Neuer Lohnzettel ist für sich allein kein Wiederaufnahmegrund
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter ***R*** in der Beschwerdesache ***Bf.***, ***X***, über die Beschwerden vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Graz-Umgebung vom , betreffend Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer für die Jahre 2014 und 2015 sowie Einkommensteuer für die Jahre 2014 und 2015,
1. zu Recht erkannt:
Den Beschwerden gegen die Bescheide, betreffend Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer für die Jahre 2014 und 2015, wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Die angefochtenen Bescheide werden ersatzlos aufgehoben.
2. beschlossen:
Die Beschwerden gegen die Einkommensteuerbescheide 2014 und 2015 werden als gegenstandslos erklärt.
Gegen dieses Erkenntnis bzw. diesen Beschluss ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 bzw. Art. 133 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 9 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
Das Finanzamt hat die Bescheide, betreffend Wiederaufnahme der Verfahren gemäß § 303 Abs. 1 BAO hinsichtlich Einkommensteuer für die Jahre 2014 und 2015, wie folgt begründet:
"Wir haben das Verfahren nach § 303 (1) Bundesabgabenordnung wiederaufgenommen, da es nachträglich eine oder mehrere der folgenden Änderungen gegeben hat:
Ein Lohnzettel wurde berichtigt oder neu übermittelt
Eine Mitteilung über progressionswirksame Transferleistungen wie Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe wurde berichtigt oder neu übermittelt
Die nähere Begründung finden Sie im neu erlassenen Einkommensteuerbescheid."
Die nach der Wiederaufnahme der Verfahren ergangenen Einkommensteuerbescheide 2014 und 2015 enthalten folgende Begründung:
"Wir haben nachträglich Informationen zu Lohnzettelangaben oder Transferleistungen wie Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe erhalten. Die Beträge finden Sie in der Aufstellung.
Topf-Sonderausgaben z.B. für Wohnraumschaffung und -sanierung sowie Beiträge für bestimmte Versicherungen können wir nur zu einem Viertel berücksichtigen. Liegt der Gesamtbetrag Ihrer Einkünfte über 36.400 Euro verringert sich der Betrag weiter. Dafür verwenden wir die oben angeführte Formel.
Die Aufwendungen für außergewöhnliche Belastungen haben wir nicht berücksichtigt. Der Grund: Die Aufwendungen sind niedriger als der für Sie gültige Selbstbehalt in Höhe von 5.990,59 Euro (2014) bzw. 6.105,86 Euro (2015)."
Auf Seite 4 der nach der Wiederaufnahme der Verfahren ergangenen Einkommensteuerbescheide 2014 und 2015 finden sich ua. folgende Lohnzetteldaten:
2014
"Bundesministerium Landesverteidigung bis
Beträge inEUR
Bruttobezüge (210) 2.618,86
Steuerpflichtige Bezüge (245) 2.618,86
Die Bezüge waren gemäß § 84 bzw. § 3 Abs. 2 EStG 1988 von den bezugs-, pensionsauszahlenden Stellen dem Finanzamt zu melden."
2015
"Bundesministerium Landesverteidigung bis
Beträge inEUR
Bruttobezüge (210) 2.807,67
Steuerpflichtige Bezüge (245) 2.807,67
Die Bezüge waren gemäß § 84 bzw. § 3 Abs. 2 EStG 1988 von den bezugs-, pensionsauszahlenden Stellen dem Finanzamt zu melden."
Gegen die Wiederaufnahmebescheide 2014 und 2015 sowie gegen die Einkommensteuerbescheide 2014 und 2015 hat der Beschwerdeführer (Bf.), ein pensionierter Offizier des Österreichischen Bundesheeres, mit jeweils gesonderten Schriftsätzen vom ua. mit nachstehender Begründung Beschwerde erhoben:
"Ich erhebe Beschwerde gegen den Bescheid über die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 2014 bzw. 2015 sowie gegen den Einkommensteuerbescheid 2014 bzw. 2015 vom .
Begründung:
Es liegen keine Gründe für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vor. Im o.a. Zeitraum habe ich keine zusätzlichen Bezüge oder Sachbezüge erhalten.
Die im Einkommensteuerbescheid angeführten Bezüge von € 2,618,86 (2014) bzw. € 2,807,67 (2015) wurden weder angewiesen noch ausbezahlt."
