Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 09.06.2020, RV/6100282/2018

Ständiger Aufenthalt

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin ***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des F vom betreffend Familienbeihilfe 04.2017-12.2017 für die Monate April 2017 bis Dezember 2017 zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird - ersatzlos - aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

In einer Kontrollmitteilung vom wurde dem für die Beschwerdeführerin (kurz: Bf) zuständigen Finanzamt mitgeteilt, dass deren Kind T sich laut einem telefonischen anonymen Hinweis nur tageweise in Österreich aufhalte und danach gleich wieder nach Bosnien gebracht werde.

Am ersuchte das Finanzamt die Bf, je eine Kopie ihres Reisepasses und des Reisepasses ihrer Tochter, eine Kopie des Mutter-Kind-Passes, einen Einkommensnachweis von ihr und ihrem Ehegatten sowie eine Kindergartenbestätigung vom Kind vorzulegen.

Die Bf teilte dazu mit, dass die Oma auf das Kind aufpasse und dass die Bf seit 05/16 geschieden sei. Dieser Antwort legte sie Unterlagen in Kopie bei.

Im Vorhalt vom teilte das Finanzamt der Bf mit, dass die vorgelegten Unterlagen nicht vollständig seien. Die Bf werde daher nochmals aufgefordert eine Kopie des Mutter-Kind-Passes (Kopien der durchgeführten Untersuchungen ab Geburt bis dato), Bekanntgabe der Aufsichtsperson (Name, Geburtsdatum, Adresse ….), Nachweis über erhaltene Unterhaltszahlungen für das Kind vom Kindesvater und eine Aufstellung der Reisedaten von der Bf und vom Kind (genaue Angaben der Zeiträume, in denen ein Besuch in Bosnien stattgefunden habe) vorzulegen.

Die Bf gab in der Folge C als Aufsichtsperson bekannt und legte zahlreiche Unterlagen vor.

Mit Bescheid vom erfolgte unter Hinweis auf § 115 BAO und § 2 Abs. 2 FLAG 1967 die Rückforderung von für das Kind T B für die Monate April 2017 bis Dezember 2017 zu Unrecht bezogener Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge mit nachstehender Begründung:

Laut eingebrachten Kopien der Reisepässe und Überprüfung der Stempel habe die Bf sich mit ihrem Kind unterschiedlich in Bosnien aufgehalten. Eine genaue Aufstellung der Reisedaten sei nicht beigebracht worden. Laut der ersten Vorhaltsbeantwortung sei die Aufsichtsperson während der Tätigkeit der Bf die Oma. Laut zweiter Vorhaltsbeantwortung sei die Aufsichtsperson Frau C. Da die Unterlagen nur teilweise erbracht worden seien und eine genaue Aufstellung von Seiten der Bf nicht beigebracht und eine Glaubhaftmachung nicht vorgebracht worden sei, sei die Familienbeihilfe zurückzufordern.

Die Bf brachte daraufhin fristgerecht Beschwerde gegen den Rückforderungsbescheid vom ein und begründete diese wie folgt:

