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Bescheidbeschwerde – Senat – Erkenntnis, BFG vom 28.05.2020, RV/7100924/2019

Haftungsbescheid: keine Beweisvorsorgeverpflichtung mehr, wenn die Aufbewahrungsfrist schon abgelaufen ist und Geschäftsführer bereits vor Konkurseröffnung aus der Gesellschaft ausgeschieden war

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Senatsvorsitzenden Mag. Gerhard Groschedl, die Richterin Mag. Mirha Karahodzic MA sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Oliver Bruckner und Mag. Ulrike Richter in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Mag. Stefan Hermann Benesch, Schwindgasse 6, 1040 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Haftungsbescheid des Finanzamtes Wien 3/6/7/11/15 Schwechat Gerasdorf vom zur Steuernummer ***StNr1***nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am in Anwesenheit der Schriftführerin Schriftführerin zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird ersatzlos aufgehoben.

II. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang:

Mit Schreiben vom wurde der Beschwerdeführer als ehemaliger Geschäftsführer der "**GmbH1**" (später: "**GmbH2**") über seine beabsichtigte Heranziehung zur Haftung gemäß § 9 iVm § 80 BAO informiert und aufgefordert, innerhalb eines Monats ab Zustellung Fragen zur Gläubigergleichbehandlung zu beantworten, sowie durch Vorlage geeigneter Unterlagen, die zu einer Entlastung führen könnten, zu belegen, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung der Gläubiger eingehalten wurde (Haftungsvorhalt). Gleichzeitig wurde ihm ein Rückstandsausweis über die vollstreckbaren Abgaben iHv 50.609,35 Euro zur Kenntnis gebracht.

In der Stellungnahme vom wies der Beschwerdeführer darauf hin, dass er die Gesellschaft im Zeitraum von bis vertreten habe. Damit seien die Abgaben, die vor diesem Zeitraum fällig geworden seien bzw. fällig geworden wären, nicht in die Haftung miteinzubeziehen. Weiters sei die Einhebungsverjährung gemäß § 238 BAO eingetreten. Außerdem seien der Konkurs der Gesellschaft und die Außenprüfung lange Zeit nach dem Ausscheiden des Beschwerdeführers erfolgt. Überdies wurde vorgebracht, dass aus dem Haftungsbescheid für das Jahr 2008 sowie dem Bericht gemäß § 150 BAO über das Ergebnis der Außenprüfung vom jeweils die Gesamtzeiträume vom bis zur Feststellung herangezogen worden seien. Insoweit sei der im Haftungsvorhalt vom ausgewiesene Betrag nicht nachvollziehbar.

Mit Haftungsbescheid vom wurde der Beschwerdeführer als Geschäftsführer der "**GmbH2**" gemäß § 9 iVm § 80 BAO als Haftungspflichtiger für die noch aushaftenden Abgabenschuldigkeiten der Firma im Ausmaß von 25.896,38 Euro in Anspruch genommen. Die Haftung beschränkte sich lediglich auf die Abgabenschuldigkeiten des Jahres 2008. Die Haftung begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer seinen auferlegten Pflichten als zur Vertretung der Gesellschaft berufener Person nicht nachgekommen sei. Die Behörde gab die Ergebnisse der Lohnsteuerprüfung aus dem Jahr 2010 für den Zeitraum bis wieder, durch welche es zur Nachforderung an Lohnsteuer gekommen war. Durch die Außenprüfung seien im angegebenen Zeitraum Sachbezüge aufgrund privater Nutzung von Firmen-Pkws bei drei Dienstnehmern festgestellt worden. Dies führe zu einer Nachforderung an Lohnsteuer betreffend den Dienstnehmer ***Bf1*** iHv 5.169,42 Euro, die Dienstnehmerin **SA** iHv 24.823,68 Euro und den Dienstnehmer **GM** iHv 2.079,48 Euro. Weiters seien aufgrund mangelhafter Aufzeichnungen von Kilometergeldern durch Herrn **AW** 40% der Kilometergelder der Nachversteuerung unterzogen worden, wodurch es zu einer Nachforderung iHv 904,04 Euro gekommen sei. Dem Einwand des Beschwerdeführers, die Abgabenschuld sei verjährt, entgegnete die Behörde, dass die Verjährungsfrist durch die Konkurseröffnung vom Jänner 2012 unterbrochen worden sei und durch die rechtskräftige Aufhebung des Insolvenzverfahrens am neu zu laufen begonnen habe.

