zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
Bescheidbeschwerde – Senat – Erkenntnis, BFG vom 08.07.2020, RV/5100473/2018

Wissensstand bei Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens

Beachte

Revision beim VwGH anhängig zur Zahl Ra 2020/15/0105. Zurückweisung mit Beschluss vom .

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Senatsvorsitzende***SenV***, den Richter***Ri*** sowie die fachkundigen Laienrichter ***SenLR1*** und ***SenLR2*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Steuern Kern Steuerberatungsgesellschaft m.b.H., ***Adresse2***,***Vertreter*** Steuerberatungs GmbH über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des ***FA*** vom betreffend Abweisung des Antrages auf Wiederaufnahme der Verfahren bezüglich Umsatzsteuer und Einkommensteuer 2013, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am in Anwesenheit der Schriftführerin ***Sf*** zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

1. Die beschwerdeführende Partei ***Bf1*** (in der Folge kurz: BF) wurde mit Bescheid vom zur Einkommensteuer 2013 und mit Bescheid vom zur Umsatzsteuer 2013 veranlagt. Die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen erfolgte wegen Nichtabgabe der Steuererklärungen im Schätzungswege gemäß § 184 Bundesabgabenordnung (BAO).
Betreffend den Einkommensteuerbescheid 2013 wurden fünf Ansuchen um Verlängerung der Rechtsmittelfrist gestellt. Letztlich wurde weder gegen den Einkommen- noch gegen den Umsatzsteuerbescheid Beschwerde (damals noch Berufung) erhoben. Beide Bescheide erwuchsen somit in Rechtskraft.

2. Mit Schreiben vom stellte die BF Anträge auf Wiederaufnahme der Umsatzsteuer- und Einkommensteuerverfahren 2013, welche mit Bescheiden vom abgewiesen wurden, da keine neuen Tatsachen oder Beweismittel hervorgekommen seien.

3. Mit Schreiben vom erhob die BF (nach bescheidmäßiger Fristverlängerung bis ) Beschwerde gegen die beiden abweisenden Bescheide vom mit im Wesentlichen folgender Begründung:
Im Zeitpunkt der schätzungsweisen Veranlagungen seien bei der BF keine Buchhaltung und kein Jahresabschluss vorgelegen. Die einzelnen Sachverhalte und auch die der Buchhaltung zugrundeliegenden Belege seien schon gegeben gewesen, jedoch seien damals Aufzeichnungen unterblieben, wodurch keine Steuererklärungen erstellt werden konnten. Die Buchhaltung, die Einnahmen-Ausgaben-Rechnung und die Steuererklärungen seien erst von August 2015 bis Juli 2017 erstellt worden.
Erst mit Erstellung der Steuererklärungen seien die Tatsachen, nämlich die Besteuerungsgrundlagen, aus Sicht der BF neu hervorgekommen.

4. Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen, da aus Sicht der BF keine neuen Tatsachen oder Beweismittel vorliegen würden.

5. Mit Schreiben vom beantragte die BF die Entscheidung über die Beschwerden durch das Bundesfinanzgericht. Ergänzend zur Begründung der Beschwerde wurde vorgebracht, dass es sich bei dem "berichtigten Jahresabschluss 2013" um einen Antrag auf Bilanzberichtigung gemäß § 4 Abs 2 Z 2 EStG 1988 handle, welcher auch bei der Einnahmen-Ausgaben-Rechnung anzuwenden sei. In den Einkommensteuerrichtlinien Rz. 649 werde in Bezug auf die verfahrensrechtlichen Bestimmungen angeführt, dass im Falle einer bereits rechtskräftigen Veranlagung, eine Bilanzberichtigung nur dann zu einer Abänderung der Veranlagung führen kann, wenn dies verfahrensrechtlich möglich ist. Daraus folgert der steuerliche Vertreter, dass es nur im Rahmen der verfahrensrechtlichen Wiederaufnahme gemäß § 303 Abs 1 lit b BAO möglich sei, in bereits rechtkräftigen Verfahren, eine Bilanzberichtigung zu erwirken. Die Regelungen hinsichtlich der Bilanzberichtigung wären obsolet, wenn "keine damit korrespondierenden Verfahrensregeln der Bundesabgabenordnung bestehen würden, beziehungsweise diese nicht zur Anwendung gelangen dürften".
Das Erkenntnis des sei in Bezug auf Bilanzberichtigungen nicht anzuwenden, da es vor Inkrafttreten des Einkommensteuergesetztes 1988 erging (in diesem Erkenntnis stellte der VwGH fest, dass eine Bilanz, die erst nach Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens hergestellt wurde, weder eine neu hervorgekommene Tatsache noch ein hervorgekommenes Beweismittel iSd § 303 BAO ist).