Es sei richtig, dass die Bf sowohl ihre Mutter, O, als auch ihre Verwandte, C, als Aufsichtsperson angegeben habe. Diese Personen würden auch tatsächlich ihre Tochter während ihrer Arbeitszeit abwechselnd betreuen. Zu dem Zeitpunkt, zu dem die Bf die Oma als Aufsichtsperson angegeben habe, sei diese gerade bei ihr gewesen und habe die Tochter T betreut. Da sie aber nicht immer zur Verfügung stehen könne, komme manchmal C, um die Bf bei der Betreuung zu unterstützen. Dies sei leider notwendig, da die Bf für T noch keinen Platz in einer Betreuungseinrichtung gefunden habe. Sie habe bei mehreren Betreuungseinrichtungen angefragt bzw. die Tochter auch angemeldet. Somit sei sie auf die Unterstützung der verschiedenen Familienmitglieder bzw. Verwandte und Freunde angewiesen. Da aber keine von diesen Personen die Betreuung durchgehend übernehmen könne, betreue nicht immer die gleiche Person die Tochter der Bf. Allerdings seien ihre Mutter und ihre Verwandte C diejenigen, die überwiegend die Betreuung für T übernehmen würden.
Die Tatsache, dass die B sich nicht immer gleichzeitig mit ihrer Tochter in Bosnien aufhalte, ergebe sich daraus, dass sie berufstätig sei und nur beschränkt Urlaubszeit habe. Die Großmutter nehme die Tochter der Bf manchmal auch ohne die Bf nach Bosnien mit, insbesondere im Sommer und den Ferienzeiten. Das sei für T sehr schön, da sie die Ferien mit ihren Großeltern und Cousinen verbringen könne. Diese Aufenthalte seien stets auch mit Sozialmitarbeitern des Jugendamtes abgesprochen, die diese sehr befürwortet habe. Dies vor allem, weil T aufgrund der sehr konfliktreichen Situation mit dem Kindesvater belastet sei und die Aufenthalte bei den Großeltern für sie entspannend seien.
Die Großeltern würden in Bosnien ein Haus am Land mit großem Garten besitzen. T könne sehr viel Zeit im Garten verbringen und mit ihren Cousinen spielen, was sie in F nicht könne. Denn die Bf lebe mit T in einer sehr kleinen Wohnung. So sei T in dem verfahrensgegenständlichen Zeitraum vom bis in Bosnien gewesen. Die Bf habe sie am hingebracht und habe dann zurückfahren müssen, um zu arbeiten. Allerdings habe sie im Juli zwei Wochen Urlaub mit T in Bosnien verbracht. Am sei T mit der Großmutter nach F zurückgekommen. Am sei T wieder für etwa zwei Wochen mit der Großmutter ohne die Bf nach Bosnien gefahren, so habe T bei Feiertagen und Familienfeiern dabei sein können. Am habe die Großmutter T wieder nach Bosnien mitgenommen, wo sie die Feiertage und die Weihnachtsferien teilweise mit der Bf gemeinsam verbracht habe, T aber noch einige Wochen bleiben habe wollen und die Bf sie am abholen habe können.
In dem Zeitraum von April 2017 bis Dezember 2017 habe T etwas mehr als drei Monate in Bosnien verbracht ( bis , bis und bis Jänner 2018) davon etwa vier Wochen mit der Bf gemeinsam (im Juli 2017 und Dezember 2017).
Der Lebensmittelpunkt von T sei aber definitiv im Haushalt der Bf in F. Bei den Aufenthalten in Bosnien im Zeitraum von April 2017 bis Dezember 2017 handle es sich ausschließlich um vorübergehende Urlaubsaufenthalte, teilweise mit der Bf oder sonst mit den Großeltern.
Die Bf vermute, dass das Finanzamt diesbezüglich vom Kindesvater kontaktiert worden sei. Die Bf sei seit 2016 vom Kindesvater geschieden. Der Kindesvater versuche seit der Trennung die Obsorge für T zu bekommen und gehe mit allen Mitteln gegen die Bf und ihre Tochter vor, was beide sehr belaste. Sein Antrag auf Übertragung der Obsorge sei vom Gericht in F einmal abgewiesen worden, der Kindesvater stelle aber innerhalb kürzester Zeit einen neuen Antrag, das neue Obsorgeverfahren laufe aktuell. Es werde ersucht, die vom Kindesvater übermittelte Information in diesem Kontext zu sehen.

Im Vorhalt vom führte das Finanzamt aus, dass laut Eintragungen im Reisepass des Kindes die Tochter auch im Februar bzw. März 2017 in Bosnien gewesen sei. Es werde um Vorlage einer Aufstellung, aus der ersichtlich sei, in welchen Zeiträumen die Tochter von bis sich nicht in Österreich aufgehalten habe. Angefordert würden auch die Niederlassungs- und Aufenthaltskarten für die Betreuungspersonen der Tochter, O und C ab 12/2015 und für T. Bekannt zu geben sei auch der Name, Geburtsdatum, Wohnort und Beschäftigung des Kindesvaters. Weiters sei die Frage zu beantworten, ob der Kindesvater Unterhalt für seine Tochter leiste.

