Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 08.06.2020, RV/7400073/2020

Haftungsbescheid betreffend Kommunalsteuer und Wiener Dienstgeberabgabe im Ermessen wegen Unbilligkeit angesichts lange verstrichener Zeit aufgehoben.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter ***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf.**, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Magistrats der Stadt Wien, Magistratsabteilung 6, Landes- und Gemeindeabgaben, vom betreffend Haftung gemäß § 6a KommStG und gemäß § 6a Wiener Dienstgeberabgabegesetz, GZ.: ***5***, zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG ) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Mit Haftungsbescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 6, ***6***, wurde die nunmehrige Beschwerdeführerin ***Bf.** (in der Folge kurz Bf. genannt) gemäß § 6a des Kommunalsteuergesetzes 1993 - KommStG 1993 , BGBI. Nr.819/1993, in der derzeit geltenden Fassung für den Rückstand an Kommunalsteuer samt Nebenansprüche der X-GmbH in Liquidation in der Höhe von EUR 7.974,71 für den Zeitraum Jänner 2008 bis Juni 2009 haftbar gemacht und aufgefordert, diesen Betrag gemäß § 224 Abs. 1 der Bundesabgabenordnung - BAO , BGBI. Nr. 194/1961, in der derzeit geltenden Fassung, binnen einem Monat ab Zustellung dieses Bescheides zu entrichten, widrigenfalls die zwangsweise Einbringung veranlasst werde.

  1. Gemäß § 6a Wiener Dienstgeberabgabegesetz, LGBl. für Wien Nr. 17/1970, in der derzeit geltenden Fassung, werde die Bf. für den Rückstand an Dienstgeberabgabe samt Nebenansprüchen der X-GmbH in Liquidation in der Höhe von EUR 420,65 für den Zeitraum Jänner 2008 bis Juni 2009 haftbar gemacht und aufgefordert, diesen Betrag gemäß § 224 Abs. 1 BAO binnen einem Monat ab Zustellung dieses Bescheides zu entrichten, widrigenfalls die zwangsweise Einbringung veranlasst werde.

Zur Begründung wurde ausgeführt, gemäß § 6a Abs. 1 des zitierten Kommunalsteuergesetzes hafteten die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffende Kommunalsteuer insoweit, als diese Abgabe infolge schuldhafter Verletzung der ihnen auferlegten abgabenrechtlichen oder sonstigen Pflichten nicht ohne Schwierigkeiten eingebracht werden könne, insbesondere im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

Nach § 6a Abs. 1 des Dienstgeberabgabegesetzes hafteten die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffende Dienstgeberabgabe insoweit, als diese Abgabe infolge schuldhafter Verletzung der ihnen auferlegten abgabenrechtlichen oder sonstigen Pflichten nicht ohne Schwierigkeiten eingebracht werden könne, insbesondere im Falle der Konkurseröffnung. § 9 Abs. 2 BAO gelte sinngemäß.

Gemäß § 80 Abs. 1 BAO hätten die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen und seien befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie hätten insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

Mit Beschluss des Handelsgerichtes ***2*** vom zur Zahl ***1*** sei über das Vermögen der Primärschuldnerin mangels Kostendeckung ein Konkursverfahren nicht eröffnet worden. Am sei die Gesellschaft im Firmenbuch gelöscht worden. Der Rückstand sei bei der Primärschuldnerin uneinbringlich.

Die Bf. sei bis im Firmenbuch als Geschäftsführerin der oben angeführten Gesellschaft eingetragen gewesen und habe weder die Bezahlung veranlasst, noch irgendwelche Schritte zur Abdeckung des Rückstandes unternommen.

Sie habe somit die ihr als Geschäftsführerin der im Spruch genannten Gesellschaft auferlegten Pflichten verletzt und sei daher für den Rückstand haftbar, da dieser bei der Gesellschaft nicht eingebracht werden könne.

