunkt, für den zu beurteilen ist, ob der Bf. die für die Abgabenentrichtung erfor-derlichen Mittel hatte, danach bestimmt, wann die Abgaben bei Beachtung der abgaben-rechtlichen Vorschriften zu entrichten gewesen wären. Bei Selbstbemessungsabgaben ist maßgebend, wann die Abgaben bei ordnungsgemäßer Selbstberechnung abzuführen gewesen wären. Maßgebend ist daher der Zeitpunkt ihrer Fälligkeit, unabhängig davon, ob die Abgabe bescheidmäßig festgesetzt wurde ().

Für den streitgegenständlichen Fall sind daher die Fälligkeitstermine , , , , , , , und maßgebend.

Eine Betrachtung der Gläubigergleichbehandlung hat zu den jeweiligen Fälligkeiten zu erfolgen (). Der Nachweis einer Gleichbehandlung erfordert eine detaillierte rechnerische Darstellung (). Eine solche Liquiditätsrechnung muss die in den Fälligkeitszeitpunkten der Abgaben der Gesellschaft zur Verfügung stehenden Mittel, ihre offenen Verbindlichkeiten und die von ihr geleisteten Zahlungen enthalten ().

Trotz mehrerer Vorhalte von Seiten der Behörde legte der Bf. im Laufe des Verfahrens insgesamt nur zweimal eine Aufstellung vor, die einen Nachweis der Gläubigergleichbe-handlung darlegen würden. Dies auch nur im Zuge der Berufung gegen den Haftungs-bescheid, der auf den ersten Vorhalt Bezug nahm und im Vorlageantrag nach der Beschwerdevorentscheidung. Auf die einzelnen Ergänzungsersuchen der belangten Behörde antwortete der Bf. nie.

Die erste Aufstellung in der Vorhaltsbeantwortung vom ist eine Gegenüber-stellung von "circa"-Werten. Eine solche Aufstellung ist kein Nachweis für eine Gläubiger-gleichbehandlung ().

Dem Vorlageantrag ist eine Aufstellung über den Geldfluss vom bis und die Saldenlisten der Sachkonten für die Monate Februar bis Mai 2012 beigelegt. Auch diese Darstellung erbringt nicht den Nachweis für eine Gläubigerbehandlung, da auch hier auf keinen Fälligkeitszeitpunkt abgestellt wurde, sondern nur eine gesamte Darstellung für den Zeitraum enthält. Der Bf. konnte daher trotz mehrmaliger Aufforderungen seitens des Finanzamtes keinen Nachwies für eine Gläubigergleichbehandlung erbringen.

Der Vertreter haftet nicht für sämtliche Abgabenschulden des Vertretenen in voller Höhe, sondern - was sich aus dem Wort "insoweit" in § 9 BAO ergibt - nur in dem Umfang, in dem eine Kausalität zwischen der schuldhaften Pflichtverletzung des Vertreters und dem Entgang von Abgaben besteht ().

Die Haftungsinanspruchnahme setzt auch eine Kausalität zwischen schuldhafter Pflicht-verletzung und Abgabenausfall voraus. Die Pflichtverletzung muss zur Uneinbringlichkeit geführt haben. Wäre die Abgabe auch ohne schuldhafte Pflichtverletzung des Vertreters uneinbringlich geworden, so besteht keine Haftung ().

Im Falle des Vorliegens einer schuldhaften Pflichtverletzung spricht eine Vermutung für die Verursachung der Uneinbringlichkeit der Abgaben durch die Pflichtverletzung und den Rechtswidrigkeitszusammenhang ().

Hat der Vertreter schuldhaft seine Pflicht verletzt, für die Abgabenentrichtung aus den Mitteln der Gesellschaft zu sorgen, so darf die Abgabenbehörde davon ausgehen, dass die Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit ursächlich war ().

Da der Bf., wie bereits oben dargelegt, seine Pflicht zur Abgabenentrichtung schuldhaft verletzt hat, durfte die Abgabenbehörde von der Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit ausgehen. Es besteht daher eine Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Uneinbringlichkeit der Abgaben.

Allerdings besteht die Haftung nach §§ 9, 80 BAO nicht für alle Abgaben, die im Haftungsbescheid vom angeführt sind. Ab dem verfügte die GmbH über keinerlei liquide Mittel, da an diesem Tag das Bankkonto aufgelöst wurde und der Rückstand mit den letzten Barmitteln ausgeglichen wurde. Sollte eine Gesellschaft keine liquiden Mittel zur Verfügung haben, kann dem Geschäftsführer auch keine Haftung treffen, da dieser keine Pflicht zur Abgabenentrichtung verletzt (VwGH 26.11.2002, 99/15/0249 mit Hinweis auf VwGH 7.12.2000, 2000/16/0601).

Die Haftungssumme ist daher abzuändern:


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Abgabenart
Zeitraum
Fälligkeit
Betrag in Euro
Umsatzsteuer
2011
58.535,01
Umsatzsteuer
05/2012
508,66
Verspätungszuschlag
2009
10.396,44
Verspätungszuschlag
2010
17.445,62
gesamt
86.885,73

Die Inanspruchnahme nach §§ 9, 80 BAO ist eine Ermessensentscheidung der Behörde. Gemäß § 20 BAO ist eine solche Entscheidung nach der Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter der Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Die belangte Behörde hat die Ermessensentscheidung gesetzeskonform getroffen, da keine Gründe vorliegen, die gegen die Grundsätze der Zweckmäßigkeit und Billigkeit sprechen würden. Würde die belangte Behörde von eine Haftungsinanspruchnahme Abstand nehmen, würde Abgabengläubigerin ihren Anspruch verlieren. Es würden auch alle anderen Wirtschaftsteilnehmer, die ihre Pflicht erfüllen, benachteiligt werden.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbe-sondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bis-herigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da keiner der im Gesetz genannten Gründe vorliegt, es ist weder eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung noch fehlende oder unheinheitliche höchstgerichtliche Recht-sprechung - siehe die angeführte Judikatur - gegeben, ist die Revision nicht zulässig.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 9 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 80 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Schlagworte
Dt. Geschäftsführer sollte die österreichische Rechtslage kennen.
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.2100848.2013

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at