In der Vorhaltsbeantwortung vom führte die Bf Folgendes aus:

Ihre Tochter habe sich gemeinsam mit ihr im Zeitraum vom bis in Bosnien aufgehalten. Die Bf sei dann nach Österreich zurückgekommen und die Tochter sei weitere drei Wochen bei der Großmutter geblieben. Am sei die Bf wieder nach Bosnien gefahren, auch ca. eine Woche bei der Großmutter geblieben und gemeinsam mit ihrer Tochter am wieder nach Österreich gekommen. Ihre Mutter O und ihre Cousine C würden keinen Aufenthaltstitel für Österreich besitzen. Das sei bisher nicht notwendig gewesen, da sie sich nie länger als drei Monate durchgehend in Österreich aufgehalten hätten. Sie würden sich bei der Betreuung des Kindes der Bf abwechseln, wenn die Bf arbeiten müsse. Wenn die Bf frei habe, fahre sie wieder nach Bosnien und die Tochter sei insbesondere im Sommer gerne bei den Eltern der Bf. Dies sei auch vom Jugendamt empfohlen worden, da T sehr darunter gelitten habe, dass sich die Bf vom Kindesvater getrennt habe und er sehr sporadische Kontakte zu ihr gehabt habe. Der Kindesvater heiße V, geboren am xyz, wohnhaft in abc. Seine aktuelle Beschäftigung sei der Bf nicht bekannt. Der Kindesvater zahle einen monatlichen Unterhalt von 170 Euro. Die Tochter T habe sich in Bosnien vom Jahresbeginn bis in Bosnien aufgehalten, teilweise mit der Bf. Seit seien Mutter und Kind nicht mehr in Bosnien gewesen.

In der abweisenden Beschwerdevorentscheidung vom wurde begründend auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum ständigen Aufenthalt nach § 5 Abs. 3 FLAG 1967 verwiesen und Folgendes ausgeführt:

Wie die Bf in der Beschwerde und in der Ergänzung vom ausführe, sei es aufgrund ihrer Berufstätigkeit in Österreich erforderlich, dass sich die Großeltern und andere Verwandte um die Tochter kümmern. T verbringe gerne Zeit bei den Großeltern und Cousinen in Bosnien. Die Großeltern würden in Bosnien ein Haus am Land mit großem Garten besitzen, in F lebe die Bf in einer sehr kleinen Wohnung.
Laut den eingereichten Kopien der Reisepässe und Unterlagen habe festgestellt werden können, dass das Kind der Bf sich im Zeitraum bis überwiegend in Bosnien aufgehalten habe. (Aufenthalt in Bosnien an 207 von 347 Tagen und zwar von bis , bis , bis , bis , bis und bis ).
Der ständige Aufenthalt des Kindes der Bf habe sich im Beschwerdezeitraum daher in Bosnien befunden. Die Aufenthalte in Österreich würden nur vorübergehende Aufenthalte darstellen.

Die Bf stellte mit Schriftsatz vom einen Antrag auf Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht und führte ergänzend aus:

Der ständige Aufenthalt ihres Kindes sei in Österreich, vorübergehend und hauptsächlich zu Urlaubs- und Erholungszwecken habe sich T in Bosnien etwa 5 Monate im Jahr 2017 in Bosnien aufgehalten (genau 165 Tage). Ein Teil des Aufenthaltes in Bosnien sei gemeinsam mit der Bf gewesen. Die Aufenthalte von T bei den Eltern bzw. dem Bruder der Bf habe ausschließlich zu ihrer Erholung gedient, da es vorher eine sehr belastende familiäre Situation und Konflikte mit dem Kindesvater gegeben habe. Es sei zu keinem Zeitpunkt notwendig gewesen, T nach Bosnien zu bringen, weil die Bf keine Betreuung für sie gehabt habe. Vielmehr sei die Betreuung von T durchgehend gesichert durch abwechselnde Betreuungsaufenthalte von der Mutter der Bf sowie ihrer Verwandten C. Des Weiteren habe die Bf in F weitere Verwandte, die bei Bedarf auf T aufpassen könnten.
Da T sich mehr als sechs Monate im Jahr 2017 der Bf in F aufgehalten habe, liege der gewöhnliche Aufenthalt gemäß § 26 Abs. 2 BAO ausschließlich in Österreich vor, die verbrachte Zeit in Bosnien sei zu Urlaubs- und Erholungszwecken gewesen, teilweise mit der Bf und es handle sich dabei um vorübergehende Aufenthalte.

