Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 13.04.2020, RV/7100389/2016

FB während freiwilliger Karenzvereinbarung

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin RMS in der Beschwerdesache Bf., über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde X vom , betreffend Abweisung des Antrags auf Ausgleichszahlung (Familienbeihilfe) für den Zeitraum März 2013 bis Jänner 2014 zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Mit dem am beim Finanzamt eingelangten Antrag ersuchte die Beschwerdeführerin (im weiteren Text mit Bf. abgekürzt) um Zuerkennung der Familienbeihilfe für ihr Kind wie folgt:

"Mit der Mitteilung über den Bezug der Ausgleichzahlung vom wurde mein Anspruch auf Familienbeihilfe für die Zeiträume von Jänner 2013 bis Feber 2013 und von Feber 2014 bis Dezember 2014 anerkannt. Da ich ein aufrechtes Dienstverhältnis auch zwischen März 2013 bis Jänner 2014 gehabt habe, das ich mit den unterschriebenen Karenzvereinbarungen nachweisen kann, steht mir die Familienbeihilfe in dem Zeitraum von März 2013 bis Jänner 2014 zu. Ich habe mit meinem Arbeitgeber vereinbart, dass mein Karenzurlaub vereinbart wird, da es niemand gab, wer auf mein Kind hätte aufpassen können. Nach dem Ablauf der Karenz wurde ich wieder angemeldet…"

Mitgeschickt wurden:

a) ein laut Unterfertigungsstempel von der M ausgestelltes und mit datiertes Schreiben, mit dem die zwischen der genannten Gesellschaft und der Bf. erfolgte Karenzvereinbarung für die Zeit vom datum bis bestätigt wurde.

b) eine mit dem Datumsstempel vom der Kasse versehene Vereinbarung, wonach zwischen der M und der Bf. eine Verlängerung der Karenzzeit bis vereinbart worden sei.

In dem von der Bf. am retournierten Formular betreffen die Überprüfung des Anspruches auf Familienbeihilfe wurden unter anderem folgende Daten ausgefüllt:


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Antragsteller
Bf.
Staatsbürgerschaft
Ungarn
Derzeitige Tätigkeit
unselbständig erwerbstätig
Dienstgeber
a
Wohnort
M
Kindererziehung
In einem Haushalt mit dem anderen Elternteil
Partner
V
Staatsbürgerschaft
Ungarn
Dienstgeber
a
Kind
A
Staatsbürgerschaft d. Kindes
Ungarn
Das Kind wohnt ständig bei
M

Im Akt finden sich zudem folgende, vorgelegte Unterlagen (in Ablichtung):

a) Nachweis über den Kindergartenbesuch des Sohnes der Bf. in Ungarn vom

b) Bestätigung für den Dienstnehmer aus dem elektronischen Datensammelsystem der Sozialversicherungsträger für die W, aus der hervorgeht, dass die Bf. seit sowie ihr Ehemann seit als Bürokraft bzw. als Büroangestellter bei der a beschäftigt seien.

c) "Familienstandsbescheinigung für die Gewährung von Familienleistungen" gemäß der VO 1408/71 bzw. VO 574/72 (Formular 401), dessen Teil A folgende Eintragungen enthält:


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Anschrift der Bf. (Arbeitnehmerin)
M
Anschrift des Ehegatten (erwerbstätig)
M
Anschrift des Kindes
M

Mit Eingabe vom hielt die Bf. bestätigend fest, dass sie keine Familienleistungen aus Ungarn ab für ihr am datum geborenes Kind A erhalte.