Die Geltendmachung der Haftung entspreche auch den Ermessensrichtlinien der Zweckmäßigkeit und Billigkeit nach § 20 BAO, da der Rückstand nach der Aktenlage bei der Primärschuldnerin uneinbringlich sei.

Der Rückstand setze sich laut Abgabenkonto wie folgt zusammen:


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Rückstand
Zeitraum
Betrag in EUR
Kommunalsteuer
2008
5.199,74
Kommunalsteuer
1-6/2009
2.774,97
Dienstgeberabgabe
2008
288,75
Dienstgeberabgabe
1-6/2009
131,90
Summe:
8.395,36

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Mit fristgerechter, per E-Mail eingebrachter Beschwerde vom brachte die BF. vor, sie habe im Jahr 2008 bei der Firma X-GmbH gearbeitet und gedachte normal angemeldet gewesen zu sein. Sie habe Monate lang in verschiedenen Firmen gearbeitet, Karotten waschen und verschiedenes Gemüse aussortieren und einpacken. Nach ein paar Monaten habe sie durch Zufall herausgefunden, dass sie als Geschäftsführerin angemeldet sei und sie habe dann aufgehört, dort weiter zu arbeiten. Sie habe dann einen Job als Zimmermädchen in der Boutique ***7*** angenommen, sobald sie die Abmeldung von X-GmbH bekommen habe. Es habe fast vier Monate gedauert habe, bis sie die Abmeldung in Hand gehabt habe.

Später habe sie dann noch dazu herausgefunden, dass A.B. ihre Unterschrift gefälscht und für verschiedene Zwecke benutzt habe.

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Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die belangte Behörde die gegenständliche Beschwerde als unbegründet ab.

Zur Begründung wurde ausgeführt, gemäß § 6a Abs. 1 des Kommunalsteuergesetzes 1993 - KommStG 1993, BGBI. Nr. 819/1993, in der derzeit geltenden Fassung, hafteten die in den §§ 80ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffende Kommunalsteuer insoweit, als diese Abgabe infolge schuldhafter Verletzung der ihnen auferlegten abgabenrechtlichen oder sonstigen Pflichten nicht ohne Schwierigkeiten eingebracht werden könne, insbesondere im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

Gemäß § 6a Abs. 1 des Dienstgeberabgabegesetzes, LGBl. Für Wien Nr. 17/1970, in der derzeit geltenden Fassung, hafteten die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffende Dienstgeberabgabe insoweit, als diese Abgabe infolge schuldhafter Verletzung der ihnen auferlegten abgabenrechtlichen oder sonstigen Pflichten nicht ohne Schwierigkeiten eingebracht werden könne, insbesondere im Falle der Konkurseröffnung. § 9 Abs. 2 BAO gelte sinngemäß.

Nach § 80 Abs. 1 BAO hätten die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und seien befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen; sie hätten insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet würden.

Zu den im § 80 Abs. 1 BAO genannten Personen gehörten auch die Geschäftsführer der Gesellschaften mit beschränkter Haftung, die gemäß § 18 Abs. 1 des Gesetzes über Gesellschaften mit beschränkter Haftung, RGBI. Nr. 58/1906, die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich zu vertreten hätten.

Voraussetzungen für die Haftung seien also:

Eine Abgabenforderung gegen den Vertretenen, die Stellung als Vertreter, die erschwerte Einbringung der Abgabenforderung, eine Pflichtverletzung des Vertreters, dessen Verschulden an der Pflichtverletzung und die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für die erschwerte Einbringung.

Dass die im angefochtenen Bescheid angeführten Abgabenforderungen tatsächlich bestünden, stehe nach der Aktenlage fest.

Weiters stehe unbestritten fest, dass die Beschwerdeführerin als Geschäftsführerin der Gesellschaft zu dem im § 80 Abs. 1 BAO angeführten Personenkreis gehöre.

Ferner werde nicht bestritten, dass die angeführten Abgabenrückstände bei der Gesellschaft erschwert einbringlich seien.

