Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist
Revision beim VwGH anhängig zur Zahl Ra 2020/15/0130. Mit Erk. v. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Fortgesetztes Verfahren mit Beschluss zur Zahl RR/6100001/2022 erledigt.
Entscheidungstext
Beschluss
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Dr. Susanne Zankl in der Revisionssache ***Bf1***, ***Bf1-Adr*** vertreten durch RA, Rechtsanwälte, RA.-Adr, betreffend den Antrag vom auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist beschlossen:
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Erhebung einer ordentlichen Revision gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom Datum, RV, wird abgewiesen.
Gegen diesen Beschluss ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Begründung
I.Verfahrensgang und Sachverhalt
Die Antragstellerin hat mit der am zur Post gegebenen Eingabe gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes (BFG, RV) vom Datum, zugestellt am , Revision an den Verwaltungsgerichtshof (VwGH) erhoben.
Die ab dem gem. § 26 Abs 1 VwGG gesetzlich vorgesehene Frist von 6 Wochen zur Einbringung einer Revision wurde von der Antragstellerin versäumt.
Am stellte die Revisionswerberin beim BFG einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist gemäß § 46 VwGG und begründete diesen unter anderem wie folgt:
"…In der steuerlichen Vertretung der Revisionswerberin GmbH 1 sind langjährige und verlässliche Mitarbeiterinnen damit beauftragt, den Zeitpunkt der Zustellung eines Schriftstückes ordnungsgemäß am Tag der Zustellung auf dem Schriftstück durch Anbringung eines Eingangsstempels festzuhalten. Anschließend wird das Schriftstück einem Steuerberater zwecks Vermerks von Fristen vorgelegt.
Aufgrund der Covid-19 Erkrankungswelle und der damit verbundenen geänderten Zustellmodalitäten hat die steuerliche Vertreterin vor der Zugangstür zur Kanzlei einen Behälter angebracht, in welchen Poststücke eingeworfen werden konnten. Darauf wurde ein Hinweis angebracht, dass im Falle eines Einwurfs einer Postsendung das Kanzleipersonal durch mündliche Verständigung oder Anklingeln an der Tür verständigt werden soll.
Während der Zeit der Anbringung des Zustellbehälters vor der Eingangstür bestand die Anweisung, dass eine Mitarbeiterin den für die Zustellung vorgesehenen Behälter jeweils nach einer erfolgten Verständigung sowie mehrmals täglich und am Ende des Tages entleert. Im Büro hat anschließend die langjährige und verlässliche Mitarbeiterin S. auf die behobenen Postsendungen einen Eingangsstempel mit Datum des Zugangs angebracht und anschließend zur weiteren Veranlassung Herrn Mag. N. vorgelegt.
Wenn Frau S. kurzfristig nicht anwesend war, waren andere Mitarbeiter damit beauftragt, nach täglicher Entleerung des Postkastens ein Post-it mit dem Datum der Zustellung anzubringen. Anschließend wurden die Poststücke S. zwecks Anbringung des Eingangsstempels übergeben. Diese hat dann den Eingangsstempel mit Datum auf dem Post-it angebracht und Mag. N. vorgelegt. Wenn Frau S. länger als einen Tag abwesend war, war eine weitere Mitarbeiterin mit der Anbringung des Eingangsstempels beauftragt.
Im vorliegenden Fall war Frau S. am wegen Kurzarbeit nicht in der Kanzlei anwesend. Die an diesem Tag eingeworfene Post wurde von der ebenfalls langjährigen und zuverlässigen Mitarbeiterin E. aus der Postkiste entnommen, mit einem Post-it des Zustelltages versehen und S. zur weiteren Bearbeitung bereitgelegt. S. ist am wieder in das Büro zurückgekehrt und hat den Eingangsstempel angebracht. Die Mitarbeiterin E. kann sich nicht erinnern, dass der Postzusteller den Einwurf des gegenständlichen Erkenntnisses in die Postkiste durch mündliche Verständigung mitgeteilt hat. Sie weiß jedoch mit Sicherheit, dass sie die Post an diesem Tag entleert und auch ein Post-it über den Zustellzeitpunkt angebracht hat. Die Anbringung des Zustellstempels erfolgte dann durch Frau S..
