Bescheidbeschwerde – Senat – Erkenntnis, BFG vom 03.06.2020, RV/5100800/2017

Aufhebung Abgabenbescheid mangels Bemessungsgrundlagen

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Senatsvorsitzenden Dr. Michael Mandlmayr, die Richterin Dr. Susanne Bergauer sowie die fachkundigen Laienrichter Leopold Pichlbauer und Christian Nemeth in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des ***FA*** vom betreffend Festsetzung der Beihilfen und Ausgleichszahlungen nach dem Gesundheits- und Sozialbereich-Beihilfengesetz für das Kalenderjahr 2014 zu Steuernummer ***XY*** in der Sitzung am in Anwesenheit der Schriftführerin Tanja Grottenthaler zu Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG ) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Das erkennende Gericht hat folgenden Sachverhalt festgestellt:

Der Beschwerdeführer (in der Folge kurz Bf) ist ein Sozialhilfeverband.

Mit Bescheid vom über die Festsetzung der Beihilfen und Ausgleichszahlungen nach dem Gesundheits- und Sozialbereich-Beihilfengesetz setzte das Finanzamt betreffend Bf die Beihilfen und Ausgleichszahlungen nach dem GSBG für das Kalenderjahr 2014 wie folgt fest:


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Bemessungsgrundlage
Prozent
Abgabenbetrag
Beihilfe gemäß § 1 Abs. 2 GSBG
Beihilfe gemäß § 1 Abs. 3 GSBG
725.840,55
Beihilfe gemäß § 2 Abs. 1 GSBG
Beihilfe gemäß § 2 Abs. 2 GSBG
Ausgleichszahlung gemäß § 3 Abs.1 GSBG
Ausgleichszahlung gemäß § 3 Abs.2 GSBG
Beträge gemäß § 9 Abs. 1 GSBG
Beihilfen und Ausgleichszahlungen: (gerundet gemäß § 204 BAO)
725.840,55
Für den Zeitraum bereits gebucht:
732.587,04
Nachzahlung
-6.746,49



(Nach Nennung des Kontos, auf das der Nachzahlungsbetrag innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Bescheides zu überweisen ist, folgte folgende)

Begründung:
Die Festsetzung war erforderlich
auf Grund der Feststellungen der Betriebsprüfung im Bericht vom

Im Betriebsprüfungsbericht vom nannte der Prüfer als Betriebsgegenstand des Bf "Fürsorge- und karitative Einrichtungen" und traf folgende steuerlichen Feststellungen:

Tz 1 Beihilfenkürzungsbestimmungen ab 2014
Hinweis auf Pkt. 1a bis d der Niederschrift vom


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2014
Beihilfen KZ 035 bzw. 081 vor Bp
732.587,04
1a) Unterbringungskosten eigene Heime
-3.506,72
1b) Unterbringungskosten fremde Heime
-2.516,81
1c) lfd. Transferzhlg Versicherungsträger
-334,26
1d) Kinder- und Jugendhilfe
-388,70
Beihilfen KZ 035 bzw. 081 lt. Bp
725.840,55
Nachforderungsbetrag
6.746,48

Tz 2 Festsetzungsgründe

Im Zuge der Betriebsprüfung wurden erstmals Unterlagen abverlangt. Basierend auf diesen Unterlagen sind Tatsachen neu hervorgekommen, die eine erstmalige (richtige) Festsetzung von Selbstberechnungsabgaben gem. § 201 Abs. 2 Z 3 BAO (hier konkret GSBG 2014 erfordern.
Nach ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung (zB 95/13/0124, uvm) ist im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung ( § 20 BAO, Art. 130 Abs. 2 B-VG) dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit (Gleichmäßigkeit der Besteuerung; § 114 BAO) der Vorrang vor jenem der Rechtsbeständigkeit (Rechtssicherheit) einzuräumen (Ritz, BAO 3, § 20 Tz 8).

