Ist ein nicht rechtskräftig abgeschlossenes Verwaltungsstrafverfahren wiederaufnehmbar?
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RV/7500334/2020-RS1 | Ein nicht rechtskräftig abgeschlossenes Verwaltungsstrafverfahren darf nicht wiederaufgenommen werden. |
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Verwaltungsstrafsache gegen ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom , eingebracht mit Mail vom , gegen den Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom , zugestellt am , Geschäftszahl MA67/196700139479/2019, zu Recht erkannt:
I. Gemäß § 50 VwGVG wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
II. Gemäß Art 133 Abs 6 Z 1 B-VG iVm § 25a Abs 4 VwGG ist eine ordentliche Revision der Beschwerde führenden Partei und der belangten Behörde nicht zulässig.
III. Gemäß Art 133 Abs 4 B-VG iVm § 25a Abs 4 VwGG ist eine außerordentliche Revision der Beschwerde führenden Partei nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
A. Im Straferkenntnis vom warf der Magistrat der Stadt Wien dem Beschwerdeführer (Bf.) vor, er habe die Parkometerabgabe dadurch fahrlässig verkürzt, dass er das mehrspurige Fahrzeug mit dem im Straferkenntnis näher bezeichneten behördlichen Kennzeichen am um 18:14 Uhr in einer gebührenpflichtigen Kurzparkzone abgestellt habe, ohne für seine Kennzeichnung mit einem richtig entwerteten Parkschein gesorgt zu haben. Über den Bf. wurde eine Geldstrafe in Höhe von EUR 60,00 und falls die Geldstrafe uneinbringlich ist, ein 14-stündige Ersatzfreiheitsstrafe verhängt. Gleichzeitig wurden Verfahrenskosten in Höhe von EUR 10,00 festgesetzt.
Das Straferkenntnis wurde am zugestellt, war innerhalb von vier Wochen ab Zustellung mit Beschwerde anfechtbar und wurde mit der am an den Magistrat der Stadt Wien gemailten Beschwerde vom angefochten.
Diese Beschwerde wurde mit der Beschwerdevorentscheidung vom als verspätet zurückgewiesen. Die Beschwerdevorentscheidung war an die Wohnadresse des Bf. adressiert. Sie wurde als RSb - Brief an den Bf. versandt und lt. Übernahmebestätigung am vom Bf. übernommen, war innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung anfechtbar und wurde nicht angefochten.
B. In dem am an den Magistrat der Stadt Wien gemailten Schreiben vom beantragte der Bf. die Verfahrenswiederaufnahme und die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens wegen "vorsätzlich falscher Strafanzeigeerstattung" (© Bf.) und Überbelastung des Bf. durch die Beschwerdevorentscheidung vom , verrechnete EUR 88,00 als "mutwilligen Arbeitsaufwand" (© Bf.) und forderte den Magistrat der Stadt Wien auf, diesen Betrag binnen einer nicht verlängerbaren Frist von 14 Tagen auf sein Konto zu überweisen.