DAZU WIRD ERWOGEN:

1 gesetzliche Grundlagen

Nach § 2 Abs. 1 lit a FLAG 1967 haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder.

Kein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht gemäß § 5 Abs. 3 FLAG 1967 für Kinder, die sich ständig im Ausland aufhalten.

Die Familienbeihilfe wird gemäß § 10 Abs. 2 FLAG 1967 vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrund hinzukommt.

Wer Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, hat gemäß § 26 Abs. 1 FLAG 1967 die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen.

Steuerpflichtige, denen auf Grund des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 Familienbeihilfe gewährt wird, steht gemäß § 33 Abs. 3 EStG 1988 im Wege der gemeinsamen Auszahlung mit der Familienbeihilfe ein Kinderabsetzbetrag von monatlich 58,40 Euro für jedes Kind zu (erster Satz). Wurden Kinderabsetzbeträge zu Unrecht bezogen, ist § 26 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 anzuwenden (letzter Satz).

Nach § 167 Abs. 2 BAO hat die Abgabenbehörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht.

2 Sachverhalt

Die Bf ist Staatsangehörige von Bosnien und Herzegowina und war im Streitzeitraum in der def, und daran anschließend in der klm F, mit dem Hauptwohnsitz gemeldet. Die Bf wurde am 05/16 von ihrem damaligen Ehegatten V geschieden. Die Bf und V sind die gemeinsamen Eltern von T B. T B kam am 12/15 in Wien zur Welt und ist ebenfalls Staatsangehörige von Bosnien und Herzegowina. Sie ist am Hauptwohnsitz der Bf gemeldet.

Die Bf war von bis und darüber hinaus durchgehend als Vollzeitkraft bei der Fa. KG in mno, beschäftigt.

Die als Aufsichtsperson für die Tochter T genannte Cousine der Bf C, ebenfalls Staatsangehörige von Bosnien und Herzegowina, war in der Zeit von bis an der Wohnanschrift der Bf mit einem Nebenwohnsitz gemeldet. Davon abgesehen war sie nie in Österreich gemeldet.
Die Mutter der Bf, O, die T ebenfalls betreute, war nie in Österreich gemeldet. Sie lebt in Bosnien und Herzegowina.
Weder C noch O verfügen über einen Aufenthaltstitel für Österreich.

Laut den Eintragungen im Reisepass waren die Bf und ihre damals zwischen 1 Jahr und 2 Jahre alte Tochter ab zu folgenden Zeiten in Bosnien und Herzegowina und die restliche Zeit in Österreich:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Bf Bosnien
Tage
T Bosnien
Tage
T Österreich
Tage
19.02. -
14.03. -
4
9
19.02. -
32
23.03. -
74
05.06. -
01.07. -
12.07. -
3
9
5
05.06. -
71
15.08. -
17
01.09. -
03
04.09. -
17
21.09. -
18
09.10. -
16
25.10. -
5
25.10. -
08
02.11. -
22
27.12.-
30.01. -
6
2
24.11. -
38 + 31
201
146

Das Verhältnis der Aufenthaltstage der Tochter T in Bosnien im Vergleich zu Österreich beträgt in der Zeit von bis rund 58% : 42%.
Nimmt man eine monatsweise Betrachtung vor, so ergibt sich in den Monaten Februar 2017 bis Jänner 2018 unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Tochter sich im Februar 18 Tage in Österreich aufhielt, ein Verhältnis von 55% in Bosnien und 45% in Österreich.
Im Streitzeitraum April 2017 bis Dezember 2017 hielt sich die Tochter der Bf 138 Tage (50%) in Bosnien und 137 Tage (50%) in Österreich auf.