Die übrigen Beschwerdeausführungen beziehen sich auf die seit seiner Ruhestandsversetzung mit als "normaler" Mieter weiterhin genutzte Wohnung. Gegen die nicht nachvollziehbare Berechnung des Sachbezugswertes erhebe er jedenfalls Einwände, da einerseits detaillierte Berechnungsgrundlagen fehlten und andererseits offensichtlich Abschläge für das Alter der Wohnung und die Lage an einer Straße, in der Überflugschneise des Flughafens Graz und die Nähe zur Autobahn wohl nicht durch entsprechende Abschläge berücksichtigt worden seien.
Das Finanzamt hat die Beschwerden gegen die Einkommensteuerbescheide 2014 und 2015 mit nachstehender Begründung als unbegründet abgewiesen:
"Der Arbeitgeber stellte Ihnen im Beschwerdezeitraum eine Wohnung zur privaten Nutzung zur Verfügung.
Die Wohnungen wurden vom Arbeitgeber von gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaften angemietet und vom Bund wurden hiefür entsprechende Mietzinsvorauszahlungen in erheblicher Höhe geleistet. Der Arbeitgeber ist langfristige vertragliche Bindungen mit dem strategischen Ziel eingegangen, den Bediensteten leistbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Die für die Berechnung des Sachbezugs maßgeblichen Daten wurden der vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Wohnungsdatenbank entnommen. Objektbezogene Mietzinsbeschränkungen konnten keine festgestellt werden. Sie haben eine Grundvergütung (Miete) an den Arbeitgeber geleistet. Die Betriebskosten und Heizkosten wurden ebenso von Ihnen getragen.
§ 15 Abs. 2 EStG 1988 in der jeweils geltenden Fassung zählt zu den geldwerten Vorteilen demonstrativ und ausdrücklich "die Wohnung, Heizung, Beleuchtung, Kleidung, Kost, Waren, Überlassung von Kraftfahrzeugen zur Privatnutzung und sonstige Sachbezüge."
Die Bewertung bestimmter Sachbezüge wird durch die hierzu ergangene SachbezugswerteVO idF BGBl II 468/2008 geregelt, wie insbesondere im Anlassfall die Wohnraumbewertung iSd § 2 SachbezugswerteVO (vgl. Lenneis in Jakom EStG, 2018, § 15 Rz 8).
Das heißt, sofern die SachbezugswerteVO keine Aussagen trifft, sind geldwerte Vorteile mit den üblichen Mittelpreisen des Verbrauchsortes anzusetzen wie dies in § 15 Abs. 2 gesetzlich verankert wurde. Im Beschwerdefall geht es um die Wohnraumbewertung, die in § 2 SachbezugswerteVO idF BGBl II 468/2008 festgelegt ist (vgl. Lenneis in Jakom EStG, 12. Aufl. 2019, § 15, Rz 11). Für die Beurteilung des Vorliegens eines Sachbezuges aus der verbilligten Überlassung von Wohnraum ist daher ausschließlich die SachbezugswerteVO in der für den streitgegenständlichen Zeitraum jeweils geltenden Fassung maßgeblich.
Im Anlassfall wurde Wohnraum begünstigt an viele Dienstnehmer zur Verfügung gestellt, weshalb zu untersuchen war, ob dies einen geldwerten Vorteil darstellt. Die unentgeltliche Zurverfügungstellung einer Dienstwohnung stellt nur dann keinen Vorteil dar, wenn der AN sie ausschließlich im Interesse des AG in Anspruch nimmt und seine bisherige Wohnung beibehält [; ; ; ; , vgl. Brennsteiner/Wanke in Wiesner/Grabner/Knechtl/Wanke, EStG5, 15 (Stand , rdb.at), Anm 26]. Wird hingegen eine Wohnung zur Verfügung gestellt, die nach objektiven Kriterien als Mittelpunkt der Lebensinteressen verwendet werden kann, liegt ein steuerpflichtiger Sachbezug auch dann vor, wenn die eigene Wohnung beibehalten wird [, vgl. Brennsteiner/Wanke in Wiesner/Grabner/Knechtl/Wanke, EStG § 15 (Stand 1.10,2018, rdb.at), Anm 26].
Der Arbeitgeber hat Wohnungsdatenbanken zur Verfügung gestellt, welche die Grundlage für die Ermittlung der Sachbezugswerte bildete. Die Höhe des Sachbezuges wurde nach § 2 der Sachbezugswerte-Verordnung in der jeweils anzuwendenden Fassung durch eine Gegenüberstellung zwischen den Berechnungen nach der Richtwertmethode und der Vergleichswertmethode ermittelt. Der sich daraus ergebende günstigere Wert wurde als Sachbezug herangezogen.
