Zeitpunkt der Anerkennung einer Behinderung
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Ralf Schatzl in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerden vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Salzburg-Land vom betreffend die Abweisung der Anträge auf Wiederaufnahme der Verfahren betreffend die Einkommensteuer 2011, 2012, 2013 und 2014 zu Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerden gegen die Abweisung der Anträge auf Wiederaufnahme der Verfahren betreffend die Einkommensteuer 2011, 2012 und 2013 werden gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Wiederaufnahme der Verfahren betreffend die Einkommensteuer 2014 wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird ersatzlos aufgehoben.
III. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang
Mit Anträgen vom und vom beantragte die BF die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend die Einkommensteuer 2011, 2012, 2013 und 2014 und begründete dies im Wesentlichen damit, dass das Bundessozialamt mit Bescheid vom festgestellt habe, dass sie einen Behinderungsgrad von 30 % habe. Diese Behinderung bestehe jedoch schon seit 2011. Die Behörde möge die Einkommenssteuerverfahren für die Jahre 2011, 2012, 2013 und 2014 wiederaufnehmen und die betragsmäßig bezeichneten Beträge für außergewöhnliche Belastungen in den einzelnen Jahren berücksichtigen. Das FA erstellte ein Ergänzungsersuchen, in dem die BF unter Setzung einer fünfwöchigen Frist aufgefordert wurde den Bescheid des Bundessozialamtes vom vorzulegen und - wenn vor Ausstellung dieses Bescheides bereits eine vorangehende Behinderung durch das Bundessozialamt festgestellt worden sei - auch diesen vorzulegen.
Nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist wies das FA mit Bescheiden vom die Anträge auf Wiederaufnahme der Verfahren ab und verwies darauf, dass das Ergänzungsansuchen unbeantwortet geblieben sei.
Gegen diese Bescheide erhob die BF durch ihren ausgewiesenen Vertreter fristgerecht Beschwerde und führte darin im Wesentlichen aus, dass ihr das Ergänzungsansuchen nicht zugestellt worden sei. Ihr sei vom Bundessozialamt mit Bescheid vom ein Behinderungsgrad von 30 % attestiert worden. Dies sei durch einen Sachverständigen aufgrund eines medizinischen Beweisverfahrens festgestellt worden, dem sie auch Unterlagen wegen der Behinderung übermittelt habe, aus denen entnommen werden könne, dass die Voraussetzungen für eine Behinderung vorlägen. Die belangte Behörde sei im Zuge der Offizialmaxime verpflichtet, entsprechende Erkundigungen für die rückwirkende Feststellung der Behinderung beim Bundessozialamt einzuholen, da dieses eine der Stellen sei, mittels deren amtliche Bescheinigung eine rückwirkende Behinderung nachgewiesen werden könne.
Darauf ersuchte FA die BF um die Vorlage des gesamten Bescheides des Sozialministeriums. Die BF legte durch ihren ausgewiesenen Vertreter den angeforderten Bescheid vor und verwies nochmals darauf, dass die gesamten Unterlagen für eine rückwirkende Feststellung der Behinderung beim Bundesministerium für Soziales und Behindertenwesen aufliegen würden. Mit Beschwerdevorentscheidungen vom wies das FA die gegenständlichen Beschwerden als unbegründet ab und begründete dies im Wesentlichen damit, eine rückwirkende Anerkennung einer Behinderung aufgrund der gesetzlichen Vorschriften nicht möglich sei. Zudem bestehe für die Abgabenbehörde weder die Möglichkeit noch die Verpflichtung im Zuge eines Rechtshilfeersuchens beim Sozialministeriumsservice rückwirkend die Feststellung der Behinderung zu erwirken. Die geltend gemachten Kosten könnten daher nur nach der allgemeinen Regelung für außergewöhnliche Belastungen unter Abzug eines Selbstbehaltes berücksichtigt werden.
In der Folge beantragte die BF durch ihren ausgewiesenen Vertreter fristgerecht die Vorlage der Beschwerde zur Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht, wiederholte ihr bisheriges Vorbringen und verwies darauf, dass die dem Bundessozialamt vorgelegten Unterlagen bis in das Jahr 2001 zurückreichen würden.
Beantragt werde, das Bundesfinanzgericht möge eine Bescheinigung über die Feststellung der Behinderungen für die Jahre 2011-2014 beim Sozialministeriumsservice einholen. Zwar werde eine rückwirkende Feststellung aufgrund ihres Antrages nicht durchgeführt, aufgrund eines Rechtshilfeersuchens der belangten Behörde sei dies aber möglich.
In der am durchgeführten mündlichen Verhandlung führte der ausgewiesene Vertreter der BF aus, dass er auf Grund der Auskünfte seiner Mandantin davon ausgegangen sei, dass die in der Beschwerde angeführten Unterlagen bereits vorgelegt worden seien. Daher habe er diese Unterlagen im Beschwerdeverfahren nicht nochmals vorgelegt, könne diese aber beischaffen.
