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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 19.05.2020, RV/7102031/2020

Nachträgliche Geltendmachung von vergessenen Sonderausgaben in der Beschwerde und nachträgliche Geltendmachung von vergessenen Kinderbetreuungskosten (ag. Bel.) im Vorlageantrag

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht (BFG) hat durch den Richter R in der Beschwerdesache Bf (Beschwerdeführer, Bf.), AdrBf, über die Beschwerde des Bf. vom (Eingangsstempel ) gegen den Einkommensteuerbescheid 2015 (Arbeitnehmerveranlagung 2015) des Finanzamtes Bruck Eisenstadt Oberwart (belangte Behörde) vom , zu St.Nr. 38 StNr, zu Recht erkannt:

1.) Gemäß § 279 BAO wird der Beschwerde teilweise stattgegeben und der angefochtene Bescheid wird abgeändert. Die Einkommensteuer für das Jahr 2015 wird mit -2.799,00 € festgesetzt. Die Bemessungsgrundlagen hierfür sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

2.) Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) eine Revision nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

A) Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (in der Folge: Bf.) bezog im Streitjahr 2015 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.

Mit Bescheid vom wurde die Einkommensteuer für das Jahr 2015 (Arbeitnehmerveranlagung) erklärungsgemäß festgesetzt, woraus sich eine Gutschrift in Höhe von Euro 2.710,00 ergab (= gleichbedeutend: Festsetzung der Einkommensteuer mit Euro -2.710,00).

Mit Schreiben vom (Eingangsstempel des Finanzamtes: ) erhob der Bf. Beschwerde (Bescheidbeschwerde) gegen den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2015 vom , da er im Zuge des Antrages auf Arbeitnehmerveranlagung vergessen habe, weitere Positionen geltend zu machen. In der Anlage übermittelte der Bf. Bestätigungen über die Prämienvorschreibung zur Personenversicherung seiner Ehefrau in Höhe von Euro 23,96, über die Einbehaltung einer Betriebsratsumlage in Höhe von Euro 120,03 und über die Bezahlung des Kirchenbeitrages in Höhe von Euro 111,99 und ersuchte um positive Erledigung.

In der Beschwerdevorentscheidung vom gab die belangte Behörde der Beschwerde statt und änderte den Bescheid ab, sodass die Einkommensteuer für das Jahr 2015 mit Euro -2.753,00 festgesetzt wurde, wobei negativ festgesetzte Steuerbeträge zu Lasten des Fiskus und zu Gunsten des Steuerpflichtigen sind. Die beantragten Werbungskosten in Höhe von Euro 120,03 (Betriebsratsumlage) waren niedriger als der Pauschbetrag in Höhe von Euro 132,00, weshalb dieser berücksichtigt wurde.

Mit Schreiben vom (Eingangsstempel des Finanzamtes: ) erhob der Bf. Beschwerde gegen die zur Einkommensteuer 2015 ergangene Beschwerdevorentscheidung vom , was als Antrag auf Entscheidung über die Bescheidbeschwerde durch das Bundesfinanzgericht gemäß § 264 Abs. 1 BAO (Vorlageantrag) zu deuten ist. Darin ersuchte der Bf., die bislang nicht geltend gemachten Kosten für die schulische Tagesbetreuung seiner beiden Kinder anzuerkennen. In der Anlage waren Bestätigungen über die im Jahr 2015 angefallenen Betreuungskosten für den Sohn (geb. TTMM 2004) in Höhe von Euro 120,00 und für die Tochter (geb. ttmm 2007) in Höhe von Euro 126,00 angeschlossen.

Am erfolgte die Beschwerdevorlage an das Bundesfinanzgericht durch die belangte Behörde, die im angeschlossenen Vorlagebericht ausführt, dass Aufwendungen für Kinderbetreuung im Sinn des § 34 Abs. 9 EStG 1988 bis zum Ende des Kalenderjahres, in dem das Kind das zehnte Lebensjahr vollendet, als außergewöhnliche Belastung ohne Selbstbehalt zu berücksichtigen seien. Da der Sohn des Bf. das zehnte Lebensjahr bereits vollendet habe, seien die Aufwendungen von Euro 120,00 nicht als Kinderbetreuungskosten abzugsfähig. Die belangte Behörde hat daher beantragt, die Kosten von Euro 126,00 für die Betreuung der Tochter des Bf. als Kinderbetreuungskosten anzuerkennen.