Die Ausführungen in dem 26 Seiten umfassenden Schreiben sinngemäß zusammengefasst, brachte der Bf. vor, er habe im von 1991 bis dauernden Strafverfahren nachweisen können, dass Organwalter der Republik Österreich Straftäter seien, dass die Republik Österreich in drei Verfahren wegen Verfassungsbruch in Straßburg rechtskräftig verurteilt worden sei, dass die Finanzprokuratur dem Bf. zugesprochene Kosten nicht bezahle, weshalb lt. Schreiben der Bundespräsidentschaftskanzlei vom ein Schaden in Höhe von EUR 63.609.320,00 entstanden sei. Die Republik Österreich höhle die Unternehmen des Bf. vorsätzlich finanziell aus und erstatte vorsätzlich falsche Strafanzeigen, weshalb ein doppelter Betrugstatbestand vorliege. Der Meldungsleger ignoriere Verkehrszeichen und eine Ladezone. Da der Magistrat der Stadt Wien das Verwaltungsstrafverfahren hätte einstellen müssen und nicht eingestellt habe, seien die Ausgaben des Bf. gegenzuverrechnen. Davon abgesehen sei der Bescheid an die Firmenadresse und nicht an die Wohnadresse des Bf. zugestellt worden. Auf den Bf. sei illegal dadurch Druck ausgeübt worden, dass sich Beamte und Behörden auf ihren Diensteid berufen und den Bf. inhaftiert haben, um zu verhindern, dass er sich in Straßburg äußert, was durch das Schreiben des Bundesministeriums für Justiz vom nachweisbar sei. Das Verwaltungsstrafverfahren sei wiederaufzunehmen, da die Behörde 1.) den Bf. überbelastet und dadurch verhindert habe, dass er Fristen einhalte, 2.) das Verfahren nicht einstelle, 3.) vorsätzlich gegen Gesetze und Normen verstoße, 4.) "mit Scheinbegründungen bereit war, falsche Strafverfügungen bedenkenlos auszustellen" (© Bf.) und 5.) ein "schwerer Betrugstatbestand" (© Bf.) vorliege.
C. Der Verfahrenswiederaufnahmeantrag wurde mit Bescheid vom abgewiesen. Dieser Bescheid war an die Wohnadresse des Bf. adressiert, wurde als RSb - Brief an den Bf. versandt und lt. Übernahmebestätigung am zugestellt, war innerhalb von vier Wochen ab Zustellung mit Beschwerde anfechtbar und wurde mit der am an den Magistrat der Stadt Wien gemailten Beschwerde vom angefochten.
D. Die Ausführungen in der 77 Seiten umfassenden Beschwerde vom sinngemäß zusammengefasst, brachte der Bf. vor:
Die Berufungsbehörde habe das erstinstanzliche Parteienvorbringen ignoriert. Sie hätte das Verwaltungsstrafverfahren nicht einleiten dürfen, wenn sie sich rechtmäßig verhalten hätte. Sie habe sich nicht mit der vorsätzlichen Überbelastung des Bf. auseinandergesetzt. Dass die Republik dreifach international verurteilt worden sei, sei ihr als Vorstrafe zwingend anzulasten. Die Verfahrenswiederaufnahme sei rechtens, da strafrechtlich relevante Tatsachen nach einer OGH-Entscheidung aus dem Jahr 2012 bis zu 60 Jahren gespeichert werden. Über die Kosten des Bf. sei nicht entschieden worden. Der Bf. habe Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Wien wegen Betrug und systembedingt illegalem Vorgehen erstattet. Die Behörde bereichere sich, wenn sie die Ausgaben des Bf. (für das Verwaltungsstrafverfahren und die Anzeige) nicht zahle. Die Staatsanwaltschaft Wien weigere sich, Morde zu untersuchen, was aus einem Akt ersichtlich sei, der herbeizuschaffen und zwingend einzusehen sei. Das Verfahren sei wiederaufzunehmen, da erst durch ein jetzt aufgenommenes Foto nachweisbar sei, dass sich Meldungsleger und Beamte vorsätzlich falsch verhalten hätten. Der die Ladezone betreffende Verwaltungsakt sei dem Bf. vorsätzlich vorenthalten worden. Die Bescheidbegründung sei mangelhaft, da die Behörde den Sachverhalt nicht festgestellt habe, die Eingaben des Bf. ignoriere, nicht detailliert begründe, warum sie seinem Vorbringen nicht folge, nicht sachverhaltsbezogen begründe, die Norm nicht begründe und nicht darstelle, wie sie Beweise würdige.
