Antrag auf Aufhebung gemäß § 295 Abs. 4 BAO
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin ***1*** in der Beschwerdesache ***2***, vertreten durch BDO Steiermark GmbH Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft, Schubertstraße 62, 8010 Graz und Dr. Gerhard Braumüller, Kaan Cronenberg & Partner Rechtsanwälte GmbH & Co KG, Kalchberggasse 1, 8010 Graz gegen die Bescheide der belangten Behörde Finanzamt Graz-Stadt vom und vom , betreffend Zurückweisung der Anträge auf Aufhebung gemäß § 295 (4) BAO der Einkommensteuerbescheide 2006 und 2007 vom nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am zu Recht erkannt:
Den Beschwerden wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Die angefochtenen Bescheide werden - ersatzlos - aufgehoben.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahren nach der Aufhebung durch den :
Hinsichtlich des bisherigen Verfahrensverlaufes sowie des maßgeblichen Sachverhaltes wird auf das Erkenntnis RV/2100818/2018 vom sowie auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom , E 186/2019, verwiesen.
Gegenständlich ist die Beschwerde gegen die Zurückweisung der Anträge auf Aufhebung gemäß § 295 Abs. 4 BAO hinsichtlich der Einkommensteuerbescheide 2006 und 2007:
Der Beschwerdeführer (Bf) beantragte mit Eingaben vom die Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2006 vom nach § 295 Abs. 4 BAO, da dieser von einem "Nichtbescheid" abgeleitet worden sei.
Mit Schreiben vom beantragte der Bf. die Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2007 vom nach § 295 Abs. 4 BAO, da dieser ebenfalls von einem "Nichtbescheid" abgeleitet worden sei.
Das Finanzamt wies mit Bescheid vom den Antrag bzgl. des Einkommensteuerbescheides 2006 und mit Bescheid vom den Antrag hinsichtlich des Einkommensteuerbescheides 2007 als nicht fristgerecht eingebracht zurück.
Im Erkenntnis RV/2100818/2018 vom hat das Bundesfinanzgericht bezüglich des Jahres 2006 unter Hinweis auf § 295 Abs. 4 BAO ausgesprochen, dass die Voraussetzungen des § 295 Abs. 4 BAO nicht vorliegen, da der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2006 nicht von einem "Nichtbescheid" abgeleitet worden sei. Dass der Feststellungsbescheid, von dem sich der Einkommensteuerbescheid abgeleitet habe, von einem "Nichtbescheid" abgeleitet worden sei, mache den Feststellungsbescheid nicht selbst zum "Nichtbescheid". Das Finanzamt habe den Antrag nach § 295 Abs. 4 BAO zwar spruchmäßig zurückgewiesen und nicht abgewiesen, es könne aber der Spruch im Rahmen der Entscheidung über die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung gemäß § 279 BAO abgeändert werden
Die Beschwerde, das Streitjahr 2006 betreffend, wurde abgewiesen.
Bezüglich des Jahres 2007 entschied das Bundesfinanzgericht, dass § 295 Abs. 4 BAO auf die Frist des § 304 BAO verweise. Der am eingebrachte Antrag sei erst nach Eintritt der absoluten Verjährung gemäß § 209 Abs. 3 BAO eingebracht worden. Er sei daher nicht fristgerecht gestellt worden und deshalb zurückzuweisen gewesen.
Gegen dieses Erkenntnis erhob der Bf Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom , E 186/2019, das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts aufgehoben und ausgesprochen, dass der Bf wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt worden ist.
Dies deshalb, da der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , G 159/2019, den Satz "Der Antrag ist vor Ablauf der für Wiederaufnahmsanträge nach § 304 maßgeblichen Frist zu stellen" in § 295 Abs. 4 BAO, BGBl. 194/1961, idF BGBl. I 70/2013 als verfassungswidrig aufgehoben hat.
Aus den in der Begründung zu G 159/2019 näher dargelegten Gründen erweise sich die in § 295 Abs. 4 letzter Satz BAO enthaltene Befristung als unsachlich. Die genannte Norm treffe zudem eine Regelung, welche die Anwendung des § 302 BAO ausschließe. Selbst bei Wegfall der Bestimmung des § 295 Abs. 4 letzter Satz BAO könne daher § 302 BAO nicht zur Anwendung gelangen (s. Rz 43 VfGH-Erkenntnis G 159/2019).