Es sei ferner Aufgabe des Vertreters, nachzuweisen, dass ihm die Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten für die Gesellschaft unmöglich gewesen sei, weil nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen derjenige, der eine ihm obliegende Pflicht nicht erfülle, die Gründe darzutun habe, aus denen ihm die Erfüllung unmöglich gewesen sei, widrigenfalls angenommen werden könne, dass er seiner Pflicht schuldhafterweise nicht nachgekommen sei.

In der Beschwerde werde angeführt, dass die Bf. für die Firma X-GmbH gearbeitet und gedacht habe, dass sie normal angemeldet sei. Sie hätte in verschiedenen Firmen gearbeitet, Karotten gewaschen und verschiedene Gemüse aussortiert und eingepackt. Nach ein paar Monaten hätte sie durch Zufall herausgefunden, dass sie als Geschäftsführerin angemeldet sei und hätte aufgehört, dort weiter zu arbeiten. Später hätte die Bf. herausgefunden, dass Herrn A.B. ihre Unterschrift gefälscht und für verschiedene Zwecke benutzt hätte.

Dazu müsse Folgendes festgehalten werden:

Die Bf. sei von bis als alleinige handelsrechtliche Geschäftsführerin der X-GmbH eingetragen gewesen. Sie sei ebenso ab als Director der Y-LTD, die ab x.2015 Gesellschafterin der X-GmbH in Liquidation gewesen sei, eingetragen gewesen.

Ein für die Abgabenhaftung relevantes Verschulden liege auch dann vor, wenn sich der Geschäftsführer schon bei der Übernahme seiner Funktion mit einer Beschränkung seiner Befugnisse einverstanden erkläre bzw. eine solche Beschränkung in Kauf nehme, die die künftige Erfüllung seiner gesetzlichen Verpflichtung, insbesondere auch dem Abgabengläubiger gegenüber, unmöglich mache ().

Übernehme er die Funktion eines Geschäftsführers als ,,pro forma Geschäftsführer" ohne Dispositionsbefugnis über das Gesellschaftsvermögen zu haben, sei er zur Wahrnehmung der abgabenrechtlichen Pflichten tatsächlich nicht in der Lage. Ihn treffe deshalb ein haftungsbegründendes Verschulden für die Nichtentrichtung jener Abgaben, die während der Zeit anfallen, in der er als Geschäftsführer bestellt sei ().

Für das Verschulden sei es überdies nicht maßgebend, ob der Beschwerdeführer seine Funktion als Vertreter tatsächlich ausgeübt habe, sondern es komme vielmehr darauf an, ob er als Geschäftsführer zum Vertreter der Primärschuldnerin bestellt gewesen sei und ihm daher diese Funktion auszufüllen oblegen hätte (vgl. ).

Dass die Bestellung eines ,,Geschäftsführers auf dem Papier" an seiner Stellung als Organwalter und am Bestand der ihn nach § 80 BAO treffenden Pflichten nichts ändere, habe der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung wiederholt zum Ausdruck gebracht. Auf den Grund der Übernahme der Geschäftsführerfunktion sowie auf allfällige Einflüsse Dritter auf die Geschäftsführung komme es nicht an ().

Der Umstand, dass eine zum Geschäftsführer bestellte Person rechtsunkundig bzw. der deutschen Sprache nur mangelhaft mächtig sei, enthebe sie nicht dieser Obliegenheit, weil der Geschäftsführer einer GmbH nach der Rechtsprechung dafür einzustehen habe, dass er über die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfüge.

Weder ein völliges Unterbleiben eines Strafverfahrens noch die Einstellung von Vorerhebungen oder einer Voruntersuchung noch ein freisprechendes Urteil des Strafgerichtes könne eine Bindung der Abgabenbehörde bei der Beurteilung der Haftungsvoraussetzungen bewirken. Während der Tatbestand der Abgabenhinterziehung ein vorsätzliches Handeln erfordere, setze die Haftung des Geschäftsführers eine bestimmte Schuldform nicht voraus ().

