Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 10.06.2020, RV/7102444/2020

Wiederaufnahme des Verfahrens

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin ***1*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerden vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Waldviertel vom betreffend Wiederaufnahme § 303 BAO / ESt 2016 und 2017, zu Recht erkannt:

Die Beschwerden werden gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Die angefochtenen Bescheide bleiben unverändert.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin (Bf.) bezog in den streitgegenständlichen Jahren Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Mit Einkommensteuerbescheiden vom und wurde die Bf rechtskräftig zur Einkommensteuer 2016 und 2017 veranlagt.

Am reichte die Bf. eine "Ergänzung zum Antrag auf Arbeitnehmerveranlagung 2016 bis 2018" ein, und beantragte die Berücksichtigung von "Kind mit einem Pauschale von 110 € pro Monat". Dem Antrag beigelegt wurde eine Bestätigung der Schule für Sozialbetreuungsberufe in Horn über den Schulbesuch von Tochter ***2*** für die Schuljahre 2016/2017, 2017/2018 und 2018/2019.

Das Finanzamt wertete diese Eingabe für das Jahr 2018 als Antrag gemäß § 299 BAO, und gab diesem Antrag Folge. Für die Jahre 2016 und 2017 wertete das Finanzamt die Eingabe als Anträge gemäß § 303 BAO und wies diese bescheidmäßig ab. Die Abweisungsbescheide wurden wie folgt begründet:
Gemäß § 303 Abs. 1 lit b BAO kann auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen ein Bescheid wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten. Da die nunmehr im Antrag angeführten neue Tatsache (auswärtige Ausbildung der Tochter) der Antragstellerin bereits im Zeitpunkt der Bescheiderlassung bekannt war und daher für sie nicht neuhervorgekommen im Sinne des § 303 BAO sei, war der Antrag abzuweisen.

Die dagegen fristgerecht eingebrachten Beschwerden wurden damit begründet, dass die seinerzeitige Nichtgeltendmachung der Kosten für auswärtige Berufsausbildung der Tochter auf Grund einer Auskunft einer Finanzamtsmitarbeiterin, wonach diese Aufwendungen nichtabzugsfähig wären, erfolgte. Im März 2017 sei sie persönlich beim Finanzamt Gmünd vorstellig geworden. Auf die Nachfrage bezüglich der Gewährung der Pauschale für die auswärtige Berufsausbildung ihrer Tochter sei ihr von einer Mitarbeiterin des Finanzamtes persönlich mitgeteilt worden, dass kein Anspruch auf den Pauschalbetrag bestünde, zumal die Ausbildung nicht mehr als 80 km vom Wohnort entfernt stattfinde und eine gleichartige Ausbildung in Gmünd möglich wäre. Aus diesem Grund habe die Bf die Unterlagen nicht eingereicht. "Als ich nun erfahren habe, dass die damals erteilte Auskunft falsch war, reichte ich nun die Unterlagen nach und stellte einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens."

Die Beschwerden wurden mit Beschwerdevorentscheidungen vom als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass Tatsachen im Sinn des § 303 Abs. 1 lit. b BAO ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände sind, wie etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften. Tatsachen bieten dann einen Wiederaufnahmegrund für ein rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren, wenn sie im Zeitpunkt der Bescheiderlassung bereits existent waren, jedoch ihre Verwertung dem Steuerpflichtigen erst nachträglich möglich wurde (nova reperta).

Neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung solcher Sachverhaltselemente - gleichgültig, ob diese späteren rechtlichen Erkenntnisse (neuen Beurteilungskriterien) durch die Änderung der Verwaltungspraxis oder Rechtsprechung oder nach vorhergehender Fehlbeurteilung oder Unkenntnis der Gesetzeslage eigenständig gewonnen werden - sind keine Tatsachen. Die nachteiligen Folgen einer früheren unzutreffenden Würdigung oder Wertung des offen gelegt gewesenen Sachverhaltes oder einer fehlerhaften rechtlichen Beurteilung - gleichgültig durch welche Umstände veranlasst - lassen sich bei unveränderter Tatsachenlage nicht nachträglich im Wege der Wiederaufnahme des Verfahrens beseitigen (vgl. etwa ).

[...]

Eine Partei, die im vorangegangenen Verfahren Gelegenheit hatte, die ihr bekannten Tatsachen oder die ihr zur Verfügung stehenden Beweismittel für ihren Anspruch vorzubringen, diese Gelegenheit aber zufolge Fehlbeurteilung oder aus mangelnder Obsorge versäumte, hat die Folgen daraus zu tragen und kann sich nicht auf diesen Wiederaufnahmegrund berufen ().

In den Vorlageanträgen vom führte die Bf aus, dass es sich entgegen den Ausführungen in den Beschwerdevorentscheidungen nicht um Unkenntnis und Fehlbeurteilung ihrerseits handle. Wenn man persönlich beim Finanzamt vorstellig werde und dabei eine falsche Information erhalte, könne nicht von mangelnder Obsorge gesprochen werden.

Mit Vorlageberichten des Finanzamtes vom wurden die Beschwerden dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Fest steht im vorliegenden Fall, dass die Bf. die Tatsache der auswärtigen Berufsausbildung ihrer Tochter bereits zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2016 im April 2017 bekannt gewesen ist.

