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Säumnisbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 11.05.2020, RS/7100143/2019

Säumnis des Finanzamtes, Bescheidaufhebung gemäß § 299 iVm § 284 BAO durch das BFG

Beachte

Revision (Amtsrevision) beim VwGH anhängig zur Zahl Ra 2020/13/0046. Zurückweisung mit Beschluss vom .

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag. Andreas Stanek über den Antrag der ASt., vertreten durch Kanzlei 1080 Rechtsanwälte, Dr. Alice GAO Lerchenfelderstraße 88-90/11, 1080 Wien, vom auf Aufhebung der Einkommensteuerbescheide 2011 bis 2016 gemäß § 299 BAO in Verbindung mit § 284 Abs. 3 BAO zu Recht erkannt:

Die Einkommensteuerbescheide der Jahre 2011 bis 2016, alle vom , werden gemäß § 299 BAO in Verbindung mit § 284 Abs. 3 BAO aufgehoben.

Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Eingangs wird angemerkt, dass sämtliche Zitate der Parteien im Original und unkorrigiert übernommen wurden.

Die Antragstellerin (idF ASt.) ist freiberufliche Dolmetscherin und wurde erklärungsgemäß zur Einkommensteuer 2011 bis 2016 veranlagt.

Im Rahmen einer die Abgabenjahre 2011 bis 2016 durchgeführten Außenprüfung traf der Betriebsprüfer nachstehende Feststellungen (BFG-Akt zur RV/7102120/2019, AS 18 ff):

"… Tz. 1 Bemessungsgrundlagen

I. Rechtslage

Gewerbetreibende und Freiberufler können die so genannte Basispauschalierung sowohl für Betriebsausgaben als auch für den Vorsteuerabzug anwenden. Das bedeutet, dass Teile der Betriebsausgaben und Vorsteuern mit einem Pauschalsatz ermittelt werden. Es brauchen dafür keine Belege vorhanden sein. Die Einnahmen sind immer exakt zu erfassen.

Voraussetzung ist, dass keine Buchführungspflicht besteht, dass auch nicht freiwillig eine doppelte Buchhaltung geführt wird, und dass der Vorjahresumsatz des Betriebes nicht mehr als € 220.000,-- betragen hat.

Das Betriebsausgabenpauschale beträgt 12% des Nettoumsatzes aber maximal € 26.400,--.

Im Einkommensteuergesetz finden sich im § 17 Abs. 1 bis 3 allgemeine Bestimmungen zur Betriebsausgabenpauschalierung, die Freiberuflerinnen/Freiberufler (im Sinne des § 22 EStG) und Gewerbetreibende (im Sinne des § 23 EStG) beanspruchen können.

Für Betriebe, deren Vorjahresumsatz € 220.000,- nicht übersteigt, kann auch eine Vorsteuerpauschalierung mit 1,8% des Nettoumsatzes (ohne Umsätze aus Hilfsgeschäften wie z.B, Anlagenverkäufen) max. € 3.960,- in Anspruch genommen werden.

II. Sachverhalt

Vom BMI wurden für erbrachte Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen Zahlungen an die geprüfte Unternehmerin geleistet. Das übermittelte Kontrollmaterial fand im Rechenwerk des Unternehmens jedoch nicht ausreichend Deckung.

Dazu wurde [die Ast.] zu Prüfungsbeginn niederschriftlich befragt.

Ebenfalls im Zuge der Prüfungseröffnung wurden sowohl alle zugeflossenen Honorare von 2011-2017, als auch das betriebliche Konto offengelegt, mit der Beteuerung den entstandenen Schaden sobald wie möglich wieder gut zu machen.

Von der steuerlichen Vertretung wurde angeregt, für den Prüfungszeitraum sowohl die Betriebsausgaben in Anlehnung an das Betriebsausgabenpauschale (gem. §17 EStG), als auch die Vorsteuerbeträge in Anlehnung an das Vorsteuerpauschale gem. § 14 UStG in Ansatz zu bringen.

III. Rechtliche Würdigung

Die betrieblichen Einnahmen wurden anhand der vorgelegten Kontoauszüge festgesetzt. Sowohl die Betriebsausgaben, als auch die Vorsteuer wurden in Anlehnung an die jeweiligen Pauschalbeträge festgesetzt.

Tz 4 Einkünfte aus SA 2011 - 2013


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2011
2012
2013
Einnahmen lt. Kontoauszug
44.313,67
61.456,25
67.059,00
12 % Betriebsausgabenpauschale
5.317,64
7.374,75
8.047,08
Einkünfte aus SA lt AP
38.996,03
54.081,50
59.011,92
Einkünfte aus SA bisher
2.1815,86
23.000,00
23.000,00
Hinzurechnung
17.180,17
3.1081,50
36.011,92

Tz 5 Einkünfte aus SA 2014 - 2016


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2014
2015
2016
Einnahmen lt. Kontoauszug
56.805,45
67.671,94
92.985,05
12 % Betriebsausgabenpauschale
6.816,66
8.120,60
11.158,21
Einkünfte aus SA lt AP
49.988,76
59.551,04
81.826,84
Einkünfte aus SA bisher
34.669,57
49.456,20
76.378,60
Hinzurechnung
15.319,22
10.094,84
5.448,24

"

Das Finanzamt folgte der Rechtsansicht der Außenprüfung und setzte nach Wiederaufnahme der Verfahren mit Bescheiden vom die Einkommensteuer 2011 bis 2016 den Feststellungen der Außenprüfung entsprechend neuerlich fest (BFG-Akt zur RV/7102120/2019, AS 25 - 48).

