Erhöhte Familienbeihilfe - Behinderung nach dem 21. Lebensjahr eingetreten
Revision beim VwGH anhängig zur Zahl Ra 2020/16/0094. Zurückweisung mit Beschluss vom .
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Wolfgang Pavlik über die Beschwerde des Bf, Wien, vertreten durch VertretungsNetz - Erwachsenenvertretung, Patientenanwaltschaft, Bewohnervertretung, Favoritenstraße 111/5.OG/14, 1100 Wien, vom , gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 12/13/14 Purkersdorf vom , betreffend Abweisung des Antrages auf Familienbeihilfe samt Erhöhungsbetrag ab April 2019, zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Der Beschwerdeführer (Bf), geb. 1989, vertreten durch einen gerichtlichen Erwachsenenvertreter, stellte am einen Eigenantrag auf Gewährung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages wegen Paranoider Schizophrenie ab dem Zeitpunkt des Eintrittes der erheblichen Behinderung, den die/der medizinische Sachverständige feststellt, im Höchstausmaß von rückwirkend fünf Jahren ab Antragstellung.
Der Bf wurde auf Grund seines Antrages im Sozialministeriumservice untersucht () und von der Sachverständigen Dr.in SK, Fachärztin für Psychiatrie, am folgendes Gutachten erstellt:
"Anamnese:
2008, im Alter von 19 J., Erstmanifestation einer paranoiden Psychose mit stationärpsychiatrischem Aufenthalt an der Klinischen Abteilung für Sozialpsychiatrie, AKH Wien. Zw. 2009 und 2016 keine regelmäßigen FÄ psychiatrischen Kontakte, jedoch anamnestisch durchgängig Monotherapie mit Solian 200mg/die, bezogen über den Hausarzt. Ab 2016 bis dato durchgängige FÄ psychiatrische Behandlung am PSD Meidling, wobei derzeit eine antipsychotische Dualtherapie aus Leponex und Risperdal verabreicht wird. Zusätzlich duale antidepressive Einstellung auf Mirtazapin und Sertralin. Von Jän. bis Feb. 2017 stationär-psychiatrischer Aufenthalt am Sozialmedizin. Zentrum Otto Wagner Spital, 6. psychiatrische Abteilung, aufgrund von paranoid-halluzinatorischem Rezidiv. zw. 2008 und 2016 (neuerlicher Beginn einer geordneten FÄ psychiatrischen Behandlung); wechselnde Berufstätigkeit in der Gastronomie im Security-Bereich. Zwischenzeitlich anamnestisch immer wieder Phasen von Krankenständen und Arbeitslosigkeit.
Derzeitige Beschwerden: Der Antragsteller berichtet, derzeit vorwiegend an Negativsymptomatik im Sinne von Antriebsschwierigkeiten (bes. morgens) sowie erhöhtem Schlafbedürfnis und verminderter Belastbarkeit zu leiden. Produktiv-psychotische Symptome befänden sich unter der laufenden Medikation aktuell im Hintergrund. Zuletzt verbale-akustische Halluzinationen vor ca. einem Monat. Der Antragsteller berichtet, dass im Falle von produktivpsychotischer Symptomatik die Konzentrationsfähigkeit in seiner Tagesstruktur bei Promente deutlich eingeschränkt sei.
Die Begleitperson des Antragstellers (Betreuer Verein Starthilfe) ergänzt, dass es im Krankheitsverlauf immer wieder zu Phasen extrem starker psychomotorischer Unruhe komme und auch Selbstmordgedanken immer wieder vorhanden seien. Die Mutter des Antragstellers habe sich suizidiert.
Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel: Regelmäßige FÄ psychiatrische Kontrollen beim PSD Wien (Dr.in BC): Leponex 25mg 0-0-0-1, Leponex 100mg 1/2 -0-0-11/2, Lixiana 60mg 1-0-0-0, Mirtazapin 30mg 0-0-0-1, Risperdal 3mg 1-0-0-1, Sertralin 50mg 1-0-0-0.
Sozialanamnese: Der Antragsteller lebt in eigener Wohnung und wird über teilbetreutes Wohnen (4 % Stunden persönlicher Kontakt pro Woche) betreut. Keine Partnerschaft. Lebt zurückgezogen. Dauerhaft in I-Pension. Tagesstruktur über Promente Greisslerei (4 Stunden pro Tag, 4 Mal/Wo) seit 2 Jahren.
Ausbildung: Hauptschule nicht abgeschlossen, danach Berufsqualifikationsmaßnahme. Im Alter von 19 J. Kochlehre abgeschlossen. In weiterer Folge wechselnde Berufstätigkeit in der Gastronomie und im Security-Gewerbe.
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
Stationärer-Patientenbrief Univ. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie (): Stationärer Aufenthalt vom 12.12.-. Diagnose: Paranoide Psychose F 20.0. Aus psychiatrischer Sicht Antritt des Wehrdienstes im Jänner 2008 nicht möglich.
Medikation: Depakine 1000mg /Tag, Zyprexa lOmg/Tag, Solian 500mg/Tag, Temesta 2,5 mg bei Angst/Unruhe.
Stationärer Patientenbrief SMZ Zentrum Otto Wagner Spital, 6. psychiatrische Abteilung (): Diagnose: Hebephrene Schizophrenie
Medikation: Risperidon 4mg/Tag, Sertralin 50mg/Tag, Temesta 2,5mg/Tag, Ability Maintena i.m. 400mg alle 28 Tage.
FÄ Befundbericht PSD Meidling (): Seit in regelmäßiger Behandlung.