Am wurde Beschwerde eingebracht und ausgeführt, in der Begründung des Haftungsbescheides seien höhere nachgeforderte Beträge angeführt worden als im Spruch in Summe ersichtlich sei. Zudem seien die Bemessungsgrundlage und die Berechnung der Nachforderung nicht ersichtlich. Offenbar seien die im Spruch ersichtlichen Nachforderungen lediglich jene Nachforderungen, die aufgrund des Sachbezuges von Frau **SA** bei der Lohnsteuerprüfung im Jahr 2010 errechnet wurden. Grund und Höhe der Nachforderungen seien nicht ausreichend begründet und die Sachverhaltsdarstellungen weder schlüssig noch nachvollziehbar. Der zur Berechnung des Sachbezuges von Frau **SA** herangezogene Prozentsatz iHv 1,5% des im Kaufvertrag ausgewiesenen Wertes sei überhöht. Weiters sei der Haftungsbescheid vom , welcher der GmbH zugestellt worden sei, die Grundlage für den Haftungsbescheid gewesen. Dem Beschwerdeführer sei es unmöglich gewesen Kenntnis über diesen zu erlangen, da er zu diesem Zeitpunkt bereits aus der Gesellschaft ausgeschieden gewesen sei. Damit sei es ihm ebenfalls unmöglich gewesen, ein Rechtsmittel gegen den Bescheid vom zu erheben. Außerdem sei es im Haftungsbescheid im Hinblick auf den Sachverhalt und die Höhe der Haftung zu Begründungsmängeln gekommen. Zuletzt wurde das fehlende Verschulden des Beschwerdeführers vorgebracht, da Frau **SA** auf Honorarbasis tätig und ihm deswegen die Dienstnehmereigenschaft nicht erkennbar gewesen sei.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde abgewiesen. Die Behörde begründete im Näheren die Dienstnehmereigenschaft von Frau **SA**. Dass der der Gesellschaft zugestellte Haftungsbescheid dem Beschwerdeführer nicht zugestellt worden sei, hindere die Heranziehung des Haftungspflichtigen nicht. Der Bescheidinhalt sei mit dem Haftungsbescheid und ergänzend mit der Beschwerdevorentscheidung zur Kenntnis gebracht worden. Bezüglich der Einwendung, der Beschwerdeführer habe die Tätigkeit der Dienstnehmerin **SA** nicht als Dienstnehmereigenschaft erkennen können, sei entgegenzubringen, dass Rechtsunkenntnis keine zulässige Rechtfertigung sei und es sich in diesem Falle zumindest um Fahrlässigkeit gehandelt habe.

Im Antrag vom wurde um die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht ersucht.

Am fand die beantragte mündliche Verhandlung vor dem Bundesfinanzgericht in Abwesenheit des Beschwerdeführers statt, der krankheitsbedingt entschuldigt war.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Der Beschwerdeführer war im Zeitraum von bis Geschäftsführer der "**GmbH2**" (vormals: "**GmbH1**"; vgl. FB-Auszug zu FN ***), bei der im Jahr 2009 eine Außenprüfung durchgeführt wurde (Schlussbesprechung am ; vgl. die darüber aufgenommene Niederschrift). Diese führte am im Rahmen des Berichtes über das Ergebnis der Außenprüfung zur Erlassung mehrerer Bescheide an die "**GmbH1**", nämlich zu Bescheiden über die Festsetzung des Dienstgeberbeitrages (DB) für die Jahre 2006 bis 2008 samt Festsetzung von Säumniszuschlägen für das Jahr 2007 sowie für das Jahr 2008, zu Bescheiden über die Festsetzung des Zuschlages zum Dienstgeberbeitrag (DZ) für den Zeitraum 2006 bis 2008, sowie zu Haftungsbescheiden betreffend Lohnsteuer für die Jahre 2006 bis 2008 und Bescheiden über die Festsetzung eines Säumniszuschlages für das Jahr 2007 sowie für das Jahr 2008. Der DB 2008 und der DZ 2008 waren nicht monatlich aufgegliedert.

Mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom tt. Jänner 2012, ***, wurde das Konkursverfahren eröffnet und die Gesellschaft infolge Eröffnung des Konkursverfahrens aufgelöst. Der Konkurs wurde nach Verteilung an die Massegläubiger mit Beschluss vom (rechtskräftig am ) aufgehoben. Am wurde die amtswegige Löschung der Gesellschaft wegen Vermögenslosigkeit gemäß § 40 FBG im Firmenbuch eingetragen (vgl. FB-Auszug).