Mit Schriftsatz vom legte die BF durch ihren ausgewiesenen Vertreter folgende sie betreffende Unterlagen vor:
Einen radiologischen Befund des Institutes Dr. Doringer vom betreffend Sehnenrisse in der die rechte Schulter; einen Bericht der Schulterambulanz des UKH Salzburg vom über Sehnenrisse an der rechten Schulter; Unterlagen der Gefäßchirurgie der Landeskliniken Salzburg vom ; die Honorarnote eines Internisten vom betreffend gefäßchirurgische Untersuchungen; einen radiologischen Befund vom der Dr.in Monika Wörther-Madl; einen Befund der gynäkologischen Abteilung des KH der Barmherzigen Brüder vom , einen MRI Befund der Salzburger Landeskliniken vom betreffend ein Kopf MRI; einen radiologischen Befund des Institutes Dr. Doringer vom betreffend die Wirbelsäule; den ärztlichen Entlassungsbericht des medizinischen Zentrums Bad Vigaun GmbH & Co. KG vom nach durchgeführtem Rehabilitationsaufenthalt sowie das Sachverständigengutachten des Sozialministeriums Service, Landesstelle Salzburg vom ,
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Sachverhalt und Beweiswürdigung
Bei seiner Entscheidung legte das BFG folgenden Sachverhalt zugrunde, der sich aus den Akten des Verwaltungsverfahrens und des Beschwerdeverfahrens vor dem BFG ergibt:
Mit Bescheid vom wurde die BF zur Einkommensteuer für 2011 veranlagt, mit Bescheid vom zur Einkommensteuer für 2012, mit Bescheid vom zur Einkommensteuer für 2013 und mit Bescheid vom zur Einkommensteuer für 2014.
Dies ergibt sich aus den Akten bzw. den Datenbanken des FA.
Die BF hat eine mit Gutachten vom festgestellte 30 %ige Behinderung, die zum einen darauf beruht, dass eine "Funktionsstörung der Wirbelsäule mittleren Grades mit abnutzungsbedingten Veränderungen ohne neurologisches Defizit mit rezidivirendem konservativen Therapie bedarf" vorliegt, die vom Sachverständigen als 30-prozentige Behinderung eingestuft wurde. Sie leidet weiters eine "Funktionseinschränkung der rechten Schulter geringeren Grades bei bekanntem Riss der Supra- und Infraspinatussehne ohne funktionelle Einschränkung mit geringer Kraftminderung", die nach dem vorliegenden Gutachten zu einer zehnprozentigen Behinderung führt.
Dies ergibt sich aus dem ärztlichen Gutachten des Dr. Christian Dohnalek vom .
Die Funktionsstörung der Wirbelsäule wurde nachweislich in radiologischen Befunden des Jahres 2014 festgestellt und ab 2014 therapiert.
Dies ergibt sich aus dem Entlassungsbericht der Kuranstalt Vigaun GmbH & Co. KG nach dem Rehabilitationsaufenthalt der BF sowie dem Radiologiebefund der Dr.in Monika Wörther-Madl vom .
Der Sehnenriss war bereits im Jahr 2001 entstanden.
Dies ergibt sich aus dem radiologischen Befund des Institutes Dr. Doringer vom sowie der Diagnose der Schulterambulanz des UKH Salzburg vom .
Rechtliche Beurteilung
Zu Spruchpunkt I. und II. (Abweisung 2011, 2012 und 2013, Stattgabe 2014)
Gemäß § 274 Abs. 1 Z. 1 lit. a) bzw. lit. b) BAO hat über die Beschwerde eine mündliche Verhandlung stattzufinden, wenn es in der Beschwerde bzw. im Vorlageantrag beantragt wird.
Das BFG sieht mit Ritz (Ritz, BAO6, § 274, Tz 5) im Anbot von Beweisen in einer mündlichen Verhandlung in der Beschwerde bzw. im Vorlageantrag einen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Einzelrichter.
Zu der in Beschwerde gezogenen Abweisung der Anträge auf Wiederaufnahme der Verfahren ist Folgendes auszuführen:
Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b) BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei … wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Gemäß § 304 BAO ist ein derartiger Antrag auf Wiederaufnahme der Verfahren bis zum Eintritt der Verjährung dieser Verfahren zulässig.
Die in den Jahren ab 2012 abgeschlossenen Verfahren betreffend die Einkommensteuer 2011, 2012, 2013 und 2014 waren im Jahr 2016 noch nicht verjährt.
Gemäß § 303 Abs.2 lit. b) BAO hat der Wiederaufnahmeantrag die Bezeichnung der Umstände (Abs. 1) zu enthalten, auf die der Antrag gestützt wird.
