Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 30.06.2020, RV/7105195/2019

Keine Familienbeihilfe ohne rechtmäßigen Aufenthaltstitel nach § 8 NAG

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/7105195/2019-RS1
Vom zuständigen Finanzamt sowie vom Bundesfinanzgericht ist nicht zu prüfen, ob Familienbeihilfe trotz fehlenden Aufenthaltstitels für einen bestimmten Zeitraum gewährt werden könnte, wenn für den jeweiligen Zeitraum kein Aufenthaltstitel iSd NAG § 8 (und § 9) vorliegt. Das Vorliegen eines aufrechten Aufenthaltstitels nach § 8 NAG (§ 9) ist konstitutiv für den Bezug der Familienbeihilfe (vgl. , , Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 3 Rz 145 ff).

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Dr. Susanne Zankl in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 4/5/10 vom betreffend Familienbeihilfe 02.2015 zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
Für ***Bf1***, geboren am ***1***, besteht kein Anspruch auf Familienbeihilfe ab Februar 2015.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang und Sachverhalt
Mit Eigenantrag vom , eingebracht durch dessen gerichtlich bestellten Erwachsenenvertreter (VertretungsNetz, Erwachsenenvertretung Wien), begehrte der Beschwerdeführer, geboren am ***1*** in Wien, Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina, den Grund-und Erhöhungsbetrag der Familienbeihilfe (FB).
Der Bf wird seit seiner Haftentlassung im Jahr 2010 suchtpsychiatrisch im Wiener Krankenanstaltenverbund, Sozialmedizinisches Zentrum, betreut.

Das Finanzamt wies den Antrag des Bf mit Bescheid vom als unbegründet ab und begründete dies damit, dass der Bf der Einladung des Sozialministeriumservice nicht nachgekommen und daher eine Behinderung nicht feststellbar gewesen wäre.

Der Bf erhob daraufhin durch seinen Erwachsenenvertreter am Beschwerde. Dazu wurde ausgeführt, dass den Bf auf Grund seiner diagnostizierten psychischen Persönlichkeitsstörung mit Suchtfaktor, Drogenabhängigkeit, kein Verschulden an der Nichtwahrnehmung des Termins beim Sozialministeriumservice träfe.
Ein zweite Möglichkeit zur Wahrnehmung des Termins wäre ihm nicht geboten worden. Der Beschwerde wurden Gutachten des Wiener Krankenanstaltenverbundes, Sozialmedizinisches Zentrum, aus dem Jahr 2019, und ein neurologisches Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie, MK, aus dem Jahr 2004 beigelegt. Demnach leidet der Bf an einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einem Abhängigkeitssyndrom bei Gebrauch von Drogen.
Mit Schriftsatz vom wurde zur Beschwerde ergänzend ausgeführt, dass der Bf seit Kindheit erwerbsunfähig wäre. Beigelegt wurde der Bescheid über eine Waisenpension der Pensionsversicherungsanstalt.

Mit Beschwerdevorentscheidung (BVE) vom wurde die Beschwerde abgewiesen, weil der Bf nicht österreichischer Staatsbürger wäre und laut zentralem Fremdenregister über keinen Aufenthaltstitel nach §§ 8 oder 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) verfügen würde.

Am stellte der Bf durch den Erwachsenenvertreter den Antrag, die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht (BFG) zur Entscheidung vorzulegen.

Ermittlungen des BFG über den Aufenthaltsstatus des Bf in Österreich führten zum Ergebnis, dass eine Duldungskarte für den Bf mit der 44.KW 2014 vorliegt. Eine Aufenthaltskarte nach den §§ 8,9 NAG könnte nicht vorgelegt werden (siehe dazu die Eingaben des Erwachsenenvertreters des Bf vom , und )

II. Beweiswürdigung
Der festgestellte Sachverhalt stützt sich auf den Inhalt des Verwaltungsaktes, auf die dem Gericht vorgelegten Unterlagen der belangten Behörde bzw. des Bf sowie auf die Ergebnisse der vom Gericht durchgeführten Ermittlungen.

III. Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 2 Abs. 1 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 idgF (FLAG) - haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für in dieser Bestimmung festgelegte Voraussetzungen (volljährig, Abs. 2 lit b bis l) erfüllende Kinder Anspruch auf Familienbeihilfe.
Für den Eigenanspruch von volljährigen Vollwaisen bzw. den Vollwaisen gleichgestellten Personen ist neben den in § 6 Abs. 1 dargestellten Voraussetzungen weiters erforderlich, dass sie zumindest eine der in § 6 Abs.2 lit a bis j enthaltenen Voraussetzungen erfüllen. Diese entsprechen im Wesentlichen den in § 2 Abs. 1 lit b bis k geregelten Tatbeständen.

