Befristung in § 295 Abs. 4 letzter Satz BAO ist unsachlich (Anlassfall)
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R in der Beschwerdesache Bf., vertreten durch Rabel & Partner GmbH Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft, Hallerschloßstraße 1, 8010 Graz, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt Graz-Stadt vom betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Aufhebung nach § 295 Abs. 4 BAO (betr. Einkommensteuer 2005) zu Recht erkannt:
I. Der Beschwerde wird Folge gegeben.
Der angefochtene Zurückweisungsbescheid wird aufgehoben.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Mit Eingabe vom beantragte der Beschwerdeführer (Bf.) die Aufhebung des Einkommensteuerbescheides für 2005 vom gemäß § 295 Abs. 4 BAO, da dieser von einem "Nicht-Bescheid" abgeleitet worden sei.
Strittig war vor nun dem BFG, ob dieser Antrag fristgerecht eingebracht wurde oder nicht.
Hinsichtlich des bisherigen Verfahrensverlaufes sowie des maßgeblichen Sachverhaltes wird auf das hg. Erkenntnis RV/2100730/2018 vom sowie auf das Erkenntnis des VfGH E 4256/2018 vom verwiesen.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
In seinem Erkenntnis RV/2100730/2018 vom gelangte das BFG unter Hinweis auf § 295 Abs. 4 iVm. § 304 BAO (zunächst) zu dem Schluss, der am eingebrachte Antrag sei nach dem klaren Gesetzeswortlaut erst nach Eintritt der Verjährung - und damit verspätet - eingebracht worden. Die Verjährungsfrist der Einkommensteuer 2005 habe mit zu laufen begonnen. Während der laufenden fünfjährigen Verjährungsfrist sei der Bf. mit Bescheid vom zur Einkommensteuer 2005 veranlagt worden. Dadurch habe sich die Verjährungsfrist zunächst um ein Jahr bis zum verlängert. Am (somit im "Verlängerungsjahr") sei gemäß § 295 Abs. 1 BAO ein berichtigter Einkommensteuerbescheid ergangen. Dagegen sei weder Berufung erhoben, noch seien seitens des Finanzamtes weitere nach außen erkennbare (verjährungsverlängernde) Amtshandlungen gesetzt worden. Die Verjährung sei in Bezug auf die Einkommensteuer 2005 sohin am eingetreten.
Dagegen erhob der Bf. Beschwerde beim VfGH.
Bei der Behandlung dieser Beschwerde sind im VfGH Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des Satzes "Der Antrag ist vor Ablauf der für Wiederaufnahmsanträge nach § 304 maßgeblichen Frist zu stellen." in § 295 Abs. 4 BAO entstanden. In der Folge fasste der VfGH den Beschluss, diese Gesetzesbestimmung von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.
Mit Erkenntnis vom , G 159/2019, G 226/2019 sowie G 248/2019, hob der VfGH den letzten Satz der Bestimmung des § 295 Abs. 4 BAO idF. BGBl. I 70/2013 als verfassungswidrig auf. Des Weiteren sprach er aus, dass der letzte Satz leg. cit. idF. BGBl. I 76/2011 verfassungswidrig war. Aus den in der Begründung näher dargelegten Gründen erweise sich die in § 295 Abs. 4 letzter Satz BAO enthaltene Befristung als unsachlich. Die genannte Norm treffe zudem eine Regelung, welche die Anwendung des § 302 BAO ausschließe. Selbst bei Wegfall der Bestimmung des § 295 Abs. 4 letzter Satz BAO könne daher § 302 BAO nicht zur Anwendung gelangen (s. Rz 43 des oa. VfGH-Erkenntnisses).
Ist ein Gesetz wegen Verfassungswidrigkeit aufgehoben worden oder hat der Verfassungsgerichtshof gemäß Art. 140 B-VG Abs. 4 ausgesprochen, dass ein Gesetz verfassungswidrig war, so sind alle Gerichte und Verwaltungsbehörden an den Spruch des Verfassungsgerichtshofes gebunden. Auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalles ist jedoch das Gesetz weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof nicht in seinem aufhebenden Erkenntnis anderes ausspricht (Art. 140 Abs. 7 B-VG).
Der Beschwerde des Bf. gegen das Erkenntnis des , gab der VfGH mit Entscheidung E 4256/2018 vom Folge. Der VfGH sprach aus: "Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt worden. Das Erkenntnis wird aufgehoben."
Unter Rz 12 seines Erkenntnisses führt der VfGH aus: "Das Bundesfinanzgericht hat eine verfassungswidrige Gesetzesbestimmung angewendet. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war. Der Beschwerdeführer wurde also durch das angefochtene Erkenntnis wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt (zB VfSlg. 10.404/1985)."
Nach § 279 Abs.1 BAO hat eine Aufhebung durch das BFG ua. zu erfolgen, wenn ein verfahrensrechtlicher Bescheid (zB Zurückweisung eines Antrages) zu Unrecht erlassen wurde (Ritz, BAO 6. Auflage, § 279 Tz 6, mwH).
Sache des gegenständlichen Beschwerdeverfahrens war allein die Zurückweisung des Antrages als verspätet (vgl. dazu zB , mwN).
Da die als verfassungswidrig erkannte Befristung für den hier zu beurteilenden Beschwerdefall keine Wirkung (mehr) zu entfalten vermag, war der Beschwerde gegen den Zurückweisungsbescheid des Finanzamtes vom auf Grund der oa. VfGH-Erkenntnisse stattzugeben und der Zurückweisungsbescheid aufzuheben.
Das Finanzamt wird daher über den Aufhebungsantrag des Bf. vom neuerlich abzusprechen haben.
Zur Revision: Da das BFG auf Grund der oa. VfGH- bzw. VwGH-Judikatur spruchgemäß zu entscheiden hatte, liegt keine Rechtsfrage iSd. Art. 133 Abs. 4 B-VG vor. Die Revision war daher nicht zuzulassen.
Graz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 295 Abs. 4 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2020:RV.2101436.2019 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at