Psycholog. Testung ergab Befund einer hebephrenen Schizophrenie. In Zusammenschau der Befunde und Anamnese besteht die Diagnose einer undifferenzierten Schizophrenie (paranoid/hebephren).
Besachwaltet, besucht Promente Tagesstruktur. Engmaschige psychosoziale Betreuung. Stabilisierung des Gesundheitszustandes gelang nur unter intensiver pharmakolog. Mehrfachtherapie und sehr engem Betreuungssetting. Im Mai 2019 tiefe Venenthrombose mit beidseitige Pneumonalembolie. Aus FÄ psychiatrischer Sicht nicht in der Lage eine Berufstätigkeit nachzugehen.
Diagnosen: Undifferenzierte Schizophrenie, Status post
Lungenembolie beidseits 05/2019, Status post TVT links
05/2019, APC Resistenz (Faktor 5 Leiden Mutation)
Medikation: Leponex, Lixiana, Mirtazapin, Risperdal, Sertralin.
(…]
Psycho(patho)logischer Status:
Wach, bewusstseinsklar, allseits orientiert. Konzentration und Mnestik grobklinisch reduziert. Auffassung erhalten. Duktus im Tempo verlangsamt, etwas umständlich, jedoch zum Denkziel führend. Produktiv-psychotische Symptomatik im Sinne von verbalen akustischen Halluzinationen derzeit im Hintergrund. Affekt flach. Stimmungslage indifferent. Negativsymptomatik im Sinne von verminderter Belastbarkeit, Antriebsminderung, erhöhtem Schlafbedürfnis, sozialem Rückzug. Rez. Phasen starker psychomotorischer Unruhe. Rez. SMG. Im Rahmen der ho. Begutachtung jedoch keine akute Selbst- oder Fremdgefährdung fassbar. Im Verhalten angepasst und freundlich.
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Lfd.Nr. Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Begründung der Rahmensätze:
Pos.Nr.
1 Undifferenzierte Schizophrenie. Eine Stufe über dem unteren Rahmensatz bei, trotz adäquater Behandlung, Psychopathologisch instabilem, chronisch verlaufenden Zustandsbild und durchgängig geringer Belastbarkeit in alle Lebensbereichen
GdB 60
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:
Lungenembolie beidseits, tiefe Venenthrombose links, APC Resistenz: da keine aussagekräftigen Befunde vorgelegt wurden.
Stellungnahme zu Vorgutachten: Erstgutachten im FLAG-Verfahren.
Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern:
X ja
GdB liegt vor seit: 04/2016
Begründung - GdB liegt rückwirkend vor:
Aufgrund der vorgelegten Befunde kann ein GdB von 60 v. H. ab 04/2016, dem dokumentierten Beginn durchgängiger engmaschiger FÄ psychiatrischer Behandlung, bestätigt werden. Eine weiter zurückliegende Bestätigung des GdB ist aufgrund von fehlender Vorlage von Brückenbefunden zw. 2008 und 2016 nicht möglich.
Herr Bf ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: JA
Die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ist nicht vor vollendetem 18. Lebensjahr eingetreten.
Die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ist nicht vor vollendetem 21. Lebensjahr eingetreten.
Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:
Aufgrund der vorgelegten Befunde kann EU ab 04/2016 bestätigt werden. Eine weiter zurückreichende Bestätigung der EU ist aufgrund fehlender Vorlage von Brückenbefunden zw. 2008 und 2016 nicht möglich. Aufgrund des Ausmaßes und des Längsverlaufes der vorliegenden schizophrenen Erkrankung ist von einer dauerhaften Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, auszugehen.
X Dauerzustand…"
Unter Zugrundelegung der in dem Gutachten getroffenen Feststellungen wies das Finanzamt (FA) den Antrag mit Bescheid vom unter Anführung des § 2 Abs 1 lit c Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967), wonach Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder besteht, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstand sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ab April 2019 ab, da dem Bf eine 60%ige Behinderung und eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit erst mit April 2016 bescheinigt wurde und der Bf zu diesem Zeitpunkt bereits das 21. Lebensjahr vollendet hatte.
Der Sachwalter des Bf brachte gegen den Abweisungsbescheid folgende Beschwerde ein:
"...Die Abweisung wird damit begründet, dass laut Gutachten des Sozialministeriumservice vom eine Behinderung erst ab April 2016 bestätigt wird und, da der Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt bereits das 21. Lebensjahr vollendet hatte, kein Anspruch auf Familienbeihilfe und den Erhöhungsbetrag wegen Behinderung bestehe.
Das genannte Gutachten stellt fest, dass eine weiter zurückreichende Bestätigung aufgrund "fehlender Vorlage von Brückenbefunden zwischen 2008 und 2016" nicht möglich sei.
Die Beschwerde richtet sich gegen das Ergebnis des Sachverständigengutachtens des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, BASB Landesstelle Wien vom , mit dem die Erwerbsunfähigkeit erst ab 04/2016 festgestellt wird. Die Beschwerde macht weiters Rechtswidrigkeit und wesentliche Verfahrensmängel geltend.