Laut den Angaben der Bf hat sie für ihre Tochter während des Streitzeitraumes keinen Platz in einer Betreuungseinrichtung gefunden.

Die Bf bezog in der Zeit von Dezember 2015 bis März 2017 Familienbeihilfe für ihre Tochter T. Seit Februar 2018 bezieht sie wiederum Familienbeihilfe für ihre Tochter T.

3 rechtliche Erwägungen samt Beweiswürdigung

Einleitend ist festzuhalten, dass die Frage, ob für einen bestimmten Anspruchszeitraum Familienbeihilfe zusteht, anhand der rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten im Anspruchszeitraum zu beantworten ist. Der gesetzlich festgelegte Anspruchszeitraum ist der Monat. Das Bestehen des Familienbeihilfenanspruchs für ein Kind kann somit von Monat zu Monat anders zu beurteilen sein. (Vgl. , ).

Strittig ist im gegenständlichen Fall ausschließlich die Frage, ob die einzelnen, unter Punkt 2 dargestellten Aufenthalte der Tochter T in Bosnien einen ständigen Aufenthalt im Ausland im Sinne des § 5 Abs. 3 FLAG 1967 begründeten und dadurch die Rückforderung der Familienbeihilfe für die Monate April 2017 bis einschließlich Dezember 2017 rechtfertigen.

Zur Auslegung des Begriffes "ständiger Aufenthalt" kann auf § 26 Abs. 2 BAO zurückgegriffen werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist der ständige Aufenthalt im Sinne des § 5 Abs. 3 FLAG 1967 unter den Gesichtspunkten des Vorliegens eines gewöhnlichen Aufenthaltes nach § 26 Abs. 2 BAO zu beurteilen. (Vgl. , , ).

Nach § 26 Abs. 2 S 1 BAO hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Land nicht nur vorübergehend verweilt.

Die Frage des ständigen Aufenthaltes im Sinne des § 5 Abs. 3 FLAG 1967 ist somit nicht nach subjektiven Gesichtspunkten, sondern nach dem objektiven Kriterium der grundsätzlichen körperlichen Anwesenheit zu beantworten. Ein nicht nur vorübergehendes Verweilen liegt vor, wenn sich der Aufenthalt über einen längeren Zeitraum erstreckt. (VwGH , ).

Der VwGH sieht beispielsweise einen Auslandsaufenthalt von 2 Jahren oder von annähernd 3 Jahren bzw. eineinhalb Jahren und einem Jahr und sogar von etwa siebeneinhalb Monaten als nicht bloß vorübergehend an (, ; , ). Im Erkenntnis vom , 2009/16/0133, hat der Verwaltungsgerichtshof bei den in jenem Beschwerdefall gegebenen Rahmenbedingungen eine Aufenthaltsdauer von fünfeinhalb Monaten gerade noch als vorübergehenden Aufenthalt angesehen.

Im gegenständlichen Fall erstreckten sich die sechs Aufenthalte der Tochter T in Bosnien für sich betrachtet jeweils über weniger als sechs Monate; die beiden längsten Aufenthalte umfassten 69 ( bis ) und 71 Tage ( bis ). Zwischen den einzelnen Aufenthalten in Bosnien lagen jeweils längere Aufenthalte in Österreich. So war die Tochter der Bf in den Monaten April 2017 und Mai 2017 ununterbrochen in Österreich. Im Juni 2017 hielt sie sich die meiste Zeit in Bosnien auf, im Juli 2017 bis Mitte August 2017 befand sie sich durchgehend in Bosnien, wobei die Bf ihre Tochter im Juli 2017 für einen längeren Zeitraum besuchte. Im September 2017 und Oktober 2017 war der Aufenthalt zwischen Österreich und Bosnien aufgeteilt. Im November 2017 hielt sich die Tochter überwiegend in Österreich auf, den Dezember 2017 und Jänner 2018 verbrachte sie in Bosnien, wobei die Bf sich Ende Dezember 2017/Anfang Jänner 2018 ebenfalls in Bosnien aufhielt. Insgesamt fanden zwischen dem und dem fünf längerdauernde Unterbrechungen des Aufenthaltes in Bosnien (von 16 bis zu 74 Tagen) statt. (Vgl. Pkt. 2 Sachverhalt).