Bemerkt werde, dass weder Aktzeugen noch ein Dolmetscher bei der Unterfertigung des Gesellschaftsbeschlusses beim Notar anwesend gewesen seien.

Die Bf. habe in ihrer Beschwerde somit nicht den Nachweis erbracht, dass ihr die Erfüllung ihrer Pflichten unmöglich gewesen sei.

Die Pflichtverletzung der Bf. ergebe sich aus der Missachtung der abgabenrechtlichen Bestimmungen. Die Bf. hätte Sorge tragen müssen, dass die Kommunalsteuer und die Dienstgeberabgabe für den Haftungszeitraum fristgerecht entrichtet werde.

Auf Grund dieser Tatsachen sei die Beschwerde als unbegründet abzuweisen gewesen.

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Mit Schriftsatz vom beantragte die Bf. die Entscheidung der Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht (Vorlageantrag).

In Ergänzung zu ihrer Beschwerde vom gegen den Bescheid vom , Zahl MA 6/***3***, sei vorzubringen, dass ihr die Erfüllung der Abgabenplicht unmöglich gewesen sei. Nicht nur, weil sie zum Zeitpunkt der Entstehung der Abgabenpflicht kaum Deutsch gesprochen habe und rechtsunkundig gewesen sei, sondern weil sie ohne ihren Willen und ohne ihre Kenntnis als Geschäftsführerin im Firmenbuch eingetragen worden sei und von der Eintragung gar nichts gewusst habe.

Herr A.B. habe ihr bei ihrer Einstellung mehrere Schriftstücke zur Unterschrift vorgelegt. Sie sei davon ausgegangen, dass sie Dokumente unterschreibe, die mit ihrer Anstellung zu tun hätten (Arbeitsvertrag, Versicherung etc). Herr A.B. habe sie diesbezüglich getäuscht und ihre Notsituation ausgenutzt. Sie sei auf diese Arbeit existenziell angewiesen gewesen, um ihren Lebensunterhalt für Essen und Wohnen bestreiten zu können.

Zu keinem Zeitpunkt habe sie gewusst, dass sie mit ihrer Unterschrift einer Eintragung als Geschäftsführerin im Firmenbuch zustimmen würde. Als sie durch eine Handyanmeldung 2009 erfahren habe, dass ich als Geschäftsführerin eingetragen gewesen sei, sei sie aus allen Wolken gefallen und habe ihr Arbeitsverhältnis mit Herrn A.B. beendet. Sie habe von ihm verlangt, sie augenblicklich aus dem Firmenbuch löschen zu lassen. Als sie wenige Tage später bei der Arbeiterkammer in ***2*** nachgefragt habe, ob dies auch wirklich passiert sei, habe sie dort die Auskunft, dass sie nicht mehr als Geschäftsführerin eingetragen gewesen und ,,alles in Ordnung" sei.

Die Täuschungen von Herrn A.B. seien kein Einzelfall gewesen. Vor dem Bezirksgericht Lilienfeld sei hierzu ein Verfahren wegen nicht bezahlter Leasingraten anhängig, wo Herr A.B. im dazugehörigen Leasingvertrag die Unterschrift der Bf. sogar gefälscht habe. Als Beweismittel sei ein Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen C.D. angeschlossen, das die Falschheit der Unterschrift im Leasingvertrag mit hoher Wahrscheinlichkeit bestätige (Beilage 1).

Die Bf. habe in verschiedenen Firmen, u.a. auch in der X-GmbH gearbeitet. Sie sei jedoch lediglich für Hilfsarbeiten (Gemüsewaschen, - sortieren, -einpacken etc.) zuständig gewesen und habe zu keinem Zeitpunkt einer Eintragung als Geschäftsführerin zugestimmt oder im Bewusstsein eine derartige Unterschrift zu leisten, diese geleistet.