Auf Seite 4 des Betriebsprüfungsberichtes wird unter der Überschrift "Prüfungsabschluss" noch erwähnt, dass am die Schlussbesprechung stattgefunden hat.

In der Niederschrift über die Schlussbesprechung vom ist das Besprechungsprogramm selben Datums enthalten.
Im Besprechungsprogramm werden die in Tz 1 des Betriebsprüfungsberichtes genannten Kürzungsbeträge der Beihilfen von 3.506,72 € (lit. a), 2.516,81 € (lit. b), 334,26 € (lit. c) und 388,70 € (lit. d) nach dem Hinweis (ausgenommen lit. a) "Die Beträge wurden mit dem Abgabepflichtigen abgestimmt." gesondert angeführt als

"Steuerliche Auswirkung:
Beihilfenkürzung 2014"

Beträge der den Beihilfen und ihrer Kürzung zu Grunde liegenden Bemessungsgrundlagen werden auch im Besprechungsprogramm nicht genannt.

Beweiswürdigung:

Der unbestrittene Sachverhalt ist durch die vom erkennenden Gericht erstellten Ausdrucke des vom Finanzamt elektronisch übermittelten Akts, insbesondere des bekämpften Bescheides vom und des Betriebsprüfungsberichtes vom samt Niederschrift über die Schlussbesprechung und Besprechungsprogramm selben Datums belegt.

Verfahren vor dem Senat ohne mündliche Verhandlung

Bf hat im gegen die - seine Beschwerde vom abweisende - Beschwerdevorentscheidung vom gestellten Vorlageantrag vom "eine ENTSCHEIDUNG DURCH DEN SENAT und die Durchführung einer MÜNDLICHEN VERHANDLUNGsofern der entscheidende Senat dies ebenfalls für sinnvoll/erforderlich hält." beantragt.

Die Entscheidung obliegt im gegenständlichen Fall zweifellos gemäß § 272 Abs. 2 Z 1 lit. b BAO dem Senat, weil Bf dies im Vorlageantrag (unter Hinweis auf die genannte Bestimmung) beantragt hat.

Gemäß § 274 Abs. 1 Z 1 lit. b BAO hat eine mündliche Verhandlung stattzufinden, wenn dies im Vorlageantrag beantragt wird. Gemäß § 274 Abs. 2 hat eine mündliche Verhandlung, wenn die Entscheidung einem Senat obliegt, weiters stattzufinden, wenn es der Senatsvorsitzende für erforderlich hält (Z 1) oder der Senat auf Antrag eines Mitgliedes beschließt.

Wie bei jedem Anbringen kommt es auf den Inhalt und nicht auf zufällige verbale Formen an; kein ausreichender Antrag ist nach der Rechtsprechung jedoch (Ritz, BAO 6, § 274 Tz 5)

  • das Ersuchen, zur Minimierung des verwaltungsbehördlichen Zeiteinsatzes, falls erforderlich, um Einladung zu einer mündlichen Verhandlung über das gegenständliche Berufungsthema ( 90/13/0212),

  • der Antrag "sofern notwendig eine mündliche Verhandlung anzuberaumen" ( RV/7400148/2016).

Ein Antrag "auf Verhandlung" ist als Antrag auf mündliche Verhandlung zu verstehen (Ritz, aaO, § 274 Tz 6, unter Hinweis auf ).

Bedingte Anbringen sind grundsätzlich unzulässig (Ritz, aaO, § 85 Tz 3, unter Hinweis auf Stoll, BAO, 853; Zorn, SWK 2001, S 570; ; , 2003/16/0030; , 2002/15/0081, 2003/15/0081; , 2004/16/0115; , 2007/17/0068; , 2006/16/0129). Für die Annahme der Unzulässigkeit einer bedingten Prozesshandlung ist dort kein Raum, wo die Prozesshandlung von einem bestimmten im Verfahrensverlauf eintretenden Ereignis abhängig gemacht wird, ohne dass dadurch ein dem Verfahren abträglicher Schwebezustand herbeigeführt wird (; , Ra 2015/15/0041).

