Suchen Hilfe
Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 08.07.2020, RV/1200025/2017

Keine Wiedereinssetzung in den vorigen Stand bei Verletzung von Kontrollpflichten

Beachte

Revision beim VwGH anhängig zur Zahl Ra 2020/16/0139. Zurückweisung mit Beschluss vom .

Entscheidungstext

Im Namen der republik

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch ***V***, ***V-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Zollamtes Feldkirch Wolfurt vom , Zahl ***8***, betreffend Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Versäumung der Beschwerdefrist), zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach
Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Mit Bescheid vom , Zahl ***7***, teilte das Zollamt der Beschwerdeführerin die buchmäßige Erfassung von Eingangsabgaben und Verzugszinsen mit.

Mit Eingabe vom beantragte die Beschwerdeführerin betreffend den angeführten Bescheid gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Bescheidbeschwerde die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 308 Abs. 1 BAO zu bewilligen.

Die Antragstellerin sei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert gewesen, die Beschwerdefrist einzuhalten, nämlich durch den Umstand, dass der Büroangestellte, Herr ***1***, die Beschwerdefrist versehentlich nicht notiert habe. Der Bescheid des Zollamtes Feldkirch Wolfurt vom , Zahl ***4***, sei am beim Zustellungsbevollmächtigten eingelangt, der diesen als digitale Kopie am selben Tag per E-Mail an die Sachbearbeiter, RA/StB ***2*** sowie RA ***3*** weitergeleitet habe. Entgegen bestehender Anweisungen habe der Büroangestellte die Frist nicht notiert, weshalb die Frist nicht überwacht werden habe können und die Beschwerde nicht binnen offener Frist eingereicht worden sei. Dieser Arbeitsfehler, der die fristgerechte Einreichung verhindert habe, sei weder für die Sachbearbeiter noch für die Beschwerdeführerin vorhersehbar oder abwendbar gewesen. Auf diesen Fehler sei man am im Zuge der Bearbeitung eines E-Mails des Mandanten, die ua die vorliegende Sache betroffen habe, aufmerksam geworden.

Weder die Beschwerdeführerin noch den Vertreter treffe ein grobes Verschulden an der Versäumung.

Die Fristennotierung und -überwachung sei wie folgt organisiert:

Herr ***1*** nehme die während des Arbeitstages eingehende Briefpost laufend entgegen und kontrolliere zudem täglich die Eingangs-E-Mail-Postfächer und die Faxeingänge. Die so erhaltenen Dokumente würden auf Vollständigkeit und etwaig zu notierende Fristen geprüft. Die Dokumente würden sodann eingescannt und in die E-Akte abgelegt; das Original werde in der körperlichen Akte abgeheftet. Wenn sich aus den Dokumenten Fristen ergeben würden, notiere Herr ***1*** diese im körperlichen Fristenbuch sowie im elektronisch geführten Kanzleikalender. Zusätzlich werde eine Vorfrist von einer Woche notiert. Herr ***1*** überwache die Fristen, indem er anlässlich der notierten Frist bzw. Vorfrist den jeweiligen Sachbearbeiter an die Frist erinnere. Erst nach Erledigung der Frist durch den Sachbearbeiter und etwaigen Versand des betreffenden Dokuments streiche Herr ***1*** die Frist aus dem Fristenbuch und Kalender. Die gestrichene Frist bleibe aus Gründen der Nachprüfbarkeit jeweils sichtbar.