Am stellte die - nunmehr auch rechtsanwaltlich vertretene - ASt. mit nachstehendem, wörtlich wiedergegebenen, Schriftsatz (BFG-Akt zur RV/7102120/2019, AS 49-51) folgende Anträge:

"...

II. Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens

Am wurde durch das Finanzamt Wien 12/13/14 Purkersdorf ... eine Außenprüfung nach den §§ 147ff BAO zur Ermittlung der Umsatz- sowie der Einkommenssteuer für die Jahre 2011 bis 2016 bei der [ASt.] durchgeführt. Die Bescheide wurden am erlassen.

1. Pflichtversicherungsbeiträge - SVA

Bei der Berechnung der Einnahmen wurden zwar die Betriebsausgabenpauschale in der Höhe von 12 % berücksichtigt, nicht aber die aufgewendeten Beiträge aus der von der Antragstellerin zu leistenden gesetzlichen Pflichtversicherung (Kranken-, Unfall, - und Pensionsversicherung sowie die Selbstständigenvorsorge) abgezogen wurden. Daher wurden der Einkommenssteuerberechnung zu hohe Einnahmen aus selbstständiger Arbeit zugrunde gelegt.

Konkret ergeben sich - vor Berücksichtigung des Gewinnfreibetrages von Euro 3.900,00 folgende Zahlen:

...

2. Antrag gem. § 303 BAO

Gem. BAO ist dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit gegenüber dem Prinzip der Rechtskraft hier der Vorzug einzuräumen. Es wird darum ersucht, auf diese neu hervorgekommenen Tatsachen bzw. Beweise Rücksicht zu nehmen und die Einkünfte aus selbstständiger Arbeit bzw. darauf basierend die Einkommenssteuer entsprechend zu berechnen. Bei Kenntnis dieser Tatsachen, hätte der Einkommenssteuerbescheid für die Jahre 2011 bis 2016 schließlich einen anderslautenden Spruch enthalten, womit die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 301 Abs 1 BAO vorliegen.

Die Beschuldigte stellt daher den

ANTRAG

a) auf Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 303 BAO und

b) auf Aufhebung des unrichtigen Einkommenssteuerbescheides der ESt-Jahre 2011
bis 2016 sowie

c) eine neuerliche meritorische Entscheidung nach § 307 Abs. 1 BAO.

..."

Dem Schriftsatz beigefügt wurden Ablichtungen von sieben Kontrollauszügen der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft vom für die Jahre 2011 bis 2017 aus denen die für diese Zeiträume entrichteten Sozialversicherungsbeiträge der ASt. ersichtlich sind (BFG-Akt zur RV/7102120/2019, AS 53 - 60). Demnach habe die ASt. entrichtet:


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für
2010
510,--
für
2011
3.360,--
für
2012
3.390,--
für
2013
1.850,--
für
2014
3.500,--
für
2015
1.400,--
für
2016
5.100,--
für
2017
23.500,--

Mit Bescheiden vom - zugestellt an die steuerliche Vertretung - wies das Finanzamt den Antrag auf Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren 2011 bis 2016 ohne weitere Erhebungen als unbegründet ab (BFG-Akt zur RV/7102120/2019, AS 61 - 66).
In der gesonderten Bescheidbegründung vom - nunmehr zugestellt an die rechtsfreundliche Vertretung - verwies das Finanzamt darauf (BFG-Akt zur RV/7102120/2019, AS 67 - 69), dass

" … [die ASt.] eine hohe Mitwirkungspflicht bei einer Betriebsprüfung [hat], da sich die Abgabenbehörde ein richtiges, vollständiges und klares Bild von den für die Abgabenerhebung maßgeblichen Umständen machen muss. Weiters sind alle Umstände, die für den Bestand und Umfang einer Abgabepflicht oder für die Erlangung abgabenrechtlicher Begünstigungen bedeutsam sind, wahrheitsgemäß offen zu legen. Darunter sind die maßgebenden Sachverhalte zu verstehen.

Laut Prüfungsbericht wurden keine Unterlagen den Prüfungsorganen offengelegt. Nach Durchsicht Ihrer Unterlagen, war es Ihnen jederzeit möglich die bezahlten SV-Beiträge abzuverlangen und vorzulegen, damit diese berücksichtigt werden können.

Siehe Abschnitt ´bezahlte SV-Beiträge`:

Für Vorjahre können Sie Bestätigungen über geleistete Zahlungen oder Kontoübersichten neben weiteren Informationen jederzeit über die Online-Services unserer Homepage ´www.svagw.at abrufen und ausdrucken. Dazu benötigen Sie entweder einen Benutzernamen und ein Passwort, eine Bürgerkarte oder eine Handysignatur.

Zum Zeitpunkt der Prüfung war es Ihnen bereits bekannt, wie viel Sie in den jeweiligen Jahren an SV-Beiträge bezahlt haben. Ihnen war es auch möglich und zumutbar vor Prüfungsabschluss Einwände gegen des Prüfungsergebnisses einzulegen und die fehlenden Unterlagen nachzureichen.

Die bezahlten SV-Beiträge wurden, während sowie beim Abschluss der Prüfung, nicht bekanntgegeben. Es wurde im Prüfungsbericht festgehalten, dass der steuerliche Vertreter angeregt hat, die Betriebsausgaben als auch die Vorsteuerbeträge in Anlehnung an das Betriebsausgabenpauschale (gem. § 17 EStG) bzw. Vorsteuerpauschale (gem. § 14 UStG) zu ermittelt. Unter dem Punkt ´Rechtliche Würdigung` geht klar hervor, dass die Betriebsausgaben und die Vorsteuerbeträge bloß in Anlehnung an die jeweiligen Pauschalbeträge festgesetzt worden sind. Somit wurde nicht das tatsächliche Betriebsausgabenpauschale gem. § 17 EStG herangezogen und daher sind in den angesetzten Betriebsausgaben auch die SV-Beiträge inkludiert.

