Familienbeihilfe - Beschäftigung des Stiefvaters in der Schweiz
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, Schweiz, über die Beschwerde vom gegen den Sammelbescheid des Finanzamtes Landeck Reutte vom betreffend Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen
a) für das Kind [Kind2] für die Monate April, Mai, November und Dezember 2015 und
b) für das Kind [Kind1] für die Monate April bis Oktober 2015
zu Recht erkannt:
I.
Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben.
Der angefochtene Sammelbescheid wird abgeändert.
Die Berechnung der Rückforderung ist der Beilage zu diesem Erkenntnis zu entnehmen und bildet diese einen Bestandteil dieses Spruches.
II.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang
Auf Grund der Anträge vom wurde der Antragstellerin Familienbeihilfe samt Kinderabsetzbeträgen für zwei Kinder ([Kind1], geb am TT.MM. JJJJ, und [Kind2], geb am TT.M2. JJJ2) ausbezahlt.
Mit Bescheid vom wurde die ausbezahlte Familienbeihilfe samt Kinderabsetzbeträgen für das Kind [Kind1] für die Monate April, Mai, November und Dezember 2015 und für das Kind [Kind2] für die Monate April bis Oktober 2015 wieder zurückgefordert.
Unter Hinweis auf die VO(EG) 883/2004 und § 5 Abs 3 FLAG 1967 wurde festgehalten, dass der Ehegatte der Beihilfenbezieherin "nur bis in Österreich gewerblich selbständig tätig" gewesen sei und in der Schweiz arbeite. Die Beihilfenbezieherin selbst wäre in Österreich "nicht beschäftigt" gewesen und habe im Zeitraum 26. Oktober bis in Österreich keinerlei Einkünfte erzielt. Somit bestehe für die Monate April, Mai, November und Dezember 2015 ein vorrangiger Anspruch auf "Kindergeld" in der Schweiz. Das Kind [Kind1] wäre zudem "nur kurze Zeit in Österreich" gewesen und habe am eine Schulausbildung abgebrochen. Zudem befinde sich das Kind wieder in [Drittstaat].
In der als "Widerspruch" bezeichneten Beschwerde gegen diesen (Sammel-)Bescheid äußerte die Beschwerdeführerin eingangs ihr Unverständnis darüber, wieso die Rückforderung nur bestimmte Monate umfasse. In der Folge führte sie aus, ihr Ehegatte, welcher der Stiefvater der in Rede stehenden Kinder sei, arbeite "temporaer" in der Schweiz. Dies seit Mitte März 2015 bis März 2016 in Vollzeit, danach bis Ende Mai 2016 in Teilzeit. Das dieser Tätigkeit zu Grunde liegende Projekt habe nur "in Anstellung ueber eine Schweizer Firma erfolgen" können. Der Wohnsitz des Ehegatten habe sich in der Zeit der Beschäftigung "vertragsbedingt" in der Schweiz und auch in Österreich befunden, der Lebensmittelpunkt wäre in Österreich gelegen gewesen. Die Beschwerdeführerin hätte den Wohnsitz und die berufliche Tätigkeit in Österreich gehabt.
Die Firma des Ehegatten sei nach wie vor angemeldet und aktiv. Es wären lediglich geringe Umsätze getätigt worden und sei eine Weiterführung "angedacht".
Richtig sei, dass die Beschwerdeführerin ihre erste Arbeitsstelle am (nicht wie vom Finanzamt angeführt am ) angetreten habe. Saisonbedingt wäre es zu einer Unterbrechung von 26. Oktober bis gekommen. Dann erfolgte die geplante Wiedereinstellung.
Es wäre "fadenscheinig" zu behaupten, dass das Kind [Kind1] nur kurze Zeit in Österreich gewesen wäre. Beide Kinder wären mit der Beschwerdeführerin Ende August 2014 nach Österreich eingereist. Danach habe auch [Kind1] in Österreich gelebt; dies bis kurz vor Studiumsbeginn Ende August 2015. Die Anmeldung zum Studium wäre im Mai 2015 erfolgt, Anfang August 2015 wäre die Gebühr für das erste Semester bezahlt worden. Die letzte Ausreise habe am stattgefunden.