Tatsächlich wechselten sich also die Aufenthalte des Kindes in Bosnien und Österreich in den Monaten Februar 2017 bis Jänner 2018 laufend ab und hielten sich bei einer monatsweisen Betrachtung (insbesondere auch im Streitzeitraum) annähernd die Waage. Die Dauer der Aufenthalte in Bosnien und Österreich zeigt somit kein eindeutiges Bild.

Versagen rein an der Zeitspanne ausgerichtete Betrachtungen, so ist auf die Umstände abzustellen, unter denen sich die betreffende Person aufhält. Die Lösung von Grenzfällen, bei denen eine Bindung zu zwei Orten bzw. Gegenden bestehen mag, kann durch die Untersuchung erfolgen, bei welchem Aufenthaltsort die äußeren (objektiven), mit dem Aufenthalt verbundenen, ihn bedingenden und formenden Umstände von größerem Gewicht für die Verbundenheit der Person mit dem Ort sind. (Vgl. Stoll, BAO, S 337f, ).

Im gegenständlichen Fall sind neben den abwechselnden Aufenthalten des Kindes in Bosnien und Österreich noch folgende Umstände bzw. objektiven Gegebenheiten hervorzuheben:

Am 05/16 kam es zur Scheidung zwischen der Bf und dem Kindesvater. Am begann die Bf eine Vollzeitbeschäftigung, welche bis andauerte. Die am 12/15 geborene Tochter T war zu Beginn der Berufstätigkeit der Bf sieben Monate und im Streitzeitraum zwischen einem Jahr und vier Monaten und zwei Jahren alt. Bei den von der Bf herangezogenen Personen zur Betreuung ihrer Tochter handelt es sich um ihre Mutter und eine Cousine. Beide Personen lebten in Bosnien. Die Bf besuchte die Tochter in Bosnien immer wieder für mehrere Tage.

Diese Umstände sprechen dafür, dass die Bf aufgrund der Scheidung gezwungen war, eine Beschäftigung anzunehmen, um für sich und ihr Kind den Lebensunterhalt zu sichern, und dass sie nur aus diesem Grund, eine Betreuung für ihr Kind benötigte und die Betreuung ihrer Tochter nicht selbst übernahm.
Es ist des Weiteren als wahrscheinlich anzusehen, dass es in Österreich kaum möglich war, für ein Kleinkind im Alter von sieben Monaten bis zu zwei Jahren einen Betreuungsplatz zu finden. In einer derartigen Situation ist es nach allgemeiner Lebenserfahrung sinnvoll und am besten für Mutter und Kind, das Kind einer Vertrauensperson wie der Großmutter des Kindes oder einer nahen Verwandten anzuvertrauen. Dies ist auch tatsächlich geschehen. Da die Mutter und die engeren Verwandten der Bf allerdings in Bosnien lebten, hatte dies zwangsläufig zur Folge, dass die Betreuung der Tochter T zum Teil in Bosnien stattfand.
Die zum Teil längerfristigen und wiederholten Anwesenheiten der Tochter der Bf in Österreich (beispielsweise durchgehend im April und Mai 2017) und umgekehrt die Urlaubsaufenthalte der Bf in Bosnien sprechen gleichzeitig dafür, dass die Bf offensichtlich bemüht war, längere Trennungen von ihrer Tochter zu vermeiden. Offensichtlich wollte die Bf nicht, dass ihre Tochter dauerhaft bei den Verwandten in Bosnien verblieb, sondern bestand ihr Ziel darin, dass ihre Tochter T sich nicht von ihr entfremdete und eine enge Mutter-Tochter-Bindung aufrecht blieb. Ein Kleinkind in einem Alter von bis zu zwei Jahren hat nach allgemeiner Lebenserfahrung die engste Beziehung zu seiner Mutter und will von dieser nicht getrennt werden. Es ist aber gleichzeitig von einem diesbezüglichen Willen der Mutter abhängig. Im gegenständlichen Fall ist aufgrund der häufigen Kontakte zwischen der Bf und ihrer Tochter davon auszugehen, dass trotz zwischenzeitiger örtlicher Trennungen die engste Beziehung zur Bf als Mutter tatsächlich aufrecht blieb und dies von der Bf so gewollt war.
Die Bf wohnte und arbeitete in Österreich und hatte in Österreich zweifellos nicht nur ihren Wohnsitz, sondern auch ihren gewöhnlichen Aufenthalt. Einen Hinweis darauf, dass die Bf selbst nach Bosnien übersiedeln wollte, gibt es nicht. Dagegen spricht, dass die Bf nach der Scheidung in Österreich wohnhaft blieb und Arbeit annahm und nicht nach Bosnien zu ihren Verwandten übersiedelte.