Gründe für die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides:
Eintritt der Behinderung und Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr:
Sachverhalt:
Dem Beschwerdeführer wurde 2008, somit in seinem 19. Lebensjahr eine paranoide Psychose diagnostiziert (Befund der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Allgemeinen Krankenhauses Wien vom ). Seine Mutter verstarb kurz danach durch Suizid und war der Beschwerdeführer mit seinem jüngeren Bruder auf sich selbst gestellt. Er zog mit seinem Bruder in eine ihm zugewiesene Gemeindewohnung. Zu seinem Vater bestand und besteht bis jetzt kein Kontakt. In der Folge verschrieb ihm das AKH, danach ein praktischer Arzt im 10. Bezirk (dessen Namen der Beschwerdeführer aufgrund seiner Beeinträchtigung nicht mehr nennen kann) und in der Folge seine damalige (mittlerweile pensionierte) Hausärztin zur Behandlung der diagnostizierten Krankheit das Medikament Solian. Aufgrund seiner Erkrankung und der damit zusammenhängenden Krankheitsuneinsichtigkeit, weiters des Fehlens einer Unterstützung und Betreuung nahm der Beschwerdeführer ab der genannten Diagnose im Jahr 2008 lediglich das verschriebene Medikament Solian, begab sich jedoch in keine weitere psychiatrische Behandlung.
Aufgrund der jahrelangen fehlenden Betreuung liegen dem Beschwerdeführer wichtige Unterlagen und Nachweise für seine zumindest seit Dezember 2008 vorliegende Krankheit nicht vor.
Der Beschwerdeführer hat keinen Hauptschulabschluss. Tätigkeiten als Hilfskoch und als Security konnte er aufgrund seiner Erkrankung nie über einen längeren Zeitraum ausüben und wurden teilweise am Sekundär-Arbeitsmarkt, zB. Job-TransFair Gemeinnützige Arbeitskräfteüberlassungsges.m.b.H. ausgeübt (Versicherungsdatenauszug). Dem Sozialversicherungsdatenauszug ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer zwar wiederholt versucht hat, ein Erwerbseinkommen zu erzielen, jedoch diese Beschäftigungsverhältnisse aufgrund seiner Erkrankung immer beendet werden mussten.
Aufgrund seiner Erkrankung wurde der Beschwerdeführer von der Stellungskommission für untauglich befunden.
Erst auf Vermittlung eines Arbeitgebers, für den der Beschwerdeführer fallweise arbeitete, begab sich der Beschwerdeführer 2016 zum Psychosozialen Dienst (PSD). Zu diesem Zeitpunkt bestanden bereits u.a. Mietschulden, da der Beschwerdeführer aufgrund seiner Erkrankung u.a. Probleme mit der Einteilung seines Einkommens hat. Auf Vermittlung des PSD wurde in der Folge ein Sachwalter (nunmehr gerichtlicher Erwachsenenvertreter) bestellt. Seit 2016 wird er regelmäßig im PSD behandelt (Fachärztlicher Befundbericht des PSD vom ).
Nach Bestellung des Sachwalters (nunmehr gerichtlicher Erwachsenenvertreter) wurde auch erstmals ein Antrag auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gestellt. Dem Beschwerdeführer selbst ist es über die Jahre aufgrund seiner Erkrankung nicht bewusst gewesen, dass er einen derartigen Anspruch hat.
Der Beschwerdeführer bezieht eine unbefristete Invaliditätspension samt Ausgleichszulage. Er bezieht kein Pflegegeld und erhält Mietbeihilfe.
Der Beschwerdeführer ist aufgrund seiner Erkrankung (Undifferenzierte Schizophrenie, Behinderungsgrad 60%) seit seinem 19. Lebensjahr, somit zu einem Zeitpunkt vor dem 21. Lebensjahr erwerbsunfähig.
Vorgelegte Beweise:
./1 Bestätigung Hausarzt (Nachfolger der zumindest seit 2010 behandelnden Hausärztin) Dr. S., vom samt Verschreibungen des Medikamentes Solian seit 12/2010;
./2 Bestätigung PSD vom ;
./3 Befund AKH vom
./4 Versicherungsdatenauszug
Beschwerdepunkte:
Gem. § 183 Abs 2 BAO sind Beweise von Amts wegen oder auf Antrag aufzunehmen. Im gegenständlichen Fall liegt nur ein unschlüssiges Sachverständigengutachten des BASB vor. Der Behörde lagen u.a. aufgrund der vom Beschwerdeführer vorgelegten Bescheinigungsunterlagen klare Hinweise vor, die im Zuge der Beweiswürdigung ernsthafte Mängel am Sachverständigengutachten erkennen lassen mussten.
Im Sachverständigengutachten des BASB wurden die vom Beschwerdeführer vorgelegten Bescheinigungsmittel nicht berücksichtigt. Diese wurden auch von der belangten Behörde nicht erkennbar gewürdigt.
Das Ergebnis des Sachverständigengutachtens des BASB ist insbesondere nicht nachvollziehbar, da zwar eine Behinderung von 60% konstatiert wird, jedoch nicht ausreichend begründet wird, wieso diese Behinderung sich innerhalb von zwei Jahren (ab der fachärztlichen Betreuung durch das PSD 2016) ergeben haben soll.
Dies widerspricht den vorgelegten Unterlagen (Diagnose des AKH vom 2008, Fachärztlicher Befundbericht des PSD vom ), weiters den Angaben des Betreuers des Beschwerdeführers (Verein Neustart) und widerspricht der Lebenserfahrung, und ist mit den zwingenden (auch medizinischen) Denkgesetzen nicht in Einklang zu bringen.
Die Tatsache dass der Beschwerdeführer seit zumindest Dezember 2008 nicht in der Lage war, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen geht zum einen daraus hervor, dass eine Beschäftigung meist nur für einen kurzen Zeitraum krankheitsbedingt aufrecht erhalten konnte (Versicherungsdatenauszug).
Zum anderen bezieht der Beschwerdeführer die unbefristete Invaliditätspension. Die Voraussetzung für eine unbefristete Invaliditätspension ist ein voraussichtlich dauerhaftes Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit (vgl § 255 ASVG).