Bei seinen Anträgen auf Wiederaufnahme der Verfahren betreffend die Einkommensteuer 2011, 2012, 2013 und 2014 beruft sich die BF auf neu hervorgekommene Tatsachen, die sich im Verfahren vor dem Bundessozialamt ergeben hätten. Für das Vorliegen dieser Wiederaufnahmegründe ist der Wiederaufnahmewerber behauptungs- und beweispflichtig. (Ritz, BAO6, § 303, Tz.55 mwN) Dies hat die BF im gegenständlichen Beschwerdeverfahren im Verfahren vor dem BFG über nochmaligen Vorhalt durch die Vorlage des von der BF angeführten Gutachtens des medizinischen Sachverständigen und die verschiedene weitere Unterlagen erfüllt.
Gemäß § 35 Abs. 1 EStG steht der Steuerpflichtigen bei einer außergewöhnlichen Belastung durch eine eigene körperliche … Behinderung unter bestimmten weiteren Voraussetzungen ein Freibetrag zu, der sich nach § 35 Abs. 3 EStG am Ausmaß der Behinderung orientiert und der bei einer festgestellten Behinderung von 25% bis 34% mit € 75,00 p.a. bemisst.
Gemäß § 35 Abs. 5 EStG können an Stelle des Freibetrages auch die tatsächlichen Kosten aus dem Titel der Behinderung geltend gemacht werden.
Dabei sind sowohl die Behinderung selbst und deren Höhe gemäß § 35 Abs. 2 EStG durch eine amtliche Bescheinigung der für die Feststellung zuständigen Stelle nachzuweisen.
Dies ist im gegenständlichen Verfahren durch die im Jahr 2016 aufgrund eines Gutachtens eines ärztlichen Sachverständigen ausgestellte Bescheinigung des Bundessozialamtes mit dem Ausweis einer 30%igen Behinderung erfolgt. Diese Bescheinigung wirkt grundsätzlich ab der Ausstellung, lediglich für den Fall, dass das Bundesamt die Behinderung rückwirkend festgestellt hat, erfolgt eine Anerkennung dieser Rückwirkung auch für steuerliche Zwecke. Ist die Behinderung aber die Folge eines Ereignisses (Unfall, Operation, Spitalsaufenthalt), gilt der festgestellte Grad der Behinderung auch für steuerliche Zwecke rückwirkend bis zum Zeitpunkt des Ereignisses, wenn das Bundesamt die Behinderung rückwirkend festgestellt hat. (Jakom/Payerl, EstG 2020 § 35 Tz. 11 mwN)
Im gegenständlichen Verfahren bestehen mehrere Erkrankungen der BF ab dem Jahr 2001, die zu den im Gutachten dargestellten Einschränkungen geführt haben. Dies ist zunächst eine offenbar 2001 erlittene Schulterverletzung, die zu einer im Gutachten 2016 ausgewiesenen 10%igen Behinderung führte. Nachgewiesen sind weiters Probleme der Wirbelsäule, wegen derer sich die BF im Jahr 2014 in Rehabilitation begeben musste und die eine 30%ige Behinderung, jedenfalls ab dem Jahr 2014 bedingen.
Beide Erkrankungen sind in dem vom Bundessozialamt ausgestellten Bescheid über die Behinderung der BF im Jahr 2016 angeführt.
Damit liegt aber erst ab dem Jahr 2014 nachweislich eine 25% übersteigende Behinderung der BF vor, die mit den beantragten Pauschalsätzen des § 35 EStG berücksichtigt werden kann.
Die möglicherwiese bereits ab 2001 bestehende Behinderung von 10% kann mit den Pauschalsätzen des § 35 BAO nicht berücksichtigt werden. Liegt die Minderung der Erwerbsfähigkeit unter 25%, besteht lediglich die Möglichkeit die tatsächlichen Kosten unter den allgemeinen Voraussetzungen des § 34 EstG unter Berücksichtigung des Selbstbehaltes abzuziehen (Fuchs in Doralt et al, EStG20, § 35 Tz. 8)
Für die von der BF beantragte Wiederaufnahme der Verfahren betreffend die Einkommensteuer 2011, 2012, 2013 und 2014 folgt daraus, dass die von der BF im Beschwerdeverfahren vorgebrachten neuen Tatsachen nur im Jahr 2014 einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeiführen können.
Daher waren die Beschwerden gegen die Abweisung der Anträge auf Wiederaufnahme der Verfahren betreffend die Einkommensteuer 2011, 2012, 2013 als unbegründet abzuweisen, der Beschwerde gegen die Abweisung der Anträge auf Wiederaufnahme der Verfahren betreffend die Einkommensteuer 2014 war stattzugeben.
Zu Spruchpunkt III. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Das gegenständliche Erkenntnis gründet sich sowohl hinsichtlich der Frage, unter welchen Voraussetzungen außergewöhnliche Belastungen als Behinderung im Sinne des § 35 EStG zu berücksichtigen sind als auch hinsichtlich der Frage, unter welchen Voraussetzungen neu hervorgekommene Tatsachen die Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ermöglichen, auf die oben angeführten gesetzlichen Bestimmungen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt nicht vor.
Salzburg, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 35 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2020:RV.6100596.2018 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at