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Bescheidbeschwerde – Einzel – Beschluss, BFG vom 13.07.2020, RV/2100697/2020

Aufhebung unter Zurückverweisung, wenn das Finanzamt überhaupt keine Ermittlungen getätigt hat

Entscheidungstext

BESCHLUSS

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache der ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, betreffend die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Graz-Umgebung vom betreffend Abweisung von Anträgen auf Aufhebung der Einkommensteuerbescheide 2015 bis 2018 beschlossen:

Die angefochtenen Abweisungsbescheide (und die entsprechenden Beschwerdevorentscheidungen) werden gemäß § 278 Abs. 1 BAO unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehördeaufgehoben.

Gegen diesen Beschluss ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG ) nicht zulässig.

Begründung

Am erließ das Finanzamt gegenüber der Beschwerdeführerin (Bf.) die Einkommensteuerbescheide (Arbeitnehmerveranlagung) für 2015 bis 2018 (die Bescheide der Jahre 2015 bis 2017 ergingen im Rahmen einer beantragten Wiederaufnahme).

Mit Eingabe vom , die vom Finanzamt - nach Ansicht des BFG zutreffend - als Antrag auf Aufhebung der Einkommensteuerbescheide 2015 bis 2018 gemäß § 299 BAO gewertet wurde, bemängelte die Bf., dass in den Bescheiden die Mietkosten für ihren Sohn nicht als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt worden seien. Da ihr Sohn jedoch in Wien studieren müsse, habe sie sehr wohl einen Anspruch darauf. Der Eingabe waren Kontoauszüge von Überweisungen der Bf. an ihren Sohn für die Monate Februar 2017 (€ 800,--) und Jänner 2018 (€ 750,--) beigefügt; als Zahlungsreferenz wurde jeweils "Miete" angegeben.

Mit den angefochtenen Bescheiden wies das Finanzamt den Antrag der Bf. mit folgender Begründung ab:

"Außergewöhnliche Belastungen müssen gemäß § 34 EStG 1988 folgende Voraussetzungen erfüllen:

1. Sie muss außergewöhnlich sein (Abs. 2).
2. Sie muss zwangsläufig erwachsen (Abs. 3).
3. Sie muss die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen (Abs. 4).

Die Belastung ist gemäß § 34 Abs. 2 EStG 1988 außergewöhnlich, soweit sie höher ist als jene, die der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse erwächst.

Die Belastung erwächst dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihr aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann (§ 34 Abs. 3 EStG 1988 ). Die Belastung beeinträchtigt gemäß § 34 Abs. 4 EStG 1988 wesentlich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, soweit sie einen vom Steuerpflichtigen von seinem Einkommen (§ 2 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 5) vor Abzug der außergewöhnlichen Belastungen zu berechnenden Selbstbehalt übersteigt.

Die beantragten außergewöhnlichen Belastungen betreffend die Mietkosten Ihres Sohnes konnten nicht anerkannt werden, da dieser bereits selbsterhaltungsfähig ist und der Begriff der Zwangsläufigkeit (§ 34 Abs. 3 EStG 1988 ) fehlt, sodass eine steuerliche Absetzbarkeit nicht gegeben ist."

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde vom . Ihr Sohn M habe in Wien eine Wohnung zu zahlen. Er müsse in Wien studieren, da sein Studium in Graz nicht angeboten werde. Die Bf. habe die Kosten übernommen, da ihr Sohn mit der Familienbeihilfe und seinen geringfügigen Beschäftigungen für Wohnung und Lebenshaltungskosten nicht aufkommen könne. Zum damaligen Zeitpunkt sei ihr Sohn keinesfalls selbsterhaltungsfähig gewesen.

Die abweisenden Beschwerdevorentscheidungen begründete das Finanzamt wie folgt:

"Eine außergewöhnliche Belastung im Sinne des § 34 EStG 1988 liegt dann vor, wenn die Ausgaben außergewöhnlich und zwangsläufig erwachsen sind und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit beeinträchtigen.