Die von Ihnen an den Arbeitgeber bezahlte Grundvergütung (Miete) wurde dem ermittelten Sachbezugswert als Kostenbeitrag gegengerechnet. Ferner führten die selbst bezahlten Betriebskosten ebenfalls zu einer Verminderung des Sachbezugswertes. Der sich daraus ergebende geldwerte Vorteil für die verbilligte Nutzung der Wohnung (Sachbezug) unterliegt im Rahmen der Veranlagung der Einkommensteuer.
Die Beschwerde wird aufgrund der vorstehenden rechtlichen Ausführungen als unbegründet abgewiesen."
Dagegen hat der Bf. den Antrag auf Entscheidung über die Bescheidbeschwerden durch das Bundesfinanzgericht gestellt und diesen im Wesentlichen damit begründet, dass ihm mit der Ruhestandsversetzung die verbilligte Naturalwohnung entzogen und die "weiterbelassene" Wohnung mit der 100%-igen Zahlung der Miete/Grundvergütung belegt worden sei.
Über die Beschwerden wurde erwogen:
1) Bescheide betreffend Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer für die Jahre 2014 und 2015
Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Die Wiederaufnahmegründe sind in der Begründung anzuführen. Dies ist nicht zuletzt deshalb notwendig, weil nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sich die Rechtsmittelbehörde bei der Erledigung des gegen die Verfügung der Wiederaufnahme gerichteten Rechtsmittels auf keine neuen Wiederaufnahmegründe stützen kann. Sie habe lediglich zu beurteilen, ob die von der Abgabenbehörde angeführten Gründe eine Wiederaufnahme rechtfertigen.
Die fehlende Angabe der Wiederaufnahmegründe in der Begründung des mit Beschwerde angefochtenen Bescheides ist auch in der Beschwerdevorentscheidung nicht "nachholbar", Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass die für Beschwerdevorentscheidungen bestehende Änderungsbefugnis (§ 263 Abs. 1) ident ist mit jener für Erkenntnisse (§ 279 Abs. 3). Weiters ist im Beschwerdeverfahren über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides (und nicht über jene der Beschwerdevorentscheidung) zu entscheiden (vgl. Ritz, Bundesabgabenordnung, Wien 2017, § 307, Tz 3 und die dort zitierte Judikatur und Literatur).
Unter Bedachtnahme auf die dargestellte Rechtslage war den Beschwerden aus nachstehenden Erwägungen ein Erfolg beschieden:
In beiden Bescheiden vom findet sich, völlig gleichlautend, folgender Text als Begründung:
"Wir haben das Verfahren nach § 303 (1) Bundesabgabenordnung wiederaufgenommen, da es nachträglich eine oder mehrere der folgenden Änderungen gegeben hat:
Ein Lohnzettel wurde berichtigt oder neu übermittelt
Eine Mitteilung über progressionswirksame Transferleistungen wie Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe wurde berichtigt oder neu übermittelt
Die nähere Begründung finden Sie im neu erlassenen Einkommensteuerbescheid."
Die nach der Wiederaufnahme der Verfahren ergangenen Einkommensteuerbescheide 2014 und 2015 enthalten folgende Begründung:
"Wir haben nachträglich Informationen zu Lohnzettelangaben oder Transferleistungen wie Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe erhalten. Die Beträge finden Sie in der Aufstellung.
Topf-Sonderausgaben z.B. für Wohnraumschaffung und -sanierung sowie Beiträge für bestimmte Versicherungen können wir nur zu einem Viertel berücksichtigen. Liegt der Gesamtbetrag Ihrer Einkünfte über 36.400 Euro verringert sich der Betrag weiter. Dafür verwenden wir die oben angeführte Formel.
Die Aufwendungen für außergewöhnliche Belastungen haben wir nicht berücksichtigt. Der Grund: Die Aufwendungen sind niedriger als der für Sie gültige Selbstbehalt in Höhe von 5.990,59 Euro (2014) bzw. 6.105,86 Euro (2015)."
Des Weiteren findet sich, jeweils auf Seite 4, die Textierung;
"2014
"Bundesministerium Landesverteidigung bis
Beträge inEUR
Bruttobezüge (210) 2.618,86
Steuerpflichtige Bezüge (245) 2.618,86
Die Bezüge waren gemäß § 84 bzw. § 3 Abs. 2 EStG 1988 von den bezugs-, pensionsauszahlenden Stellen dem Finanzamt zu melden."