Am wurde der Beschwerdeführer als Haftungspflichtiger gemäß § 9 i.V.m. § 80 BAO mit dem angefochtenen Haftungsbescheid für die aushaftenden Abgabenschuldigkeiten der GmbH im Ausmaß von EUR 25.896,38 zur Haftung herangezogen. In einer Aufgliederung zum Haftungsbescheid (Rückstandsausweis) waren die Abgaben wie folgt aufgelistet:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Abgabenart
Zeitraum
Betrag
Quote 7,921689%
Haftungsbetrag
Lohnsteuer
2008
24.823,68
1.966,45
22.857,23
Dienstgeberbeitrag
2008
3.031,17
240,12
2.791,05
Dienstgeberzuschlag
2008
269,44
21,34
248,10
Summe:
28.124,29
2.227,91
25.896,38

Diese Abgaben wurden alle am fällig. Die Beträge sind bei der **GmbH2** uneinbringlich.

Mit dem Haftungsbescheid wurde dem Beschwerdeführer Folgendes übermittelt: Der Haftungsbescheid für das Jahr 2008 betreffend Lohnsteuer vom , der Bescheid über die Festsetzung des Dienstgeberbeitrages für das Jahr 2008 sowie Bescheid über die Festsetzung des Zuschlages zum Dienstgeberbeitrag für das Jahr 2008 vom und der "Bericht über das Ergebnis der Außenprüfung gemäß § 150 BAO mit dem Gegenstand Lohnabgaben bis " vom .

Der Beschwerdeführer wurde mit dem Haftungsbescheid lediglich für die Abfuhrdifferenzen hinsichtlich der Dienstnehmerin **SA** in Anspruch genommen. Die als "freie Dienstnehmerin" tätige **SA**, die einen Dienst-Pkw hatte, hat er - laut Darstellung in der mündlichen Verhandlung - bei Antritt seiner Geschäftsführertätigkeit "übernommen". Das dahinterstehende System wollte er ändern, der Gesellschafter sei aber dagegen gewesen.

Der Beschwerdeführer ist arbeitslos und hat einen für Wohnungseigentum aufgenommenen Kredit iHv 222.792,29 Euro zu bedienen (Saldo per ; vgl. vorgelegter Kontoauszug).

Der Beschwerdeführer konnte im Verfahren keine weiteren Unterlagen hinsichtlich der ausbezahlten Löhne im Jahr 2008 vorlegen.

Beweiswürdigung

Die Feststellungen, insbesondere jene zur Geschäftsführertätigkeit des Beschwerdeführers, der Betriebsprüfung bei der GmbH, zu den im Haftungsbescheid geltend gemachten Beträgen und zur Fälligkeit der Abgaben und deren Uneinbringlichkeit bei der GmbH ergibt sich aus dem übermittelten Verwaltungsakt sowie der Einsicht in das Abgabenkonto der Primärschuldnerin und in das Firmenbuch zur FN ***.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer keine Unterlagen vorgelegt hat, ergibt sich aus der Beschwerde und dem Vorlageantrag sowie den Ausführungen in der mündlichen Verhandlung. Die Feststellung zur Dienstnehmerin **SA** folgt den dazu getätigten glaubhaften Aussagen im Verfahren.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Abänderung)

3.1.1. Rechtslage

§ 9 Abs. 1 BAO lautet:

"Die in den §§ 80 ff. bezeichneten Vertreter haften neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können."

§ 20 BAO lautet:

"Entscheidungen, die die Abgabenbehörden nach ihrem Ermessen zu treffen haben (Ermessensentscheidungen), müssen sich in den Grenzen halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen."

§ 80 Abs. 1 BAO lautet:

"Die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen haben alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden."

§ 224 Abs. 1 BAO lautet:

"Die in Abgabenvorschriften geregelten persönlichen Haftungen werden durch Erlassung von Haftungsbescheiden geltend gemacht. In diesen ist der Haftungspflichtige unter Hinweis auf die gesetzliche Vorschrift, die seine Haftungspflicht begründet, aufzufordern, die Abgabenschuld, für die er haftet, binnen einer Frist von einem Monat zu entrichten."

Nach § 79 Abs. 1 EStG 1988 hat der Arbeitgeber die gesamte Lohnsteuer, die in einem Kalendermonat einzubehalten war, spätestens am 15. Tag nach Ablauf des Kalendermonates in einem Betrag an das Finanzamt der Betriebsstätte abzuführen.