Da die SV-Beiträge sowohl während der Prüfung als auch vor Abschluss der Prüfung bekannt waren, handelt es sich außerdem nicht um neu hervorgekommenen Tatsachen bzw. Beweismittel, daher sind die Voraussetzungen, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 303 Abs. 1 BAO rechtfertigen, nicht erfüllt und Ihr Antrag war abzuweisen. …"

Mit Schriftsatz vom erhob die ASt. Beschwerde gegen die Abweisung ihres Antrages auf Wiederaufnahme der Verfahren (BFG-Akt zur RV/7102120/2019, AS 70 - 79). Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass

"… bei der Berechnung der Einnahmen nicht auf die aufgewendeten Beiträge aus der von der Beschwerdeführerin zu leistenden gesetzlichen Pflichtversicherung (Kranken-, Unfall, - und Pensionsversicherung sowie die Selbstständigenvorsorge) Bezug genommen [wurde]. Der Einkommenssteuerberechnung wurden daher zu hohe Einnahmen aus selbstständiger Arbeit zugrunde gelegt. Die bezahlten SV-Beiträge sind bei der Einkommensteuerberechnung sehr wohl zu berücksichtigen …"

Es werde daher ersucht diese neu hervorgekommenen Tatsachen - bezahlte Versicherungsbeiträge der Jahre 2011 bis 2016 - bei der Einkommensteuerberechnung dieser Jahre zu berücksichtigen.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde der ASt. als unbegründet ab und führte im Wesentlichen aus (BFG-Akt zur RV/7102120/2019, AS 81 ff):

" … Im Rahmen dieses Prüfungsverfahrens wurden dem Prüfungsorgan die Ausgabenbelege lose - also nicht aufgebucht übergeben - sodass eine Vollständigkeit der Betriebsausgaben für den gesamten Prüfungszeitraum nicht nachvollziehbar war.

Daher hat man sich, wie aus dem BP-Bericht vom ersichtlich ist, auf eine Schätzung der Betriebsausgaben in Anlehnung an das Betriebsausgabenpauschale geeinigt …"

Unter Verweis auf Punkt II (Sachverhalt) und III (rechtliche Würdigung) des Prüfungsberichtes ergebe sich somit eindeutig,

"… dass nicht wie von der [ASt.] unrichtiger Weise angenommen, das Betriebsausgabenpauschale gem. § 17 EStG gewährt wurde, sondern lediglich eine Schätzung der Betriebsausgaben in Anlehnung daran erfolgte. Das bedeutet daher auch, dass damit sämtliche Betriebsausgaben - somit auch eventuelle gesetzliche Sozialversicherungsbeiträge - in diesem Schätzungsbetrag inkludiert sind und daher keine zusätzliche Berücksichtigung von weiteren Ausgaben zu erfolgen hat. … "

Darüber hinaus fänden die entrichteten Pflichtbeiträge an die SVA für den Zeitraum 2011 bis 2016 in der Schätzung der Betriebsausgaben - in Anlehnung an das Betriebsausgabenpauschale - Deckung. Dem Betriebsprüfungsbericht folgend, seien dem Prüfungsorgan die erforderlichen Unterlagen im Prüfungszeitraum nicht vollständig und nachvollziehbar offengelegt worden. Die nachgereichten Bestätigungen über die geleisteten Zahlungen von SV-Beträgen stellen folglich auch keine neuen Tatsachen und Beweismittel dar.

Am beantragte die ASt. die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorzulegen und legte das Finanzamt diese dem Bundesfinanzgericht am samt den entscheidungswesentlichen Aktenteilen vor (BFG-Akt zur RV/7102120/2019, AS 87 ff).

Mit Beschluss vom forderte das Bundesfinanzgericht die ASt. unter anderem auf bekanntzugeben, ob ihr Anbringen vom (BFG-Akt zur RV/7102120/2019, AS 49 ff) auch als Antrag gemäß § 299 BAO zu werten sei, weil einerseits unter dem Punkt II.2.b des Schriftsatzes der Antrag "b) auf Aufhebung des unrichtigen Einkommenssteuerbescheides der ESt-Jahre 2011bis 2016" gestellt worden und andererseits aus dem Schriftsatz ausschließlich eine materielle Begründung für die behauptetet Unrichtigkeit der Einkommensteuerbescheide 2011 - 2016 angeführt sei.

In Beantwortung der Mängelbehebung gab die rechtsfreundliche Vertretung der ASt. am bekannt - dieser Schriftsatz erging via Faxmitteilung an das Finanzamt -, dass die Abgabenbehörde auf Antrag der Partei einen Bescheid der Abgabenbehörde aufheben könne, wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweise. Dies sei hier auf Grund der Nichtberücksichtigung der bezahlten SV-Beiträge und die dadurch unrichtige Berechnung der Einkommenssteuer der Fall. Das Anbringen vom sei als Antrag auf Bescheidaufhebung gemäß § 299 BAO wegen inhaltlicher Unrichtigkeit des Spruches zu werten sowie als Antrag einen inhaltlich richtigen Steuerbescheid zu erlassen. Dies ergebe sich bereits aus den Punkten Punkt 2b) und 2.c) des Antrages vom in denen