Gemäß § 34 Abs. 3 EStG 1988 ist eine Belastung dann zwangläufig, wenn sich der Steuerpflichtige ihr aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann. Nach der Rechtsprechung ist die Zwangsläufigkeit einer Ausgabe grundsätzlich stets dann zu verneinen, wenn die Ausgabe auf Tatsachen zurückgeht, die vom Steuerpflichtigen vorsätzlich herbeigeführt wurden oder sonst die Folge eines Verhaltens ist, zu dem sich der Steuerpflichtige aus freien Stücken entschlossen hat. (vgl. ).

Die beantragten außergewöhnlichen Belastungen betreffend die Mietkosten Ihres Sohnes können nicht anerkannt werden, da dieser bereits volljährig und somit selbsterhaltungsfähig ist. Die Übernahme der Mietkosten Ihres Sohnes erfolgten Ihrerseits aus freien Stücken, sodass der Begriff der Zwangsläufigkeit gemäß § 34 Abs. 3 EStG 1988 fehlt.

Die Abweisung Ihres Antrages auf Bescheidaufhebung gemäß § 299 BAO war daher begründet."

Im Vorlageantrag vom wiederholt die Bf. ihr Beschwerdevorbringen.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Gemäß § 278 Abs. 1 BAO kann das Verwaltungsgericht mit Beschluss die Beschwerde durch Aufhebung des angefochtenen Bescheides und allfälliger Beschwerdevorentscheidungen unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erledigen, wenn Ermittlungen (§ 115 Abs. 1) unterlassen wurden, bei deren Durchführung ein anders lautender Bescheid hätte erlassen werden oder eine Bescheiderteilung hätte unterbleiben können.

Zweck dieser Norm ist die Entlastung der Rechtsmittelbehörde und die Beschleunigung des Verfahrens (Ritz, BAO 6. Auflage, § 278 Tz 5).

Es ist nicht Aufgabe der Rechtsmittelbehörde, anstatt ihre Kontrollbefugnis wahrzunehmen, erstmals den entscheidungswesentlichen Sacherhalt zu ermitteln und einer Beurteilung zu unterziehen (zB UFS 22.10.2008, RV/0496-G/08; BFG 10.7.2014, RV/5101379/2010).

Nach BFG 2.12.2015, RV/3100270/2011, wird eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

Entscheidend ist, ob die Unterlassung der Ermittlungen "wesentlich" ist. Dies ist aus objektiver Sicht zu beurteilen; ein Verschulden der Abgabenbehörde ist für die Anwendbarkeit des § 278 Abs. 1 nicht erforderlich (Ritz, aaO, § 278 Tz 11, mwN).

Die rechtlich unvertretene Bf. hat in ihren Eingaben klar erkennbar die Berücksichtigung von Kosten (in concreto: der Wohnkosten) der auswärtigen Berufsausbildung ihres Sohnes als außergewöhnliche Belastungen begehrt.

Dazu normiert § 34 Abs. 8 EStG 1988: "Aufwendungen für eine Berufsausbildung eines Kindes außerhalb des Wohnortes gelten dann als außergewöhnliche Belastung, wenn im Einzugsbereich des Wohnortes keine entsprechende Ausbildungsmöglichkeit besteht. Diese außergewöhnliche Belastung wird durch Abzug eines Pauschbetrages von 110 Euro pro Monat der Berufsausbildung berücksichtigt."

Die Gewährung des Pauschbetrags ist nicht auf Kinder iSd § 106 ( 2012/13/0076) bzw. auf Zeiten des Bezugs von Familienbeihilfe eingeschränkt, sofern ein Unterhaltsanspruch besteht, dh. bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit (Jakom/Peyerl EStG, 2020, § 34 Rz 76, mwN).

Der Begriff der Berufsausbildung umfasst jede Art der Ausbildung zu einem Beruf ( 2010/15/0099); Voraussetzung ist, dass die Absicht besteht, durch ernsthaftes und zielstrebiges Bemühen das Ausbildungsziel zu erreichen und die vorgeschriebenen Prüfungen abzulegen ( 98/15/0001).