Weder Frau E. noch Frau S. können sich erklären, warum im vorliegenden Fall auf dem Zustellstück ein anderes Datum, nämlich der angebracht ist, als jener Tag (der ), an welchem laut Zusteller die Hinterlassung an der Abgabestelle erfolgt ist.
In der steuerlichen Vertretung der Antragstellerin wurden in den vergangenen Jahren hunderte Dokumente zugestellt und mit Eingangsdatum versehen, ohne dass es dabei bisher zu fehlerhafter Eintragungen gekommen ist.
Sollte die Hinterlassung an der Abgabestelle im vorliegenden Fall tatsächlich am erfolgt sein, können sich die Mitarbeiter der steuerlichen Vertreterin den Fehler nur so erklären, dass entweder bei dem von E. angebrachten Post-it oder bei Anbringung des Eingangsstempels durch Frau S., möglicherweise, weil der Stempel versehentlich einen Tag vorgestellt war, ein Fehler unterlaufen ist. Hierbei handelt es sich lediglich um einen minderen Grad des Versehens von einer der beiden Mitarbeiterinnen, die über langjährige Erfahrung verfügen und bisher immer zuverlässig gearbeitet haben.
Aufgrund dieses minderen Grades des Versehens wurde ein unrichtiger Zustellzeitpunkt, nämlich jener des auf dem zugestellten Schriftstück vermerkt und dementsprechend der Ablauf der Rechtsmittelfrist mit eingetragen. Die von der steuerlichen Vertreterin beauftragten Rechtsanwälte erhielten von dieser die Information der Zustellung am sowie das angefochtene Erkenntnis mit der darauf angebrachten Stampiglie des Zustelldatums, weshalb sie die Revision ausgehend von dieser Zustellung am rechtzeitig zur Post gegeben haben…".
Gleichzeitig wurden eidesstättige Erklärungen von Mag. N., Geschäftsführer der GmbH 1, E., Kanzleikraft in der GmbH 1, und S., Kanzleikraft in der GmbH 1, beigelegt:
Ich, Mag. N., erkläre an Eides statt:
"…Sämtliche der Kanzlei zugehende Schriftstücke werden mit dem Eingangsstempel jenes Tages versehen, an welchem sie der Kanzlei zugegangen sind. Mit der Aufgabe der Anbringung dieses Eingangsstempels ist Frau S. beauftragt. Sollte diese länger als einen Tag nicht anwesend sein, ist dafür eine Vertreterin zuständig. Nach Anbringung des Eingangsstempels hat Frau S. den Auftrag, mir die eingehende Post zwecks weiterer Veranlassung vorzulegen. Ich zeichne den Eingangsstempel ab und vermerke Fristen.
Wenn Frau S. kurzzeitig nicht in der Kanzlei ist, wird die Post von den Mitarbeiterinnen E. oder W. entgegengenommen, welche auf diesen ein Post-it mit dem Zustelldatum anbringen und anschließend Frau S. zur Anbringung des Eingangsstempels und der weiteren Bearbeitung vorlegen.
Im vorliegenden Fall wurde mir das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes von Frau S. mit dem Eingangsstempel zur weiteren Veranlassung übergeben. Ich habe darauf die Frist für die Einbringung der Revision an den Verwaltungsgerichtshof mit vermerkt und vor Ablauf der Revisionsfrist die Rechtsanwälte RA mit der Einbringung einer Revision gegen das Erkenntnis namens der Revisionswerberin beauftragt. ich habe den beauftragten Rechtsvertretern das Erkenntnis mit dem Eingangsstempel übermittelt und das meiner Ansicht nach richtige Eingangsdatum mitgeteilt. Warum es im gegenständlichen Fall dazu gekommen ist, dass das Datum unseres Eingangsstempels von jenem des Rückscheines, mit welchem die Zustellung erfolgt sein soll, abweicht, ist mir nicht erklärlich.