2015
"Bundesministerium Landesverteidigung bis
Beträge inEUR
Bruttobezüge (210) 2.807,67
Steuerpflichtige Bezüge (245) 2.807,67
Die Bezüge waren gemäß § 84 bzw. § 3 Abs. 2 EStG 1988 von den bezugs-, pensionsauszahlenden Stellen dem Finanzamt zu melden."
Es besteht für das Bundesfinanzgericht wohl kein Zweifel, dass das Finanzamt mit der in den Wiederaufnahmebescheiden angeführten "Begründung" keinesfalls dem zwingenden Erfordernis der Angabe des konkreten Wiederaufnahmegrundes nachgekommen ist. Denn durch die Wortfolge "Ein Lohnzettel wurde berichtigt oder neu übermittelt" ist für den Bf. als Bescheidadressaten nicht erkennbar, ob ein berichtigter oder ein neuer Lohnzettel Grund für die Wiederaufnahme war. Außerdem führt die "Begründung" als weitere Möglichkeit eines Wiederaufnahmegrundes eine berichtigte oder neu übermittelte Mitteilung über progressionswirksame Transferleistungen wie Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe an. Auch damit lässt die "Begründung" die für die Rechtmäßigkeit der Wiederaufnahme notwendige Bestimmtheit des Wiederaufnahmegrundes vermissen.
Auch wenn im letzten Satz der "Begründung" zur näheren Begründung auf die Begründung des im wiederaufgenommenen Verfahren neu erlassenen Einkommensteuerbescheides verwiesen wird, kann die Mangelhaftigkeit der Begründung nicht beseitigt werden. Denn dort findet sich in der Begründung diesbezüglich nur folgende Textierung:
"Wir haben nachträglich Informationen zu Lohnzettelangaben oder Transferleistungen wie Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe erhalten. Die Beträge finden Sie in der Aufstellung."
Dort finden sich bezüglich des Lohnzettels "Bundesministerium Landesverteidigung" für den Bezugszeitraum 1. Jänner bis bzw. 1. Jänner bis lediglich die Beträge der entsprechenden Bruttobezüge (210) und steuerpflichtigen Bezüge (245), mit dem Hinweis, dass diese gemäß § 84 bzw. § 3 Abs. 2 EStG 1988 von den bezugs-, pensionsauszahlenden Stellen dem Finanzamt zu melden waren. Dass auch mit diesen Ausführungen für den Bf. nicht erkennbar ist, welchen konkreten Wiederaufnahmegrund das Finanzamt den angefochtenen Bescheiden zugrunde gelegt hat, bedarf wohl keiner weiteren Ausführungen.
Im Übrigen mangelt es auch an einer Begründung für die Änderung der Lohnzetteldaten.
In diesem Zusammenhang ist auch auf Ritz, Rechtsschutz bei Begründungsmängeln - Welche Mängel sind nicht sanierbar? In SWK 12/2019, 602 zu verweisen.
Darin bringt der Autor als Beispiel aus der Praxis der Finanzämter als "Begründung" einer Wiederaufnahme eines Einkommensteuerverfahrens von Amts wegen den im Wesentlichen gleichlautenden Text, wie er sich in den angefochtenen Bescheiden findet, und führt dazu aus:
"Wann welche Umstände im betreffenden Abgabenverfahren dem Finanzamt erst nachträglich bekannt wurden, verschweigt die Begründung. Sie ist überdies irreführend, wenn dort von "war […] wiederaufzunehmen" die Rede ist. Die Verfügung von Wiederaufnahmen liegt nämlich im Ermessen; die Ermessensübung ist zu begründen.
Der Bescheidadressat erfährt somit nicht,
ob ein neuer oder ein berichtigter Lohnzettel Grund für die Wiederaufnahme ist,
welcher Arbeitgeber gemeint ist,
ob Transferleistungen (und wenn ja, welche) oder deren Änderung nachträglich bekannt wurden,
wann die maßgebenden Umstände dem Finanzamt bekannt wurden, oder
die für die Ermessensübung bedeutsamen Umstände und Überlegungen.
3. Rechtsschutz gegen solche "Begründungen"
Dass eine solche Standardbegründung (Multiple Choice) keine Begründung iSd. § 93 Abs. 3 lit. a BAO ist, steht außer Zweifel."