Abschließend beantragt der Bf., 1.) das Ermittlungsverfahren ergänzen zu lassen oder selbst zu ergänzen, 2.) den angefochtenen Bescheid wegen der behaupteten Sachverhaltsmängel zu beheben und die Verwaltungsstrafsache an die Behörde erster Instanz zurück zu verweisen, 3.) eine mündliche Verhandlung mit unmittelbarer Beweisaufnahme durchzuführen, 4.) den Meldungsleger und zwei namentlich genannte Beamte vorzuladen und zu vernehmen, 5.) den angefochtenen Bescheid aufzuheben und in der Sache zu entscheiden sowie 6.) die bereits geltend gemachten Kosten und weitere Kosten in Höhe von EUR 88,00 zuzuerkennen.
E. Der Beschwerde war auch die Sachverhaltsdarstellung des Bf. an die Staatsanwaltschaft Wien vom beigelegt, worin das vom Bf. angefertigte Foto der Ladezone vom als Beweismittel angeführt wird.
F. Mit Beschluss vom , Geschäftszahl RV/7500713/2019, sprach das Bundesfinanzgericht aus, dass die derzeit vom Magistrat der Stadt Wien verwendete Amtssignatur nicht alle Daten eines Genehmigungsberechtigten und des die Genehmigungsberechtigung Erteilenden enthält, die deren eindeutige Identifizierung ermöglicht. Alle mit dieser Amtssignatur unterfertigten Erledigungen seien absolut nichtige Verwaltungsakte.
Diesen Beschluss hob der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) mit seiner Entscheidung , als inhaltlich rechtswidrig auf und verwies begründend auf die Entscheidung . Die derzeit vom Magistrat der Stadt Wien verwendete Amtssignatur bewirkt daher nicht, dass mit ihr unterfertigte Erledigungen absolut nichtige Verwaltungsakte sind.
Über die Beschwerde wurde erwogen:
1. Da der Verwaltungsgerichtshof den Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom , RV/7500713/2019, als inhaltlich rechtswidrig aufgehoben hat, ist über die Beschwerde vom im jetzt fortgesetzten Beschwerdeverfahren zu entscheiden.
Die am eingebrachte Beschwerde vom richtet sich gegen den am zugestellten und innerhalb von vier Wochen ab Zustellung anfechtbaren Bescheid vom : Da die vierwöchige Beschwerdefrist am endet, hat der Bf. die Beschwerde innerhalb offener Beschwerdefrist eingebracht und da er sie auch formgerecht eingebracht hat, ist über die Beschwerde "in der Sache" zu entscheiden.
2. Entscheidung in der Sache:
2.1. Beschwerdegegenstand und Beschwerdepunkte:
Mit dem jetzt angefochtenen Bescheid vom hat der Magistrat der Stadt Wien den Wiederaufnahmeantrag vom abgewiesen: Deshalb ist strittig, ob das Verwaltungsstrafverfahren mit der im Spruch dieser Entscheidung angeführten Geschäftszahl wiederaufzunehmen ist oder nicht.
2.2. Rechtslage:
Gemäß § 69 Abs 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens nur dann stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und einer der in Ziffer 1 bis 4 aufgezählten Wiederaufnahmegründe vorliegt. Gemäß § 69 Abs 2 AVG ist der Antrag auf Wiederaufnahme binnen zwei Wochen ab Kenntnis des Wiederaufnahmegrundes bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat.
2.3. Sach- und Beweislage:
Auf die Rechtslage in Pkt. 2.2. bezogen ist der Entscheidung folgende Sach- und Beweislage zugrunde zu legen:
2.3.1. Der Bf. hat den mit datierten Verfahrenswiederaufnahmeantrag am an den Magistrat der Stadt Wien gemailt: Er hat daher den Verfahrenswiederaufnahmeantrag am eingebracht.
2.3.2. Der Bf. hat die Verfahrenswiederaufnahme beantragt, da der Magistrat der Stadt Wien die Beschwerde vom gegen das Straferkenntnis vom mit der Beschwerdevorentscheidung vom als verspätet zurückgewiesen hat.
2.3.3. Die Beschwerdevorentscheidung ist nachweislich am Dienstag, den , zugestellt worden. Die Rechtsmittelfrist hat zwei Wochen ab Zustellung betragen, weshalb sie am Dienstag, den , geendet hat.