Im Akt findet sich dazu ein Beschluss betreffend Familienleistungen an die Bf. der Ungarischen Finanzagentur, Regionalstelle R vom , in dem es auszugsweise heißt:

"Die Regionalstelle hat festgestellt, dass im Falle der Partei und ihrer Familienangehörigen gemäß den das anzuwendende Recht betreffenden Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 883/2004…im Hinblick auf Familienleistungen nicht das ungarische Recht anzuwenden ist, weshalb sie die Sache an das Finanzamt x übermittelt…Begründung
Es kann festgestellt werden, dass die Partei und ihr(e) Familienangehörigen auf dem Bundesgebiet der Republik Osterreich eine Erwerbstätigkeit ausüben. Auf ungarischem Staatsgebiet besteht bei keinem der Familienangehörigen ein Dienstverhältnis bzw. üben sie hier keine selbständige Erwerbstätigkeit aus.

… Die Regionalstelle stellt fest, dass sich im Falle der Partei und ihrer Familienangehörigen kein Unterschiedsbetrag errechnet, da der Betrag der österreichischen Familienleistungen den Betrag der ungarischen Familienleistungen übersteigt. Der Familie wurde eine Leistung - in Form einer Familienbeihilfe - im Hinblick auf ihr Kind K, bis zum bezahlt…"

Mit Bescheid vom wurde der Antrag vom auf Ausgleichszahlung für das Kind k für den Zeitraum März 2013 bis Jänner 2014 als unbegründet abgewiesen und dazu erläutert:

"Da Sie in den oben angeführten Monaten in Österreich keine Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt haben bzw. keine Geldleistung infolge dieser Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit bezogen haben, bestand für diese Monate kein Anspruch auf Ausgleichszahlung. Einer Karenz ist eine Beschäftigung nur bis zum Ablauf der gesetzlichen Karenz (Vollendung des 2. Lebensjahres des Kindes) gleichzustellen, nicht jedoch eine darüber hinaus gehende freiwillige Karenzierung."

In der am 6. Juli 20154 eingelangten Beschwerde führte die Bf. aus:

"…habe ich die Familienbeihilfe für den Zeitraum vom März 2013 bis Jänner 2014 nicht erhalten, obwohl ich ein aufrechtes Dienstverhältnis in Österreich gehabt habe. Das aufrechte Dienstverhältnis habe ich mehrmals mit der unterschriebenen Karenzurlaubsvereinbarung bestätigt. Nach der Karenz habe ich tatsächlich auch angefangen zu arbeiten, somit hat meine Pflichtversicherung wieder aufleben können. Die Pflichtversicherung wird selbstverständlich während der Karenz auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen behandelt. Im Sinne der EU-Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit 883/2004 werden die EU-Bürger, die in Österreich beschäftigt sind, aber nicht in Osterreich wohnen, betreffend die Familienleistungen gleichgestellt. Das heißt aber, dass ich als EU-Bürgerin die gleichen Rechte habe. Ich habe mit meinem Arbeitgeber eine längere Karenz vereinbart, weil ich die Variante 30+6 beim Kinderbetreuungsgeld in Anspruch nehmen wollte. Ich war auch nicht diesbezüglich sittenwidrig, weil die gesetzliche Möglichkeit bezüglich der längeren Karenz ausgenutzt habe. Aufgrund der europäischen Normen und der österreichischen Gesetzlage bin ich der Meinung, dass ich negativ diskriminiert wurde. Nirgends habe ich in einem Gesetz gelesen, dass ich während der längeren Karenz, als 2 Jahre, nach dem 24. Lebensmonat meines Kindes keinen Anspruch auf Familienbeihilfe mehr habe…"

Mit Schreiben vom des ungarischen Bezirksamtes Regierungsstelle r wurde von der Kontrolleurin für Familienleistungen festgehalten, dass laut der vorliegenden Daten die Bf. auf Grund ihres Arbeitsverhältnisses in Österreich zu Familienleistungen in Österreich berechtigt sei, weil V in Ungarn von 07.2013 bis 09.2014 keine berufliche Tätigkeit ausübe. Daher erfolge die Feststellung der Familienleistungen gemäß dem österreichischen Recht. Da seit 07.2013 bis 09.2014 Österreich der zuständige Staat gewesen sei, aber Ungarn Familienleistungen gezahlt habe, sei der Betrag von EUR 586,-- zurückzuerstatten.