Die Bf. stelle daher an das Bundesfinanzgericht den Antrag auf Aufhebung der Beschwerdevorentscheidung und Feststellung, dass seitens ihrer Person mangels Willens und Wissens um die Eintragung als Geschäftsführerin im Grundbuch kein Verschulden an der Pflichtverletzung zur Zahlung der Abgabenforderungen im Sinne der BAO sowie des Dienstgeberabgabengesetzes vorliege und sie deshalb die Leistung der vorgenannten Abgaben nicht schulde. Weiters wird der der Antrag gestellt, die Einhebung der Abgaben gemäß § 212a BAO auszusetzen.

Die Bf. verfüge derzeit über ein Einkommen von ca. 960 Euro (Notstandshilfe). Ihre Existenz und die ihrer Familie wäre durch eine Zahlungsforderung dieser Höhe massiv gefährdet.

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Mit Vorlagebericht vom wurde die gegenständliche Beschwerde vom dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Gemäß § 6a Abs. 1 KommStG haften die in den §§ 80 ff der Bundesabgabenordnung bezeichneten Vertretemehr als r neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffende Kommunalsteuer insoweit, als diese Abgabe infolge schuldhafter Verletzung der ihnen auferlegten abgabenrechtlichen oder sonstigen Pflichten nicht ohne Schwierigkeiten eingebracht werden kann, insbesondere im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. § 9 Abs. 2 Bundesabgabenordnung gilt sinngemäß.

Gemäß § 6a Abs. 1 des Dienstgeberabgabegesetzes, LGBl. für Wien Nr. 17/1970 in der derzeit geltenden Fassung haften die in den §§ 80 ff Bundesabgabenordnung - BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffende Dienstgeberabgabe insoweit, als diese Abgabe infolge schuldhafter Verletzung der ihnen auferlegten abgabenrechtlichen oder sonstigen Pflichten nicht ohne Schwierigkeiten eingebracht werden kann, insbesondere im Fall der Konkurseröffnung. § 9 Abs. 2 Bundesabgabenordnung - BAO gilt sinngemäß.

Gemäß § 80 Abs. 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

Laut Firmenbuch war die Bf. im Zeitraum bis alleinvertretungsbefugte handelsrechtliche Geschäftsführerin der Firma X-GmbH (nunmehr in Liquidation) und zählt somit zum Kreis der im § 80 Abs. 1 BAO genannten gesetzlichen Vertreter, welche bei Vorliegen der übrigen Haftungsvoraussetzungen zur Haftung herangezogen werden können.

Die unbestrittene Uneinbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgabenschulden, welche am Konto der Primärschuldnerin Fa. X-GmbH nach wie vor unberichtigt aushaften, steht aufgrund der Nichteröffnung des Insolvenzverfahrens mit Beschluss des Handelsgerichtes ***2*** vom , ***1***, fest.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Vertreter darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten unmöglich gewesen sei, widrigenfalls die Abgabenbehörde eine schuldhafte Verletzung im Sinn des § 6a KommStG annehmen darf. Hat der Vertreter schuldhaft seine Pflicht verletzt, für die Abgabenentrichtung aus den Mitteln des Vertretenen zu sorgen, so darf die Abgabenbehörde davon ausgehen, dass die Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit ursächlich war (vgl. ; ; ).

Mit der gegenständlichen Beschwerde bringt die Bf. im Wesentlichen vor, eine schuldhafte Pflichtverletzung treffe sie deswegen nicht, weil sie ohne ihren Willen und ohne ihre Kenntnis als Geschäftsführerin im Firmenbuch eingetragen worden sei. Sie sei lediglich Hilfsarbeiterin gewesen, habe zu keinem Zeitpunkt einer Eintragung im Firmenbuch zugestimmt oder im Bewusstsein, eine derartige Unterschrift zu leisten, diese geleistet. Sie sei davon ausgegangen, dass sie Dokumente unterschreibe, die mit ihrer Anstellung zu tun hätten (Arbeitsvertrag, Versicherung etc.). Herr A.B. habe sie diesbezüglich getäuscht und ihre Notsituation ausgenutzt.