In Anbetracht der im Akt aufliegenden Bescheinigungsmittel ist die Forderung des BASB nach "Brückenbefunden" vollkommen lebensfremd. In Kenntnis der Erkrankung und des Krankheitsbilds des Beschwerdeführers hätte die belangte Behörde würdigen müssen, dass der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden keine derartigen "Brückenbefunde" vorlegen kann und eine weitere Befundung durch einen Sachverständigen aus dem Gebiet der Neurologie und Psychiatrie hinsichtlich des üblichen Krankheitsverlaufs einer im Jahr 2008 diagnostizierten paranoiden Psychose (ICD-10: F20.0) einholen müssen.
Somit sind dem Akt Beweisergebnisse zu entnehmen, die belegen, dass die Erkrankung und Erwerbsunfähigkeit des Beschwerdeführers nicht erst 2016, sondern bereits vor Erreichen des 21. Lebensjahres aufgetreten sind. Die Behörde wäre im Rahmen der amtswegigen Wahrheitsfindung verpflichtet gewesen, ein weiteres Gutachten aus dem Bereich der Neurologie und Psychiatrie einzuholen.
Aus den angeführten Gründen wird der Antrag gestellt, einen Sachverständigen für Neurologie und Psychiatrie mit der Erstellung eines Gutachtens zur Frage, ob die die Selbsterhaltungsunfähigkeit bedingende Behinderung des Beschwerdeführers vor seinem 21. Lebensjahr eingetreten ist, zu beauftragen.
Die belangte Behörde hat daher zu Unrecht ausschließlich das nicht nachvollziehbare und unschlüssige Gutachten des BASB als Grundlage für die Entscheidung herangezogen.
Die belangte Behörde hätte daher nach qualifizierter Auseinandersetzung mit den ihr vorliegenden relevanten Befunde von der Bescheinigung des Bundessozialamtes vom abgehen und vom Vorliegen der Anspruchs Voraussetzungen ausgehen, zumindest aber ein neuerliches Gutachten unter ausdrücklichem Hinweis auf die bereits vorliegenden relevanten Befunde einholen, müssen. Indem sie dies unterlassen hat, hat sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet und auch gegen die Verfahrens Vorschriften verstoßen.
Dadurch, dass die belangte Behörde die im Akt aufliegenden Beweise nicht zur Gänze und ausreichend würdigte, kein weiteres Sachverständigengutachten aus dem Bereich der Neurologie und Psychiatrie u.a. zum Krankheitsverlauf einholte und den Abweisungsbescheid ungenügend begründete liegen Rechtswidrigkeit und erhebliche Verfahrensmängel vor.
Aus den oben angeführten Gründen wird der Antrag gestellt, das Bundesverwaltungsgericht für Finanzen möge der Beschwerde Folge geben und den angefochtenen Bescheid der belangten Behörde aufheben und dem Beschwerdeführer den beantragten Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe rückwirkend ab dem Zeitpunkt des Eintrittes der erheblichen Behinderung zusprechen."
Das FA forderte auf Grund der eingebrachten Beschwerde neuerlich ein Gutachten beim Sozialministeriumservice an.
In dem am erstellten Gutachten wurden die im Gutachten vom getroffenen Feststellungen bestätigt und festgehalten, dass eine weiter zurückliegende Bestätigung des GdB aufgrund von fehlender Vorlage von Brückenbefunden zwischen 2008 und 2016 nicht möglich sei.
Das FA wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom mit folgender Begründung ab:
"Gem. § 6 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) 1967 haben minderjährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn
a) sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
b) ihnen nicht Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist,
c) für sie keiner anderen Person Familienbeihilfe zu gewähren ist.
Gem. § 6 Abs. 2 Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) haben volljährige Vollwaisen Anspruch, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn … gem. lit d) wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, sofern die Vollwaise nicht einen eigenständigen Haushalt führt; dies gilt nicht für Vollwaisen, die Personen im Sinne des 6 1 Z 3 und Z 4 des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969. sind, sofern die Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969. auf sie Anwendung finden.
Gem. § 8 Abs. 6 FLAG ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.
Sowohl im Erstgutachten vom als auch nach Überprüfung durch das Sozialministeriumservice lt. Gutachten vom wurde die dauernde Erwerbsunfähigkeit und ein Behinderungsgrad von 60% erst ab festgestellt.
Da der Beginn der dauernden Erwerbsunfähigkeit somit nach ihrem vollendeten 21. Lebensjahr (das im Juni 2010 vollendet wurde) liegt, sind die Voraussetzungen des § 6 Abs 2 lit d FLAG 1967 nicht erfüllt und es besteht kein Anspruch auf Familienbeihilfe.
Da Sie keinen Anspruch auf Familienbeihilfe haben, besteht auch kein Anspruch auf den Erhöhungsbetrag für erheblich behinderte Kinder."
Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Meidling vom wurde AB vom Verein VertretungsNetz gemäß § 271 ABGB zum Erwachsenenvertreter für den Bf bestellt.
Der nunmehrige Erwachsenenvertreter des Bf stellte mit Schreiben vom einen Vorlageantrag an das Bundesfinanzgericht und brachte vor, dass das Finanzamt die vorgebrachte Begründung und Beweise gegen die falsche Bestimmung des Erkrankungsbeginns durch das Sozialministeriumservice nicht berücksichtigt und gewürdigt habe.
Über die Beschwerde wurde erwogen
Sachverhaltsfeststellungen:
Der Bf ist 1989 geboren und vollendete im Jahr 2010 das 21. Lebensjahr.
Erst nach Vollendung des 21. Lebensjahres des Bf, nämlich ab , war die dauernde Erwerbsunfähigkeit und ein Behinderungsgrad von 60% gegeben.