B) Über die Beschwerde wurde erwogen:

Die vorliegende Entscheidung (Erkenntnis) des Bundesfinanzgerichtes (BFG) spricht infolge der Anwendung der Bundesabgabenordnung (BAO) als Verfahrensordnung nicht über die Beschwerdevorentscheidung vom , sondern über den Bescheid vom ab. Deshalb werden mit dem vorliegenden Erkenntnis die bereits durch die Beschwerdevorentscheidung vom vorgenommenen, unstrittigen Änderungen am Bescheid vom hier nochmals (bzw. rechtlich betrachtet: erstmals) vorgenommen. Dies erfordert aus verfahrensrechtlichen Gründen, dass auf diese unstrittigen, aus der Beschwerdevorentscheidung in das vorliegende Erkenntnis übernommenen Änderungen hier ausdrücklich eingegangen wird: Die in der Beschwerdevorentscheidung vom aufgrund der Beschwerde des Bf. vom (Eingangsstempel ) zusätzlich berücksichtigten Abzüge (Verminderungen der Bemessungsgrundlage, d.h. des Einkommens) werden mit dem vorliegenden Erkenntnis gleichermaßen vorgenommen, weil

  • die Voraussetzungen für deren Berücksichtigung unstrittig vorliegen,

  • und die betraglichen Auswirkungen unter Berücksichtigung der gesetzlichen Regelungen (Unterschreiten des als Mindestbetrag zu berücksichtigenden Werbungskosten-Pauschbetrages sowie die gesetzlich vorgesehene Viertelung der abzugsfähigen, sogenannten Topf-Sonderausgaben und damit auch die Viertelung der Auswirkung der zusätzlich geltend gemachten Topf-Sonderausgaben) unstrittig sind. (Anmerkung: Unter Topf-Sonderausgaben werden insb. die Prämien für Personenversicherungen sowie Beträge zur Wohnraumschaffung bzw. -sanierung verstanden, weil diese "in einen Topf" geworfen werden und auf die in diesem "Topf" befindliche Summe allfällige Höchstgrenzen sowie die Viertelung der steuerlichen Auswirkung angewendet werden.)

Nun zur Begründung hinsichtlich der im Rechtsmittel vom , welches als Vorlageantrag gemäß § 264 Abs. 1 BAO (= Antrag auf Entscheidung über die Bescheidbeschwerde vom durch das Verwaltungsgericht, d.h. hier das Bundesfinanzgericht) anzusehen ist, zusätzlich beantragten Abzugsposten:

Für die Betreuung des Sohnes (geb. TTMM 2004) sind Kosten in Höhe von Euro 120,00 und für die Betreuung der Tochter (geb. ttmm 2007) in Höhe von Euro 126,00 angefallen.

Diese Feststellungen sind den vom Bf. vorgelegten Bestätigungen, die sich im Beschwerdeakt befinden, zu entnehmen.

§ 34 des Bundesgesetzes vom über die Besteuerung des Einkommens natürlicher Personen (Einkommensteuergesetz 1988 - EStG 1988), BGBl 400/1988, idF BGBl I 112/2012, welcher für das Streitjahr 2015 anzuwenden ist, lautet auszugsweise wie folgt:

"Außergewöhnliche Belastung

§ 34. (1) Bei der Ermittlung des Einkommens (§ 2 Abs. 2) eines unbeschränkt Steuerpflichtigen sind nach Abzug der Sonderausgaben (§ 18) außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muss folgende Voraussetzungen erfüllen:
1. Sie muss außergewöhnlich sein (Abs. 2).
2. Sie muss zwangsläufig erwachsen (Abs. 3).
3. Sie muss die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen (Abs. 4).

Die Belastung darf weder Betriebsausgaben, Werbungskosten noch Sonderausgaben sein.