Mit diesem Vorbringen stellt die Bf. das Vorliegen einer vorsätzlichen Handlungsweise in Abrede. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann das tatbestandsmäßige Verschulden kann in einem vorsätzlichen oder in einem fahrlässigen Handeln oder Unterlassen bestehen. Schuldhaft die Verpflichtung, für die Abgabenentrichtung Sorge zu tragen, vernachlässigt zu haben, wird angenommen, wenn der Vertreter keine Gründe darlegen kann, wonach ihm die Erfüllung unmöglich war. Der Vertreter hat nämlich darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten unmöglich gewesen sei, widrigenfalls von der Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung im Sinne des § 9 Abs. 1 BAO angenommen werden darf (vgl. ; ). Die Bestimmungen der §§ 6a. Abs. 1 KommStG und des Wiener Dienstgeberabgabegesetzes sind nahezu Wortgleich mit der Bestimmung des § 9 Abs. 1 BAO, sodass die Judikatur zu § 9 Abs. 1 BAO zur Beurteilung des Verschuldens herangezogen werden kann.

Für das Verschulden im Sinne dieser Bestimmungen ist nicht maßgeblich, ob der Geschäftsführer seine Funktion tatsächlich ausgeübt hat, sondern ob er als Geschäftsführer bestellt war und ihm daher die Ausübung dieser Funktion oblegen wäre. Mit der behaupteten Unkenntnis der rechtlichen Stellung eines Geschäftsführers einer GmbH kann ein mangelndes Verschulden der Beschwerdeführerin nicht aufgezeigt werden. Hätten doch bei ihr schon anlässlich der Unterschriftsleistung, deren Bedeutung sie nicht einordnen konnte, die zur Bestellung als Geschäftsführerin geführt hat, zumindest Bedenken über ihre mit dieser Stellung verbundenen Rechte und Pflichten entstehen müssen. Derart liegt in der Unterlassung von Erkundigungen ein zumindest fahrlässiges Verhalten und ist die Rechtsunkenntnis auch vorwerfbar, weil Rechtskenntnis bei Anwendung der gehörigen Aufmerksamkeit hätte erreicht werden können. Der Vertretungsbefugte und im Rahmen dieser Vertretungsmacht haftungspflichtige Geschäftsführer ist von seiner Verantwortung zur Entrichtung der Abgaben nicht deshalb befreit, weil er die Geschäftsführung auf Grund deren Einflussnahme einer wirtschaftlich die Gesellschaft beherrschender Personen (Herrn A.B.) überlässt und der Geschäftsführer dadurch entweder der rechtlichen und/oder faktischen Möglichkeit einer ausreichenden und effektiven Kontrolle in der Richtung, ob die jeweils fällig werdenden Abgaben zumindest anteilig entrichtet werden, beraubt ist. Auf den Grund der Übernahme der Geschäftsführerfunktion sowie auf allfällige Einflüsse Dritter auf die Geschäftsführung kommt es nicht an (vgl. ; ).

Aus der Aktenlage des vorgelegten Verwaltungsaktes ist ersichtlich, dass die Bf., vertreten durch den öffentlichen Notar Mag. E.F., am und am von ihr unterzeichnete Anträge auf Eintragung der Bf. als Geschäftsführerin der Firma X-GmbH sowie auf Eintragung der Übertragung eines Geschäftsanteils des Alleingesellschafters A.B. an die Firma Y-LTD, ***4***, an das Firmenbuchgericht gestellt hat. Auf beiden Anträgen wurde durch den öffentlichen Notar die Echtheit der Unterschrift der Bf. bestätigt.