6. Mit Vorlagebericht vom legte die belangte Behörde die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und beantragte die Abweisung, da das Neuhervorkommen von Tatsachen aus der Sicht der Antragstellerin zu beurteilen sei und aus deren Sicht eben keine Tatsachen neu hervorgekommen seien.

7. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des wurde der streitgegenständliche Fall der Gerichtsabteilung 6016 des BFG zugeteilt.

8. Am fand eine Besprechung zur Sach- und Rechtslage statt, bei der von der steuerlichen Vertretung im Wesentlichen der Inhalt der Beschwerde und des Vorlageantrages wiederholt wurde.

9. Am fand die mündliche Senatsverhandlung statt, in der kein neues Vorbringen in der Sache erstattet wurde.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Die BF wurde mit Bescheid vom zur Einkommensteuer 2013 und mit Bescheid vom zur Umsatzsteuer 2013 veranlagt. Die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen erfolgte wegen Nichtabgabe der Steuererklärungen im Schätzungswege gemäß § 184 Bundesabgabenordnung (BAO).

Die Verfahren betreffend Einkommensteuer und Umsatzsteuer 2013 waren zum Zeitpunkt der Einbringung des Wiederaufnahmeantrages bereits rechtskräftig erledigt, aber noch nicht verjährt und somit grundsätzlich einer Wiederaufnahme zugänglich.

Die Buchhaltung, die Einnahmen-Ausgaben-Rechnung und die Steuererklärungen wurden erst im Zeitraum von August 2015 bis Juli 2017 erstellt. Bei den der Buchhaltung zugrundeliegenden Sachverhalten und Belegen kamen keine neuen Tatsachen oder Beweismittel hervor.

Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt ist unstrittig und basiert auf den im Akt des Verwaltungsgerichts befindlichen, in der Darstellung des Verfahrensablaufes erwähnten, von den Parteien des Verfahrens beigeschafften, Unterlagen und der Besprechung vom .

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Rechtslage
§ 303 Abs 1 Bundesabgabenordnung (BAO) lautet:
Ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren kann auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn
a)...
b) Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, oder
c)…
und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

§ 4 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 lautet:
Entspricht die Vermögensübersicht nicht den allgemeinen Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung oder den zwingenden Vorschriften dieses Bundesgesetzes, ist sie zu berichtigen (Bilanzberichtigung). Kann ein Fehler nur auf Grund der bereits eingetretenen Verjährung nicht mehr steuerwirksam berichtigt werden, gilt Folgendes:
- Zur Erreichung des richtigen Totalgewinnes kann von Amts wegen oder auf Antrag eine Fehlerberichtigung durch Ansatz von Zu- oder Abschlägen vorgenommen werden.
- Die Fehlerberichtigung ist im ersten zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung noch nicht verjährten Veranlagungszeitraum insoweit vorzunehmen, als der Fehler noch steuerliche Auswirkungen haben kann.
- Die Nichtberücksichtigung von Zu- oder Abschlägen gilt als offensichtliche Unrichtigkeit im Sinne des § 293b der Bundesabgabenordnung.

Rechtliche Erwägungen

Der Neuerungstatbestand (§303 Abs 1 lit b idF FVwGG 2012) erfordert entscheidungs-relevante Tatsachen oder Beweismittel, die zwar im Zeitpunkt der Bescheiderlassung "im abgeschlossenen Verfahren" bereits existierten, aber erst danach hervorgekommen sind (/0035).

Tatsachen sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände (zB ; , 95/14/0094); also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis (als vom Bescheid zum Ausdruck gebracht) geführt hätten, etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Eigenschaften (zB ; ; ; ).

Wiederaufnahmsgründe sind nur im Zeitpunkt der Bescheiderlassung existente Tatsachen, die später hervorkommen (nova reperta). Später entstandene Umstände (nova producta) sind keine Wiederaufnahmsgründe (zB ; ).