Die Beschwerdeführerin wäre bis zur Volljährigkeit von [Kind1] die alleinige erziehungsberechtigte Person. [Kind1] wäre daher weiterhin "Familienmitglied, und auch jederzeit bei uns hier in …. willkommen".
Vorsorglich werde darauf hingewiesen, dass nach europäischem Recht ein Hauptwohnsitz (Familienwohnsitz) "zu Studiums zwecken" bis zu fünf Jahre beibehalten werden könne.
Nach Durchführung eines Mängelbehebungsverfahrens erging eine abweisende Beschwerdevorentscheidung. Wiederum bezog sich das Finanzamt auf die bereits im angefochtenen Bescheid angeführten Normen und wiederholte im Wesentlichen die Argumentation von dessen Begründung.
Mit Schreiben vom forderte die Beschwerdeführerin das Finanzamt auf, die "Zuruecknahme der Zusage der Familienbeihilfe" zurückzunehmen. Das Finanzamt wertete diese Eingabe als Antrag auf Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht und legte diesem die Beschwerde vor.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Sachverhalt und Beweiswürdigung
Nachfolgender Sachverhalt ergibt sich aus den unstrittigen Feststellungen im Verwaltungsverfahren, den von der Beschwerdeführerin vorgelegten Unterlagen bzw aus den sonst gesondert angeführten Überlegungen und Beweismitteln.
Die Beschwerdeführerin und die beiden Kinder sind russische Staatsbürger und Ende August 2014 nach Österreich eingereist. Beide Kinder waren in den von der Rückforderung umfassten Monaten noch minderjährig.
Die JJJJ geborene Tochter besuchte ab September 2014 eine Bildungseinrichtung in Österreich, brach die Ausbildung jedoch ohne Abschluss mit Mitte April 2015 ab. Mit Ende August 2015 studierte die Tochter an einer Bildungseinrichtung in [Drittstaat] und lebte zu diesem Zweck bei der Großmutter. Die Ausbildung ist für einen Zeitraum von zwei Jahren und zehn Monaten geplant und endet daher im Juni 2018. Die letzte nachgewiesene Ausreise aus Österreich vor Studienbeginn war - nach den von der Beschwerdeführerin vorgelegten Flugtickets und ihrem eigenen Vorbringen - am .
Der JJJ2 geborene Sohn besuchte ebenfalls eine Bildungseinrichtung in Österreich.
Die Beschwerdeführerin ist seit Mai 2013 mit einem deutschen Staatsbürger verheiratet. Dieser ist daher der Stiefvater der beiden Kinder.
Die Familie lebte nach dem Auszug aus dem Zentralen Melderegister gemeinsam in [Ort/Ö], wobei der Ehegatte der Beschwerdeführerin auch über einen Wohnsitz in der Schweiz verfügte.
Die Beschwerdeführerin ging nach den Daten des SV-Auszuges ab 22. Mai bis Mitte Oktober 2015 einer nichtselbständigen Tätigkeit in Österreich nach und war dann ab der zweiten Woche im Dezember 2015 wiederum in Österreich nichtselbständig beschäftigt.
Der Stiefvater der Kinder stand ab Mitte März 2015 in einem Dienstverhältnis in der Schweiz. Die SV-Pflicht für seine - auch weiterhin ausgeübte - gewerblich selbständige Tätigkeit in Österreich endete demnach mit Ende März 2015.
Aus den Daten des Zentralen Melderegisters ist ersichtlich, dass die Beschwerdeführerin den Hauptwohnsitz in [Ort/Ö] im August 2018 in einen Nebenwohnsitz ummeldete und letzterer durch den Wegzug in die Schweiz Ende September 2018 aufgegeben wurde. Auch der Ehegatte der Beschwerdeführerin meldete den Hauptwohnsitz in Österreich im August 2018 ab.