"… bereits die ´Aufhebung des unrichtigen Einkommenssteuerbescheides der ESt- Jahre 2011 bis 2016` und daher neuerlich unter Berücksichtigung der bezahlten SV-Beträge zu entscheiden begehrt wurde. Bloß in eventu wird die Wiederaufnahme des Verfahrens begehrt.
Wie bereits im ersten Wiederaufnahmeantrag ausgeführt wurde, wurde bei der Berechnung der Einnahmen nicht auf die aufgewendeten Beiträge aus der von der Abgabenpflichtige zu leistenden gesetzlichen Pflichtversicherung (Kranken-, Unfall. - und Pensionsversicherung sowie die Selbstständigenvorsorge) Bezug genommen. Der Einkommenssteuerberechnung wurden daher zu hohe Einnahmen aus selbstständiger Arbeit zugrunde gelegt und ist damit unrichtig … "

Nachdem die ASt. am Säumnisbeschwerde beim Bundesfinanzgericht gemäß § 284 BAO einbrachte - die Abgabenbehörde hatte über den nunmehr auch als gemäß § 299 BAO zu beurteilenden Antrag auf Aufhebung der unrichtigen Einkommensteuerbescheide 2011 bis 2016 noch nicht entschieden - forderte das Bundesfinanzgericht die Abgabenbehörde mit Beschluss vom auf, binnen eines Monats ab Einlangen der Säumnisbeschwerde zu entscheiden und eine Abschrift der Bescheide samt Zustellnachweis vorzulegen, oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht oder nicht mehr vorliegt (BFG-Akt AS 14ff).

Mit Schreiben vom gab das Finanzamt bekannt, dass eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht vorliege und die gegenständliche Säumnisbeschwerde als unzulässig zurückzuweisen sei, da kein Antrag auf Aufhebung der unrichtigen Einkommensteuerbescheide 2011 bis 2016 gemäß § 299 BAO gestellt worden sei. Diesbezüglich führte das Finanzamt aus (BFG-Akt AS 26f):

" … Der dem Bundesfinanzgericht bereits vorliegende Antrag vom , eingebracht durch die rechtskundige Vertreterin der Beschwerdeführerin, RA […], nimmt ausschließlich Bezug auf die Bestimmung des § 303 BAO. Unmissverständlich wurde mit dem Antrag vom ausschließlich ein Antrag auf Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer 2011 bis 2016 beantragt. Der Antrag vom ist ausdrücklich als ´Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 303 BAO` bezeichnet. Darüber hinaus verwendet die Beschwerdeführerin den Begriff der "Wiederaufnahme" auch durchgängig innerhalb des Antrags.

Auch wenn die Beschwerdeführerin im letzten Absatz des Antrags die Aufhebung der verfahrensgegenständlichen Einkommensteuerbescheide beantragt, ist daraus kein Antrag gem. § 299 BAO ableitbar. Dieser Antrag ist im Kontext des Antrags

lit a auf Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 303 BAO
lit b auf Aufhebung des unrichtigen Einkommensteuerbescheides der ESt-Jahre 2011 bis 2016 sowie
Lit c eine neuerliche meritorische Entscheidung nach § 307 Abs. 1 BAO.

Dieser Antrag/diese Anträge entsprechen den normativen Vorgaben des § 307 BAO, denen bei Bewilligung einer Wiederaufnahme eines Verfahrens nach § 303 BAO durch die Abgabenbehörde zu entsprechen ist.

Auch in der dem Bundesfinanzgericht bereits vorliegende Bescheidbeschwerde vom nimmt die Beschwerdeführerin Bezug auf den Antrag auf Wiederaufnahme gem. § 303 BAO vom Bezug - ´Wie bereits im Antrag auf Wiederaufnahme gem. § 303 BA vom ausgeführt, …`- und wiederholt ausdrücklich ihren Antrag auf Wiederaufnahme - ´Die Beschwerdeführerin wiederholt daher Ihren Antrag gemäß § 303 BAO und. …`

Selbst in der gegenständlichen Säumnisbeschwerde führt die Beschwerdeführerin aus, dass sie mit dem Antrag vom die Wiederaufnahme beantragt hat.

Der Antrag vom ist daher ohne jeglichen Zweifel ausschließlich als Antrag auf Wiederaufnahme anzusehen.

Für eine Würdigung, Umdeutung des Antrags vom als Antrag gem. § 299 BAO besteht daher keinerlei Raum. In diesem Zusammenhang ist auf den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom , Ro 2014/16/0061, zu verweisen.

Dem Umstand, dass die Beschwerdeführerin, vertreten durch eine rechtskundigeParteienvertreterin, nachträglich, erst aufgrund eines als Mängelbehebungsauftrag bezeichnetes Schreibens des Bundesfinanzgerichts nachträglich vorbringt, der Antrag vom sei auch als Antrag gem. § 299 BAO zu werten, kommt in Ansehung des Vorstehenden keine Bedeutung zu. … "

Das Finanzamt beantragt daher die Säumnisbeschwerde als unzulässig zurückzuweisen.

Über den Antrag gemäß § 299 BAO wurde erwogen:

Vorweg bleibt festzuhalten, dass die Beschwerde der ASt. hinsichtlich der Abweisung ihres Antrages auf Wiederaufnahme der Verfahren Einkommensteuer 2011 bis 2016 - (Abweisungs-)Bescheide vom - mit Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom zur protokollierten GZ RV/7102120/2019 als unbegründet abgewiesen wurde.