(2) Die Belastung ist außergewöhnlich, soweit sie höher ist als jene, die der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse erwächst.

[…]

(6) Folgende Aufwendungen können ohne Berücksichtigung des Selbstbehaltes abgezogen werden:
[…]
- Aufwendungen für die Kinderbetreuung im Sinne des Abs. 9.
[…]

(9) Aufwendungen für die Betreuung von Kindern bis höchstens 2 300 Euro pro Kind und Kalenderjahr gelten unter folgenden Voraussetzungen als außergewöhnliche Belastung:
1. Die Betreuung betrifft
- ein Kind im Sinne des § 106 Abs. 1 oder
- ein Kind im Sinne des § 106 Abs. 2.
2. Das Kind hat zu Beginn des Kalenderjahres das zehnte Lebensjahr oder, im Falle des Bezuges erhöhter Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 für das Kind, das sechzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet. Aufwendungen für die Betreuung können nur insoweit abgezogen werden, als sie die Summe der pflegebedingten Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage) übersteigen.
3. Die Betreuung erfolgt in einer öffentlichen institutionellen Kinderbetreuungseinrichtung oder in einer privaten institutionellen Kinderbetreuungseinrichtung, die den landesgesetzlichen Vorschriften über Kinderbetreuungseinrichtungen entspricht, oder durch eine pädagogisch qualifizierte Person, ausgenommen haushaltszugehörige Angehörige.
4. Der Steuerpflichtige gibt in der Einkommensteuererklärung die Betreuungskosten unter Zuordnung zu der Versicherungsnummer (§ 31 ASVG) oder der Kennnummer der Europäischen Krankenversicherungskarte (§ 31a ASVG) des Kindes an.
Steuerfreie Zuschüsse, die gemäß § 3 Abs. 1 Z 13 lit. b von Arbeitgebern geleistet werden, kürzen den Höchstbetrag von 2 300 Euro pro Kind und Kalenderjahr nicht. Soweit Betreuungskosten durch Zuschüsse gemäß § 3 Abs. 1 Z 13 lit. b abgedeckt sind, steht dem Steuerpflichtigen keine außergewöhnliche Belastung zu."

Als Kinder im Sinn des Einkommensteuergesetzes gelten gemäß § 106 Abs. 1 EStG 1988 Kinder, für die dem Steuerpflichtigen oder seinem (Ehe-)Partner (Abs. 3) mehr als sechs Monate im Kalenderjahr ein Kinderabsetzbetrag nach § 33 Abs. 3 EStG 1988 zusteht.

Laut den Angaben in der Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung, welche von der belangten Behörde nicht bestritten und im Vorlagebericht implizit bestätigt werden, bestand bezüglich beider Kinder des Bf. ein Anspruch auf Familienbeihilfe, welcher Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Kinderabsetzbetrages ist. Beide Kinder des Bf. sind demnach Kinder im Sinn des § 106 Abs. 1 EStG 1988.

Die von § 34 Abs. 9 EStG 1988 in der für 2015 anzuwendenden Fassung erfassten Kinder dürfen zu Beginn des betreffenden Kalenderjahres, demnach zum (Veranlagungsjahr), das 10. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Der Sohn des Bf. befand sich am im 11. Lebensjahr und die Tochter des Bf. im 8. Lebensjahr.

Betreffend den Sohn des Bf. ist folglich die in § 34 Abs. 9 Z 2 EStG 1988 vorgesehene Voraussetzung für die Anerkennung der Kinderbetreuungskosten als außergewöhnliche Belastung nicht erfüllt.

Die Tochter des Bf. befand sich zu Beginn des Veranlagungsjahres 2015 im 8. Lebensjahr, weshalb die Voraussetzung des § 34 Abs. 9 Z 2 EStG 1988 erfüllt ist. Da die Betreuung in einer öffentlichen institutionellen Kinderbetreuungseinrichtung gemäß Z 3 leg.cit. (Volksschule Ort) stattfand und die Betreuungskosten unter Zuordnung zu der Versicherungsnummer der Tochter des Bf. gemäß Z 4 leg.cit. bekannt gegeben wurden, liegen auch die weiteren Voraussetzungen des § 34 Abs. 9 EStG 1988 vor. Die beantragten Kinderbetreuungskosten für die Tochter des Bf. in Höhe von Euro 126,00 sind demnach als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen.