Nach der Mitteilung des Finanzamtes wurde die gesamte mit dem bekämpften Bescheid vorgeschriebene Nachforderung durch Anrechnung von Familienbeihilfe bzw Umbuchung von Gutschriften aus der ArbeitnehmerInnenveranlagung ausgeglichen und weist das Abgabenkonto der Beschwerdeführerin derzeit ein Guthaben aus.
Rechtliche Beurteilung
Zu Spruchpunkt I.
Strittig ist, ob die Rückforderung der für den Sohn im Zeitraum April und Mai sowie November und Dezember 2015 und für die Tochter im Zeitraum April bis Oktober 2015 ausbezahlten Familienbeihilfe samt Kinderabsetzbeträgen zu Recht erfolgt ist.
Im gegenständlichen Fall ergibt sich aus dem festgestellten Sachverhalt, dass durch die Ausübung einer nichtselbständigen Tätigkeit durch den Ehegatten der Beschwerdeführerin in der Schweiz ein grenzüberschreitender Fall vorliegt, weshalb Unionsrecht zur Anwendung kommt. Festzuhalten ist weiters, dass die nachfolgend genannten Verordnungen auch für die Schweiz anzuwenden ist und daher die Schweiz vom Begriff "Mitgliedstaat" im Folgenden mitumfasst ist.
Dazu wird in den anfänglichen Erwägungen der VO(EG) 883/2004 festgehalten:
Rz 34: "Da die Familienleistungen sehr vielfältig sind und Schutz in Situationen gewähren, die als klassisch beschrieben werden können, sowie in Situationen, die durch ganz spezifische Faktoren gekennzeichnet sind und die Gegenstand der Urteile des Gerichtshofes in den verbundenen Rechtssachen C-245/94 und C-312/94 (Hoever) und (Zachow) und in der Rechtssache C-275/96 (Kuusijärvi) waren, ist es erforderlich, diese Leistungen in ihrer Gesamtheit zu regeln."
Rz 35: "Zur Vermeidung ungerechtfertigter Doppelleistungen sind für den Fall des Zusammentreffens von Ansprüchen auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats mit Ansprüchen auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats der Familienangehörigen Prioritätsregeln vorzusehen."
Gemäß Art 1 lit a Z 1 sublit i VO(EG) 883/2004 gilt "Familienangehöriger" jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, als Familienangehöriger bestimmt oder anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet wird. Nach Z 2 der angeführten Bestimmung ist die Ehegattin/der Ehegatte jedenfalls Familienangehörige/r.
Da § 2 Abs 3 lit c FLAG 1967 auch Stiefkinder als Kinder einer Person anerkennt, sind somit diese ebenso als Familienangehörige zu betrachten.
Art 2 Abs 1 VO(EG) 883/2004 bestimmt, dass diese Verordnung gilt für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen.
Da der Ehegatte der Beschwerdeführerin als deutscher Staatsangehöriger jedenfalls den Bestimmungen der VO(EG) 883/2004 unterliegt, gilt dies auch für die Beschwerdeführerin und deren im gegenständlichen Verfahren angesprochenen Kinder.
Gemäß Art 3 Abs 1 lit j VO(EG) 883/2004 erstreckt sich deren sachlicher Geltungsbereich auch auf Familienleistungen.
Die österreichische Familienbeihilfe sowie die Schweizer Familienzulagen fallen daher in den Anwendungsbereich der VO(EG) 883/2004. Gleiches gilt für den Kinderabsetzbetrag (vgl Gebhart in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG 2 § 53 Rz 148).
Nach Art 11 Abs 1 der VO(EG) 883/2004 unterliegen Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel.
Art 11 Abs 3 lit a VO(EG) 883/2004 normiert dazu, dass eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats unterliegt.
Zuständiger Staat für die Kindesmutter ist für die Zeit ihrer Beschäftigung in Österreich damit Österreich.
Nach Art 13 Abs 3 VO(EG) 883/2004 unterliegt eine Person, die gewöhnlich in verschiedenen Mitgliedstaaten eine Beschäftigung und eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem sie eine Beschäftigung ausübt.
