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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 17.09.2020, RV/7103580/2020

Grad der Behinderung - deutsche und österreichische Bescheinigung

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter ***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, geb. ***1***, wohnhaft in ***Bf1-Adr*** vom , gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 9/18/19 Klosterneuburg, FA 07 ***BF1StNr1***, betreffend Einkommensteuer für das Jahr 2019, zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.

Die Bemessungsgrundlage und die Höhe der Abgabe ist dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil dieses Spruches.

II. Eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

Entscheidungsgründe

Strittig ist, ob im Streitjahr die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) durch eine zuständige Stelle gem. § 35 Abs. 2 EStG 1988 festgestellt wurde.

Der Beschwerdeführer (Bf.) ist Journalist und Kommunikator bei der Fa. ***2*** GmbH und brachte am seine Einkommensteuererklärung 2019 elektronisch ein und beantragte

1. Werbungskosten:

1.1 Pendlerpauschale i.H.v. 3.672 €

1.2 Pendlereuro i.H.v. 2.400 €

1.3 Gewerkschaftsbeiträge i.H.v. 260 €

1.4 Reisekosten i.H.v. 672,90 €

1.5 Familienheimfahrten i.H.v. 3.672 €

1.6 Doppelte Haushaltsführung i.H.v. 3.616,90 €

1.7 Sonstige Werbungskosten i.H.v. 284,15 €

2. Außergewöhnliche Belastungen:

2.1 Krankheitskosten i.H.v. 802,25 €

2.2 Grad der Behinderung - 40 %.

3. Sonderausgaben:

3.1 Versicherungsprämien i.H.v. 2.750,44 €

Nach Vorhalt des Finanzamtes vom zur doppelten Haushaltsführung, zu den Familienheimfahrten sowie div. Werbungskosten und den dazu vorgebrachten belegmäßigen Erläuterungen des Bf., wurden im Einkommensteuerbescheid 2019 vom vom Finanzamt die erklärten Werbungskosten, außergewöhnlichen Belastungen sowie Sonderausgaben wie folgt berücksichtigt:

Bei den Außergewöhnlichen Belastungen wurde eine Behinderung von 40 % nicht berücksichtigt, da der Bf. diesbezüglich keine Bestätigung des Sozialministeriumservice vorgelegt habe.

In der dagegen eingebrachten Beschwerde vom führt der Bf. aus, dass er eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice vorlegen werde. Übermittelt werde zudem die Bescheinigung vom über eine 40 %ige Behinderung, ausgestellt vom Zentrum Bayern Familie und Soziales, ***3***.

Mit Berufungsvorentscheidung vom wies das Finanzamt das Beschwerdebegehren als unbegründet ab, da die vorgelegte Bestätigung des Zentrums Bayern Familie und Soziales, ***3***, vom nicht die Voraussetzungen gem. § 35 Abs. 2 EStG 1988 erfüllt und somit nicht als Grundlage für die Gewährung eines Freibetrages gem. § 35 Abs. 1 iVm Abs. 3 EStG 1988 dienen könne.

Der Bf. stellte daraufhin am einen Vorlageantrag an das Bundesfinanzgericht und führt darin ergänzend aus, dass die Prüfung des Behindertengrades beim Amtsarzt einen Grad der Behinderung von 40 Prozent ergeben habe (siehe Sachverständigengutachten vom ).

Der Bf. ersuche daher um Berücksichtigung des beantragten Behindertenfreibetrages.

Das diesbezügliche Sachverständigengutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, BASB Landesstelle Wien, vom , wurde nach Vorhalt des Finanzamtes vom vom Bf. dem Finanzamt übermittelt.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Folgender Sachverhalt wurde nach Vorlage der Unterlagen betreffend Nachweis des Grades der Behinderung im Streitjahr 2019 als erwiesen angenommen und der Entscheidung zu Grunde gelegt:

Dem Bf. wurde am eine Bescheinigung des deutschen Zentrums Bayern Familie und Soziales, ***3***, ausgestellt, wonach sein Grad der Behinderung 40 % beträgt.

Das österreichische Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, BASB Landesstelle Wien, weist im Sachverständigengutachten vom einen Gesamtgrad der Behinderung von 40 % aus.

Dabei ging das BASB lt. Krankengeschichte (Anamnese) von einer Aortenklappeninsuffizienz (Schwäche), einer im Mai 2017 erfolgten Aortenklappenraffung und einer im Juli 2017 erfolgten Schrittmacherimplantation aus.

Als relevanter Befund für das Sachverständigengutachten wurde der "Befund Med 18 vom " betreffend Schrittmacherkontrolle herangezogen.

Begründend für die dauerhafte Behinderung und die 40 %ige Einstufung der Behinderung des Bf. wurde weiters ausgeführt, dass es sich um eine "mittelgradige Aortenklappeninsuffizienz mit Zustand nach Operation" handelt. Auch kommt der obere Rahmensatz zur Anwendung, da die Schrittmacherimplantation mitberücksichtigt wurde.

Dieser Sachverhalt war rechtlich folgendermaßen zu würdigen:

Hat der Steuerpflichtige außergewöhnliche Belastungen durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung und erhält er keine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage oder Blindenzulage), so steht ihm nach § 35 Abs. 1 EStG 1988 ein Freibetrag (Abs. 3 leg. cit.) zu.

Gem. § 35 Abs. 2 Z 1 EStG 1988 bestimmt sich die Höhe des Freibetrages nach dem Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung).

Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) richtet sich in den Fällen,

1. in denen Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden, nach der hierfür maßgebenden Einschätzung.

Die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) sind durch eine amtliche Bescheinigung der für diese Feststellung zuständigen Stelle nachzuweisen.