§ 78 Abs. 3 EStG 1988 lautet:

"Reichen die dem Arbeitgeber zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung des vollen vereinbarten Arbeitslohnes nicht aus, so hat er die Lohnsteuer von dem tatsächlich zur Auszahlung gelangenden niedrigeren Betrag zu berechnen und einzubehalten."

3.1.2. Nach der im Folgenden näher dargestellten, ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Geltendmachung der Haftung nach § 9 Abs. 1 BAO voraus, dass

a) die als haftungspflichtige in Frage kommende Person zum Personenkreis der §§ 80 ff. BAO gehört (Vertreterstellung)

b) eine uneinbringliche Abgabenforderung gegen den Vertretenen besteht (Uneinbringlichkeit),

c) ein Verschulden des Vertreters an der Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten des Vertretenen vorliegt (Verschulden) und

d) die Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit ursächlich war (Kausalität).

3.1.2.1. Vertreterstellung

Der Beschwerdeführer war im haftungsrelevanten Zeitraum (2008) wie festgestellt Geschäftsführer der "**GmbH1**" (später: "**GmbH2**"; Primärschuldnerin) und gehörte damit zum Personenkreis der §§ 80 ff. BAO . Zu seinen Pflichten als Geschäftsführer der GmbH im Jahr 2008 gehörte es daher, die abgabenrechtlichen Verpflichtungen der Gesellschaft wahrzunehmen und für die Entrichtung der Abgaben aus den verwalteten Mitteln zu sorgen (siehe , , ).

Soweit der Beschwerdeführer vorbrachte, dass er zur Zeit der Zustellung des Bescheides vom an die GmbH bereits aus der Gesellschaft ausgeschieden war und damit keine Beschwerde gegen diese Grundlagenbescheide erheben konnte, ist ihm zu entgegnen, dass dem Haftenden durch § 248 BAO ein Rechtszug gegen den Abgabenbescheid eingeräumt ist (). Ein entsprechender Hinweis ist auch der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Bescheides zu entnehmen. Es ist ausreichend, wenn dem Haftenden - wie im vorliegenden Fall - gleichzeitig mit der Zustellung des Haftungsbescheides der Bescheid über den Abgabenanspruch zur Kenntnis gebracht wird (). Da im Haftungsbescheid vom die Ergebnisse der Außenprüfung wiedergegeben und die Abgabenbescheide samt Betriebsprüfungsbericht beigelegt wurden, ist der Einwand unberechtigt.

3.1.2.2. Uneinbringlichkeit der Abgaben

Die Haftung nach § 9 BAO ist eine Ausfallshaftung und setzt die objektive Uneinbringlichkeit der betreffenden Abgaben im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Haftenden voraus ().

Die objektive Uneinbringlichkeit der verfahrensgegenständlichen Abgaben steht zweifelsfrei fest, da das über die Primärschuldnerin mit dem Beschluss vom tt. Jänner 2012 eröffnete Konkursverfahren mit der rechtskräftigen Bestätigung des Sanierungsplanes mit einer Quote von 7,921689 % am beendet wurde, weshalb eine Einbringlichmachung der aushaftenden Abgabenverbindlichkeiten bei der Gesellschaft ausgeschlossen ist ( mwN).

3.1.2.3. Verschulden

Die Haftung nach § 9 BAO ist eine verschuldensabhängige Haftung. Voraussetzung ist daher ein Verschulden des Vertreters an der Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten der vertretenen Gesellschaft.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darf der Vertreter bei der Entrichtung von Schulden die Abgabenschulden nicht schlechter behandeln als andere Schulden; er hat die Schulden im gleichen Verhältnis zu befriedigen ("Gleichbehandlungsgrundsat"; ).

Was die haftungsgegenständlichen Abgaben betrifft, erstreckt sich die Haftung des Vertreters, wenn die liquiden Mittel nicht zur Begleichung sämtlicher Schulden gereicht haben und der Vertreter nur deswegen haftet, weil er die Abgabenforderungen nicht wenigstens anteilig befriedigt und somit die Abgabengläubiger benachteiligt hat, nur auf jenen Betrag, um den bei gleichmäßiger Behandlung sämtlicher Gläubiger die Abgabenbehörde mehr erlangt hätte, als sie infolge des pflichtwidrigen Verhaltens des Vertreters tatsächlich bekommen hat ().