Zuständiger Staat für den Ehegatten der Beschwerdeführerin für den gesamten Rückforderungszeitraum ist daher die Schweiz, in der er im Rückforderungszeitraum eine Beschäftigung (=nichtselbständige Tätigkeit) ausgeübt hat. Die Aufrechterhaltung der Gewerbeanmeldung in Österreich spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle.
Eine Person hat nach Art 67 VO(EG) 883/2004 auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden.
Ändern sich zwischen den Mitgliedstaaten während eines Kalendermonats die Rechtsvorschriften und/oder die Zuständigkeit für die Gewährung von Familienleistungen, so setzt nach Art 59 VO(EG) 987/2009 der Träger, der die Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften gezahlt hat, nach denen die Leistungen zu Beginn dieses Monats gewährt wurden, unabhängig von den in den Rechtsvorschriften dieser Mitgliedstaaten für die Gewährung von Familienleistungen vorgesehenen Zahlungsfristen die Zahlungen bis zum Ende des laufenden Monats fort.
Für die Zeit bis zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit durch die Kindesmutter in Österreich ist somit die Schweiz einzig zuständiger Staat für die Auszahlung der Familienleistungen iSd VO(EG) 883/2004. Dies trifft gegenständlich für die Monate April und Mai 2015 zu.
Durch die Aufnahme einer Beschäftigung durch die Kindesmutter in Österreich am sind zwei Mitgliedstaaten als zuständig zu beurteilen. Sind für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten aus denselben Gründen (Ausübung einer Beschäftigung durch die Kindesmutter und den Kindesvater in jeweils unterschiedlichen Mitgliedstaaten) zu gewähren, so gelten nach Art 68 Abs 1 lit b sublit i VO(EG) 883/2004 bei Ansprüchen, die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelöst werden, prioritär die Rechtsvorschriften des Wohnortes der Kinder unter der Voraussetzung, dass dort eine solche Tätigkeit ausgeübt wird.
Demnach ist für die Monate Juni bis Oktober 2015 prioritär Österreich für die Familienleistungen zuständig.
Fraglich ist nun, inwieweit die (kurzfristige) Unterbrechung der Beschäftigung der Kindesmutter zu einer Änderung der Zuständigkeit führt.
Dazu lässt sich dem Beschluss F1 der Verwaltungskommission zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit vom entnehmen, dass für die Zwecke des Art 68 VO(EG) 883/2004 Ansprüche auf Familienleistungen insbesondere dann als "durch eine Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit ausgelöst" gelten, wenn sie erworben werden während Zeiten einer vorübergehenden Unterbrechung einer solchen Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit wegen Arbeitslosigkeit, solange Arbeitsentgelt oder andere Leistungen als Renten in Zusammenhang mit diesen Versicherungsfällen zu zahlen sind.
Nach der ständigen Rechtsprechung des OGH ist im Anwendungsbereich der VO(EG) 883/2004 von der Fiktion der (weiteren) Ausübung der Erwerbstätigkeit insbesondere dann auszugehen, wenn ein Beschäftigungsverhältnis lediglich vorübergehend unterbrochen wird, dem Grunde nach aber fortbesteht und dies nach nationalem Recht zu einer Teilversicherung führt (vgl zB ).
Die Beschwerdeführerin hat in der Zeit zwischen der Beendigung und Wiederaufnahme der Beschäftigung im Dezember 2015 kein Arbeitslosengeld oder sonstige andere Leistungen bezogen und unterlag auch nicht einer Teilversicherung. Auch stand sie auf Grund der erteilten Wiedereinstellungszusage dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung. Eine mit einer Beschäftigung gleichgestellte Situation lag demnach während der Zeit der Arbeitsunterbrechung nicht vor.
Für die Monate November und Dezember 2015 war somit die Schweiz wiederum einziger zuständiger Staat iSd VO(EG) 883/2004.