Mit dem im Rubrum des Schriftsatzes als "Antrag auf Wiederaufnahme gem. § 303 BAO" bezeichneten Anbringen vom erbat die ASt. beim Finanzamt - nach Eintritt der Rechtskraft im Zuge der Außenprüfung ergangener Einkommensteuerbescheide 2011 bis 2016 - die Änderung der Besteuerungsgrundlagen, weil "… bei der Berechnung der Einnahmen zwar die Betriebsausgabenpauschale in der Höhe von 12% berücksichtigt [wurde], nicht aber die aufgewendeten Beträge aus der von der Antragstellerin zu leistenden gesetzlichen Pflichtversicherung … " und beantragte dabei auch die Aufhebung der unrichtigen Einkommensteuerbescheide 2011 - 2016:

"…
a) auf Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 303 BAO und

b) auf Aufhebung des unrichtigen Einkommenssteuerbescheides der ESt-Jahre 2011
bis 2016 sowie

c) eine neuerliche meritorische Entscheidung nach § 307 Abs 1 BAO. …"

Diesem Antrag beigefügt sind Ablichtungen von Bestätigungen der Sozialversicherungsanstalt für gewerbliche Wirtschaft aus denen die von der ASt entrichteten gesetzlichen Versicherungsbeiträge für die Jahre 2010 bis 2017 ersichtlich sind (BFG-Akt zur RV/7102120/2019, AS 49 - 60, siehe oa Tabelle).

In Entsprechung des hg Mängelbehebungsauftrages vom gemäß §§ 85, 115, 299 BAO teilte die ASt. am ausdrücklich mit, mit ihrem Anbringen vom auch einen Antrag gemäß § 299 BAO auf Aufhebung der unrichtigen Einkommensteuerbescheide 2011 bis 2016 gestellt zu haben (BFG-Akt zur RV/7102120/2019, AS 134/1f, AS 134/12f).

Dieser Antrag der ASt. auf Aufhebung der im Zuge der Außenprüfung ergangenen Einkommensteuerbescheide 2011 - 2016 wurde vom Finanzamt einer bescheidmäßigen Erledigung nicht zugeführt.

Nach Einlangen der Säumnisbeschwerde der ASt. vom trug das Bundesfinanzgericht mit Beschluss vom dem Finanzamt auf innerhalb einer Frist von einem Monat ab Zustellung der Säumnisbeschwerde über den Antrag gemäß § 299 BAO zu entscheiden und eine Abschrift der Bescheide samt Zustellnachweis vorzulegen, oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht oder nicht mehr vorliegt (BFG-Akt AS 14f).

Eine Entscheidung des Finanzamtes über den Antrag der ASt. vom gemäß § 299 BAO unterblieb weiterhin, weil vom Finanzamt die Auffassung vertreten wird, eine Verletzung der Entscheidungspflicht liegt mangels eines Antrages auf Aufhebung der im Zuge der Außenprüfung ergangenen Einkommensteuerbescheide 2011 bis 2016 gemäß § 299 BAO nicht vor. Der Antrag der ASt. ist bis zum jetzigen Zeitpunkt unerledigt.

Diese Feststellungen ergeben sich aus dem zur hg GZ RV/7102120/2019 protokollierten Beschwerdeverfahren, dem oa Beschwerdeverfahren hinsichtlich Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer 2011 bis 2016, sowie aus den im gegenständlichen Säumnisbeschwerdeverfahren vorliegenden Akten.

Nach Dafürhalten des Bundesfinanzgerichtes bleibt im gegenständlichen Säumnisbeschwerdeverfahren die Frage zu beurteilen, ob die ASt. mit ihrem Anbringen vom auch einen Antrag auf Aufhebung der unrichtigen Einkommensteuerbescheide 2011 bis 2016 gemäß § 299 BAO gestellt hat und ob in weiterer Folge eine Verletzung der Entscheidungspflicht des Finanzamtes über diesen Antrag vorliegt.

Dem § 85 BAO zufolge sind Anbringen zur Geltendmachung von Rechten oder zur Erfüllung von Verpflichtungen (insbesondere Erklärungen, Anträge, Beantwortungen von Bedenkenvorhalten, Rechtsmittel) vorbehaltlich der Bestimmungen des Abs. 3 schriftlich einzureichen (Eingaben).

Mängel von Eingaben (Formgebrechen, inhaltliche Mängel, Fehlen einer Unterschrift) berechtigen die Abgabenbehörde nicht zur Zurückweisung; inhaltliche Mängel liegen nur dann vor, wenn in einer Eingabe gesetzlich geforderte inhaltliche Angaben fehlen. Sie hat dem Einschreiter die Behebung dieser Mängel mit dem Hinweis aufzutragen, dass die Eingabe nach fruchtlosem Ablauf einer gleichzeitig zu bestimmenden angemessenen Frist als zurückgenommen gilt; werden die Mängel rechtzeitig behoben, gilt die Eingabe als ursprünglich richtig eingebracht (§ 85 Abs. 2 BAO).

§ 284 BAO normiert:

"(1) Wegen Verletzung der Entscheidungspflicht kann die Partei Beschwerde (Säumnisbeschwerde) beim Verwaltungsgericht erheben, wenn ihr Bescheide der Abgabenbehörden nicht innerhalb von sechs Monaten nach Einlangen der Anbringen oder nach dem Eintritt zur Verpflichtung zu ihrer amtswegigen Erlassung bekanntgegeben (§ 97) werden. Hiezu ist jede Partei befugt, der gegenüber der Bescheid zu ergehen hat.

(2) Das Verwaltungsgericht hat der Abgabenbehörde aufzutragen, innerhalb einer Frist von bis zu drei Monaten ab Einlangen der Säumnisbeschwerde zu entscheiden und gegebenenfalls eine Abschrift des Bescheides vorzulegen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht oder nicht mehr vorliegt. Die Frist kann einmal verlängert werden, wenn die Abgabenbehörde das Vorliegen von in der Sache gelegenen Gründen nachzuweisen vermag, die eine fristgerechte Entscheidung unmöglich machen. Wird der Bescheid erlassen oder wurde er vor Einleitung des Verfahrens erlassen, so ist das Verfahren einzustellen.