Aus einer im vorgelegten Verwaltungsakt ersichtlichen Kopie des britischen Firmenbuches ist ersichtlich, dass die Bf. mit als einziges Vorstandsmitglied der Firma Y-LTD, ***4***, bestellt wurde.

Die Bf. hat daher wiederholte Male vor einem öffentlichen Notar Unterschriften betreffend Anträge auf Änderung des Firmenbuchstandes geleistet und es kann davon ausgegangen werden, dass sie trotz mangelnder Sprachkenntnisse in Bezug auf den Inhalt der von ihr unterfertigten Anträge ausreichend belehrt wurde. Eine gegenteilige Annahme würde eine Anschuldigung betreffend Pflichtverletzungen durch den Notar gleichkommen und zudem völlig der Lebenserfahrung widersprechen.

In der Beschwerdevorentscheidung wurde der Bf. vorgehalten, sie sei ab als Director der Y-LTD, die ab Gesellschafterin der X-GmbH in Liquidation gewesen sei, eingetragen gewesen. Diesen Ausführungen hat sie nicht widersprochen.

Im Lichte dieser die Bf. massiv belastenden Indizien kann auch ihr Beschwerdevorbringen, sie sei durch den Alleingesellschafter A.B. in die Irre geführt und ihre persönliche Notlage sei ausgenützt worden, sie nicht vom Vorwurf einer schuldhaften Pflichtverletzung befreien. Selbst bei Nichtvorhandensein ausreichender Sprachkenntnisse und Rechtskundigkeit hätte der Bf. bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt klar sein müssen, dass Unterschriftsleistung vor einem Notar keinen Zusammenhang mit der Begründung eines Dienstverhältnisses bzw. dem Abschluss von Versicherungsverträgen haben konnten. Die Bf. hat nicht behauptet, entsprechende Rückfragen beim Notar gestellt bzw. Erkundigungen eingeholt zu haben.

Selbst wenn man dem Beschwerdevorbringen Glauben schenkt und davon ausgeht, dass die Bf. ihrer mangelnden Sprachkenntnisse und nicht vorhandenen Rechtskenntnisse der irrtümlichen Annahme war, bei den geleisteten Unterschriften einen Dienstvertrag bzw. Versicherungsvertrag zu unterzeichnen, so kann ein derartiger Irrtum wohl auch nur auf Fahrlässigkeit wegen unterlassener Rückfragen und Erkundigungen beruhen.

Die belangte Behörde ist daher zu Recht von einer schuldhaften Pflichtverletzung der Bf. ausgegangen, zumal das Beschwerdevorbringen nicht geeignet war, sie zu entschuldigen.

Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes besteht bei Vorliegen einer schuldhaften Pflichtverletzung die Vermutung für eine Kausalität zwischen der Pflichtverletzung und dem Abgabenausfall (vgl. , ).

Die Heranziehung zur Haftung ist in das Ermessen der Abgabenbehörde gestellt, wobei die Ermessensentscheidung im Sinne des § 20 BAO innerhalb der vom Gesetz gezogenen Grenzen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen ist.

Soweit die zur Haftung Herangezogene mit ihrem Vorbringen, sie verfüge derzeit über ein Einkommen von ca. 960 Euro (Notstandshilfe) und ihre Existenz und die ihrer Familie wäre durch eine Haftung in dieser Höhe massiv gefährdet, eine persönliche Unbilligkeit in der Einhebung der Abgaben aufzeigen will, ist darauf zu verweisen, dass ein solcher Umstand im Rahmen der Ermessensübung zur Geltendmachung der Haftung nicht zu berücksichtigen ist. Zur Frage der Einbringlichkeit der Haftungsschuld bei der zur Haftung Herangezogenen konnte sich die Abgabenbehörde zu Recht darauf stützen, dass Vermögenslosigkeit bzw. Arbeitslosigkeit des Haftenden an sich in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Geltendmachung der Haftung steht (vgl. ; ), zumal es eine allfällige derzeitige Uneinbringlichkeit auch nicht ausschließt, dass künftig neu hervorkommendes Vermögen oder künftig erzielte Einkünfte zur Einbringlichkeit führen können (vgl. ).