Beweiswürdigung:
Der Bf wurde auf Grund des Eigenantrages vom auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung rückwirkend auf fünf Jahre zwei Mal im Sozialministerium untersucht.
Den Sachverständigen standen bei der Untersuchung folgende, vom Bf. vorgelegte, Unterlagen zur Verfügung:
Bestätigung Hausarzt (Nachfolger der zumindest seit 2010 behandelnden Hausärztin) Dr. S., vom samt Verschreibungen des Medikamentes Solian seit 12/2010;
Bestätigung PSD vom ;
Befund AKH vom
Versicherungsdatenauszug
Im Gutachten vom stellte die Sachverständige, eine Fachärztin für Psychiatrie, den Gesamtgrad der Behinderung mit 60% fest sowie eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit fest. Sowohl der Behinderungsgrad als auch die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit wurden rückwirkend ab April 2016 bescheinigt. Diese Feststellungen wurden im Gutachten vom bestätigt und festgehalten, dass eine weiter zurückliegende Bestätigung des GdB aufgrund von fehlender Vorlage von Brückenbefunden zwischen 2008 und 2016 nicht möglich sei.
Der Hausarzt des Bf, Dr. S., bestätigt, dass der Bf seit vielen Jahren an einer paranoiden Psychose leide. Erstmals sei der Patient auf Grund seines psychischen Leidens im August 2008 an der Psychiatrie AKH vorstellig geworden. Weiters sei an Diagnosen bekannt undifferenzierte Schizophrenie, st.p. Pulmonalembolie 2019 St.p. TVT 2019 APC Resistenz Da von einem chronischen Zustand auszugehen. Der Patient sei weder arbeits- noch vermittlungsfähig.
Dem fachärztlichen Befundbericht der Psychosozialen Dienste Wien vom ist zu entnehmen, dass der Bf seit im ho. Ambulatorium in regelmäßiger Behandlung sei. Bei dem Patienten sei bereits 2008 eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert worden. Auf Grund der Verschlechterung seiner Symptome sei er im April 2016 vorstellig geworden. Es sei eine medikamentöse Neueinstellung, eine organische Abklärung sowie eine psychologische Testung erfolgt, die den Befund einer hebephrenen Schizophrenie ergeben habe. In Zusammenschau der Befunde und Anamnese bestehe bei dem Patienten die Diagnose einer undifferenzierten Schizophrenie (paranoide/hebephren, F 20.3). Herr Bf sei hochfrequenter psychiatrischer und engmaschiger psychosozialer Betreuung, sei besachwaltet und besuche weiters eine Promente Tagesstruktur. Diese Stabilisierung des Gesundheitszustandes sei nur unter intensiver pharmakologischer Mehrfachtherapie und sehr engem Betreuungssetting gelungen. Zuletzt sei es im Mai 2019 zu einer tiefen Venethrombose mit beidseitiger Pulmonalembolie gekommen. Herr Bf sei dadurch körperlich eingeschränkt, habe Schmerzen und Atemnot bei Belastung. Er müsse aufgrund einer Genmutation wahrscheinlich lebenslang gerinnungshemmende Medikamente zu sich nehmen. Dies belaste den psychischen Gesundheitszustand zusätzlich. Aufgrund seiner seit Jugend bestehenden Krankheit sei Herr Bf aus fachärztlich-psychiatrischer Sicht nicht in der Lage einer Berufstätigkeit nachzugehen.
Diagnose: F20.3 Undifferenzierte Schizophrenie, St.p. Lungenembolie bds. , St.p. tiefe Venenthrombose links (VFC, VFS, VPOP, VSM) , APC Resistenz (Faktur V Leyden Mutation).
Laut Befundbericht des AKH wurde der Bf erstmals im August 2008 an der Ambulanz vorstellig. Es sei eine Einstellung auf Zyprexa 10 mg tgl. und Betreuung an der Psycholose-Ambulanz erfolgt. Da auf ambulantem Weg nur eine geringfügige Besserung der Symptomatik erreicht werden habe können, sei am eine stationäre Aufnahme erfolgt.
Nach dem Versicherungsdatenauszug vom war der Bf wie folgt beschäftigt:
Tabelle in neuem Fenster öffnen
von | bis | |
Arbeiterlehrling | ||
Arbeiterlehrling | ||
Arbeiter | ||
Arbeiter | ||
geringf. beschäftigter Arbeiter | ||
Arbeiter | ||
Arbeiter | ||
Arbeiter | ||
Arbeiter | ||
Arbeiter | ||
Arbeiter | ||
Arbeiter | ||
Arbeiter | ||
geringf. beschäftigter Arbeiter | ||
Arbeiter | ||
Arbeiter |
In den dazwischen liegenden Zeiträumen bezog der Bf. Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und Krankengeld. Seit bezieht der Bf eine Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit.
Der als erwiesen angenommene Sachverhalt beruht auf den zwei im Wege des Sozialministeriumservice erstellten Gutachten und auf den vom Bf vorgelegten Unterlagen.