Wie oben festgehalten, hat das Finanzamt im Zeitraum April bis Oktober 2015 für beide Kinder und in den Monaten November und Dezember 2015 für den Sohn die vollen österreichischen Familienleistungen ausbezahlt, obwohl Österreich aus den oben dargestellten Gründen in den Monaten April, Mai, November und Dezember 2015 nicht vorrangig für diese Leistungen zuständig war und diese daher prioritär nicht geschuldet hat.
Nach Art 84 Abs 1 VO(EG) 883/2004 können nichtgeschuldete Leistungen, die von dem Träger eines Mitgliedstaats gewährt wurden, in einem anderen Mitgliedstaat nach den Verfahren und mit den Sicherungen und Vorrechten eingezogen bzw. zurückgefordert werden, die für die Einziehung der dem entsprechenden Träger des letzteren Mitgliedstaats geschuldeten Beiträge bzw. für die Rückforderung der vom entsprechenden Träger des letzteren Mitgliedstaats nichtgeschuldeten Leistungen gelten.
Zur Durchführung des Artikels 84 VO(EG) 883/2004 regelt Art 71 VO(EG) 987/2009, dass die Beitreibung von Forderungen soweit möglich auf dem Wege des Ausgleichs nach den Art 72 bis 74 VO(EG) 987/2009, entweder zwischen den betreffenden Trägern oder Mitgliedstaaten oder gegenüber der betreffenden natürlichen oder juristischen Person, vorgenommen werden. Nur wenn eine Forderung im Wege dieses Ausgleichs ganz oder teilweise nicht beigetrieben werden kann, so wird der noch geschuldete Betrag nach den Artikeln 75 bis 85 der Durchführungsverordnung beigetrieben. Art 72 VO(EG) 987/2009 regelt dazu, dass wenn der Träger eines Mitgliedstaats einer Person nicht geschuldete Leistungen ausgezahlt hat, dieser Träger unter den Bedingungen und in den Grenzen der von ihm anzuwendenden Rechtsvorschriften den Träger jedes anderen Mitgliedstaats, der gegenüber der betreffenden Person zu Leistungen verpflichtet ist, um Einbehaltung des nicht geschuldeten Betrags von nachzuzahlenden Beträgen oder laufenden Zahlungen ersuchen kann, die der betreffenden Person geschuldet sind, und zwar ungeachtet des Zweigs der sozialen Sicherheit, in dem die Leistung gezahlt wird. Der Träger des letztgenannten Mitgliedstaats behält den entsprechenden Betrag unter den Bedingungen und in den Grenzen ein, die nach den von ihm anzuwendenden Rechtsvorschriften für einen solchen Ausgleich vorgesehen sind, als ob es sich um von ihm selbst zu viel gezahlte Beträge handelte; den einbehaltenen Betrag überweist er dem Träger, der die nicht geschuldeten Leistungen ausgezahlt hat.
Zusammengefasst ergibt sich aus diesen Bestimmungen, dass vorrangig keine (Rückforderungs-)Bescheide zu erlassen sind, sondern vielmehr ein Mitgliedstaat, der, obwohl nur subsidiär zuständig, Leistungen gewährt hat, den primär zuständigen Mitgliedstaat darüber zu informieren und zu ersuchen hat, diese Zahlungen zu leisten und den nicht (prioritär) geschuldeten Betrag an den Träger zu überweisen, der die Zahlungen bereits geleistet hat.
Im vorliegenden Fall hat das Finanzamt über Ersuchen des Bundesfinanzgerichtes die zuständige Schweizer Ausgleichskasse kontaktiert, welche mit Schreiben vom mitgeteilt hat, dass für zwei andere leibliche Kinder des Ehegatten der Beschwerdeführerin in der Schweiz zu hohe Leistungen (Doppelzahlungen in Verhältnis zu Deutschland) gewährt wurden, weshalb seitens der Schweizer Kasse ein Rückzahlungsanspruch bestehe, welcher mit den geschuldeten Leistungen für die beiden beschwerdegegenständlichen Kinder verrechnet und damit zum Teil ausgeglichen werde.