Zuständige Stelle ist:

- Der Landeshauptmann bzw. die Landeshauptfrau bei Empfängern einer Opferrente
(§ 11 Abs. 2 des Opferfürsorgegesetzes, BGBl. Nr. 183/1947).

- Die Sozialversicherungsträger bei Berufskrankheiten oder Berufsunfällen von Arbeitnehmern.

- In allen übrigen Fällen sowie bei Zusammentreffen von Behinderungen verschiedener Art das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen; dieses hat den Grad der Behinderung durch Ausstellung eines Behindertenpasses nach §§ 40 ff des Bundesbehindertengesetzes, im negativen Fall durch einen in Vollziehung dieser Bestimmungen ergehenden Bescheid zu bescheinigen.

Wie dem oben dargestellten Gesetzestext (§ 35 Abs. 2 EStG 1988) zweifelsfrei zu entnehmen ist, ist die Feststellung, ob und in welchem Ausmaß eine Person behindert ist, nicht von der Abgabenbehörde zu treffen.

Zuständig dafür sind vielmehr allein die in der genannten gesetzlichen Bestimmung angeführten Stellen; in der Regel sohin das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen - Sozialministeriumservice (vgl. dazu auch Jakom/Vock EStG, 2017, § 35 Rz 7 mwN; Doralt, EStG15, § 35 Tz 7; Wanke in Wiesner/Grabner/Wanke, EStG § 35 Anm 32; ).

Dieser (gesetzlichen) Anführung der Stellen, die zur Feststellung der Behinderung und des Ausmaßes der Minderung der Erwerbstätigkeit bzw. des Grades der Behinderung berufen sind, und ferner die Anordnung, dass der Anspruch auf einen Freibetrag - und damit auch die Geltendmachung tatsächlicher Aufwendungen bzw. von Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung - an die Vorlage einer amtlichen Bescheinigung dieser Stellen knüpft, lassen erkennen, dass der Gesetzgeber bindende Beweisregeln geschaffen und damit insbesondere die Regel des § 166 BAO - wonach als Beweismittel im Abgabenverfahren alles in Betracht kommt, was zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist - durchbrochen hat.

Dieser vom Antragsteller vorzulegenden österreichischen amtlichen Bescheinigung kommt somit feststellende, die Abgabenbehörden bindende Wirkung zu.

Da es sich hier um Begünstigungen des österreichischen Einkommensteuerrechts handelt, kommt der deutschen Bescheinigung vom in der Regel keine bindende Wirkung zu.

Diese gesetzlich verankerte Bindungswirkung hat den Vorteil, dass im Abgabenverfahren häufig schwer zu lösende medizinische Streitfragen nicht ausgetragen zu werden brauchen, der Abgabepflichtige der Abgabenbehörde aber auch nicht einwenden kann, die in der von ihm vorgelegten amtlichen Bescheinigung enthaltenen Feststellungen träfen nicht zu und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit sei etwa ein höheres (vgl. Fuchs in Hofstätter/Reichel, Die Einkommensteuer, § 35 Rz 4).

Im gegenständlichen Fall ist jedoch nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes auch bereits für das Streitjahr 2019 von einem Gesamtgrad der Behinderung i.H.v. 40 % aus folgenden Gründen auszugehen:

Das Sachverständigengutachten vom des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen stützt sich in seinen Ausführungen auf Behinderungen, die bereits im Jahre 2017 aufgetreten sind (Aortenklappenraffung und Schrittmacherimplantation) sowie diesbezügliche Befunde aus 2019 und kommt zum Ergebnis, dass es sich hierbei um einen "Dauerzustand" handelt.

Als weiteres Indiz, dass die gegenständliche Behinderung bereits auch in den Vorjahren, d.h. zumindest ab 2017, vorgelegen ist, dient die Bescheinigung des Zentrums Bayern Familie und Soziales, ***3*** vom , wonach beim Bf. eine 40 %ige Behinderung vorliegt.

Dass die deutschen Begutachtungskriterien für die Feststellung des Gesamtgrades einer Behinderung im österreichischen Untersuchungsverfahren - aus welchen Gründen auch immer - nicht auch heranziehbar sind, wurde seitens der belangten Behörde nicht behauptet.

Es ist daher davon auszugehen, dass somit auch das Sachverständigengutachten der BASB vom davon ausgeht, dass die festgestellte Behinderung des Bf., nicht erst im Jahre 2020 erstmals aufgetreten ist, sondern bereits wie o.a. in den Vorjahren.

Dies ergibt sich auch schlüssig daraus, dass das BASB keine "Nachuntersuchung" angeordnet hat (um etwaige Zweifel einer dauerhaften Behinderung erst abzuklären), sondern einen "Dauerzustand" im Gutachten festgehalten hat.

Eines konkreten rückwirkenden Datums der Minderung der Erwerbsfähigkeit durch das BASB bedurfte es somit im gegenständlichen Fall nicht, da die Behinderung des Bf. durch die Heranziehung der relevanten Befunde aus den Vorjahren als erwiesen angesehen wurde.

Für die festgestellte 40 %ige Behinderung steht dem Bf. somit gem. § 35 Abs. 3 EStG 1988 ein Freibetrag i.H.v. 99 € bereits im o.a. Streitjahr zu (siehe auch beiliegendes Berechnungsblatt).

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Beilage: 1 Berechnungsblatt

Zur Zulässigkeit der Revision:

Gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die ordentliche Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere, weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes uneinheitlich beantwortet wird.

Mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung betreffend die Bindungswirkung eines Sachverständigengutachtens des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen wird im gegenständlichen Fall die ordentliche Revision zugelassen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Schlagworte
Sozialministeriumservice
außergewöhnliche Belastung
Behinderung
Gutachten
Grad
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.7103580.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at