Die mit der Zustellung befassten Mitarbeiterinnen E. und S. sind langjährige und verlässliche Mitarbeiterinnen, welchen diesbezüglich meiner Erinnerung nach noch nie ein Fehler unterlaufen ist.
Meine Mitarbeiterinnen haben mir versichert, sich nicht mehr daran erinnern zu können, warum es im gegenständlichen Fall zu einem falschen Vermerk des Eingangsdatums gekommen ist. Zu berücksichtigen ist sicher auch, dass es durch die Covid-Begleitgesetze zu Änderungen der Zustellmodalitäten gekommen ist".
Ich, E., erkläre an Eides statt:
"…Wenn meine Arbeitskollegin S. kurzfristig nicht in der Kanzlei anwesend ist, gehört es u. a. zu meinen Aufgaben, die der Kanzlei zugestellten Poststücke zu sammeln und mit einem Post-it zu versehen, auf welchem der Zustellzeitpunkt angebracht ist. Anschließend Übermittle ich die Poststücke an Frau S., welche dann entsprechend dem Datum auf dem Post-it den Eingangsstempel anbringt und die Schriftstücke Mag. N. verlegt.
Zum Zeitpunkt der fraglichen Zustellung des Erkenntnisses des Bundesfinanzgerichtes vom war vor der Kanzlei ein Postkistchen angebracht, in welchem Poststücke hinterlassen werden konnten. Es war auf der Kiste die Bitte angebracht, nach Einwerfen der Post entweder an der Kanzleitür zu klingeln oder die Zustellung mündlich mitzuteilen. Am war ich damit beauftragt, die Postkiste zu entleeren und die zugestellten Dokumente mit dem Post-it und dem Eingangsdatum zu versehen. Ich kann mich an eine mündliche Verständigung der Zustellung des gegenständlichen Poststückes durch den Zusteller nicht erinnern. Ich habe jedenfalls an diesem Tag so wie immer, wenn Frau S. kurzfristig nicht anwesend ist, die Poststücke gesammelt, mit dem Post-it versehen und Frau S., die am Folgetag in die Kanzlei kam, zwecks weiterer Bearbeitung, nämlich der Anbringung des Eingangsstempels und der Vorlage an Mag. N. ausgefolgt.
Ich selbst kann mir nicht erklären, warum im vorliegenden Fall ein falscher Eingangsstempel auf das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes gekommen ist. Möglich ist dies nur dadurch, dass entweder ich mich bei Anbringung des Datums auf dem Post-it geirrt habe oder Frau S. bei Anbringung des Eingangsstempels. Ich achte stets darauf, dass die von mir gesammelte und mit dem Post-it versehene Post das Datum jenes Tages trägt, an welchem die Post zugestellt wurde. Ich habe jedenfalls die Post tagesaktuell aus dem Postkistchen entnommen. Die Zustellung der Post erfolgt üblicherweise zwischen 9.30 Uhr bis 11.00 Uhr. Ich habe aber auch noch nach Verlassen der Kanzlei noch einmal geprüft, ob im Postkistchen weitere Post vorhanden war, wie ich dies jeden Tag tue, an welchem ich für die Anbringung des Post-it verantwortlich bin. Dies ist gewöhnlich nicht der Fall.
Obwohl ich die bereits seit Jahren abwechselnd mit Frau W. die Zustellzeitpunkte auf zugestellten Schriftstücken vermerke, wenn Frau S. nicht in der Kanzlei anwesend ist, kam es diesbezüglich noch nie zu einer fehlerhaften Fristeintragung. Ich kann mir den gegenständlichen fehlerhaften Eingangsvermerk daher nicht erklären".
Ich, S., erkläre an Eides statt:
"…Zu meinem Aufgabenbereich gehört es unter anderem die der Kanzlei zugestellte Post mit dem täglichen Eingangsstempel zu versehen und anschließend Mag. N. zur Setzung der weiteren Schritte (Fristvermerke etc) vorzulegen.