Da die Schweizer Familienleistungen zumindest 200,00 CHF pro Monat betragen haben, waren diese jedenfalls höher als die österreichische Familienbeihilfe.
Der in Österreich zusätzlich zur Familienbeihilfe nach § 33 Abs 3 EStG 1988 gewährte Kinderabsetzbetrag stellt eine (zusätzliche) Familienleistung iSd VO (EG) 883/2004 dar und ist folglich bei der Berechnung einer möglichen Differenzzahlung mit einzubeziehen (vgl zB , mwN). Daraus ergibt sich, dass die österreichischen Familienleistungen, bestehend aus Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag, (geringfügig) höher sind, als jene der Schweiz, weshalb sich gegenständlich die Frage eines Anspruches auf eine allfällige Differenzzahlung stellt.
Dazu ist vorerst zu prüfen, unter welchen Voraussetzungen in der Schweiz Familienzulagen bezahlt werden. Nach den Bestimmungen des Art 3 des Schweizer Bundesgesetzes über die Familienzulagen (Familienzulagengesetz, FamZG) umfassen die Familienzulagen einerseits die Kinderzulage, andererseits die Ausbildungszulage.
Die Familienzulage wird ab dem Geburtsmonat des Kindes bis zum Ende des Monats ausgerichtet, in welchem das Kind das 16. Altersjahr, bei erwerbsunfähigen Kindern das 20. Altersjahr, vollendet.
An die Familienzulage anschließend wird, bis zum Abschluss der Ausbildung, längstens jedoch bis zum Ende des Monats in dem das 25. Altersjahr vollendet wird, die Ausbildungszulage ausgerichtet.
Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass für den Sohn in der Schweiz im Streitzeitraum die Kinderzulage zugestanden wäre. Für die Tochter, welche im April 2014 das 16. Altersjahr vollendet hatte, hätte ein Anspruch auf Ausbildungszulage lediglich bis April 2015 bestanden, da in diesem Monat die Ausbildung abgebrochen worden ist.
In Österreich besteht ein Anspruch auf Familienbeihilfe bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres unabhängig vom Absolvieren einer Ausbildung ( § 2 Abs 1 lit a FLAG 1967), sodass bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen und Fehlen von Ausschlussgründen der österreichische Anspruch insoweit ein weiterer ist als in der Schweiz.
Daraus folgt, dass nachdem für den Sohn während des gesamten Streitzeitraumes ein Schweizer Anspruch und ein österreichischer Anspruch vorgelegen haben, und ist dieser Doppelanspruch nach den Regeln des VO(EG) 883/2004 zu lösen, sodass entsprechend den obigen Ausführungen für die Monate April, Mai, November und Dezember 2015 vorrangig der Schweizer Anspruch und nachrangig der österreichische Anspruch, welcher bis zur Höhe des Schweizer Anspruches ruhte, zu berücksichtigen ist.
In den Monaten Juni bis Oktober 2015 war Österreich vorrangig für die Familienleistungen zuständig und erfolgte bezüglich des Sohnes auch keine Rückforderung.
Für die Tochter der Beschwerdeführerin ist sachverhaltsmäßig klar, dass für diese auf Grund der im April 2015 noch betriebenen Ausbildung ein Anspruch auf die Schweizer Ausbildungszulage bestanden hat, welcher sodann mit dem Abbruch der Ausbildung Mitte April 2015 weggefallen ist. Nachdem Österreich entsprechend obigen Ausführungen im April und Mai 2015 (nur) nachrangig für die Familienleistungen zuständig war, stand für diese Monate österreichische Familienbeihilfe (allenfalls) in Höhe einer Differenzzahlung zu, wobei wobei die Ausbildungszulage im April 2015 höher war als die österreichische Familienbeihilfe samt Kinderabsetzbetrag (=kein Anspruch auf Differenzzahlung) und hinsichtlich des Monats Mai 2015 - mangels Anspruch in der Schweiz - die Differenzzahlung in Höhe der vollen österreichischen Familienbeihilfe zu leisten ist.