Unter 4.1. Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 303 BAO) führt Ritz weiter aus:
"In der Begründung der Verfügung der Wiederaufnahme eines Verfahrens sind die Wiederaufnahmegründe anzuführen. Die fehlende Angabe der Wiederaufnahmegründe ist im Rechtsmittelverfahren nicht "nachholbar", dies auch nicht in einer Beschwerdevorentscheidung.
Bei einer amtswegigen Wiederaufnahme wird die Identität der "Sache" iSd. § 263 Abs. 1 und § 279 Abs. 1 BAO, über die im angefochtenen Bescheid abgesprochen wurde, durch den Tatsachenkomplex begrenzt, der als neu hervorgekommen von der für die Wiederaufnahme zuständigen Behörde zur Unterstellung unter den von ihr gebrauchten Wiederaufnahmetatbestand herangezogen wurde.
Die Rechtsmittelbehörde kann sich bei der Erledigung gegen die Wiederaufnahme gerichteter Rechtsmittel auf keine neuen Wiederaufnahmegründe stützen. Sie hat lediglich zu beurteilen, ob die von der Abgabenbehörde angeführten Wiederaufnahmegründe eine Wiederaufnahme rechtfertigen, nicht jedoch, ob die Wiederaufnahme aus anderen Gründen zulässig wäre.
Hat das Finanzamt die Wiederaufnahme auf Umstände gestützt, die keinen Wiederaufnahmegrund darstellen, so ist der angefochtene Bescheid im Beschwerdeverfahren ersatzlos aufzuheben, was auch bereits durch Beschwerdevorentscheidung erfolgen kann.
Bei einer Beschwerde gegen eine Wiederaufnahme von Amts wegen ist die "Sache", über die das BFG gemäß § 279 Abs. 1 BAO zu entscheiden hat, nur die Wiederaufnahme aus den vom Finanzamt herangezogenen Gründen, also jene wesentlichen Sachverhaltselemente, die das Finanzamt als Wiederaufnahmegrund beurteilt hat. Liegt der vom Finanzamt angenommene Wiederaufnahmegrund nicht vor oder hat das Finanzamt die Wiederaufnahme auf keinen Wiederaufnahmegrund gestützt, so muss das BFG den angefochtenen Bescheid ersatzlos aufheben."
In diesem Zusammenhang ist auf das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , RV/2101157/2019, zu verweisen.
Das Bundesfinanzgericht hat dort ua. Nachstehendes ausgeführt:
"Ein zum Zeitpunkt des Ergehens des jeweiligen Erstbescheides noch nicht existenter (sondern erst später ausgefertigter) Lohnzettel ist kein neu hervorgekommenes Beweismittel im Sinne des § 303 BAO (nova reperta), sondern ein nachträglich entstandenes Beweismittel (nova producta), das für sich allein eine Wiederaufnahme nicht rechtfertigt (vgl. ; ; ; ; u.v.m.).
Nicht die Übermittlung neuer Lohnzettel als solche, sondern gegebenenfalls erst eine diesen Lohnzetteln zugrundeliegende Tatsache könnte eine Wiederaufnahme der Verfahren rechtfertigen.
Die Wiederaufnahmebescheide enthalten im Beschwerdefall aufgrund des alleinigen Verweises auf die berichtigten Lohnzettel (auch in Zusammenschau mit den Sachbescheiden) keine hinreichenden Wiederaufnahmegründe.
Liegt der vom Finanzamt angenommene Wiederaufnahmegrund nicht vor oder hat das Finanzamt die Wiederaufnahme tatsächlich auf keinen Wiederaufnahmegrund gestützt, muss das Bundesfinanzgericht den vor ihm bekämpften Wiederaufnahmebescheid des Finanzamtes ersatzlos beheben (vgl. zB oder ).
Die Wiederaufnahmebescheide sind daher ersatzlos aufzuheben."
In diesem Sinne hat das Bundesfinanzgericht auch im Erkenntnis vom , RV/2100811/2019 entschieden.
Somit waren die angefochtenen Wiederaufnahmebescheide ersatzlos aufzuheben.
2) Einkommensteuerbescheide 2014 und 2015
Durch die Aufhebung des die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheides tritt gemäß § 307 Abs. 3 BAO das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor seiner Wiederaufnahme befunden hat.