Ärztliche Sachverständigengutachten:
Medizinische Sachverständige werden u.a. von Behörden und Gerichten beauftragt, um zu Fragen des Gesundheitszustandes, Erkrankungen, Körperschädigung etc. von Betroffenen Stellung zu nehmen. Die Aufgabe des Arztes besteht darin, entsprechend den ihm vom "Auftraggeber" (hier: Finanzamt) gestellten Beweisfragen medizinische Befunde zu erheben und diese unter Berücksichtigung der sonstigen ihm zugänglich gemachten Informationen auf der Basis medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnis und ärztlichen Erfahrungswissens zu bewerten, um so dem hierfür allein zuständigen Auftraggeber eine Entscheidung der rechtlich erheblichen Fragen zu ermöglichen. Eine sachgerechte Erstellung eines Gutachtens ist nur möglich, wenn der Gutachter die aus seiner gutachterlichen bzw. prozessrechtlichen Funktion resultierenden Anforderungen beachtet, über eingehende Kenntnisse in dem betroffenen Fachgebiet verfügt und jede Expertise mit der erforderlichen Sorgfalt anfertigt. Er muss sich zwingend einen persönlichen Eindruck von dem zu Begutachtenden, seinen Beschwerden und den zu erhebenden Befunden verschaffen, um die aus Rechtsgründen erforderliche Letztverantwortung für das Gutachten übernehmen zu können.
Das ärztliche Gutachten ist Grundlage einer rechtlichen Entscheidung und wird vom Auftraggeber veranlasst, wenn medizinischer Sachverstand zur Beurteilung eines Sachverhaltes erforderlich ist. Ein ärztliches Gutachten ist eine wissenschaftlich fundierte Schlussfolgerung, die eine Ärztin/ein Arzt über den Gesundheitszustand oder funktionelle Einschränkungen einer Person oder andere medizinische Umstände erstellt. Diese Schlussfolgerung ist das wesentliche Merkmal eines Gutachtens. Dazu ist es notwendig, dass Gutachter nicht nur medizinische Expertinnen/Experten sind, sondern auch ein gewisses Verständnis für den jeweiligen Rechtshintergrund mitbringen und die Auftraggeber klar formulierte Fragen an die/den Sachverständigen stellen. Die Gutachten müssen wissenschaftlich fundiert, medizinisch schlüssig, nachvollziehbar und verständlich sein. Für den ärztlichen Gutachter ist es unverzichtbar, sich mit den allgemeinen und speziellen Rechtsgrundlagen der Begutachtung bzw. seines konkreten Auftrags auseinanderzusetzen. Hilfreich sind zusätzlich Kenntnisse der einschlägigen Rechtsprechung, weil ober- und höchstrichterlichen Judikaten oft maßgebliche Bedeutung für die Auslegung von Gesetzen zukommt.
Bindung von Finanzamt und Bundesfinanzgericht an die Gutachten des Sozialministeriumservice, soweit diese schlüssig sind:
Nach § 8 Abs 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Sozialministeriumservice (früher Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen) auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.
Bei der Antwort auf die Frage, ob eine solche körperliche oder geistige Behinderung, die zur Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, führt, vor Vollendung des 21. Lebensjahres (oder allenfalls während einer Berufsausbildung vor Vollendung des 27. oder 25. Lebensjahres) eingetreten ist, sind die Abgabenbehörde und das Bundesfinanzgericht an die Gutachten des Sozialministeriumservice (früher: Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen) gebunden und dürfen diese nur insoweit prüfen, ob diese schlüssig und vollständig sind und im Fall mehrerer Gutachten nicht einander widersprechen (vgl. , Erkenntnisse VwGH jeweils vom , 2009/16/0307 und 2009/16/0310).
Eine andere Form der Beweisführung ist nicht zugelassen (vgl. ua.).
Das ärztliche Zeugnis betreffend das Vorliegen einer Behinderung iSd FLAG hat Feststellungen über die Art und das Ausmaß des Leidens sowie auch der konkreten Auswirkungen der Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit in schlüssiger und damit nachvollziehbarer Weise zu enthalten (vgl , ) und bildet die Grundlage für die Entscheidung, ob die erhöhte Familienbeihilfe zusteht, sofern das Leiden und der Grad der Behinderung einwandfrei daraus hervorgehen und das/die Gutachten nicht unschlüssig sind.
Sowohl eine Gutachtensergänzung als auch ein neues Gutachten stellen Beweismittel dar. Im Fall mehrerer Gutachten ist zu überprüfen, dass diese einander nicht widersprechen (vgl. Erkenntnisse und 2009/16/0310, ).
Nach dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B 700/07 = VfSlg. 18.313, kann von Gutachten nach "entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung" auch abgegangen werden (vgl. ; ).
Unschlüssigkeit von Gutachten:
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haben die Beihilfenbehörde und das Bundesfinanzgericht im Rahmen des Beschwerdeverfahrens zu prüfen, ob das Gutachten des Sozialministerium schlüssig und vollständig ist und erforderlichenfalls für deren Ergänzung zu sorgen (; ; ).
Der Antragsteller hat die Möglichkeit, Unvollständigkeiten und Unschlüssigkeiten eines Gutachtens im Rahmen des Verfahrens der Behörde aufzuzeigen oder einem Gutachten (etwa durch Beibringung eines eigenen Gutachtens) auf gleicher fachlicher Ebene entgegenzutreten (vgl. ).
Antrag auf Familienbeihilfe und erhöhte Familienbeihilfe durch erwachsene Personen:
Beantragt eine erwachsene Person die Familienbeihilfe und den Erhöhungsbetrag, so hat sich das nach dieser Bestimmung abzuführende qualifizierte Nachweisverfahren durch ein ärztliches Gutachten (vgl dazu , und , sowie ) darauf zu erstrecken, ob eine Antragstellerin/ein Antragsteller wegen einer vor Vollendung seines 21. Lebensjahres (oder - für den Beschwerdefall nicht relevant - während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres) eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außer Stande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen (vgl etwa ).