Die wichtigste Bezugsperson für die Tochter T war somit - schon aufgrund des Alters - die Bf und dieser enge Kontakt blieb während der zwischenzeitigen Aufenthalte der Tochter in Bosnien aufrecht. Gleichzeitig hatte die Bf ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich. Der Bezug der Bf zu Österreich hatte zur Folge, dass auch die Tochter T durch ihre enge Bindung an die Bf als Mutter einen engeren Bezug zu Österreich als zu Bosnien hatte. Da die Bf in Österreich lebte, ist letztlich von den beiden Aufenthaltsorten der Tochter Österreich die größere Bedeutung beizumessen und besteht zu diesem Aufenthaltsort die größere Verbundenheit. Der ständige Aufenthalt der Tochter T lag damit nach dem Gesamtbild der Verhältnisse in Österreich.

Um einen ständigen Aufenthalt aufrecht zu erhalten, ist keine ununterbrochene Anwesenheit erforderlich. Abwesenheiten, die nach den (objektiv erkennbaren) Umständen des Falles nur als vorübergehend gewollt anzusehen sind, unterbrechen nicht den Zustand des Verweilens und daher auch nicht den ständigen Aufenthalt. (Vgl. Reinalter in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2, § 5 Rz 9, , , )

Die einzelnen, unter Pkt. 2 dargestellten Aufenthalte der Tochter T in Bosnien unterbrachen schon aufgrund ihrer Dauer von jeweils deutlich unter sechs Monaten nicht den ständigen Aufenthalt in Österreich. Hinzukommen als weitere objektiv erkennbare Umstände im Wesentlichen das Alter des Kindes und die (aufrecht gebliebene) Bindung an die in Österreich lebende Bf als Mutter, die dafür sprechen, dass die Aufenthalte in Bosnien als nur vorübergehend gewollt anzusehen sind.

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass sich nach dem Gesamtbild der Verhältnisse der ständige Aufenthalt der Tochter T im Sinne des § 5 Abs. 3 FLAG 1967 in Österreich befand und die Aufenthalte in Bosnien als nur vorübergehend gewollt anzusehen sind.

Die Familienbeihilfe samt dem Kinderabsetzbetrag wurde daher für die Monate April 2017 bis Dezember 2017 zu Unrecht zurückgefordert. Dementsprechend wird der Beschwerde stattgegeben und der Rückforderungsbescheid ersatzlos aufgehoben.

4 Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. (Art. 133 Abs. 4 B-VG)

Im gegenständlichen Fall wird die Revision nicht zugelassen, da von der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht abgewichen wurde. Tatfragen sind einer Revision nicht zugänglich.

Salzburg, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.6100282.2018

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at