Der gegenständliche "Antrag" des Bf, zur "Durchführung einer mündlichen Verhandlung, sofern der entscheidende Senat dies ebenfalls für sinnvoll/erforderlich hält" ist nach Ansicht des vom Bf zur Entscheidung berufenen Senates kein Antrag iSd §274 Abs. 1 Z 1 lit. b BAO. Diesem Anbringen fehlt die zu fordernde und unschwer zu leistende Bestimmtheit eines solchen Begehrens (vgl. 90/13/0212; unter Hinweis auf 870, 2409-2413/79). Diese Äußerung vermag deshalb keinen Anspruch des Bf auf Durchführung eines mündlichen Verhandlung zu begründen.
Wenn man die Formulierung des Bf "sofern der entscheidende Senat dies ebenfalls für sinnvoll/erforderlich hält" als Bedingung wertet, verursacht sie keinen nicht auflösbaren Schwebezustand, weil Bf dem Senat die Beurteilung der Sinnhaftigkeit bzw. Erforderlichkeit einer mündlichen Verhandlung überantwortet hat.
Im Ergebnis ist die Formulierung des Bf lediglich als Anregung zu verstehen, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, wenn es der Senat für sinnvoll bzw erforderlich hält.
Der Vorsitzende hält die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht für erforderlich ( § 274 Abs. 2 Z 1 BAO), weil im gegenständlichen Fall nur nachstehende Rechtsfragen zu entscheiden sind.
Ein Antrag gemäß § 274 Abs. 2 Z 2 BAO auf Beschluss des Senates zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde auch von keinem seiner Mitglieder gestellt.

Der Senat hat deshalb keine mündliche Verhandlung durchgeführt.

Rechtslage

Abgabenbescheidehaben gemäß § 198 Abs. 2 BAOim Spruch nicht nur die Art und Höhe der Abgaben, den Zeitpunkt ihrer Fälligkeit, sondern auch die Grundlagen der Abgabenfestsetzung (Bemessungsgrundlagen) zu enthalten.

Erwägungen

Auch Bescheide gemäß § 201 BAO, wie der bekämpfte Bescheid sind Abgabenbescheide (Ritz, BAO 6, § 201 Tz 6).

Abgabenbescheide,die entgegen der Anordnung des § 198 Abs. 2 BAOim Spruch keine Bemessungsgrundlagen bzw. Größen enthalten, aus denen die Abgaben unmittelbar abgeleitet werden, sind nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes mit einer gravierenden Rechtswidrigkeit des Inhalts belastet ( 2011/13/0001; , 2003/16/0153; , 2001/16/0122; , 95/17/0480;, 92/17/0265; , 92/17/0084; , 91/17/0183).
Dass die Bemessungsgrundlagen unabdingbarer Spruchbestandteil des Abgabenbescheides sind, ist auch einhellige Rechtsansicht der Fachliteratur (Doralt/Ruppe, Steuerrecht II, 210; Ritz, BAO 6, § 198 Tz 10 und Tz 16f; Stoll Kommentar zur BAO, 2078; Kotschnigg, in ecolex 2000, 383; Fischerlehner, in UFSjournal 2009, 339).

Das Bundesfinanzgericht hat zwar gemäß § 279 Abs. 1 BAO - außer in den hier nicht vorliegenden Fällen des § 278 BAO - immer in der Sache selbst zu entscheiden und ist dabei berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener des Finanzamtes zu setzen und daher den angefochtenen Bescheid in jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen.
Diese Änderungsbefugnis ist jedoch durch die Sache begrenzt. Sache ist die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches erster Instanz gebildet hat ( Ra 2015/16/0069, unter Hinweis auf 2012/15/0161).
Der Spruch des bekämpften Bescheides enthält nun keinerlei Bemessungsgrundlagen und verweist auch auf keine Beilagen, aus denen die Bemessungsgrundlagen ersichtlich sind.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ( 91/17/0182; und , 92/17/0084; je zum § 198 Abs. 2 BAO entsprechenden § 150 Abs. 2 Bgld. LAO) ist die Vorschrift, dass die Bemessungsgrundlagen aus dem Spruch des Abgabenbescheides ersichtlich sein müssen, jedoch streng auszulegen und deshalb nur ein Verweis im Spruch ausreichend.