Paranoide Schizophrenie und kurzfristige Beschäftigungsverhältnisse:
Eine paranoide Schizophrenie kann in unterschiedlichen Ausprägungen und mit unterschiedlichem Verlauf auftreten. Bei der Mehrzahl der Patienten verschlechtert sich das Krankheitsbild (erst) im Verlauf. Vor allem durch eine medikamentöse Behandlung kann auch eine längerdauernde oder sogar dauerhafte Verbesserung erreicht werden. Grundsätzlich ist die paranoide Schizophrenie in der Mehrzahl der Fälle eine medikamentös gut behandelbare Erkrankung. Bei einer derartigen Diagnose ist die Ausübung einer Erwerbstätigkeit aus psychiatrischer Sicht nicht jedenfalls ausgeschlossen und besteht die Möglichkeit, durch entsprechende Therapien auch mit dieser Erkrankung einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Allerdings ist nach Ansicht von Fachärzten im Schnitt bei deutlich mehr als der Hälfte der Patienten Arbeitsunfähigkeit festzustellen. Der Verlauf der paranoiden Schizophrenie ist sehr individuell, an den persönlichen Lebensablauf gebunden und kann die Ausprägung der Krankheitssymptome kontinuierlich oder sehr stark schwankend sein. Psychische Erkrankungen nehmen häufig einen schleichenden Verlauf (vgl. ; ; ; ; UFSI , RV/0164-I/13; Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG-Kommentar, § 8 Tz 32).
Auf Grund dieser medizinischen Tatsachen ist es im Rahmen einer Gutachtenserstellung unerlässlich, auf verifizierbare Umstände zurückgreifen zu können. Wenn auf Grund des Inhalts des Sozialversicherungsauszuges fest gestellt werden kann, dass der Antragsteller nicht etwa im Rahmen eines sozialen oder karitativen Projektes, sondern in "regulären" Dienstverhältnissen gestanden ist, muss aus dem Umstand der Kurzfristigkeit der Beschäftigungen nicht zwingend der Schluss gezogen werden, dass bereits damals eine Art "Erwerbsunfähigkeit" auf Grund einer gesundheitlichen Beeinträchtigung bestanden hat. Alleine das Bestehen einer Möglichkeit bzw einer (wenn auch überwiegenden) Wahrscheinlichkeit ist in Anbetracht der bestehenden Unsicherheiten für die gutachterliche Feststellung des Vorliegens einer ,dauernden Erwerbsunfähigkeit' zu einem lange zurückliegenden Zeitraum als Faktum nicht ausreichend.
Der Bf bzw der Erwachsenenvertreter bringt im Vorlageantrag vor, dass das FA die vorgebrachte Begründung und die Beweise gegen die falsche Bestimmung des Erkrankungsbeginns durch das Sozialministeriumservice nicht berücksichtigt und gewürdigt habe.
Wie schon festgehalten, sind das FA und das BFG an die Sachverständigengutachten des Sozialministeriumservice gebunden und dürfen davon nur abweichen, wenn es dem Gutachten an Schlüssigkeit fehlt.
Schlüssigkeit der vorliegenden Gutachten:
Das Bundesfinanzgericht sieht die in den Gutachten getroffenen Feststellungen aus folgenden Gründen als schlüssig an:
Die Gutachter haben - entgegen der Ansicht des Bf - bei ihrer Einschätzung sämtliche ihnen vorliegende Unterlagen gewürdigt und sind nach den durchgeführten Untersuchungen zu der übereinstimmenden Feststellung gelangt, dass der Grad der Behinderung erst ab April 2016 - der Bf befand sich damals im 27. Lebensjahr - 60 % erreicht hat und dass die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit auch erst ab April 2016 gegeben war.
Bei dieser Einschätzung stützten sich die Gutachter auf den vom Bf vorgelegten fachärztlichen Befundbericht der Psychosozialen Dienste Wien vom , demzufolge der Bf wegen seiner Erkrankung seit in regelmäßiger Behandlung steht.
Dass diese Einschätzung mit höchster Wahrscheinlichkeit den Tatsachen entspricht, wird durch den Umstand erhärtet, dass der Bf - wenn auch immer wieder nur kurzfristig und mit Unterbrechungen und bei wechselnden Dienstgebern - bis Mai 2016 berufstätig war.
Vorlage von geeigneten Unterlagen als Nachweis der Erwerbsunfähigkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt:
Die sachverständigen Ärzte des Sozialministeriumservice ziehen bei ihrer Diagnoseerstellung bzw. bei der Feststellung, wann die Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist, neben den Untersuchungsergebnissen und ihrem Fachwissen regelmäßig die von den Antragstellern vorgelegten Befunde heran.
Hilfreich sind dabei vor allem "alte" Befunde, Arztbriefe etc., die darauf schließen lassen, dass die dauernde Erwerbsunfähigkeit auf Grund einer Erkrankung bereits vor dem 21. Lebensjahr (bzw. wenn sich der Antragsteller noch in schulischer Ausbildung befand, das 25. Lebensjahr) eintrat.
Derartige Befunde stehen den Sachverständigen erfahrungsgemäß selten zur Verfügung. Viele Erkrankungen, so auch Schizophrenie, nehmen nach den Erfahrungen des täglichen Lebens einen schleichenden Verlauf (siehe oben) und führen letztendlich erst nach einigen Jahren zu einer gänzlichen Erwerbsunfähigkeit.
Demgemäß wird ärztliche Hilfe vorerst meistens nur insofern in Anspruch genommen, als sich die Betroffenen zunächst Medikamente (Psychopharmaka) verschreiben lassen. Befunde können daher nur selten für Zeiträume vor dem 21. Lebensjahr vorgelegt werden.
