Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 29.06.2020, RV/5100523/2020

Mehrere Monate Vorbereitungszeit auf einzelne Gegenstände der Reifeprüfung als Berufsausbildung?

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des ***FA*** vom betreffend die Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetztbeträgen für den Zeitraum März bis Juni 2018 zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG ) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang und Sachverhalt

1. Die Tochter der Beschwerdeführerin (in der Folge kurz: BF) vollendete am x.2014 das 18. Lebensjahr, aufgrund einer Berufsausbildung mit geplanter Matura im Juni 2017 wurde die Familienbeihilfe jedoch weiterhin ausbezahlt.

2. Mit Eingangsdatum beantwortete die BF ein Überprüfungsschreiben des Finanzamtes mit dem Vermerk:
"Nachprüfung in Deutsch und Englisch im September. Bei Bestehen der Prüfung wird die Herbstmatura nachgeholt. Bei Nichtbestehen- Wiederholung der 5. Klasse."

3. Mit Eingangsdatum beantwortete die BF ein Überprüfungsschreiben des Finanzamtes mit dem Vermerk:
"***Kind*** hat die Matura-Prüfungen noch ausständig und ist noch nicht berufstätig. Das Abschlusszeugnis wird sie erst im April 2018 erhalten."

4. Mit Eingangsdatum übermittelte die BF aufgrund eines Überprüfungsschreibens des Finanzamtes eine Bestätigung der ***Schule*** vom wonach die Tochter zur Reifeprüfung angetreten sei, jedoch diese nicht positiv abgeschlossen habe und daher zum Sommertermin im Juni angemeldet sei.

5. Das Finanzamt forderte daraufhin mit Bescheid vom von der BF die für ihre Tochter betreffend den Zeitraum März bis Juni 2018 zu Unrecht bezogenen Beträge an Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen iHv. insgesamt 894 Euro zurück.
Da die Tochter zu den Maturaterminen im Juni und Oktober 2018 nicht antrat, sei der Anspruch auf Familienbeihilfe im Februar 2018 erloschen.

6. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde vom mit der Begründung, dass die Tochter aufgrund ihrer Krankheit nicht zu den Terminen antreten habe können. Die ärztlichen Bestätigungen würden dem Finanzamt vorliegen. Außerdem sei die Tochter wegen Prüfungsangst in psychologischer Betreuung.

7. Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde mit im Wesentlichen folgender Begründung als unbegründet ab:
"Ihre Tochter ist im September 2017 zur schriftlichen Matura angetreten und hat diese teilweise bestanden. Im Oktober 2017 ist sie mündlich zur Matura angetreten und hat diese teilweise bestanden. Ihre Tochter trat im Februar 2018 erneut zur mündlichen Matura an und hat diese nicht bestanden. Im Mai 2018 wurde ein Teil der schriftlichen Matura bestanden. Im Zeitraum Juni bis Oktober 2018 trat ihre Tochter wegen Erkrankung zu 3 Terminen nicht an. Bis dato wurde von ihrer Tochter die Matura nicht erfolgreich absolviert.
Ist das Ziel der Ausbildung die Ablegung der Matura, wie etwa auch bei der Berufsreifeprüfung, ist als Vergleichsmaßstab regelmäßig der für den Besuch einer AHS oder BHS erforderliche Zeitaufwand heranzuziehen, also mindestens 30 Wochenstunden, wobei im Übrigen dazu regelmäßig noch der Aufwand für die Vorbereitung zu Hause kommt
Dass für die Vorbereitung zu Wiederholungsprüfungen in einzelnen Fächern -wie dies hier der Fall ist- ein Zeitaufwand von rund 30 Wochenstunden erforderlich ist, dies über einen Zeitraum von einem Jahr, kann nach den Erfahrungen des täglichen Lebens nicht angenommen werden.
Es kann von keinem ernsthaften und zielstrebigen Bemühen gesprochen werden. Weiters liegt auch die notwendige Zeitintensität durch das Vorbereiten auf nur ein Fach nicht mehr vor. … Die Familienbeihilfe und der Kinderabsetzbetrag stehen nur bis Februar 2018 (zweite Wiederholung der Matura) zu."

8. Dagegen richtet sich der Vorlageantrag vom mit folgender Begründung:
"Ich war mehrmals persönlich am Finanzamt, da meine Tochter nie unentschuldigt von den Prüfungen fernblieb und sie bei Nichtantreten ein ärztliches Attest brachte, wobei ich nochmals erwähnen muss, dass meine Tochter unter Prüfungsangst leidet, die dann einen Tag vor Prüfung eintritt und in Form von Erbrechen, Bauchkrämpfen, Durchfall und Kopfschmerzen. Deshalb kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie nicht mit voller Verantwortung beim Lernen war. Ich habe psychologische Betreuung für meine Tochter bezahlt, ebenso Einzelunterricht im Gesamtwert von 1.872,00 im Zeitraum vom bis im Glauben ihre Prüfungsangst dadurch zu lindern."