Die Prüfung der Zwangsläufigkeit erstreckt sich im Falle der auswärtigen Berufsausbildung eines Kindes nur auf den (in Abs. 8 verselbständigten) Teilaspekt des Fehlens einer "entsprechenden Ausbildungsmöglichkeit im Einzugsbereich des Wohnortes (; Jakom/Peyerl, aaO, § 34 Rz 76).

Ein Pauschbetrag nach § 34 Abs. 8 EStG 1988 steht zu, wenn im Einzugsbereich des Wohnorts keine entsprechende Ausbildungsmöglichkeit besteht, unabhängig davon, ob eine auswärtige Wohnung bezogen oder die Strecke Wohnort - Ausbildungsort täglich zurückgelegt wird (DKMZ/Doralt § 34 Rz 74). Unter dem Wohnort ist die Ortsgemeinde zu verstehen, in der sich der Familienwohnsitz befindet (dh. der Ort, an dem der Unterhaltsberechtigte die Möglichkeit hat, an der familiären Haushaltsführung und Verpflegung teilzunehmen, RV/1843-W/08). Verfügt das Kind über eine eigene Wohnung am Studienort, erfolgt die Berufsausbildung dennoch außerhalb des Wohnorts, wenn sich der Familienwohnsitz nicht am Ausbildungsort befindet (s. dazu die bei Jakom/Peyerl, aaO, § 34 Rz 77 angeführte Rechtsprechung).

Bei der Auslegung der Voraussetzung des Bestehens einer "entsprechenden Ausbildungsmöglichkeit" ist auf einen gleichartigen Ausbildungsabschluss und auf die Vergleichbarkeit der Ausbildung ihrer Art nach abzustellen ( 2009/13/0026; es handelt sich um eine Frage, die im Einzelfall auf der Ebene der Sachverhaltsermittlung zu lösen ist, 2011/13/0114). Die durch ein auswärtiges Studium verursachten Mehraufwendungen sind nicht zwangsläufig erwachsen, wenn ein der Art nach vergleichbares Studium bei gleichen Bildungschancen und gleichen Berufsaussichten auch an einer im Nahebereich gelegenen Universität oÄ. absolviert werden kann ( 2010/15/0099; sowie Jakom/Peyerl, aaO, § 34 Rz 81 mit zahlreichen Beispielen).

Der Pauschbetrag ist nicht schon auf Grund der auswärtigen Berufsausbildung eines Kindes zu gewähren. Es müssen durch die Ausbildung auch Mehraufwendungen entstehen, die allerdings nicht ziffernmäßig nachzuweisen sind ( 97/14/0055; , 98/15/0100 Fremdfinanzierung; RV/0089-G/08). Der Pauschbetrag soll Unterbringungs- oder höhere Fahrtkosten abdecken ( 2003/15/0058; LStR 879), aber auch Mehraufwendungen, weil die Teilnahme an den Familienmahlzeiten zu den üblichen Essenszeiten nicht möglich ist (Jakom/Peyerl, aaO, § 34 Tz 83).

Bei mehreren Unterhaltspflichtigen ist der Pauschbetrag im Verhältnis der tatsächlichen Kostentragung für die Berufsausbildung aufzuteilen; wenn die Höhe der anteiligen Unterhaltsleistung strittig ist, ist der Pauschbetrag im Verhältnis der gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung aufzuteilen (s. wiederum Jakom/Peyerl, aaO, § 34 Rz 84, und die dort zitierten Verweise).