Wenn ich im Sekretariat kurzfristig (nicht länger als einen Arbeitstag) nicht anwesend bin, werden die Poststücke von anderen Mitarbeitern der Kanzlei, meistens von E. oder W. gesammelt und mit einem Post-it versehen, auf welchem das Datum der Zustellung angemerkt ist und mir dann zur Anbringung des Eingangsstempels und Vorlage an Mag. N. vorgelegt.
Im gegenständlichen Zeitraum war vor unserer Kanzleitür ein Kistchen angebracht, in welchem die Post eingeworfen werden konnte. Es wurde ersucht, nach dem Einwurf von Postsendungen die Kanzleimitarbeiter zu verständigen oder durch Klingeln auf den Zustellvorgang hinzuweisen.
Am befand ich mich in Kurzarbeit und war nicht in der Kanzlei anwesend. Ich bin am Folgetag, den , in die Kanzlei zurückgekehrt. Zu diesem Zeitpunkt habe ich die gesammelte Post mit dem darauf befindlichen Post-it übernommen und auf jedem Poststück einen Eingangsstempel angebracht, wobei ich davon ausging, dass es jenes Datum ist, an welchem die Zustellung erfolgte.
Ich kann heute nicht mehr sagen, ob das Post-it betreffend das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom Datum, GZ RV das Datum 18.05. oder trug, und warum im vorliegenden Fall von mir der Eingangsstempel angebracht wurde, obwohl die Zustellung mit Rückschein bereits am erfolgt sein soll. Möglich ist, dass entweder das Datum auf dem Post-it falsch war oder mir ausnahmsweise ein Fehler insofern unterlaufen ist, als der Eingangsstempel möglicherweise bereits das Datum jenes Tages trug, an welchem ich in die Kanzlei zurückgekehrt war und dieser ausnahmsweise versehentlich nicht zurückgestellt wurde.
Ein solcher Fehler ist mir in meiner bisherigen Tätigkeit bei der GmbH 1 noch nicht unterlaufen und kann ich mir den Grund dafür bis heute nicht erklären".
II. Beweiswürdigung
Der festgestellte Sachverhalt stützt sich auf den Inhalt des Verwaltungsaktes, auf die dem Gericht vorgelegten Unterlagen der Antragstellerin sowie auf die Ergebnisse der vom Gericht durchgeführten Ermittlungen.
III. Rechtsausführungen
§ 26 VwGG idF BGBl. I Nr. 33/2013 lautet auszugsweise:
(1) Die Frist zur Erhebung einer Revision gegen ein Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes (Revisionsfrist) beträgt sechs Wochen. Sie beginnt
1. in den Fällen des Art. 133 Abs. 6 Z 1 B-VG dann, wenn das Erkenntnis dem Revisionswerber zugestellt wurde, mit dem Tag der Zustellung, wenn das Erkenntnis dem Revisionswerber nur mündlich verkündet wurde, jedoch mit dem Tag der Verkündung; (…)."
§ 46 VwGG lautet:
(1) Wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
(2) Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist und der Frist zur Stellung eines Vorlageantrages ist auch dann zu bewilligen, wenn die Frist versäumt wurde, weil das anzufechtende Erkenntnis, der anzufechtende Beschluss oder die anzufechtende Revisionsvorentscheidung fälschlich einen Rechtsbehelf eingeräumt und die Partei den Rechtsbehelf ergriffen hat oder keine Belehrung zur Erhebung einer Revision oder zur Stellung eines Vorlageantrages, keine Frist zur Erhebung einer Revision oder zur Stellung eines Vorlageantrages oder die Angabe enthält, dass kein Rechtsbehelf zulässig sei.
(3) Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist in den Fällen des Abs 1 bis zur Vorlage der Revision beim Verwaltungsgericht, ab Vorlage der Revision beim Verwaltungsgerichtshof binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses zu stellen. In den Fällen des Abs 2 ist der Antrag binnen zwei Wochen
1. nach Zustellung eines Bescheides oder einer gerichtlichen Entscheidung, der bzw. die den Rechtsbehelf als unzulässig zurückgewiesen hat, bzw.
2. nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Erhebung der Revision bzw. der Stellung eines Antrages auf Vorlage Kenntnis erlangt hat, beim Verwaltungsgericht zu stellen. Die versäumte Handlung ist gleichzeitig nachzuholen.
(4) Bis zur Vorlage der Revision hat über den Antrag das Verwaltungsgericht zu entscheiden. Ab Vorlage der Revision hat über den Antrag der Verwaltungsgerichtshof in nichtöffentlicher Sitzung durch Beschluss zu entscheiden. Das Verwaltungsgericht oder der Verwaltungsgerichtshof können dem Antrag auf Wiedereinsetzung die aufschiebende Wirkung zuerkennen.
(5) Durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat.
(6) Gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrages findet keine Wiedereinsetzung statt."
IV. Erwägungen
Gemäß § 98 Abs 1 Bundesabgabenordnung (BAO) gelten für Zustellungen das Zustellgesetz und sinngemäß die Bestimmungen des 3. Abschnittes der BAO. Die Zustellung des verfahrensgegenständlichen Erkenntnisses des BFG an die zustellbevollmächtigte Kanzlei GmbH 1 fällt in jenen Zeitraum vom bis , in welchem aufgrund des Covid-19 Gesetzes BGBl Nr. 42/2020 zu Verhinderung einer Verbreitung von Covid 19 für die Zustellungen mit Zustellnachweis der von den Gerichten oder Verwaltungsbehörden zu übermittelnden Dokumenten Erleichterungen dergestalt vorgesehen wurden, dass das Dokument dem Empfänger bereits zugestellt wird, indem es in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung eingelegt oder an der Abgabenbehörde zurückgelassen wurde. Es war vorgesehen, dass der Empfänger durch schriftliche, mündliche oder telefonische Mitteilung von der Zustellung zu verständigen war, soweit dies ohne Gefährdung der Gesundheit des Zustellers möglich war.
Ein Verschulden der Partei an der Fristversäumung, das über einen minderen Grad des Versehens hinausgeht, schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit iSd § 1332 ABGB zu verstehen. Ein minderer Grad des Versehens liegt vor, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht. Die Wiedereinsetzungswerberin darf also nicht auffallend sorglos gehandelt, d.h. die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihr nach ihren persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben ().
Auffallend sorglos handeln ist somit kein minderer Grad des Versehens.
Den in den Beschwerdeausführungen dargelegten Argumenten der Antragstellerin ist entgegenzuhalten:
Entscheidungsrelevant ist zunächst, dass - unbestritten - die Zustellung des verfahrensgegenständlichen Erkenntnisses, RV an die steuerliche Vertretung der Wiedereinsetzungswerberin, die Kanzlei GmbH 1, ordnungsgemäß und damit rechtswirksam am erfolgt ist:
Den Beschwerdeausführungen der Antragstellerin zufolge einerseits und der eidesstättigen Erklärung der an diesem Tag für die Post zuständigen Kanzleikraft der Kanzlei GmbH 1 zufolge andererseits wurde auch am " die Postkiste tagesaktuell" entleert und an den Schriftstücken das entsprechende Post-it über den Zustellzeitpunkt angebracht (siehe dazu eidesstättige Erklärung vom , Frau E.).
Am Rückschein zum Erkenntnis, RV, ist die mündliche Verständigung durch den Zusteller und als Zustelldatum der vermerkt.
Den weiteren Ausführungen der Antragstellerin zufolge wurde das verfahrensgegenständliche Schriftstück am nächsten Tag durch die an sich für die Entgegennahme der Post zuständigen Kanzleikraft, Frau S., mit dem Datum des falschen Zustelltages und damit mit dem falschen Zustellzeitpunkt, nämlich mit dem , versehen.