Streit zwischen den Parteien des gegenständlichen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens besteht darüber, ob die Abweisung des Antrags der Bf. vom , eingebracht am auf Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren für die Jahre 2016 und 2017 zu Recht erfolgt ist.

Beweiswürdigung

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist unbestritten und ergibt sich aus dem Verwaltungsakt.

Rechtsgrundlage und rechtliche Würdigung

Gemäß § 303 BAO, BGBl. Nr. 194/1961 idgF kann

"(1) ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn

a) der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist, oder

b) Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, oder

c) der Bescheid von Vorfragen (§ 116) abhängig war und nachträglich über die Vorfrage von der Verwaltungsbehörde bzw. dem Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden worden ist,

und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

(2) Der Wiederaufnahmsantrag hat zu enthalten:

a) die Bezeichnung des Verfahrens, dessen Wiederaufnahme beantragt wird;

b) die Bezeichnung der Umstände (Abs. 1), auf die der Antrag gestützt wird.

(3) Der Bundesminister für Finanzen wird ermächtigt, durch Verordnung die für die Ermessensübung bedeutsamen Umstände zu bestimmen."

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (; ; ) hat ein Antrag auf Wiederaufnahme - bei Geltendmachung neu hervorgekommener Tatsachen - insbesondere die Behauptung zu enthalten, dass Tatsachen oder Beweismittel "neu hervorgekommen sind". Aus dem insoweit klaren Wortlaut des § 303 Abs. 1 lit. b iVm § 303 Abs. 2 lit. b BAO ist somit abzuleiten, dass bei einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens das Neuhervorkommen von Tatsachen aus der Sicht des Antragstellers (hier: der Bf.) zu beurteilen ist.

Eine geänderte rechtliche Beurteilung eines bereits bekannten Sachverhalts bzw. eine geänderte Rechtsauffassung stellt beim Neuerungstatbestand grundsätzlich keinen Wiederaufnahmegrund i. S. d. § 303 BAO dar (vgl. etwa ).

Die Wiederaufnahme des Verfahrens dient beim Neuerungstatbestand nicht dazu, die Folgen einer unzutreffenden rechtlichen Würdigung eines offen gelegten Sachverhaltes zu beseitigen (vgl. etwa ).

Es ist daher nicht von Bedeutung, ob und wann die Bf erfahren hat, dass der ihr bekannte Sachverhalt rechtlich anders gewürdigt werden könnte.

Im gegenständlichen Fall sind, wie oben ausgeführt, der Bf. die Kosten für das auswärtige Studium der Tochter bereits lange vor Einreichung des gegenständlichen Wiederaufnahmeantrags bekannt gewesen und somit nicht neu hervorgekommen. Damit liegt aber die tatbestandsmäßige Voraussetzung des § 303 Abs. 1 lit. b BAO - das Neuhervorkommen von Tatsachen oder Beweismitteln - für die seitens der Bf. beantragten Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren für 2016 und 2017 nicht vor.

Zu der von der Bf vorgebrachten Behauptung, vom Finanzamt eine unrichtige Auskunft erhalten zu haben, wurden weder von ihr selbst konkrete, überprüfbare Angaben gemacht, noch vom Finanzamt diesbezügliche Ermittlungen vorgenommen. Für die Entscheidung über die Beschwerde ist dies aber nicht von Bedeutung, da eine Ermessensentscheidung (§ 20 BAO) bei Fehlen der Tatbestandsvoraussetzungen für eine Antragswiederaufnahme nach § 303 BAO nicht mehr zu treffen ist. Insofern sich die Bf. dabei nämlich sinngemäß auf den Grundsatz von Treu und Glauben bezieht, ist ihr zu entgegnen, dass letzterer einen Vollzugsspielraum voraussetzt (Ritz, BAO6, § 114 Tz 8), der aber im hier zu beurteilenden Fall nicht gegeben ist, da bereits die tatbestandsmäßige Voraussetzung des § 303 Abs. 1 lit. b BAO für die beantragte Wiederaufnahme der Verfahren nicht vorliegt.

Wie vom Verwaltungsgerichtshof geklärt (), muss die als Wiederaufnahmegrund herangezogene Tatsache bei einer beantragten Wiederaufnahme für die Antragstellerin neu hervorgekommen sein (; ; ; ; ). Tatsachen, die dieser schon immer bekannt waren, reichen nicht aus (vgl dazu Zorn, RdW 2016, 857).

Nur wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme erfüllt sind, erfolgt die Entscheidung darüber, ob die Wiederaufnahme verfügt wird, im Rahmen des Ermessens. Nur im Zuge der Ermessensübung sind die Grundsätze der Rechtsrichtigkeit und allenfalls der Grundsatz nach Treu und Glauben zu anzuwenden.

Die Bf nannte als Wiederaufnahmsgrund ausschließlich die Tatsache der auswärtigen Berufsausbildung des Kindes. Wie bereits oben ausgeführt, war diese Tatsache für die Bf nicht neu, sondern bereits bei Erlassung der Erstbescheide bekannt. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des Verfahrens auf Antrag sind somit nicht erfüllt.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im gegenständlichen Fall ergibt sich die Rechtsfolge der Abweisung der Beschwerde aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (; ; ; siehe oben), weshalb keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegt. Die ordentliche Revision war daher nicht zuzulassen.

Salzburg, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 303 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.7102444.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at