Dem Finanzamt vorgelegt wurden:

  1. eine Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit für den ;

  2. eine ärztliche Freistellung vom Schulunterricht für den 18.10. bis und den ;

  3. eine Bestätigung der Untersuchung durch einen Allgemeinmediziner am ;

  4. ein Schreiben der betreffenden Schule, wonach die Tochter den 5. Jahrgang mit Zeugnis vom positiv abgeschlossen habe, sich anschließend für den frühestmöglichen Reifeprüfungstermin angemeldet habe und aufgrund Krankheit die Prüfungstermine , (schriftlicher Prüfungstermin), und (mündlich) nicht wahrnehmen habe können;

  5. eine Bestätigung der Schulde, wonach sich die Tochter für den Nebentermin der Reifeprüfung angemeldet habe. Die Anmeldung umfasste die schriftliche Prüfung "Fachtheorie" am und die mündlichen Prüfungen "Wirtschaft und Recht" und "Kunstgeschichte und Kulturphilosophie" am ;

  6. eine Bestätigung der Schule vom , dass die Tochter zu den Maturaterminen im Juni und Oktober aufgrund von Krankheit nicht antreten konnte;

  7. eine Bestätigung vom über fünf klinisch-psychologische Sitzungen;

  8. eine Bestätigung vom über fünf klinisch-psychologische Sitzungen;

  9. eine Übersicht über die Maturaantritte von September 2017 bis Feber 2019.

9. Am legte das Finanzamt die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht vor und beantragte die Abweisung aus den in der Beschwerdevorentscheidung genannten Gründen.

II. Beweiswürdigung

Der Sachverhalt ergibt sich unstrittig aus dem bisherigen Verwaltungsgeschehen und den vorgelegten Akten.

III. Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Gesetzliche Bestimmungen

Nach der Bestimmung des § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 (Familienlastenausgleichsgesetz 1967) in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung haben Anspruch auf Familienbeihilfe Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist.

Gemäß § 10 Abs. 2 FLAG 1967 erlischt der Anspruch auf Familienbeihilfe mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt.

Gemäß § 26 Abs. 1 FLAG 1967 hat derjenige, der Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen. Gleiches gilt für zu Unrecht bezogene und gemeinsam mit der Familienbeihilfe ausbezahlte Kinderabsetzbeträge (§ 33 Abs. 3 EStG 1988 iVm § 26 FLAG 1967).

Rechtliche Erwägungen

Zu prüfen ist, ob sich die Tochter der BF während des verfahrensgegenständlichen Zeitraums (März bis Juni 2018) in Berufsausbildung befunden hat.

Unter den im Gesetz nicht definierten Begriff der Berufsausbildung fallen nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH (jedenfalls) alle Arten schulischer oder kursmäßiger Ausbildungen, in deren Rahmen noch nicht berufstätigen Personen ohne Bezugnahme auf die spezifischen Tätigkeiten an einem konkreten Arbeitsplatz das für das künftige Berufsleben erforderliche Wissen vermittelt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat hierzu in ständiger Rechtsprechung eine Reihe von Kriterien entwickelt, um das Vorliegen einer Berufsausbildung annehmen zu können. Ziel einer Berufsausbildung ist es demnach, die fachliche Qualifikation für die Ausübung des angestrebten Berufes zu erlangen. Dabei muss das ernstliche und zielstrebige, nach außen erkennbare Bemühen um den Ausbildungserfolg gegeben sein. Das Ablegen von Prüfungen, die in einer Ausbildungsvorschrift vorgesehen sind, ist essenzieller Bestandteil der Berufsausbildung. Jede Berufsausbildung weist ein qualitatives und ein quantitatives Element auf: entscheidend ist sowohl die Art der Ausbildung als auch deren zeitlicher Umfang; die Ausbildung muss als Vorbereitung für die spätere konkrete Berufsausübung anzusehen sein und überdies die volle Zeit des Kindes in Anspruch nehmen. Ob ein Kind eine Berufsausbildung absolviert, ist eine Tatfrage, die die Behörde in freier Beweiswürdigung zu beantworten hat ().

Es besteht kein Zweifel daran, dass bei der Absolvierung einer Höheren Technischen Bundes-Lehr- und Versuchsanstalt mit dem Ziel der Ablegung der Matura grundsätzlich eine Berufsausbildung gegeben ist.