Der Vertreter erfährt somit grundsätzlich dann eine Einschränkung der Haftung, wenn er den Nachweis erbringt, welcher konkrete Abgabenbetrag auch bei einer gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger uneinbringlich geworden wäre (). Hat der Geschäftsführer aber nicht dargetan, weshalb er für die rechtzeitige Entrichtung der bei der Gesellschaft angefallenen Abgaben gesorgt hat, darf die Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung annehmen (siehe nochmals ).

Jedoch hätte der Beschwerdeführer hinsichtlich des Dienstgeberbeitrages 2008 und des Zuschlages zum Dienstgeberbeitrag 2008 im Vorhinein mangels Aufgliederung auf die einzelnen Voranmeldungszeiträume durch die belangte Behörde keinen Gleichbehandlungsnachweis erbringen können. Der Beschwerdeführer wurde damit nicht in die Lage versetzt, die geforderte Liquiditätsaufstellung zu den jeweiligen Fälligkeitstagen vorzulegen und die auf die Abgabengläubiger entfallende monatliche Quote zu berechnen (vgl. ). Der Dienstgeberbeitrag 2008 iHv 2.791,05 Euro und der Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag 2008 iHv 248,10 Euro waren daher schon aus diesem Grund aus der Haftung auszuscheiden.

Für aushaftende Abfuhrabgaben wie die Lohnsteuer gelten hingegen Ausnahmen vom Gleichheitsgrundsatz (; , 2000/15/0168), da nach § 78 Abs. 3 EStG der Arbeitgeber, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel nicht zur Zahlung des vollen vereinbarten Arbeitslohnes ausreichen, die Lohnsteuer von dem tatsächlich zur Auszahlung gelangenden niedrigeren Betrag zu berechnen und einzubehalten hat. Da die gemäß § 79 Abs. 1 EStG monatlich abzuführenden Lohnsteuern desselben Jahres gemäß § 201 Abs. 4 BAO zusammengefasst werden können und ein Gleichbehandlungsnachweis, wie bereits ausgeführt, nicht zu erbringen ist, konnte die Aufgliederung der in Jahresbeträgen geltend gemachten Lohnsteuern 2008 unterbleiben (siehe dazu auch ).

Soweit der Beschwerdeführer vorbrachte, dass ihm die Dienstnehmereigenschaft der **SA** bei Übernahme seiner Geschäftsführertätigkeit nicht erkennbar gewesen wäre, weil er ein bestehendes System übernommen hatte, ist dazu Folgendes auszuführen:

Der Beschwerdeführer hätte als Geschäftsführer im Jahr 2008 wohl trotz des Widerstandes des Gesellschafters das "bestehende System" in Bezug auf die Dienstnehmerin **SA** ändern können. Dass die Dienstnehmereigenschaft der **SA** im Jahr 2010 seitens der belangten Behörde rechtlich anders eingestuft wurde, ist dem Beschwerdeführer aber nicht vorwerfbar, zumal sämtliche Informationen auch dem damaligen Steuerberater zur Verfügung gestanden sind und dieser letztendlich über die korrekte steuerrechtliche Einstufung entscheiden hätte sollen.

Entscheidungswesentlich ist in diesem Zusammenhang nämlich, dass der Beschwerdeführer bereits am aus der GmbH ausgeschieden ist und seine Geschäftsführertätigkeit somit vor Erlassung der Nachforderungsbescheide vom und insbesondere vor Konkurseröffnung im Jahr 2012 längst beendet hatte und im Jahr 2017, dem Jahr seiner Haftungsinanspruchnahme, die gesetzlich vorgesehene Aufbewahrungsfrist von sieben Jahren gemäß § 132 BAO längst abgelaufen war. Im Zeitpunkt seines Ausscheidens im Jahr 2009 konnte er daher keine Kenntnis von anhängigen abgabenrechtlichen Verfahren gegen die GmbH haben und musste daher auch keine Unterlagen bis zum Jahr 2017 aufheben. Eine Ausdehnung der Beweisvorsorgeverpflichtung eines ehemaligen Geschäftsführers kann anlassbezogen nicht über die gesetzliche Frist hinaus gesehen werden. Vor diesem Hintergrund war der Beschwerde auch mangels Verschuldens im Zusammenhang mit der Lohnsteuer 2008 stattzugeben, weshalb auf das weitere Beschwerdevorbringen, insbesondere hinsichtlich der behaupteten Verjährung, nicht weiter einzugehen war.

3.1.2.4. Ergebnis

Der Beschwerde war aus den dargelegten Gründen stattzugeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufzuheben.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 9 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 80 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.7100924.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at