Nach ständiger Judikatur des VwGH ist im Rahmen des Ermessens auch die Unbilligkeit angesichts lange verstrichener Zeit zu berücksichtigen. Ein langer Zeitabstand zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld oder der Feststellung der Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Primärschuldnerin einerseits und der bescheidmäßigen Inanspruchnahme zur Haftung andererseits ist zweifellos ein Umstand, den die Abgabenbehörde bei der Inanspruchnahme zur Haftung im Sinne des Ermessens nicht außer Betracht lassen darf (vgl. ; , VwSlg 8363 F/2008).

Anlässlich der Abkehr vom Standpunkt einer personenbezogenen Wirkung von Unterbrechungshandlungen für den Bereich der Einhebungsverjährung und Bekenntnis zur Auffassung der anspruchsbezogenen Wirkung von Unterbrechungshandlungen hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , 91/13/0037, 0038, auch ausgesprochen, dass es umso wichtigere Obliegenheit der behördlichen Ermessensübung bleibe, den jeweiligen Umständen des Einzelfalles in der gebotenen Weise Rechnung zu tragen und aus dieser Beurteilung der Rechtslage, zumal auch hinsichtlich des Elementes der Zumutbarkeit der Heranziehung eines Haftungspflichtigen angesichts lange verstrichener Zeit, resultierende Unbilligkeiten hintanzuhalten.

Daher wurde der Obliegenheit, angesichts lange verstrichener Zeit resultierende Unbilligkeiten hintanzuhalten, in der Folge auch in zahlreichen Entscheidungen des Unabhängigen Finanzsenates (; ; ; ; ) insofern Rechnung getragen, als die Haftung im Rahmen der Ermessensentscheidung aufgehoben wurde.

Im vorliegenden Fall stand aufgrund der Nichteröffnung des Insolvenzverfahrens mit Beschluss des Handelsgerichtes ***2*** vom , ***1***, die Uneinbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgabenschuldigkeiten fest. Der gegenständliche Haftungsbescheid erging ohne ersichtlichen Grund erst am , also nach annähernd 4,5 Jahren. Die Beschwerde gegen diesen Bescheid vom wurden dem Bundesfinanzgericht -ebenfalls ohne aus der Aktenlage erkennbaren Gründe - erst ca. 4 Jahre nach Ergehen des gegenständlichen Haftungsbescheides am vorgelegt. Die Fälligkeit der vom Haftungsausspruch betroffenen lohnabhängigen Abgaben liegt nunmehr zumindest mehr als 8,5 Jahre (für 8/2011) bis zu mehr als 10 Jahre (für 1-4/2010) zurück.

Da aus der Aktenlage besondere Umstände, die eine so späte Haftungsinanspruchnahme und lange Dauer des Haftungsverfahrens rechtfertigen könnten, nicht erkennbar sind, überwiegt die Unbilligkeit der Geltendmachung der Haftung angesichts lange verstrichener Zeit die von der belangten Behörde ins Treffen geführte Zweckmäßigkeitserwägung, wonach die Haftung eine geeignete Maßnahme sei, um den Abgabenausfall zu verhindern.

Der Beschwerde der Bf. war daher Folge zu geben und der angefochtene Bescheid aufzuheben.

Zulässigkeit einer ordentlichen Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Das gegenständliche Erkenntnis basiert auf der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und hatte die Überprüfung des Vorliegens der Haftungsvoraussetzungen im Einzelfall zum Gegenstand. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt nicht vor.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Landesabgaben Wien
betroffene Normen
§ 6a KommStG 1993, Kommunalsteuergesetz 1993, BGBl. Nr. 819/1993
§ 80 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 20 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 6a Wiener Dienstgeberabgabe, LGBl. Nr. 17/1970
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.7400073.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at