Weiters ergibt sich aus dem festgestellten Sachverhalt, dass die Tochter sich für eine im August 2015 beginnende Ausbildung in [Drittstaat] angemeldet hat. Diese Ausbildung war auf die Dauer von zwei Jahren und zehn Monate ausgelegt. Nach den unbestrittenen Ausführungen in der Beschwerdevorentscheidung lebte das Kind während der Absolvierung der Ausbildung bei der Großmutter in [Drittstaat].
Nach § 5 Abs 3 FLAG 1967 besteht kein Anspruch auf österreichische Familienbeihilfe für Kinder, die sich ständig im Ausland aufhalten. Nach der Rechtsprechung ist der ständige Aufenthalt iSd § 5 Abs 3 FLAG 1967 unter den Gesichtspunkten des Vorliegens eines gewöhnlichen Aufenthaltes nach § 26 Abs 2 BAO zu beurteilen. In diesem Zusammenhang führt bereits ein einjähriger Schulbesuch im Ausland zu einem ständigen Auslandsaufenthalt (vgl Reinalter in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG 2, § 5 Rz 9, mwN) bzw ist eine Aufenthaltsdauer von fünfeinhalb Monaten im Ausland gerade noch als vorübergehend (und damit unschädlich für den Familienbeihilfenanspruch) anzusehen (vgl , , oder ).
Daraus ergibt sich klar, dass die von der Tochter auf einen Zeitraum von beinahe drei Jahren angelegte Ausbildung in [Drittstaat] einen ständigen Aufenthalt in [Drittstaat] mit sich bringt und der Ausschlussgrund des § 5 Abs 3 FLAG 1967 einem (österreichischen) Familienbeihilfenanspruch entgegen steht. Daran ändert auch nichts, wenn zB die ausbildungsfreie Zeit (Ferien) in Österreich verbracht worden wäre, da derartige kurze Aufenthalte als nur vorübergehend anzusehen sind (vgl nochmals Reinalter in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG 2, § 5 Rz 9).
Als Beginn des ständigen Aufenthaltes im Ausland ist der Zeitpunkt der letzten nachgewiesenen Ausreise der Tochter aus Österreich vor Beginn der Ausbildung Ende Juli 2015 anzusehen. Das Finanzamt hat diesbezüglich offensichtlich angenommen, dass die Tochter nach dem Schulabbruch im April 2015 bereits auf Dauer ausgereist sei, was von der Beschwerdeführerin durch die Vorlage eines Flugtickets aus dem Juli 2015 wiederlegt wurde. Da somit nachgewiesen wurde, dass sich die Tochter bis Juli 2015 (auch noch) in Österreich aufgehalten und die Ausbildung in [Drittstaat] erst im August 2015 begonnen hat, ist davon auszugehen, dass sich der ständige Aufenthalt der Tochter bis inklusive Juli 2015 noch in Österreich befunden hat.
Die Rückforderung von Familienbeihilfe für die Tochter für die Monate Juni und Juli 2015 erfolgte somit zu Unrecht, da für diese Monate die Voraussetzungen für einen österreichischen Beihilfenanspruch (noch) vorgelegen haben. Für die Monate August, September und Oktober 2015 lag hingegen der Ausschlussgrund des § 5 Abs 3 FLAG 1967 vor und erfolgte die Auszahlung der Familienbeihilfe damit zu Unrecht. Ab November 2015 wurde für die Tochter weder Familienbeihilfe noch Kinderabsetzbetrag ausbezahlt.
Nach § 26 Abs 1 FLAG 1967 hat, wer die Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen. Dabei handelt es sich um eine objektive Rückzahlungsverpflichtung, welche unabhängig von einem allfälligen Verschulden an der falschen Auszahlung besteht (vgl dazu Wanke in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG 2, § 26 Rz 12ff).
Nachdem im vorliegenden Fall ein Ausgleich mit in der Schweiz geschuldeten Leistungen (auf Grund des Doppelbezuges und der Einbehaltung der Schweizer Leistungen) nicht möglich ist, bleibt in letzter Konsequenz somit nur mehr die Rückforderung der von Österreich bezahlten, jedoch nicht geschuldeten Leistungen.