Im gegenständlichen Fall sind die für einen Abgabenbescheid gesetzlich erforderlichen Bemessungsgrundlagen überhaupt nicht ersichtlich und entziehen sich deshalb der Überprüfung der Richtigkeit ihrer Höhe:
Weder im Spruch noch im Betriebsprüfungsbericht, auf den in der Begründung des bekämpften Bescheides zur Begründung verwiesen wird, aber auch nicht in den Beilagen des Betriebsprüfungsberichtes, Niederschrift über die Schlussbesprechung und Besprechungsprogramm, werden die Bemessungsgrundlagen bzw. Grundlagen der Festsetzung konkretisiert.
Der - überdies nicht für alle vorgenommenen Kürzungen vorhandene - Hinweis im Besprechungsprogramm, die Beträge seien mit dem Abgabepflichtigen (Bf) abgestimmt worden, kann die Anordnung des § 198 Abs. 2 BAO, die Bemessungsgrundlagen im Spruch auszuweisen, nicht ersetzen.
Mit dem angefochtenen Bescheid sind deshalb noch überhaupt keine Bemessungsgrundlagen festgestellt worden. Dem Bundesfinanzgericht ist es verwehrt, den angefochtenen Bescheid, der gar keine Bemessungsgrundlage enthält, durch Aufnahme einer Bemessungsgrundlage in den Spruch abzuändern.
Nach der Rechtsprechung des Unabhängigen Finanzsenates ( RV/0784-G/06; und RV/0391-I/08) und des Bundesfinanzgerichtes ( RV/7102149/2011; und RV/3100723/2015) stehen nämlich derart gravierende Mängel eines bekämpften Bescheides wegen Beschränkung auf die Sache im Beschwerdeverfahren (vormals Berufungsverfahren) einer erstmaligen Feststellung von Bemessungsgrundlagen und/oder Festsetzung von Abgaben entgegen. Diese Rechtsansicht wird auch von der Fachliteratur (Fischerlehner, inUFSjournal 2009, 339) vertreten.

Der bekämpfte Bescheid war deshalb ersatzlos aufzuheben.

Hinweise

Zu Tz 2 Festsetzungsgründe des Betriebsprüfungsberichtes:
Bei der § 303 BAO sinngemäßen Abgabenfestsetzung gemäß § 201 Abs. 2 Z 3 BAO scheint die Konkretisierung der erstmals vorgelegten Unterlagen und der daraus ersichtlichen neuen Tatsachen geboten.
Die Ermessensübung wurde nur mit dem Grundsatz des Vorranges der Rechtsrichtigkeit vor der Rechtsbeständigkeit begründet. Der Nachforderungsbetrag von 6.746,48 € (Tz 1) beträgt jedoch nur 0,92% der Beihilfen vor Bp von 732.587,04 € (vgl. Ritz BAO 6, § 303 Rz 71ff).

Zu Pkt. 2 des Besprechungsprogramms
Das Finanzamt hat über den Antrag des Bf vom im bekämpften Bescheid noch nicht abgesprochen. Er war deshalb auch nicht Gegenstand dieses Erkenntnisses (vgl. Ra 2015/16/0069). Dieser Antrag wird nämlich weder im bekämpften Bescheid noch im Betriebsprüfungsbericht, auf den in der Begründung des bekämpften Bescheides verwiesen wird, erwähnt.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Auf Grund der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes liegt keine derartige Rechtsfrage vor. Deshalb ist keine Revision zulässig.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 274 Abs. 1 Z 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 198 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise






-G/06
-I/08

ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.5100800.2017

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at