(3) Die Zuständigkeit zur Entscheidung geht erst dann auf das Verwaltungsgericht über, wenn die Frist (Abs. 2) abgelaufen ist oder wenn die Abgabenbehörde vor Ablauf der Frist mitteilt, dass keine Verletzung der Entscheidungspflicht vorliegt.

(4) Säumnisbeschwerden sind mit Erkenntnis abzuweisen, wenn die Verspätung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Abgabenbehörde zurückzuführen ist.

(5) Das Verwaltungsgericht kann sein Erkenntnis vorerst auf die Entscheidung einzelner maßgeblicher Rechtsfragen beschränken und der Abgabenbehörde auftragen, den versäumten Bescheid unter Zugrundelegung der hiermit festgelegten Rechtsanschauung binnen bestimmter, acht Wochen nicht übersteigender Frist zu erlassen. Kommt die Abgabenbehörde dem Auftrag nicht nach, so entscheidet das Verwaltungsgericht über die Beschwerde durch Erkenntnis in der Sache selbst. …"

Für die Beurteilung von Anbringen kommt es nicht auf die Bezeichnung von Schriftsätzen und die zufälligen verbalen Formen an, sondern auf den Inhalt, das erkennbare oder zu erschließende Ziel des Parteienschritts. Maßgebend für die Wirksamkeit einer Prozesserklärung ist das Erklärte, nicht das Gewollte. Allerdings ist das Erklärte der Auslegung zugänglich. Parteienerklärungen im Verwaltungsverfahren sind nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen, das heißt es kommt darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszwecks und der der Behörde vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss. Die Anwendung dieses Grundsatzes setzt jedoch voraus, dass eine der Auslegung zugängliche Parteierklärung vorliegt, und dass der Wille der Partei aus ihrem Vorbringen mit Eindeutigkeit erschlossen werden kann (vgl Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz, BAO³ § 85, und die dort angeführte Judikatur des VwGH).

Bei einem eindeutigen Inhalt eines Anbringens ist eine davon abweichende, nach außen auch andeutungsweise nicht zum Ausdruck kommende Absicht des Einschreiters nicht maßgeblich. Bei undeutlichem Inhalt eines Anbringens sowie bei Unklarheit über den Umfang eines Antrages ist die Abgabenbehörde angehalten, die Absicht und die Präzisierung des nicht eindeutigen Umfanges des Begehrens der Partei zu erforschen (vgl Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz, BAO³ § 85).

Die Behörde hat den Sinn einer mehrdeutigen Parteienbekundung nicht in der Richtung zu bestimmen, die für den Standpunkt der Partei nach der Beurteilung der Behörde am günstigsten wäre (vgl. Ritz, BAO5, § 85 Tz 1 und die dort angeführte Judikatur des VwGH). Im Zweifel ist dem Anbringen einer Partei, das sie zur Wahrung ihrer Rechte stellt, nicht ein solcher Inhalt beizumessen, der ihr die Rechtsverteidigungsmöglichkeiten nimmt (, mwN).

Sobald das Bundesfinanzgericht für die Erledigung von Bescheidbeschwerden zuständig ist, obliegt ihm auch die Erlassung von Mängelbehebungsaufträgen (vgl. Ritz, BAO5, § 85 Tz 19).

Betrachtet man oben angeführtes Anbringen der ASt. vom unter dem Blickwinkel obiger Ausführungen, so liegt mit diesem Anbringen nach Dafürhalten des Bundesfinanzgerichtes eine eindeutige und jeden Zweifel ausschließende Parteienerklärung (noch) nicht vor.

Obwohl dieses Anbringen keine Wiederaufnahmegründe anführt, vielmehr die ASt die materielle steuerrechtliche Unrichtigkeit der im Zuge der Außenprüfung ergangenen Einkommensteuerbescheide 2011 - 2016 beanstandet, hat das Finanzamt dieses Anbringen, ohne weitere Erforschung des Parteiwillens bzw ohne weitere Ermittlungen welche konkreten Wiederaufnahmegründe vorliegen, ausschließlich als Antrag "auf Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 303 BAO" gewertet und als unbegründet abgewiesen.

Unter Bedachtnahme auf vorstehende Ausführungen hätte das Finanzamt das Anbringen - ungeachtet seiner Bezeichnung - nicht ohne weiteres ausschließlich als "Antrag auf Wiederaufnahme gem. § 303 BAO" werten dürfen. Dem Inhalt des Anbringens ist aufgrund seiner durchwegs materiellrechtlichen Begründung zu entnehmen, dass die ASt. eine Berücksichtigung der von ihr entrichteten Sozialversicherungsbeiträge bei der Ermittlung der Einkommensteuerbemessungsgrundlage für die Jahre 2011 bis 2016 begehrte. Für dieses Begehren spricht auch die sprachliche Wendung ihres Antrages "auf Aufhebung des unrichtigen Einkommenssteuerbescheides der ESt-Jahre 2011 bis 2016", ohne dass die ASt. expressis verbis einen Antrag gemäß § 299 BAO gestellt hat.

In Anbetracht der vom Verwaltungsgerichtshof vertretenen Auffassung hätte das Finanzamt im vorliegenden Fall die Absicht der Partei erforschen müssen und das Anbringen samt den beigelegten Bestätigungen der gewerblichen Sozialversicherung für die jährlich entrichteten Beiträge nicht ausschließlich als Wiederaufnahmeantrag werten dürfen, weil damit der ASt. von vorneherein jede Rechtsverteidigungsmöglichkeit genommen wurde.