Übermittelt wurde weiters ein ausgefülltes und am unterfertigtes Formular E 411 (Anfrage betreffend den Anspruch auf Familienleistungen (Kindergeld) in dem Mitgliedstaat, in dem die Familienangehörigen wohnen), aus dem hervorgeht, dass der Kindesvater in Ungarn in der Zeit von Februar 2011 bis Juni 2013 eine berufliche Tätigkeit ausgeübt und im Zeitraum von 2/2011 bis September 2014 Familienleistungen bezogen hat.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde der Beschwerde der Bf. keine Folge gegeben und dies so begründet:

"Anspruch auf Familienbeihilfe bzw. Ausgleichszahlung besteht grundsätzlich nur für die Dauer einer Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit im Inland oder bei Bezug einer Geldleistung infolge dieser Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit…Unter Karenz versteht man die arbeitsrechtliche Freistellung von der Arbeitsleistung anlässlich der Geburt eines Kindes gegen Entfall der Bezüge. Sie beginnt frühestens mit Ende der Schutzfrist und dauert höchstens bis zum letzten Tag vor dem zweiten Geburtstag des Kindes. Die österreichische gesetzliche Karenz nach dem Mutterschutz- oder Väterkarenzgesetz oder nach gleichartigen anderen österreichischen Rechtsvorschriften (bis max. zum 2.Geburtstag eines Kindes) ist der Ausübung einer Beschäftigung gleichgestellt. Vereinbarungen zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer über zusätzliche Freistellungen, die über die Dauer der gesetzlichen Karenz (bis max. zum 2.Geburtstag) hinausgehen (etwa bis zum Ende des Kinderbetreuungsgeldbezuges), sind Sonderurlaube, die nicht unter die Gleichstellung mit der Ausübung einer Beschäftigung fallen. Da Sie somit lm strittigen Zeitraum in Österreich keine Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt haben bzw. keine Geldleistung infolge dieser Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit bezogen haben, bestand für diese Monate kein Anspruch auf Ausgleichszahlung."

Die Bf. stellte am einen Antrag auf Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht.

Der in der Folge vom Verwaltungsgericht angeforderte Versicherungsdatenauszug vom weist betreffend die Bf. unter anderem nachstehende Daten aus:


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Von - bis
Meldende Stelle
bis
Keine Beitragsgrundlagen vorhanden
M
bis
Österr. Gesundheitskasse
-
Österr. Gesundheitskasse Beitragsgrundlage für Wochengeldbezug
datum-datum
Österr. Gesundheitskasse Anzeige einer Lebendgeburt
datum-
Österr. Gesundheitskasse Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld
-
Österr. Gesundheitskasse Beitragsgrundlage für Wochengeldbezug
-
al GmbH Angestellte
-
Österr. Gesundheitskasse Angestellte

In der Finanzamtsdatenbank ist die M von bis als Arbeitgeber der Bf. erfasst. Laut aufliegendem Lohnzettel für das Jahr 2014 befand sich die Bf. von bis in einem Angestelltenverhältnis zur a.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. a des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 (FLAG) haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder.

Anspruch auf Familienbeihilfe für ein solches Kind hat nach § 2 Abs. 2 FLAG die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört.

Gemäß § 2 Abs. 8 FLAG haben Personen nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet haben. Eine Person hat den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in dem Staat, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat.

Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, haben gemäß § 3 Abs. 1 FLAG nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, oder nach § 54 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 87/2012, rechtmäßig in Österreich aufhalten. Anspruch auf Familienbeihilfe besteht nach § 3 Abs. 2 leg. cit. für Kinder, die nicht österreichische Staatsbürger sind, sofern sie sich nach §§ 8 und 9 NAG oder nach § 54 AsylG 2005 rechtmäßig in Österreich aufhalten.