Weder die angefochtenen Bescheide noch die Beschwerdevorentscheidungen lassen erkennen, welche konkreten Sachverhaltsfeststellungen der darin vertretenen (ablehnenden) Beurteilung zugrunde gelegt wurden. Die Erledigungen beschränken sich auf die schlichte Feststellung, der Sohn, für den die Bf. in den Streitjahren ihren Angaben zufolge Familienbeihilfe bezogen hat, sei selbsterhaltungsfähig gewesen, weshalb es an der Zwangsläufigkeit mangle. Auf welche konkreten Umstände das Vorliegen der Selbsterhaltungsfähigkeit gestützt wird, geht aus den Bescheiden nicht hervor.

Den dem BFG vorgelegten Aktenteilen ist aber auch nicht zu entnehmen, dass die Abgabenbehörde diesbezüglich irgendwelche Ermittlungen getätigt hätte. Den vorliegenden Aktenteilen zufolge wurden überhaupt keine Ermittlungsschritte gesetzt (also weder hinsichtlich der Frage der Selbsterhaltungsfähigkeit noch hinsichtlich der übrigen in § 34 Abs. 8 EStG normierten Voraussetzungen).

Dazu kommt, dass in den Bescheiden des Finanzamtes lediglich auf die Abs. 1 bis 4 des § 34 EStG 1988 verwiesen wird. Auf die Bestimmung des hier maßgeblichen § 34 Abs. 8 EStG 1988 wurde offenbar überhaupt nicht Bedacht genommen.

Da das Finanzamt - den vorgelegten Aktenteilen zufolge - jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, ist eine Zurückverweisung iSd. § 278 BAO jedenfalls zulässig. Die bekämpften Bescheide enthalten überdies de facto keine Sachverhaltsfeststellungen. Woraus die behauptete Selbsterhaltungsfähigkeit des Sohnes - trotz Bezuges der Familienbeihilfe - erschlossen wird, ist nicht ersichtlich.

Im Beschwerdefall wird daher insbesondere zu ermitteln bzw. festzustellen sein,

- ob (und für welchen Zeitraum) die Selbsterhaltungsfähigkeit des Sohnes tatsächlich gegeben ist oder nicht;
- welches Studium und ob dieses ernsthaft und zielstrebig betrieben wird;
- wann das auswärtige Studium begonnen und wann es allenfalls beendet wurde;
- ob es im Einzugsbereich des Wohnortes eine "entsprechende Ausbildungsmöglichkeit" gibt;
- ob in den gegenständlichen Jahren tatsächlich Mehraufwendungen durch die Ausbildung entstanden sind (die vorgelegten Belege, die zudem nur 2 Monate betreffen, lassen das nicht verlässlich erkennen);
- ob die Kosten der Berufsausbildung allenfalls zum Teil auch von einem weiteren Unterhaltsverpflichteten getragen wurden oder nicht.

Es ist davon auszugehen, dass dem Finanzamt zumindest einige der oa. Sachverhaltselemente bereits aus anderen Verfahren (zB Veranlagungsverfahren des Sohnes, Verfahren zur Gewährung der Familienbeihilfe sowie Einkommensteuerverfahren des Ehegatten) zur Kenntnis gelangt sind. Das Finanzamt kann die erforderlichen Ermittlungen daher aufgrund allenfalls bereits vorhandener Kenntnisse aus anderen Verfahren mit Sicherheit rascher und kostensparender als das Bundesfinanzgericht durchführen.

Dazu kommt, dass die abgabenbehördliche Beurteilung offenbar unter völliger Außerachtlassung der Norm des § 34 Abs. 8 EStG erfolgte. Bei nunmehriger Einbeziehung dieser Bestimmung in die rechtlichen Erwägungen ist nicht auszuschließen, dass - bei Vorliegen der oa. Voraussetzungen - bereits im Erstbescheid eine stattgebende Erledigung erfolgt.

Aus den dargelegten Gründen war die Aufhebung unter Zurückverweisung im vorliegenden Fall im Ergebnis jedenfalls gerechtfertigt.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen einen Beschluss des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Das BFG konnte sich im Entscheidungsfall auf die oben zitierte Rechtsprechung stützen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd. Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt daher nicht vor.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 278 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 34 Abs. 8 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.2100697.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at