Da die Verfassungsgerichtshofbeschwerde bzgl. RV/2100818/2018 zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren des Verfassungsgerichtshofes schon anhängig war, und die verfahrenseinleitenden Anträge gemäß § 295 Abs. 4 BAO vor Bekanntmachung des Prüfungsbeschlusses des Verfassungsgerichtshofes eingebracht wurden, waren die Voraussetzungen nach Art. 140 Abs. 7 B-VG gegeben und der zugrunde liegende Fall einem Anlassfall gleichzuhalten.
Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des der angefochtenen Entscheidung des Bundesfinanzgerichtes zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.
Zum Beschwerdejahr 2006:
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist eine Abänderung gemäß § 295 Abs. 1 BAO nur zulässig ist, wenn Bescheide von Feststellungsbescheiden abzuleiten sind. Im Falle einer unzulässigen, weil auf Grundlage von Nichtbescheiden erfolgten Änderung gemäß § 295 Abs. 1 BAO ist der abgeänderte Bescheid aufzuheben (vgl ; . 2010/15/0064).
Nach Einbringung der Verfassungsgerichtshofbeschwerde hat das Bundesfinanzgericht mit Erkenntnis vom , RV/7103150/2018, entschieden, dass der Grundlagenbescheid der ***3*** GmbH & Co Beta KG 2006 vom ein Nichtbescheid war.
Entsprechend stützt sich der nach 295 Abs. 1 BAO erlassene Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2006 vom nicht (mehr), wie im Beschwerdeverfahren zu RV/2100818/2018 festgestellt, auf einen rechtlich existenten Grundlagenbescheid sondern auf einen Nichtbescheid.
Die Voraussetzungen des § 295 Abs. 4 BAO liegen somit auch für das Jahr 2006 vor.
Gegenständlich ist die Beschwerde gegen die Zurückweisung des Antrags auf Aufhebung gemäß § 295 Abs. 4 BAO hinsichtlich des Einkommensteuerbescheids 2006. Da die als verfassungswidrig erkannte Befristung des § 295 Abs. 4 letzter Satz BAO für den Beschwerdefall keine Wirkung (mehr) zu entfalten vermag, war der Beschwerde gegen den Zurückweisungsbescheid des Finanzamtes auf Grund der oa. VfGH-Erkenntnisse stattzugeben und der Zurückweisungsbescheid vom aufzuheben.
Das Finanzamt wird daher über die Aufhebungsantrag des Bf. vom neuerlich abzusprechen haben.
Das Finanzamt ist bei der Erledigung an die vom VfGH zuerkannte Anlassfallwirkung gebunden.
Zum Beschwerdejahr 2007:
Der VfGH führt unter Rz 21 seines Erkenntnisses E 186/2019 vom aus: "Das Bundesfinanzgericht wendete bei Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung an. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war. Der Beschwerdeführer wurde somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt."
Eine Aufhebung durch das Bundesfinanzgericht nach § 279 Abs. 1 BAO hat ua. zu erfolgen, wenn ein verfahrensrechtlicher Bescheid (zB Zurückweisung eines Antrages) zu Unrecht erlassen wurde (Ritz, BAO6, § 279 Tz 6, mwH).
Sache des Beschwerdeverfahrens bzgl. Einkommensteuerbescheid 2007 war allein die Zurückweisung des Antrages gem. § 295 Abs. 4 BAO als verspätet (s. dazu zB , mwN). Da die als verfassungswidrig erkannte Befristung für den hier zu beurteilenden Beschwerdefall keine Wirkung (mehr) zu entfalten vermag, war der Beschwerde gegen den Zurückweisungsbescheid des Finanzamtes vom auf Grund der oa. VfGH-Erkenntnisse stattzugeben und der Zurückweisungsbescheid vom aufzuheben.
Das Finanzamt wird daher über die Aufhebungsantrag des Bf. vom neuerlich abzusprechen haben.
Das Finanzamt ist bei der Erledigung an die vom VfGH zuerkannte Anlassfallwirkung gebunden.
Zulässigkeit einer Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Da das Bundesfinanzgericht auf Grund der oa. VfGH- bzw. VwGH-Judikatur spruchgemäß zu entscheiden hatte, liegt keine Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG vor. Die Revision war daher als unzulässig zu erklären.
Graz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 295 Abs. 4 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2020:RV.2100003.2020 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at