Gemäß § 5 Abs. 3 FLAG besteht kein Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder, die sich ständig im Ausland aufhalten.

Die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (im Folgenden: Verordnung Nr. 883/2004) gilt ihrem Art. 91 zufolge ab dem Tag des Inkrafttretens der Durchführungsverordnung.

Die Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (Verordnung Nr. 987/2009) trat ihrem Art. 97 zufolge am in Kraft.

Somit gilt die Verordnung Nr. 883/2004 ab und ist für den Streitzeitraum März 2013 bis Jänner 2014 anzuwenden.

Nach Art. 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 883/2004 bezeichnet für Zwecke dieser Verordnung der Ausdruck "Beschäftigung" jede Tätigkeit oder gleichgestellte Situation, die für die Zwecke der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird oder die gleichgestellte Situation vorliegt, als solche gilt.

Familienangehöriger ist nach Art. 1 Buchstabe i Nr. 1 sublit. i der Verordnung Nr. 883/2004 jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, als Familienangehöriger bestimmt oder anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet wird.

Nach Art. 1 Buchstabe j der Verordnung Nr. 883/2004 bezeichnet der Ausdruck "Wohnort" den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts einer Person.

Nach Art. 1 Buchstabe z der Verordnung Nr. 883/2004 bezeichnet der Ausdruck "Familienleistungen" alle Sach- oder Geldleistungen zum Ausgleich von Familienlasten, mit Ausnahme von Unterhaltsvorschüssen und besonderen Geburts- und Adoptionsbeihilfen.

Die Verordnung Nr. 883/2004 gilt nach ihrem Art. 2 Nr. 1 für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, Staatenlose oder Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen.

Die Verordnung Nr. 883/2004 gilt nach ihrem Art. 3 Abs. 1 Buchstabe j auch für die Familienleistungen.

Gemäß Art. 4 der Verordnung Nr. 883/2004 haben - sofern in dieser Verordnung nicht anderes bestimmt ist - Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten auf Grund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, wie die Staatsangehörigen dieses Staates.

Sofern in der Verordnung Nr. 883/2004 nichts anderes bestimmt ist, dürfen gemäß ihrem Art. 7 Geldleistungen, die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten oder nach dieser Verordnung zu zahlen sind, nicht auf Grund der Tatsache gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, dass der Berechtigte oder seine Familienangehörigen in einem anderen als dem Mitgliedstaat wohnt oder wohnen, in dem der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat.

Nach Art. 67 der Verordnung Nr. 883/2004 hat eine Person auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden.

Sind für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren, so gelten in Art. 68 der Verordnung Nr. 883/2004 ausgeführte Prioritätsregeln.

Da die Bf. ungarische Staatsangehörige, sohin Staatsangehörige eines Mitgliedstaats der Europäischen Union ist, und im Streitzeitraum einen Wohnort in Ungarn als einem Mitgliedstaat der Union hatte, gilt die Verordnung Nr. 883/2004 für sie sowie für ihre Familienangehörigen, ihr minderjähriges Kind.

Demzufolge finden die auf Wohnortklauseln beruhenden Bestimmungen des § 2 Abs. 1 FLAG, welche den Familienbeihilfenbezug auf den Wohnort im Bundesgebiet abstellt, des § 2 Abs. 8 FLAG, welche auf den wesentlich durch den Wohnort bestimmten Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet abstellt, und des § 5 Abs. 3 FLAG, das einen vom Wohnort abhängigen Ausschluss der Familienbeihilfe bei ständigem Aufenthalt des Kindes im Ausland vorsieht, zufolge des Art. 7 der Verordnung Nr. 883/2004 und dessen Anwendungsvorrangs im Beschwerdefall insoweit keine Anwendung.

Zufolge des in Art. 4 der Verordnung Nr. 883/2004 normierten Gleichbehandlungsgrundsatzes für Personen, für die diese Verordnung gilt, finden die durch den Anwendungsvorrang dieser Bestimmung verdrängten Bestimmungen des § 3 Abs. 1 und 2 FLAG mit besonderen Voraussetzungen für Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, auf die Mitbeteiligte und ihre Familienangehörigen keine Anwendung.