2.4. Rechtliche Würdigung und Entscheidung:
Da die Rechtsmittelfrist gegen die Beschwerdevorentscheidung am endet und der Bf. seinen Verfahrenswiederaufnahmeantrag am eingebracht hat, hat er den Verfahrenswiederaufnahmeantrag innerhalb offener Rechtsmittelfrist gegen die Beschwerdevorentscheidung gestellt.
Welche Rechtsfolge eintritt, wenn ein Verfahrenswiederaufnahmeantrag innerhalb einer noch offenen Rechtsmittelfrist gestellt wird, hat der Gesetzgeber in § 69 Abs 1 AVG bestimmt: Er verbietet in derartigen Fällen, dem Verfahrenswiederaufnahmeantrag stattzugeben. Der Magistrat der Stadt Wien hat daher gesetzmäßig entschieden, als er den Verfahrenswiederaufnahmeantrag abgewiesen hat.
Die Beschwerdebegehren - Entscheidungen des Magistrats der Stadt Wien aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen - sind daher abzuweisen und werden mit dieser Entscheidung abgewiesen.
2.5. Entscheidung über die Beweisanträge:
Ist ein Verfahrenswiederaufnahmeantrag abzuweisen, weil er innerhalb einer offenen Rechtsmittelfrist gestellt worden ist, sind alle die behaupteten Wiederaufnahmegründe betreffenden Sach- und Beweislagen nicht entscheidungsrelevant. Alle die behaupteten Wiederaufnahmegründe betreffenden Beweisanträge werden daher als unerheblich abgewiesen.
2.6. Entscheidung über den Beweisantrag, einen bestimmten Akt der Staatsanwaltschaft Wien über eingestellte Mordermittlungen herbeizuschaffen und ihn einzusehen:
Der Beweisantrag wird als nicht zulässiges Beweisanbot abgewiesen, da in einem die Parkometerabgabe betreffenden Verwaltungsstrafverfahren nicht entscheidungsrelevant ist, ob Mordermittlungen eingestellt oder nicht eingestellt worden sind (vgl. ; , 91/14/0232; , 99/15/0148; , 2003/17/0084).
2.7. Entscheidung über den Kostenerstattungsantrag:
Den Abgabenvorschriften in Verwaltungsstrafverfahren ist nicht zu entnehmen, dass Verfahrensparteien einen Rechtsanspruch auf Kostenerstattung haben. Alle Kostenerstattungsanträge werden daher zurückgewiesen.
2.8. Entscheidung über die beantragte mündliche Verhandlung:
Das Bundesfinanzgericht sieht gemäß § 44 Abs 3 Z 3 VwGVG davon ab, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, da nicht über eine Verwaltungsübertretung, sondern über einen Verfahrenswiederaufnahmeantrag zu entscheiden ist.
3. Revision:
Gemäß § 25a Abs 4 VwGG iVm Art 133 Abs 6 Z 1 B-VG sind Revisionen wegen Verletzung von subjektiven Rechten nicht zulässig, wenn in einer Verwaltungsstrafsache eine Geldstrafe in Höhe von bis zu EUR 750,00 und keine Freiheitsstrafe verhängt werden durfte und im Straferkenntnis eine Geldstrafe in Höhe von bis zu EUR 400,00 verhängt wurde. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Die ordentliche Revision und die außerordentliche Revision der Beschwerde führenden Partei sind daher nicht zulässig.
Die Frage, welche Voraussetzungen vorliegen müssen, damit ein Verwaltungsstrafverfahren wiederaufgenommen werden darf, wird vom Gesetz beantwortet. Die ordentliche Revision der belangten Behörde ist daher nicht zulässig.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Verwaltungsstrafsachen Wien |
betroffene Normen | § 69 Abs. 1 AVG, Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51/1991 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2020:RV.7500334.2020 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at