Nach bescheidmäßiger Abweisung (vom ) ihres vom Finanzamt ausschließlich "auf Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 303 BAO" gewerteten Antrages, sowie die Beschwerde der ASt. (vom ) abweisende Beschwerdevorentscheidung (vom ) beantragte diese die Entscheidung über ihre Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorzulegen. Mit diesem Vorlageantrag der ASt. vom 8. Jänner oblag nunmehr dem Bundesfinanzgericht die Erforschung des Parteiwillens.

Nach Dafürhalten des Bundesfinanzgerichtes ist mit der eindeutigen Erklärung der ASt. vom ihr Anbringen vom auch als Antrag auf Aufhebung der unrichtigen Einkommensteuerbescheide 2011 - 2016 zu beurteilen.

Nachdem das Finanzamt dem Bundesfinanzgericht mit Schreiben vom mitteilte, eine Säumnis über einen Antrag auf Aufhebung der unrichtigen Einkommensteuerbescheide 2011 - 2016 liege nicht vor, weil ein derartiger Antrag gar nicht gestellt worden sei, ist die Rechtsfolge des Zuständigkeitsüberganges an das Bundesfinanzgericht gemäß § 284 Abs. 2 BAO eingetreten.

Das Bundesfinanzgericht ist nunmehr befugt über den Antrag der ASt vom auf Aufhebung der unrichtigen Einkommensteuerbescheide 2011 - 2016 gemäß § 299 BAO zu entscheiden.

Gemäß § 299 BAO kann die Abgabenbehörde auf Antrag der Partei oder von Amts wegen einen Bescheid der Abgabenbehörde aufheben, wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweist. Der Antrag hat zu enthalten:

a) die Bezeichnung des aufzuhebenden Bescheides;

b) die Gründe, auf die sich die behauptete Unrichtigkeit stützt.

Mit dem aufhebenden Bescheid ist der den aufgehobenen Bescheid ersetzende Bescheid zu verbinden. Dies gilt nur, wenn dieselbe Abgabenbehörde zur Erlassung beider Bescheide zuständig ist (Abs. 2).

Durch die Aufhebung des aufhebenden Bescheides (Abs. 1) tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor der Aufhebung (Abs. 1) befunden hat (§ 299 Abs. 3 BAO).

Eine Bescheidaufhebung gemäß § 299 Abs. 1 BAO setzt voraus, dass sich der Spruch des Bescheides als nicht richtig erweist. Der Inhalt eines Bescheides ist nicht richtig, wenn der Spruch des Bescheides nicht dem Gesetz entspricht. Weshalb diese Rechtswidrigkeit vorliegt (etwa bei einer unrichtigen Auslegung einer Bestimmung, bei mangelnder Kenntnis des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes, bei Übersehen von Grundlagenbescheiden), ist für die Anwendbarkeit des § 299 Abs. 1 BAO nicht ausschlaggebend (, sowie Ritz, BAO5, § 299 Tz 10). Die Rechtswidrigkeit muss nicht offensichtlich sein. Eine Aufhebung gemäß § 299 BAO setzt aber die Gewissheit der Rechtswidrigkeit voraus; die bloße Möglichkeit reicht nicht (, sowie Ritz, BAO5, § 299 Tz 13, mwN). Vor Erlassung eines Aufhebungsbescheides muss daher der Sachverhalt, aus dem sich die inhaltliche Rechtswidrigkeit des aufzuhebenden Bescheides ergibt, einwandfrei geklärt sein (, sowie Ritz, BAO5, § 299 Tz 13, mwN).

Bei der Aufhebung auf Antrag bestimmt die betreffende Partei den Aufhebungsgrund. Sie gibt im Aufhebungsantrag an, aus welchen Gründen sie den Bescheid für inhaltlich rechtswidrig erachtet.

Eine Verbindung von Bescheiden setzt voraus, dass die Abgabenbehörde auch zur Erlassung beider Bescheide zuständig ist. In den Fällen, in denen die Zuständigkeit zur Entscheidung über Antrag auf Bescheidaufhebung im Wege der Säumnisbeschwerde auf das Verwaltungsgericht übergegangen ist, ist ein den aufgehobenen Bescheid ersetzender Bescheid wieder von der Abgabenbehörde zu erlassen, da Gegenstand des Säumnisbeschwerdeverfahrens gemäß § 284 BAO die Verletzung der Entscheidungspflicht der Abgabenbehörde ist und nicht die Erlassung der den aufgehobenen ersetzende Bescheid (vgl. in diesem Sinne Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz, BAO³ § 299, Anm 13, Anm 21).

So hielt das Bundesfinanzgericht im Erkenntnis vom , RV/3100562/2012, ergangen in einem Beschwerdeverfahren gegen den den Aufhebungsantrag abweisenden Bescheid der Abgabenbehörde fest, dass

"Bei der Aufhebung eines Bescheides nach § 299 BAO auf Antrag die betreffende Partei den Aufhebungsgrund [bestimmt]. Sie gibt im Aufhebungsantrag an, aus welchen Gründen sie den Bescheid für inhaltlich rechtswidrig erachtet (). Im Beschwerdeverfahren gegen einen Bescheid, mit dem der Aufhebungsantrag abgewiesen wird, ist daher nur zu prüfen, ob die vom Beschwerdeführer im Aufhebungsantrag vorgebrachten Gründe die Rechtswidrigkeit des aufzuhebenden Bescheides zu erweisen vermögen."