Wenngleich die Betreuungskosten des Sohnes des Bf. nicht in den Anwendungsbereich des § 34 Abs. 9 EStG 1988 fallen, wäre es jedoch theoretisch möglich, diese Kosten (für ältere Kinder) als außergewöhnliche Belastung mit Selbstbehalt geltend zu machen. Allerdings sind in diesem Fall die allgemeinen Voraussetzungen für außergewöhnliche Belastungen nach § 34 Abs. 1 EStG 1988 zu prüfen (vgl. dazu Fuchs in Hofstätter/Reichel (Hrsg), EStG - Kommentar (54. Lfg, 2013) § 34 Abs. 6 bis 9 Rz 41).

Der Verwaltungsgerichtshof hat zum Kriterium der Außergewöhnlichkeit gemäß § 34 Abs. 2 EStG 1988 im Zusammenhang mit Kinderbetreuungskosten ausgesprochen, dass die im Gesetz ganz allgemein verankerte Verpflichtung der Eltern zur Beaufsichtigung ihres Kindes für dieselben in jedem Fall (ob nun beide Elternteile berufstätig sind oder nur ein Elternteil berufstätig ist) Belastungen mit sich bringe, die keinesfalls außergewöhnliche, sondern im Gegenteil der geradezu typische Fall einer "gewöhnlichen", dh unter gleichen Umständen alle Steuerpflichtigen treffenden Belastung sind. Diese Belastung werde keineswegs dadurch zur "außergewöhnlichen", dass sie in einem konkreten Fall nicht durch Aufgabe oder Einschränkung der beruflichen Tätigkeit eines der Elternteile, sondern durch Aufnahme einer bezahlten Aufsichtsperson bewältigt wird, wenn dieser Weg nach den bestehenden Familien- und Erwerbsverhältnissen der leichter gangbare und vor allem für die Eltern wirtschaftlich vorteilhaftere ist (vgl. mwN).

Die Sicherstellung der Kinderbetreuung, sei es durch einen Elternteil oder eine Fremdbetreuung, fällt in den Bereich der privaten Lebensgestaltung und trifft alle Eltern gleichermaßen, weshalb es am Merkmal der Außergewöhnlichkeit mangelt. Eine über die normale Betreuungspflicht hinausgehende Belastung - etwa durch Krankheit des Kindes - hat der Bf. nicht geltend gemacht (vgl. zum Vorstehenden mwN).

Im Übrigen würden die gegenständlichen 120,00 Euro weit unter dem Selbstbehalt gemäß § 34 Abs. 4 EStG 1988 liegen und sich schon deshalb (außerhalb der Anwendbungsbereiches des § 34 Abs. 9 EStG 1988) steuerlich nicht auswirken.

Die beantragten Kinderbetreuungskosten für den Sohn des Bf. sind folglich weder als außergewöhnliche Belastung gemäß § 34 Abs. 1 noch gemäß Abs. 9 EStG 1988 anzuerkennen.

Aus den dargelegten Gründen war spruchgemäß zu entscheiden.

C) Zur (Un)Zulässigkeit einer (ordentlichen) Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die (ordentliche) Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG i.V.m. § 25a Abs. 1 VwGG zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Das Bundesfinanzgericht hat die vorliegenden Rechtsfragen zum einen unter Rückgriff auf die in der Entscheidung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes beantwortet, zum anderen hat sich die Lösung eindeutig aus der gesetzlichen Bestimmung des § 34 Abs. 9 EStG 1988 (idF BGBl I 112/2012) ergeben. Es liegt damit insgesamt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor, weshalb die ordentliche Revision nicht zuzulassen war.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 34 Abs. 9 EStG 1988 ÜR, Einkommensteuergesetz 1988 ÜR (Artikel I Steuerreformgesetz 1993), BGBl. Nr. 818/1993
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.7102031.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at