Bei Aufnahme seiner Tätigkeit in unserer Kanzlei sei Herr ***1*** über die Regelungen für die Fristenkontrolle und -überwachung sowie deren Bedeutung belehrt worden. Dies sei durch den Rechtsanwalt ***5*** erfolgt. Diese Belehrung werde regelmäßig, zuletzt am und am , durch den Rechtsanwalt wiederholt. Zusätzlich würden gesetzliche Änderungen zum Anlass für gesonderte Belehrungen genommen. Gleichwohl sei es zu dem Fehler gekommen, weil der Büroangestellte die Anweisungen nicht befolgt habe, obwohl alles getan worden sei, damit die Rechtsanwälte sich auf deren Einhaltung verlassen konnten. Der Büroangestellte habe bisher zuverlässig gearbeitet. Regelmäßige Überwachungsmaßnahmen und Kontrollen, die zuletzt im Rahmen der oben angeführten Belehrungen am und erfolgt seien, hätten nie Anlass zu Beanstandungen gegeben. Zur Glaubhaftmachung des gesamten Vortrages werde auf die beigelegte eidesstattliche Versicherung des Büroangestellten verwiesen.

Zudem verfüge Herr Briese über eine fünfjährige (praktische Ausbildungszeiten eingerechnet eine achtjährige) Berufserfahrung als Rechtsanwaltsfachangestellter und sei daher für die Übernahme der Fristenkontrolle und -überwachung in der vorgeschriebenen Form hinreichend qualifiziert.

Die Versäumung der Beschwerdefrist sei somit weder der Partei noch dem Vertreter zuzurechnen und damit unverschuldet im Sinne des § 308 Abs. 1 BAO. Aus dem Vortrag ergebe sich zugleich, dass die Wiedereinsetzungsfrist gemäß § 308 Abs. 3 BAO gewahrt sei. Der Beschwerdeführerin sei damit die Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist zu gewähren. Alle der Wahrnehmung der Rechtsanwälte ***5*** und ***6*** unterliegenden oben geschilderten Umstände würden hiermit vorsorglich anwaltlich versichert.

Gleichzeitig wurde die versäumte Handlung nachgeholt.

Das Finanzamt wies den Antrag mit Bescheid vom , Zahl ***8***, ab. Zweck einer Beschwerde sei es die Rechtmäßigkeit eines Bescheides zu überprüfen die Antragstellerin erleide aber durch die Versäumung der Beschwerdefrist keinen Rechtsnachteil, weil das Zollrecht eine solche Überprüfung unabhängig von der Rechtskraft des ergangenen Abgabenbescheides vorsehe.

Dagegen wurde mit Eingabe vom mit Hinweis auf den Schriftsatz vom Beschwerde erhoben.

Das Zollamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom , Zahl ***9***, zurück.

Mit Schriftsatz vom zog die Beschwerdeführerin den Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurück. Mit einem weiteren Schriftsatz vom brachte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vor, dass ein Antrag nach Art. 236 ZK einem Beschwerdeverfahren keinesfalls gleichwertig sei und daher durch die Versäumung der Frist entgegen der Ansicht des Zollamtes ein Rechtsnachteil vorliege. Außerdem wurde geltend gemacht, dass der bekämpfte Bescheid an den falschen Adressaten gerichtet worden sei.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Gemäß § 308 Abs. 1 BAO ist auf Antrag der Partei, die durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Vorauszuschicken ist, dass nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts durch den Hinweis in der Beschwerde auf den Schriftsatz vom (Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) hinreichend erkennbar ist, welche Änderungen - nämlich die Bewilligung der Wiedereinsetzung - die Beschwerdeführerin beantragt.

Der bekämpfte Bescheid vom ist aufgrund der Nennung der Beschwerdeführerin im Spruch des Bescheides ohne Zweifel auch an die Beschwerdeführerin ergangen. Die Anführung des Vertreters und des Zustellungsbevollmächtigten im Kopf des Bescheides ändert daran nichts.

Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH ist ein Verschulden des Parteienvertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen (vgl. Ritz, BAO6, § 308 Tz 17 mwN)

Ein Versehen eines Kanzleimitarbeiters eines Rechtsanwaltes ist diesem als Verschulden anzurechnen, wenn der Rechtsanwalt die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle gegenüber dem Kanzleimitarbeiter unterlassen hat. Der Parteienvertreter muss die Organisation seines Kanzleibetriebs so einrichten, dass die erforderliche und fristgerechte Setzung von Prozesshandlungen sichergestellt wird. Dabei ist durch entsprechende Kontrolle dafür Sorge zu tragen, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach ausgeschlossen werden kann.