Die Voraussetzungen einer Berufsausbildung iSd FLAG können auch dann vorliegen, wenn ein Kind erforderliche Prüfungen ablegen will und sich hierauf tatsächlich und zielstrebig vorbereitet. Das wird dann anzunehmen sein, wenn die Vorbereitung auf die Ablegung der Prüfung die volle Zeit des Kindes in Anspruch nimmt und das Kind zu den festgesetzten Terminen zu den Prüfungen antritt (, zur Vorbereitung auf die Externistenreifeprüfung)
(Lenneis/Wanke, FLAG 2. Auflage, § 2 Rz 35 mit Judikaturnachweisen).

Bezüglich des quantitativen Elements der Berufsausbildung ist zu differenzieren zwischen Ausbildungsmaßnahmen, die im Rahmen einer schulischen oder kursmäßigen Ausbildung erfolgen, und solchen, bei denen dies nicht der Fall ist, die Vorbereitung auf die Prüfung(en) also -wie im gegenständlichen Fall- vor allem im Wege des Selbststudiums erfolgt.

Beiden Ausbildungsmaßnahmen ist gemeinsam, dass sie die volle Zeit des Auszubildenden in Anspruch nehmen müssen. Was hierunter zu verstehen ist, ist weder im Gesetz geregelt noch trifft die Judikatur des VwGH diesbezüglich eine klare Aussage. Auch im Fall des Besuches einer Maturaschule führt der VwGH nur allgemein aus, das ernstliche und zielstrebige, nach außen erkennbare Bemühen um den Ausbildungserfolg manifestiere sich im Antreten zu den erforderlichen Vorprüfungen. Zwar sei nicht (nur) der Prüfungserfolg ausschlaggebend, der Maturaschüler müsse aber durch das Antreten zu Prüfungen innerhalb angemessener Zeit versuchen, die Voraussetzungen für die Zulassung zur Reifeprüfung zu erlangen (s zB ).

Ist das Ziel der Ausbildung die Ablegung der Matura, wie etwa auch bei der Berufsreifeprüfung, ist nach der (überwiegenden) Judikatur des UFS und des BFG als Vergleichsmaßstab regelmäßig der für den Besuch einer AHS oder BHS erforderliche Zeitaufwand heranzuziehen, also mindestens 30 Wochenstunden (s zB -F/07; ; ; ), wobei im Übrigen dazu regelmäßig noch der Aufwand für die Vorbereitung zu Hause kommt (Lenneis/Wanke, FLAG 2. Auflage, § 2 Rz 39 f).

Im Rahmen der Matura sind im Allgemeinen sechs Prüfungen abzulegen. Durch die teilweise bestandenen Prüfungen bei den Antritten im September 2017, Oktober 2017, Jänner 2018 und Feber 2018 hat die Tochter der BF schon einen Teil davon absolviert.

Es kann nicht angenommen werden, dass für die Vorbereitung zu Wiederholungsprüfungen in einzelnen Fächern ein Zeitaufwand von rund 30 Wochenstunden über mehrere Monate erforderlich ist.

Es ist somit nicht als rechtswidrig anzusehen, wenn das Finanzamt bei dieser Sachlage in freier Beweiswürdigung davon ausgegangen ist, dass in den Monaten März bis Juni 2018 keine Berufsausbildung im Sinne des FLAG vorgelegen ist.

Zum Vorbringen der BF, dass eine Krankheit ursächlich für die Verzögerungen sei, ist Folgendes zu sagen:
Unterbrechungen des tatsächlichen Ausbildungsvorganges sind für einen bereits vorher entstandenen Anspruch auf Familienbeihilfe nicht schädlich. Hiezu gehören beispielsweise Erkrankungen, die die Berufsausbildung auf begrenzte Zeit unterbrechen, oder Urlaube und Schulferien. (Lenneis/Wanke, FLAG 2. Auflage, § 2 Rz 38)

Im gegenständlichen Fall erreichte die Erkrankung in Form von Prüfungsangst mit damit verbundenen körperlichen Beschwerden erst im Juni 2018 eine Intensität, die die Tochter der BF am Antreten zu Prüfungen hinderten. Zu dieser Zeit lag nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes schon keine Berufsausbildung im Sinne des FLAG 1967 mehr vor, die unterbrochen hätte werden können.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da im gegenständlichen Verfahren die entscheidungsrelevanten Rechtsfragen bereits ausreichend durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt sind, und die Entscheidung von dieser Rechtsprechung nicht abweicht, ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig.

Linz, am

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Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at