Nach Vorlage des Dokumentes mit dem Eingangsstempel an Steuerberater und Wirtschaftsprüfer Mag. N. hat dieser die Frist für die Einbringung der Revision an den VwGH mit vermerkt.
Die Klärung der Fragen, ob bei diesem Sachverhalt ein unvorhergesehenes bzw. unabwendbares Ereignis hinsichtlich der Versäumung der Frist vorliegt und ob der steuerliche Vertreter der Revisionswerberin/ Antragstellerin alle jene organisatorischen Vorkehrungen getroffen hat um sicherzustellen, dass die einer Kanzleiangestellten übertragenen, insbesondere die fristgebundenen Arbeiten auch bei deren Fernbleiben vom Dienst entsprechend fortgeführt wird, oder ob Organisationsmängel vorliegen, wodurch im Fall einer krankheitsbedingten Abwesenheit einer Kanzleimitarbeiterin die korrekte Vormerkung von Fristen nicht gewährleistet ist und das Kontrollsystem, wodurch Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen geeignet ist, unzureichend ist, kann in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben.
Im vorliegenden Fall entscheidungsrelevant ist vielmehr der Umstand, dass die Antragstellerin neben ihrer steuerlichen Vertretung auch eine anwaltliche Kanzlei mit der Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen betraut hat.
Den Ausführungen im Wiedereinsetzungsantrag zufolge hat die steuerliche Vertretung vor Ablauf der Revisionsfrist namens der Revisionswerberin die Rechtsanwälte RA mit der Einbringung einer Revision gegen das Erkenntnis, RV, beauftragt: "Ich habe den beauftragten Rechtsvertretern das Erkenntnis mit dem Eingangsstempel übermittelt und das meiner Ansicht nach richtige Eingangsdatum mitgeteilt" (eidesstättigen Erklärung des Mag. N. vom ).
Ist eine Vertretung durch mehrere Bevollmächtigte nebeneinander gegeben, so haben alle Vertreter dabei in eigener Verantwortung geeignete und verlässliche Maßnahmen zu treffen, die eine zuverlässige Information über die einzuhaltenden Fristen sicherstellen.
An rechtskundige Parteienvertreter ist hiebei ein strengerer Maßstab anzulegen als an am Verfahren beteiligte rechtsunkundige Parteien (Ritz, BAO6 [2017], § 308 Tz 14 ff; ). Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH ist das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten (; ).
Es ist daher in weiterer Folge zu prüfen, ob die Rechtsanwälte, die nunmehr mit der Erhebung des Rechtsmittels gegen das Erkenntnis vom Datum, RV, betraut wurden, ihrerseits ihre Aufgaben erfüllt haben bzw. ihnen dabei ein Verschulden anzulasten ist. Maßgebend ist, ob den anwaltlichen Parteienvertretern etwa grobe Mängel der Kanzleiorganisation anzulasten sind. Der VwGH hat wiederholt ausgesprochen, dass ein Rechtsanwalt seine Kanzlei so organisieren muss, dass die richtige und fristgerechte Erledigung von Aufträgen sichergestellt ist ().
Ein Rechtsanwalt darf sohin die Festsetzung von Fristen nicht völlig der Kanzleileiterin überlassen und/oder sich allenfalls lediglich auf stichprobenartige Kontrollen beschränken. Für die richtige Beachtung der Rechtsmittelfristen ist in einer Rechtsanwaltskanzlei stets der Rechtsanwalt verantwortlich, denn er selbst hat die Fristen zu setzen, ihre Vormerkung anzuordnen sowie die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen der gebotenen Aufsichtspflicht zu überwachen. Dies gilt auch dann, wenn - so wie hier vorliegend - der Auftrag zur Einbringung einer Revision an den VwGH samt den entsprechenden Unterlagen und Schriftstücken durch die steuerliche Vertretung des Revisionswerbers erfolgt war bzw. übermittelt wurden, und der Steuerberater der Anwaltskanzlei das "seiner Ansicht nach richtige Eingangsdatum" mitteilte. Von einem Rechtsanwalt kann erwartet werden, dass er sich bei der Abfassung der Rechtsmittelschrift selbst über deren Rechtzeitigkeit schlüssig ist. Es stimmt mit der ihm obliegenden Sorgfaltspflicht nicht überein, wenn er sich bei der Abfassung fristgebundener Eingaben ausschließlich auf die Angaben/den Terminvormerk einer Mitarbeiterin/eines Steuerberaters einer anderen Kanzlei verlässt und bei der Übernahme des Auftrages (Revision) nicht deren Rechtzeitigkeit im besonderen Fall prüft ().