Aufgrund des Akteninhaltes, der Parteienvorbringen und der Recherchen des Bundesfinanzgerichtes ergibt sich folgendes Sachverhaltsbild:

Die Bf., ihr Ehemann und deren haushaltszugehöriger Sohn sind ungarische Staatsbürger und in Ungarn wohnhaft. Zufolge den vom Dienstgeber gemeldeten Daten bzw. Lohnzettel stand die Bf. in der Zeit vom bis zumindest in einem Arbeitsverhältnis bei der M in Österreich. Einkünfte daraus gab die Gesellschaft gegenüber dem Finanzamt nicht bekannt, eine Veranlagung unterblieb. Weiters war die Bf. laut Versicherungsdatenauszug im Beschwerdezeitraum weder versichert, noch wurden vorläufige Versicherungszeiten in der Pensionsversicherung erworben. Ab dem Zeitpunkt der Geburt ihres Sohnes A am Datum bis zum Tag vor dessen zweiten Geburtstag hatte die Bf., Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld. Die Bf. hat zudem mit ihrem damaligen Arbeitgeber eine Karenzvereinbarung über den 2. Geburtstag des Kindes hinaus getroffen, bezog aber in diesem Zeitraum kein Geld. Aktenkundig ist, dass die Bf. beginnend ab dem bei der B beschäftigt war. Der mit der Bf. im gemeinsamen Haushalt in Ungarn lebende Kindesvater war im Zeitraum vom Februare 2011 bis Juni 2013 in Ungarn berufstätig.

Strittig ist im gegenständlichen Fall, ob die Beschwerdeführerin im Streitzeitraum März 2013 bis Jänner 2014 den österreichischen Rechtsvorschriften unterlag.

Art. 11 der Verordnung Nr. 883/2004 lautet auszugsweise:

"Art. 11 (1) Personen, für die diese Verordnung gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel.

(2) Für die Zwecke dieses Titels wird bei Personen, die auf Grund oder infolge ihrer Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit eine Geldleistung beziehen, davon ausgegangen, dass sie diese Beschäftigung oder Tätigkeit ausüben. Dies gilt nicht für Invaliditäts-, Alters- oder Hinterbliebenenrenten oder für Renten bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten oder für Geldleistungen bei Krankheit, die eine Behandlung von unbegrenzter Dauer abdecken.

(3) Vorbehaltlich der Art. 12 bis 16 gilt Folgendes:

a) Eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats;…

e) Jede andere Person, die nicht unter die Buchstaben a) bis d) fällt, unterliegt unbeschadet anderslautender Bestimmungen dieser Verordnung, nach denen ihr Leistungen auf Grund der Rechtsvorschriften eines oder mehrerer anderer Mitgliedstaaten zustehen, den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats."

Die Verordnung Nr. 883/2004 knüpft demnach in ihrem Art. 11 Abs. 3 lit. a hinsichtlich der Feststellung der für eine Person zum Tragen kommenden Rechtslage an die Ausübung einer Beschäftigung. Im Beschwerdefall gilt es daher primär zu prüfen, ob im Streitzeitraum März 2013 bis Jänner 2014 eine Beschäftigung in Österreich vorliegt, die zur Anwendbarkeit des österreichischen Rechts führt. Ist dies nicht der Fall, sind nach Art. 11 Abs. 3 lit. e der Verordnung Nr. 883/2004 (die Spezialbestimmungen der lit. b bis d gelangen hier unstrittig nicht zur Anwendung) die Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaates (hier: Ungarn) anwendbar.

Im Konkreten ist entscheidend, ob die von der Bf. vereinbarte Verlängerung der Karenz über den 2. Geburtstag des Kindes hinaus als "Beschäftigung" im Sinne des Art. 11 Abs. 3 lit. a der Verordnung Nr. 883/204 zu qualifizieren ist und zur Anwendbarkeit des österreichischen Rechts führt.