Dabei ist - entsprechend der obigen Ausführungen - eine Rückforderung für die Monate April und Mai 2015 für beide Kinder und November und Dezember 2015 für den Sohn vorzunehmen. Für die Monate Juni und Juli 2015, in welchen Österreich jedenfalls vorrangig zuständig war und das Finanzamt eine Rückforderung nur für die Tochter vorgeschrieben hat, ist dieser Teil des Sammelbescheides mangels Vorliegens des Ausschlussgrundes des § 5 Abs 3 FLAG 1967 ersatzlos aufzuheben. Ab August 2015 lag dieser Ausschlussgrund jedoch vor und erfolgte die Rückforderung zu Recht.
Auf Grund der Tatsache, dass in den Monaten August bis Oktober 2015 ein Anspruch auf Familienbeihilfe nur mehr für ein Kind bestanden hat, wäre beim Sohn auch der Erhöhungsbetrag nach § 8 Abs 3 Z 1 lit a FLAG 1967 rückzufordern. Dieser Erhöhungsbetrag betrifft, im Gegensatz zur früheren, bis gültigen Rechtslage, nach der sich der Gesamtbetrag an Familienbeihilfe bei zwei oder mehreren Kindern erhöhte, die individuell für ein Kind zustehende Familienbeihilfe. Bei "Wegfall" des zweiten Kindes wäre daher der in den entsprechenden Monaten auf den Erhöhungsbetrag entfallende Anteil für das andere Kind zurückzufordern. Da das Finanzamt die Rückforderung betreffend den Sohn allerdings im Spruch des bekämpften Bescheides auf die Monate April, Mai, November und Dezember 2015 beschränkt hat, kann im Zuge dieses Erkenntnisses eine erstmalige Festsetzung von Rückforderungsbeträgen für das Kind [Kind2] für die Monate August bis Oktober 2015 nicht erfolgen.
Erläuternd anzumerken ist, dass nach Art 90 VO(EG) 987/2009 als Wechselkurs zweier Währungen der von der Europäischen Zentralbank veröffentlichte Referenzwechselkurs gilt und nach dem , im Zusammenhang mit Familienleistungen für die Umrechnung von Währungen jener Tag relevant ist, an dem der zuständige Träger des Beschäftigungsstaates, der vorrangig für die Zahlung der fraglichen Familienleistung verantwortlich ist (oder wäre), die Zahlung vornimmt (oder vorgenommen hätte).
Im vorliegenden Fall hat das Bundesfinanzgericht somit die jeweils am 1. des entsprechenden Monats veröffentlichten Referenzwechselkurs zur Berechnung des Unterschiedsbetrages herangezogen.
Obige Ausführungen gelten auch für den nach § 33 Abs 3 EStG 1988 ausbezahlten Kinderabsetzbetrag.
Unter Berücksichtigung der von Österreich zu leistenden Differenzzahlungen ergeben sich somit die in der Beilage dargestellten Rückforderungsbeträge.
Es war daher wie im Spruch ausgeführt zu entscheiden.
Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Das Bundesfinanzgericht hat sich bei der gegenständlichen Entscheidung an der vorhandenen Rechtsprechung (vgl die oben angeführten Judikate) orientiert und ist von dieser nicht abgewichen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung war daher nicht zu lösen, weshalb die (ordentliche) Revision nicht zuzulassen war.
Innsbruck, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 8 Abs. 3 Z 1 lit. a FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 2 Abs. 1 lit. a FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 2 Abs. 3 lit. c FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 Art. 1 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1 Art. 2 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1 Art. 3 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1 Art. 11 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1 Art. 13 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1 Art. 67 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1 Art. 59 VO 987/2009, ABl. Nr. L 284 vom S. 1 Art. 68 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1 § 33 Abs. 3 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 § 5 Abs. 3 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 26 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2020:RV.3100992.2016 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at