Maßgebend ist somit, ob dem Parteienvertreter ein grobes Auswahlverschulden, grobe Mängel der Kanzleiorganisation oder eine mangelhafte Überwachung und Kontrolle anzulasten ist (Ritz, aaO).

Der Wiedereinsetzung schadet ein solches Versagen dann nicht, wenn dem Rechtsanwalt nur ein minderer Grad des Versehens vorgeworfen werden kann. Der Begriff des minderen Grades des Versehens wird als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB verstanden (vgl. Ritz, aaO, Tz 14 mwN).

Nach der Rechtsprechung des VwGH ist der Parteienvertreter für die Beachtung einer Rechtsbehelfsfrist grundsätzlich selbst verantwortlich. Er hat die Frist festzusetzen, ihre Vormerkung anzuordnen und die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen der ihm gegenüber seiner Angestellten gegebenen Aufsichtspflicht zu überwachen. Wird in einer Kanzlei eines Parteienvertreters die sofortige Überprüfung von Fristen und Terminen einlangender Schriftstücke von einer - wenn auch verlässlichen und umsichtigen - Kanzleikraft vorgenommen, entspricht dies nicht der in der Judikatur geforderten Vorgangsweise eines Parteienvertreters und erlaubt es nicht mehr, aufseiten des Parteienvertreters nur einen minderen Grad des Versehens anzunehmen. Ein Parteienvertreter, der sich aus welchen Gründen immer völlig auf die Richtigkeit der Fristvormerkungen von Angestellten verlässt, tut dies auf die Gefahr, dass das als ein die Wiedereinsetzung ausschließendes und der von ihm vertretenen Partei zuzurechnendes Verschulden qualifiziert wird (vgl. ; , zuletzt ).

Es trifft zu, dass eine regelmäßige Kontrolle, ob eine erfahrene und zuverlässige Kanzleikraft rein manipulative Tätigkeiten auch tatsächlich ausführt, dem Parteienvertreter nicht zuzumuten ist, will man seine Sorgfaltspflicht nicht überspannen. Um einen solchen rein manipulativen Vorgang handelt es sich jedoch bei der kanzleimäßigen Bestimmung einer Rechtsmittelfrist nicht.

Wenn der Parteienvertreter die Bestimmung der Rechtsmittelfrist nach seinem Vorbringen im Verwaltungsverfahren der Kanzleiangestellten überließ, so wäre es ihm im Rahmen der gebotenen Überwachungspflicht jedenfalls oblegen, diesen Vorgang zu kontrollieren (vgl. , mwN).

Das zufällige Entdecken des Bescheideinganges war nach der Darstellung in der Beschwerde eher zufällig und somit keinesfalls systematisch kontrolliert. Bei einem Kontrollsystem für derart wichtige Fristen genügt es nicht, den Kanzleimitarbeiter von Zeit zu Zeit auf die Wichtigkeit des Fristenvormerks aufmerksam zu machen. Ein derartiges Kontrollsystem verhindert nicht, dass eine Versäumung einer Frist nach menschlichen Ermessen ausgeschlossen erscheint.

Es liegt somit ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden des Parteienvertreters vor. Die Wiedereinsetzung war daher nicht zu bewilligen.

Im Beschwerdefall kann es daher dahingestellt bleiben, ob durch die Versäumung der Frist zur Einbringung einer Beschwerde im Hinblick auf den parallel gestellten Antrag auf Erlass der Eingangsabgaben nach Art .236 ZK der Beschwerdeführerin einen Rechtsnachteil entstanden ist.

Zur Unzulässigkeit einer Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Das Bundesfinanzgericht ist im Beschwerdefall von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht abgewichen. Eine ungeklärte Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung war daher nicht zu lösen. Die ordentliche Revision war daher als unzulässig zu erklären.

Innsbruck, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Zoll
betroffene Normen
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.1200025.2017

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at

Fundstelle(n):
JAAAC-24681