Die Verordnung Nr. 883/2004 definiert den Begriff der Beschäftigung in Art. 1 lit. a als jede Tätigkeit oder gleichgestellte Situation, die für die Zwecke der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird oder die gleichgestellte Situation vorliegt, als solche gilt. Art 1 lit. a VO verweist daher auf das Sozialrecht des Mitgliedstaats, das auf den jeweiligen Sachverhalt anzuwenden ist.

Gleichzeitig fingiert Art. 11 Abs. 2 VO unter bestimmten Umständen eine Beschäftigung: demnach wird bei Personen, die aufgrund oder infolge ihrer Beschäftigung eine Geldleistung beziehen, davon ausgegangen, dass sie diese Beschäftigung oder Tätigkeit ausüben (siehe OGH, , 10ObS117/14z).

Neben diesen gesetzlichen Vorgaben enthält der Beschluss Nr. F1 der Verwaltungskommission für die Koordinierung der Systeme der Sozialen Sicherheit vom zur Auslegung des Artikels 68 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Prioritätsregeln beim Zusammentreffen von Familienleistungen, 2010/C 106/04, eine weitere Begriffsbestimmung. Diese lautet:

"1. Für die Zwecke des Artikels 68 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 gelten Ansprüche auf Familienleistungen insbesondere dann als "durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelöst", wenn sie erworben wurden

a) aufgrund einer tatsächlichen Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit oder auch

b) während Zeiten einer vorübergehenden Unterbrechung einer solchen Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit

i) wegen Krankheit, Mutterschaft, Arbeitsunfall, Berufskrankheit oder Arbeitslosigkeit, solange Arbeitsentgelt oder andere Leistungen als Renten in Zusammenhang mit diesen Versicherungsfällen zu zahlen sind, oder

ii) durch bezahlten Urlaub, Streik oder Aussperrung oder

iii) durch unbezahlten Urlaub zum Zweck der Kindererziehung, solange dieser Urlaub nach den einschlägigen Rechtsvorschriften einer Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit gleichgestellt ist.

2. Dieser Beschluss wird im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Er gilt ab dem Datum des Inkrafttretens der Verordnung (EG) Nr. 987/2009."

Für den beschwerdegegenständlichen Fall ergibt sich daraus, dass der Beschluss Nr. F1 einen unbezahlten Urlaub zum Zweck der Kindererziehung nur dann der tatsächlichen Beschäftigung gleichsetzt, wenn es sich um eine vorübergehende Unterbrechung einer Beschäftigung handelt und dieser Urlaub nach den einschlägigen Rechtsvorschriften einer Beschäftigung gleichgestellt ist.

Wesentlich ist aber auch, dass hinsichtlich der Beschäftigungsdefinitionen sowohl Art 1 lit. a der Verordnung Nr. 883/2004 als auch der Beschluss Nr. F1 der Verwaltungskommission auf das Sozialrecht des Mitgliedstaats verweisen, das auf den jeweiligen Sachverhalt anzuwenden ist. Maßgeblich ist demnach jedenfalls die nationale Definition der Beschäftigung (vgl. erneut OGH, , 10ObS117/14z).

Darunter fällt wohl jede rechtmäßige, erlaubte Tätigkeit gegen Arbeitsentgelt. Nach österreichischem Recht erfüllen etwa alle ASVG-Versicherten über der Geringfügigkeitsgrenze das Begriffserfordernis.

Zeiten der Unterbrechung einer Erwerbstätigkeit sind nach der österreichischen Gesetzeslage der Ausübung einer Beschäftigung gleichgestellt, wenn es sich um eine Karenz nach dem Mutterschutz- oder Väterkarenzgesetz handelt. Unter Karenz versteht man dabei die arbeitsrechtliche Freistellung von der Arbeitsleistung anlässlich der Geburt eines Kindes gegen Entfall der Bezüge ohne Sozialversicherung.