Von einem Rechtsanwalt kann somit erwartet werden, dass er im Rahmen der Kontrollpflicht die Richtigkeit des Fristenvormerkes zur rechtzeitigen Abgabe der Revision gegen ein Erkenntnis anhand des Rückscheines überprüft. Tut er das nicht, so ist darin ein grober Verstoß gegen die ihm obliegenden Pflichten zu erblicken.
Den Rechtsanwälten der Wiedereinsetzungswerberin, die trotz der vorgelegenen besonderen Sachlage keine Veranlassung zur Kontrolle der richtigen Einbringung der Revision gesehen und eine wirksame Überwachung nicht einmal behauptet haben, ist somit anzulasten, nicht die gebotenen Schritte zur Gewährleistung einer fristgerechten Setzung von Vertretungshandlungen mit größtmöglicher Zuverlässigkeit unternommen zu haben.
Dass die anwaltliche Vertretung der Antragstellerin die ihr nach der Sachlage gebotene Sorgfaltspflicht nicht nachgekommen war, lässt sich auch dem Umstand entnehmen, dass die zuständige Kanzleikraft des BFG über Anfrage der anwaltlichen Kanzlei am - somit nach Zustellung des über die Zurückweisung der Revision wegen Versäumung der Einbringungsfrist - den Rückschein zur Beschwerdeentscheidung vom Datum, RV, übermittelte (siehe dazu E-Mail vom an die Kanzlei RA).
Dies lässt den Schluss zu, dass der Rückschein zum gegenständlichen Erkenntnis des BFG in der anwaltlichen Kanzlei nie auflag und damit gar nicht eingesehen werden konnte. Die von den Rechtsanwälten an den Tag gelegte Vorgangsweise offenbart anschaulich, dass in ihrer Kanzlei keine zielgerichtete Kontrolle der Einhaltung von wichtigen, zum Verlust von Rechten führenden Fristen stattgefunden hat.
Die Unterlassung der besonderen Kontrolle ist eine grob fahrlässige Pflichtverletzung der anwaltlichen Vertreter der Antragstellerin in deren Stellung als berufsmäßige Parteienvertreter.
Sie ist nicht als minderer Grad des Versehens zu qualifizieren ().
Die Rechtsanwälte haben nicht dargelegt, dass ihr an der Versäumung der Revisionsfrist kein den minderen Grad des Versehenes nicht übersteigendes Verschulden trifft.
Im gegenständlichen Fall trifft daher den Rechtsanwälten ein der Revisionswerberin/Antragstellerin zuzurechnendes Verschulden in einem über einen minderen Grad des Versehens hinausreichendem Ausmaß.
Die Voraussetzungen für die Bewilligung des Wiedereinsetzungsantrages sind nicht erfüllt.
Es ist spruchgemäß zu entscheiden.
V. Zulässigkeit der Revision
Gegen diese Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs 4 B-VG eine Revision nicht zulässig, da das Erkenntnis nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.
Einer Rechtsfrage kommt grundsätzliche Bedeutung zu, wenn die Entscheidung von vorhandener Rechtsprechung des VwGH abweicht, diese uneinheitlich ist oder fehlt.
Der gegenständliche Beschluss weicht nicht von der bisherigen in der Entscheidung dargestellten Rechtsprechung des VwGH zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab. Eine ordentliche Revision ist daher nicht zulässig.
Salzburg, am
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 46 VwGG, Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr. 10/1985 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2020:RR.6100012.2020 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at