Gemäß § 3 Abs. 1 FLAG 1967 in der ab geltenden Fassung BGBl. I Nr. 100/2005 haben Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, rechtmäßig in Österreich aufhalten.

Nach § 3 Abs. 2 leg. cit. besteht Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder, die nicht österreichische Staatsbürger sind, wenn sie sich nach §§ 8 und 9 Niederlassungs-und und Aufenthaltsgesetz rechtmäßig in Österreich aufhalten.

In den §§ 8 und 9 NAG sind alle Aufenthaltstitel aufgezählt, die bei Erfüllung aller anderen Voraussetzungen zu einem Bezug von Familienbeihilfe berechtigen. Nach dem eindeutigen Wortlaut der zitierten gesetzlichen Regelung des § 3 FLAG ist es seit erforderlich, dass sowohl der anspruchsberechtigte Elternteil als auch das anspruchsvermittelnde Kind bzw. jene Person mit Eigenanspruch über einen dieser Aufenthaltstitel verfügt.

Das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz trat gemäߧ 82 Abs. 1 NAG mit in Kraft. Die Übergangsbestimmungen sind in § 81 NAG geregelt.

§ 8 NAG lautet:
(1) Aufenthaltstitel werden erteilt als:
1. Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte", der zur befristeten Niederlassung und zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit, für die eine schriftliche Mitteilung oder ein Gutachten gemäß §§ 20d Abs. 1 Z 1 bis 4 oder 24 AuslBG erstellt wurde, berechtigt;
2. Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus", der zur befristeten Niederlassung und zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 17 AuslBG berechtigt;
3. Aufenthaltstitel "Blaue Karte EU", der zur befristeten Niederlassung und zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit, für die eine schriftliche Mitteilung gemäß § 20d Abs. 1 Z 5 AuslBG erstellt wurde, berechtigt;
4. "Niederlassungsbewilligung", die zur befristeten Niederlassung und zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit berechtigt;
5. "Niederlassungsbewilligung - ausgenommen Erwerbstätigkeit", die zur befristeten Niederlassung ohne Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt;
6. "Niederlassungsbewilligung - Angehöriger", die zur befristeten Niederlassung ohne Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt; die Ausübung einer Erwerbstätigkeit ist nur auf Grund einer nachträglichen quotenpflichtigen Zweckänderung erlaubt;
7. Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" für die Dokumentation des unbefristeten Niederlassungsrechts, unbeschadet der Gültigkeitsdauer des Dokuments;
8. Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" für die befristete Niederlassung mit der Möglichkeit, anschließend einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" (Z 7) zu erhalten;
9. (Anm.: aufgehoben durch BGBl. I Nr. 68/2013)
10. "Aufenthaltsbewilligung" für einen vorübergehenden befristeten Aufenthalt im Bundesgebiet zu einem bestimmten Zweck (§§ 58 bis 69).
(2) Der Bundesminister für Inneres legt das Aussehen und den Inhalt der Aufenthaltstitel nach Abs. 1 durch Verordnung fest. Die Aufenthaltstitel haben insbesondere Name, Vorname, Geburtsdatum, Lichtbild, ausstellende Behörde und Gültigkeitsdauer zu enthalten; sie gelten als Identitätsdokumente.
(3) Die Aufenthaltsbewilligung (Abs. 1 Z 10) von Ehegatten, eingetragenen Partnern und minderjährigen ledigen Kindern hängt vom Bestehen der Aufenthaltsbewilligung des Zusammenführenden ab (§ 69).
(4) Unbeschadet der §§ 32 und 33 ergibt sich der Berechtigungsumfang eines Aufenthaltstitels aus dem 2. Teil."

IV. Erwägungen
§ 2 FLAG legt die allgemeinen und besonderen Voraussetzungen fest, unter denen jemand Anspruch auf Familienbeihilfe hat.
§ 3 FLAG stellt ergänzend für Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind oder die Staatsbürgerschaft eines EU-Mitgliedsstaates haben, weitere besondere Voraussetzungen auf. § 3 enthält Regelungen für den Familienbeihilfenbezug durch Fremde und für Fremde, also jeweils durch oder für Personen, die nicht die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen (§ 2 Abs. 4 Z 1 FPG). § 3 Abs. 2 bezieht sich auf den Anspruch auf Familienbeihilfe vermittelnde Kinder (§ 2), die nicht österreichische Staatsbürger sind.
Das FLAG knüpft hierbei an die Bestimmungen des NAG betreffend die jeweiligen Aufenthaltstitel an, sofern sich aus dem Unionsrecht nichts Anderes ergibt.