§ 261 Abs. 2 BAO lautet:
"Wird einer Bescheidbeschwerde gegen einen gemäß § 299 Abs. 1 oder § 300 Abs. 1 aufhebenden Bescheid oder gegen einen die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheid (§ 307 Abs. 1) entsprochen, so ist eine gegen den den aufgehobenen Bescheid ersetzenden Bescheid (§ 299 Abs. 2 bzw. § 300 Abs. 3) oder eine gegen die Sachentscheidung (§ 307 Abs. 1) gerichtete Bescheidbeschwerde mit Beschwerdevorentscheidung (§ 262) oder mit Beschluss (§ 278) als gegenstandslos zu erklären."
Wird der Wiederaufnahmsbescheid aufgehoben (insbesondere im Bescheidbeschwerdeverfahren), so tritt nach § 307 Abs. 3 das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor seiner Wiederaufnahme befunden hat. Durch die Aufhebung des Wiederaufnahmsbescheides scheidet somit ex lege der neue Sachbescheid aus dem Rechtsbestand aus, der alte Sachbescheid lebt wieder auf (vgl. Ritz, Bundesabgabenordnung, Kommentar, Wien 2017, § 307, Tz 8 und die dort zitierte Judikatur).
§ 261 Abs. 2 normiert die Gegenstandsloserklärung auch für Fälle, in denen nach bisheriger Rechtsauffassung Rechtsmittel als unzulässig geworden zurückzuweisen waren. Dies galt nach Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz (BAO3, § 299 Anm 25 idF vor 15. Ergänzungslieferung) für Berufungen gegen neue Sachbescheide, wenn der Berufung gegen den Wiederaufnahmebescheid stattgegeben wird, wodurch der neue Sachbescheid als Folge des § 307 Abs. 3 BAO aufgehoben ist.
Die Gegenstandsloserklärung der Bescheidbeschwerde liegt nicht im Ermessen. Sie hat (durch die Abgabenbehörde) mit Beschwerdevorentscheidung bzw. (durch das Verwaltungsgericht) mit Beschluss zu erfolgen. Solche Gegenstandsloserklärungen sind mit Vorlageantrag (§ 264) bzw. mit Revision beim Verwaltungsgerichtshof oder mit Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof anfechtbar (vgl. Ritz, Bundesabgabenordnung, Kommentar, Wien 2017, § 261, Tz 4 und 6 und die dort zitierte Literatur).
Somit waren die gegen die Einkommensteuerbescheide 2014 und 2015 gerichteten Bescheidbeschwerden vom mit Beschluss als gegenstandslos zu erklären.
Im Übrigen ist zu bemerken, dass selbst bei einer rechtmäßigen Wiederaufnahme der Verfahren die gegenständlichen Einkommensteuerbescheide 2014 und 2015 aus nachstehendem Grund mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet wären:
"Bei Vorliegen einer Berufung gegen den Wiederaufnahmebescheid und gegen den im wiederaufgenommenen Verfahren ergangenen Sachbescheid widerspricht es dem Gesetz, eine Berufung gegen die Wiederaufnahme unerledigt zu lassen und vorerst über die Berufung gegen den neuen Sachbescheid abzusprechen. Eine derartige Vorgangsweise würde die Entscheidung über die Berufung gegen den Sachbescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belasten (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2007/15/0041), was mit einem Rechtsbehelf gegen die Berufungsentscheidung geltend gemacht werden kann" ().
Das Finanzamt hat im gegenständlichen Fall lediglich die Beschwerden gegen die Einkommensteuerbescheide 2014 und 2015 mit Beschwerdevorentscheidungen vom erledigt; die Beschwerden gegen die Wiederaufnahmebescheide blieben unerledigt.
Zulässigkeit einer Revision
Gegen ein Erkenntnis bzw. einen Beschluss des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis bzw. der Beschluss von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. In den Beschwerden werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Da die Entscheidung betreffend die Zulässigkeit der Wiederaufnahme der Verfahren im Zusammenhang mit der Eignung des vom Finanzamt angenommenen Wiederaufnahmegrundes der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entspricht (vgl. insbesondere ) und sich die Verpflichtung zur beschlussmäßigen Gegenstandsloserklärung der gegen die Sachbescheide gerichteten Beschwerden unmittelbar aus § 261 Abs. 2 BAO ergibt, ist die Revision nicht zulässig.
Es war daher wie im Spruch ersichtlich zu entscheiden.
Graz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 303 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 307 Abs. 3 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 261 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
Zitiert/besprochen in | Fröhlich/Aigner in BFGjournal 2021, 179 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2020:RV.2100646.2020 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at