Die Feststellung, ob die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit bereits vor dem 21. Lebensjahr gegeben war, kann naturgemäß nicht mit Sicherheit, sondern nur mit hoher Wahrscheinlichkeit ab einem bestimmten Zeitpunkt festgestellt werden.
Auch in den hier vorliegenden Gutachten wurde von den Sachverständigen festgehalten, dass auf Grund der vorgelegten Befunde eine Erwerbsunfähigkeit ab April 2016 bestätigt werden könne, jedoch eine weiter zurückreichende Bestätigung der Erwerbsunfähigkeit auf Grund der fehlenden Vorlage von Brückenbefunden zwischen 2008 und 2016 nicht möglich sei.
Der Bf legte den Sachverständigen - wie bereits festgehalten - im Zuge der Untersuchung folgende Unterlagen vor:
Bestätigung Hausarzt (Nachfolger der zumindest seit 2010 behandelnden Hausärztin) Dr. S., vom samt Verschreibungen des Medikamentes Solian seit 12/2010;
Bestätigung PSD vom ;
Befund AKH vom
Versicherungsdatenauszug
Laut Befundbericht des AKH vom wurde der Bf erstmals im August 2008, der Bf befand sich damals im 19. Lebensjahr, an der Psychoseambulanz vorstellig.
Laut Befundbericht der Psychosozialen Dienste Wien vom wurde beim Bf 2008 eine paranoide Schizophrenie festgestellt.
Aus dem Sozialversicherungsauszug ergibt sich, dass der Bf vom bis als Arbeiterlehrling beschäftigt war und danach, wenn auch immer nur kurzfristig und bei wechselnden Arbeitgebern, bis Mai 2016 berufstätig war.
Es wäre Sache des Bf gewesen, die Sachverständigen durch Vorlage entsprechender Beweismittel in die Lage zu versetzen, eine verlässliche Beurteilung für den für die gegenständliche Entscheidung relevanten Zeitraum abzugeben (vgl. , unter Verweis auf Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Rz 32).
Das Bundesfinanzgericht sieht die eingeholten ärztlichen Gutachten als schlüssig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei an. Auf die Art der Leiden und deren Ausmaß wurde ausführlich eingegangen. Die vorgelegten Beweismittel sind in die Beurteilung eingeflossen und stehen nicht im Widerspruch zu den gutachterlichen Beurteilungen.
Das BFG folgt daher den übereinstimmenden Feststellungen in den Gutachten. Die dauernde Erwerbsunfähigkeit des Bf und dessen Grad der Behinderung von 60% sind (erst) ab April 2016 und somit (weit) nach Vollendung des 21. Lebensjahres des Bf eingetreten.
Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 2 Abs 1 lit c FLAG 1967 haben Anspruch auf Familienbeihilfe Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Nach § 6 Abs 2 lit d FLAG 1967 haben (volljährige) "Kinder" unabhängig von ihrem Alter Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und sich in keiner Anstaltspflege befinden. Die zitierte Gesetzesstelle bezieht sich unzweideutig auf eine körperliche oder geistige Behinderung, die vor Vollendung des 21. Lebensjahres dazu geführt hat, dass die betroffene Person bereits zum damaligen Zeitpunkt voraussichtlich dauernd außer Stande gewesen ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Der Grad der Behinderung ist in einem solchen Fall nicht von Bedeutung (vgl. , unter Verweis auf Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Rz 21).
Gemäß § 8 Abs 3 FLAG 1967 wird die Familienbeihilfe und die erhöhte Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs 4) höchstens für fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt.
Gemäß § 8 Abs. 4 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe um näher angeführte Beträge monatlich für jedes Kind, das erheblich behindert ist.
Gemäß § 8 Abs 5 FLAG 1967 gilt ein Kind als erheblich behindert, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.
Nach § 8 Abs 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen. Die diesbezüglichen Kosten sind aus Mitteln des Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen zu ersetzen.
Voraussetzung für den Erhöhungsbetrag ist, dass der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht (vgl FLAG Kommentar, Csaszar/Lenneis/Wanke, Rz 5 zu § 8).
Dies bedeutet, dass bei volljährigen Kindern, denen nicht schon aus anderen Gründen als aus dem Titel der Behinderung der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht, der Grad der Behinderung ohne jede Bedeutung ist, und würde er auch 100 % betragen. Besteht also keine vor dem 21. (25.) Lebensjahr eingetretene voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, steht weder Grund- noch Erhöhungsbetrag zu. Besteht eine derartige Unterhaltsunfähigkeit, stehen sowohl Grund- als auch Erhöhungsbetrag zu (Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Rz 21).
Der Antrag des Bf auf Gewährung der Familienbeihilfe samt Erhöhungsbetrag war daher abzuweisen und spruchgemäß zu entscheiden.
Zulässigkeit einer Revision:
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Lösung der Frage, unter welcher Voraussetzung die erhöhte Familienbeihilfe (Grundbetrag und Erhöhungsbetrag) zusteht, ergibt sich aus den bezughabenden Gesetzesbestimmungen. Bei der Frage, ob und ab wann eine "dauernde Erwerbsunfähigkeit" gegeben ist, handelt es sich um eine Tatfrage und ist insoweit das BFG an das - wie gegenständlich - abschließend zwecks Ergänzung/Klarstellung vom Sozialministeriumservice erstellte ärztliche Gutachten gebunden. Da sohin keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu beurteilen war, ist eine Revision nicht zulässig.
Wien, am
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 6 Abs. 2 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 8 Abs. 5 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 2 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 8 Abs. 6 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 8 Abs. 3 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 8 Abs. 4 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
Verweise | RV/0164-I/13 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2020:RV.7100360.2020 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at