Fremde haben seit grundsätzlich nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie sich nach § 8 oder § 9 NAG rechtmäßig in Österreich aufhalten. Nach der geltenden Rechtslage kommt es nach Abs. 1 und Abs. 2 darauf an, ob für den Anspruchsberechtigten (Abs. 1, und das anspruchsvermittelnde Kind, Abs. 2) ein aufrechter Aufenthaltstitel nach § 8 (oder nach § 9) NAG besteht. Es besteht somit nach geltender Rechtslage kein Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn kein gültiger Aufenthaltstitel vorliegt, soweit nicht Abs. 3, 4, oder 5 zum Tragen kommen.

Liegt ein Aufenthaltstitel nach § 8 (oder § 9 NAG) vor, ist es nicht Sache der Beihilfenbehörden, zu prüfen, ob dieser Aufenthaltstitel von der Fremdenbehörde zu Recht oder zu Unrecht erteilt wurde (Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, Kommentar, § 3 Rz 145-148, ).
Demgemäß ist in gegenständlichem Fall auch nicht vom zuständigen Finanzamt sowie vom Bundesfinanzgericht zu prüfen, ob Familienbeihilfe trotz fehlenden Aufenthaltstitels für einen bestimmten Zeitraum, was beschwerdegegenständlich Streitpunkt ist, gewährt werden könnte, da ein formaler Anknüpfungspunkt ex lege an einen für den jeweiligen Zeitraum fehlenden Aufenthaltstitel iSd NAG § 8 (und § 9) vorliegt, und bei fehlendem Aufenthaltstitel für einen bestimmten Zeitraum eine unabdingbare Voraussetzung für den allfälligen Anspruch auf Familienbeihilfenbezug nicht erfüllt ist, was für den beschwerdegegenständlichen Zeitraum zutrifft. Das Vorliegen eines aufrechten Aufenthaltstitels nach § 8 NAG ist konstitutiv für den Bezug der Familienbeihilfe (vgl. , , Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 3 Rz 145 ff).

Aktenkundig ist, dass der Bf keinen gültigen Aufenthaltstitel nach dem NAG besitzt. Aktenkundig ist, dass der Bf seit der 44. KW 2014 lediglich eine Duldungskarte besitzt. Duldung im Sinne des § 46a Fremdenpolizeigesetz (FBG ) heißt, dass die Abschiebung eines "Fremden" nicht möglich oder nicht zulässig ist. Die Karte für Geduldete gilt ein Jahr mit dem Ausstellungsdatum und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 über Antrag des "Fremden" für jeweils ein weiteres Jahr verlängert.
Die Duldung ist keine Aufenthaltsrecht, vermittelt somit keinen auf Dauer ausgerichteten Aufenthaltstitel.

Darüber hinaus wird angemerkt, dass das Bundesfinanzgericht wie auch das Finanzamt aufgrund des Legalitätsprinzips an die geltenden Gesetze gebunden ist. Aus diesem Grund besteht für das Bundesfinanzgericht auch kein Raum, von den eindeutigen Gesetzeswortlauten des § 3 Abs. 1 FLAG 1967 idgF iVm § 8 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes abzugehen.

Es mag sein, dass sich der Bf im Beschwerdezeitraum auf Grund der Bestimmungen des FPG rechtmäßig im Inland aufgehalten hat. Darauf kommt es aber nicht an (vgl. ). Der Bf hat im Beschwerdezeitraum nicht, und das ist allein nach § 3 FLAG 1967 ausschlaggebend, über einen Aufenthaltstitel nach § 8 NAG verfügt.
Demnach hat der Bf im Beschwerdezeitraum ab Februar 2015 keinen Anspruch auf Familienbeihilfe (Grundbetrag und Erhöhungsbetrag).

Die Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen.

V. Zulässigkeit der Revision
Eine Revision ist nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn ein Erkenntnis von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil der Beschluss nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG kommt einer Rechtsfrage unter anderem dann grundsätzliche Bedeutung zu, wenn das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht.
Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG eine Revision nicht zulässig. Es handelt sich um keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, da das Bundesfinanzgericht in rechtlicher Hinsicht der in der Entscheidung dargestellten Judikatur folgt.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
Schlagworte
rechtmäßiger Aufenthalt
Duldungskarte
Volljährigkeit
Aufenthaltstitel
Eigenantrag
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.7105195.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at