In der Entscheidung vom , Ra 2014/15/0058, stellte der VwGH klar, dass bei einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens das Neuhervorkommen von Tatsachen aus der Sicht des Antragstellers zu beurteilen ist. Die bereits im Zeitpunkt der Bescheiderlassung existierenden Tatsachen oder Beweismittel müssen also aus Sicht des Abgabenpflichtigen später neu hervorgekommen sein. Hatte der Abgabenpflichtige im Bescheiderlassungszeitpunkt bereits Kenntnis von diesen Tatsachen oder Beweismitteln, ist ein Antrag auf Wiederaufnahme als unbegründet abzuweisen.

Das Unterbleiben von Aufzeichnungen kann eine Tatsache im Sinn des Neuerungstatbestandes sein (siehe ). Allerdings handelte es sich bei dem zitierten Erkenntnis um fehlende Aufzeichnungen zum Eigenverbrauch eines Unternehmers und um eine amtswegige Wiederaufnahme, wobei diese Tatsache der fehlenden Aufzeichnungen aus Sicht der Abgabenbehörde nicht bekannt war.

Im vorliegenden Fall war der Umstand des Unterbleibens von Aufzeichnungen der BF sehr wohl bekannt und bei den bisher nicht berücksichtigten Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben, handelt es sich um solche, die der BF im abgeschlossenen Verfahren bereits bekannt gewesen sein mussten und die von ihr somit rechtzeitig geltend gemacht hätten werden können.

Damit kann aus der Sicht der BF diesbezüglich keine neu hervorgekommene Tatsache vorliegen.

Der Verwaltungsgerichthof hat in dem vom steuerlichen Vertreter bereits (irrtümlich) zitierten Erkenntnis klargestellt, dass eine Bilanz, die erst nach Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens hergestellt wurde, weder eine neu hervorgekommene Tatsache noch ein hervorgekommenes Beweismittel iSd § 303 Abs 1 lit b BAO ist ().
Dasselbe gilt wohl für eine nachträglich erstellte Buchhaltung und Einnahmen-Ausgaben-Rechnung.
Die fehlende Kenntnis von im Zeitpunkt der Bescheiderlassung "im abgeschlossenen Verfahren" bereits existierenden, entscheidungsrelevanten, Tatsachen oder Beweismitteln konnte somit nicht nachgewiesen werden.

Das Wiederaufnahmeverfahren hat nicht den Zweck, allfällige Versäumnisse einer Partei im Verwaltungsverfahren zu sanieren, sondern soll die Möglichkeit bieten, bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen Rechnung zu tragen ().

Unverständlich ist für das Gericht, was der steuerliche Vertreter mit seiner Deutung der Beschwerde als Antrag auf Bilanzberichtigung gemäß § 4 Abs 2 Z 2 EStG 1988 für die gegenständlichen Verfahren erreichen will:
Eine auf § 4 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 gestützte Änderung eines rechtskräftigen Bescheides setzt voraus, dass ein Fehler nur auf Grund der bereits eingetretenen Verjährung nicht mehr steuerwirksam berichtigt werden kann. Daher ist die Bestimmung nur dann anwendbar, wenn ein Verfahrenstitel vorliegt, der es ermöglichen würde, den fehlerhaften Bescheid in Durchbrechung der Rechtskraft zu korrigieren und der Einsatz dieses Verfahrenstitels bloß deswegen nicht möglich ist, weil dem die eingetretene Verjährung entgegensteht. Auf diese Weise bestehen für eine Fehlerberichtigung in Bezug auf verjährte Zeiträume dieselben verfahrensrechtlichen Anforderungen für die Durchbrechung der Rechtskraft, wie sie für eine derartige Maßnahme in Bezug auf nicht verjährte Zeiträume bestehen.
Wenn daher kein Verfahrenstitel (etwa in Form eines Wiederaufnahmegrundes) vorliegt, um den rechtskräftigen Bescheid zu ändern, kommt eine Durchbrechung der Rechtskraft auch nicht durch Anwendung des § 4 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 iVm § 293b BAO in Betracht.

Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Das gegenständliche Erkenntnis folgt der eindeutigen Judikatur des VwGH, dass es für die Wiederaufnahme des Verfahrens auf den Wissensstand des Antragstellers ankommt. Da keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegt, ist eine ordentliche Revision nicht zulässig.

Linz, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at