Vereinbarungen zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer über zusätzliche Freistellungen, die über die Dauer der gesetzlichen Karenz nach dem Mutterschutz- oder Väterkarenzgesetz (bis maximal zum 2. Geburtstag) hinausgehen, sind hingegen als Sonderurlaube zu qualifizieren, die grundsätzlich nicht unter die Gleichstellung mit der Ausübung einer Beschäftigung fallen (vgl. Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, Durchführungsrichtlinien zum FLAG 1967, BGBl. Nr. 376/1967 idF BGBl. Nr. 131/2008, 4.1.1.1., 4.1.1.2.).

Eine Rechtsprechung zu Zeiten einer vereinbarten Karenz besteht bisher nur zur VO (EWG) 1408/71. Der EuGH führte zur Frage, ob die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne der VO (EWG) 1408/71 während des Zeitraums der vereinbarten Karenz nach Ablauf des 24. Lebensmonats des Kindes zu bejahen sei, aus, dass eine Person als Arbeitnehmer zu qualifizieren sei, wenn sie auch nur gegen ein einziges Risiko bei einem System der sozialen Sicherheit versichert sei ( C-516/09, Borger).

Im Anschluss an diese Entscheidung bejahte der Oberste Gerichtshof die Arbeitnehmereigenschaft der damaligen Klägerin im Sinne der VO 1408/71 mit der Begründung, dass für Kindererziehungszeiten bis zum 48. Lebensmonat des Kindes eine Teilversicherung in der Pensionsversicherung bestehe (10 ObS 35/11m, SSV-NF 25/39).

Vor diesem Hintergrund kann eine der Beschäftigung gleichgestellte Situation zusammenfassend dann angenommen werden, wenn ein Beschäftigungsverhältnis lediglich vorübergehend unterbrochen wird, dem Grunde nach aber noch fortbesteht, und dies nach nationalem Recht zumindest zu einer Teilversicherung führt.

Gegenständlich ist unstrittig, dass die Bf. im Zeitraum März 2013 bis Jänner 2014 keine Geldleistung aufgrund oder infolge einer Beschäftigung bezog. Für das Bundesfinanzgericht ist aus den vorgelegten Unterlagen auch nicht erkennbar, dass sich die Bf. in dieser Zeit in einem aufrechten Arbeitsverhältnis befunden hat. Schließlich war die Bf. bereits ab Februar 2014 wieder bei einem anderen Dienstgeber beschäftigt. Fest steht auch, dass die Bf. in den strittigen Monaten nicht einmal teilweise in der österreichischen Sozialversicherung versichert war.

Im Ergebnis kann demnach nicht vom Vorliegen einer Beschäftigung oder einer dieser gleich gestellten Situation gesprochen werden, sodass die Bf. nicht den Rechtsvorschriften Österreichs unterlag, sondern gemäß Art. 11 Abs. 3 lit. e der Verordnung Nr. 883/2004 das Recht des Wohnmitgliedstaates Ungarn zur Anwendung gelangt.

Das Finanzamten hat daher zu Recht den Anspruch auf österreichische Ausgleichzahlung verneint.

Nichtzulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG die ordentliche Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Diese Voraussetzungen sind im Beschwerdefall schon deshalb nicht erfüllt, weil das vorliegende Erkenntnis primär die Klärung einer auf den Einzelfall bezogenen Sachverhaltsfrage zum Gegenstand hatte und die hier maßgebende Rechtsfrage, nämlich ob Ausgleichszahlung im Falle eines über den 2. Geburtstag des Kindes hausgehenden Zeitraumes zu leisten ist, eindeutig durch den Wortlaut des Artikel 1 lit a, Artikel 11 der VO (EG) 883/2004 und dem Beschluss F1 der Verwaltungskommission geregelt ist.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.7100389.2016

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at