Entscheidend ist somit zunächst die Frage, ob mit Gewissheit feststeht, dass der Spruch der Einkommensteuerbescheide 2011 - 2016, deren Aufhebung beantragt wurde, aus den im Aufhebungsantrag genannten Gründen unrichtig ist. Ist diese Frage zu bejahen und ergibt die dann erforderliche Ermessensübung, dass dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit Vorrang einzuräumen ist, wären die erlassenen Einkommensteuerbescheide aufzuheben. Ergibt sich aber, dass nicht mit Gewissheit feststeht, dass der Spruch der Einkommensteuerbescheide aus den im Aufhebungsantrag genannten Gründen unrichtig ist, ist der Antrag der ASt. als unbegründet abzuweisen.

Dem § 17 EStG zufolge können bei den Einkünften aus einer Tätigkeit im Sinne des § 22 oder des § 23 Betriebsausgaben im Rahmen der Gewinnermittlung gemäß § 4 Abs. 3 mit einem Durchschnittssatz ermittelt werden. Neben diesen nach dem Durchschnittssatz ermittelten Betriebsausgaben dürfen unter anderem auch Beiträge im Sinne des § 4 Abs. 4 Z 1 EStG - Beiträge des Versicherten zur gesetzlichen Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung - als Betriebsausgaben abgezogen werden.

Aus den vorgelegten Akten, insbesondere den im Verfahrensgang dargestellten Feststellungen des Außenprüfers, bleibt die von der Abgabenbehörde unbestrittene Nichtberücksichtigung der von der ASt. entrichteten Beiträge zur gewerblichen Sozialversicherung bei der Ermittlung der freiberuflichen Einkünfte durch die Außenprüfung festzuhalten, obwohl dem Außenprüfer die entsprechenden Unterlagen (betriebliches Konto) offengelegt wurden. Anhand der vorgelegten Kontoauszüge wurden die betrieblichen Einnahmen für die Jahre 2011 bis 2016 ermittelt und davon das 12 % Betriebsausgabenpauschale in Abzug gebracht. Als zusätzliche Betriebsausgaben nicht berücksichtigt wurden die auf diesen Kontoauszügen gleichfalls ersichtlichen Aufwendungen der ASt. im Sinne des § 4 Abs. 4 Z 1 EStG (vgl BFG-Akt zur RV/7102120/2019, AS 92-125).

Damit steht mit Gewissheit fest, dass der Spruch der Einkommensteuerbescheide 2011 - 2016, deren Aufhebung beantragt wurde, aus den im Aufhebungsantrag genannten Gründen unrichtig ist.

Allerdings steht die Anwendung des § 299 Abs. 1 BAO im Ermessen der Abgabenbehörde (, ).

Demnach müssen Entscheidungen, die die Abgabenbehörden nach ihrem Ermessen zu treffen haben, sich in den Grenzen halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen (§ 20 BAO).

Das maßgebende Kriterium für das Üben des Ermessens ist vor allem der Zweck der Norm, bei § 299 BAO der Vorrang des Prinzips der Rechtsrichtigkeit unter dem Aspekt der Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Billigkeit, im Sinne von "Angemessenheit in Bezug auf berechtigte Interessen der Partei" (zB "Treu und Glauben", steuerliches Verhalten, wirtschaftliche Verhältnisse) und Zweckmäßigkeit (im Sinne des öffentlichen Interesses insbesondere an der Einbringung der Abgaben, dem Gebot der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit der Vollziehung) sind erst in zweiter Linie ausschlaggebend (Ritz, BAO6, § 20, Tz 5 bis 9 und die dort angeführte Judikatur). Gegen das Ausüben des Ermessens im Sinn der Norm kann allerdings die Geringfügigkeit der Auswirkungen eines solchen allfälligen Tuns sprechen (Ritz, aaO).

Das zentrale Ziel des § 299 BAO ist das Herstellen eines rechtsrichtigen Zustandes, das Begehren der ASt. Somit sprechen der Zweck der Norm, die Billigkeit und die Absicht die Gleichmäßigkeit der Besteuerung herzustellen, für die Aufhebung der Einkommensteuerbescheide 2011 bis 2016, alle vom .

Trotz des Vorranges des Prinzips der Rechtsrichtigkeit haben Aufhebungen dann zu unterbleiben, wenn die Rechtswidrigkeit bloß geringfügig ist. Damit eine Bescheidaufhebung gemäß § 299 BAO wegen Geringfügigkeit unterbleibt, muss die Geringfügigkeit sowohl absolut als auch relativ sein, relativ im Verhältnis zur gesamten Steuerschuld, Nachzahlung oder Gutschrift, absolut gesehen am Betrag der Auswirkung (Ritz, BAO6, § 303, Tz. 71 ff). Der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes in diesem Zusammenhang folgend (vgl ) ist eine jährliche steuerliche Auswirkung von € 654,00 weder absolut noch relativ geringfügig.

Eine mögliche Geringfügigkeit der Auswirkungen der festgestellten Rechtswidrigkeit der Einkommensteuerbescheide 2011 - 2016, die gegen eine Aufhebung der Einkommensteuerbescheide sprechen könnte, liegt im gegenständlichen Fall nicht vor, weil die jährlichen steuerlichen (Gesamt-)Auswirkungen, bei Berücksichtigung der von der ASt entrichteten Sozialversicherungsbeiträgen, zwischen € 665 und € 2.448 liegen.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da sich im gegenständlichen Fall der Zuständigkeitsübergang zur Entscheidung über den Antrag der ASt. gemäß § 284 BAO als Rechtsfolge unmittelbar aus dem Gesetz ergibt und bei der Aufhebung der Einkommensteuerbescheide 2011 bis 2016 von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht abgewichen wurde, war die Zulässigkeit der Revision zu versagen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 284 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 299 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Schlagworte
Bescheidaufhebung
Antrag
Säumnis
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RS.7100143.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at