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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 29.05.2020, RV/5101444/2019

Familienbeihilfe (Differenzzahlung) bei Wochengeldbezug und anschließender Nichtausübung eines angemeldeten Gewerbes

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter ***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, Slowakische Republik, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des ***FA*** vom zu VNR: 000, über die Abweisung eines Antrages auf Gewährung einer Ausgleichszahlung für das Kind ****, geb. **.**.****, für den Zeitraum "ab Dezember 2017" zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 279 Bundesabgabenordnung (BAO) hinsichtlich der Monate Dezember 2017 und Jänner 2018 aufgehoben.
Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Mit Bescheid vom wies das Finanzamt einen mit datierten Antrag der Beschwerdeführerin (Bf.) auf Gewährung einer Ausgleichszahlung für das Kind ****, geb. **.**.****, für den Zeitraum "ab Dezember 2017" mit nachstehender Begründung ab:
"Da die Bf. trotz Aufforderung die abverlangten Unterlagen nicht eingebracht habe und dadurch ihrer Mitwirkungspflicht nach § 115 Bundesabgabenordnung nicht nachgekommen sei, müsse angenommen werden, dass im oben genannten Zeitraum kein Anspruch auf Familienbeihilfe bestanden habe bzw. bestehe."

Dagegen wurde mit Eingabe vom fristgerecht eine Bescheidbeschwerde eingebracht. Dies sinngemäß mit der Begründung, dass die Bf. nach Erhalt des Ergänzungsersuchens vom die entsprechenden Unterlagen zusammengestellt habe und diese am per Einschreiben zur Post gegeben habe. Eine Kopie des Aufgabescheins sei der Beschwerde beigelegt.

In einem an die Bf. gerichteten Vorhalt vom heißt es:
"Bei der letzten Überprüfung wurden der Vertrag Personenbetreuung und die Honorarnoten Juni 2017 bis laufend angefordert. Vorgelegt wurde lediglich die 1. u. 8. Seite des Vertrages. Sie werden daher wiederholt gebeten, den Vertrag Personenbetreuung zur Gänze und sämtliche Honorarnoten vorzulegen. Sollten Sie dieser Aufforderung nicht nachkommen, wird lt. Aktenlage entschieden."

Das Finanzamt wies in der Folge die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet ab, da die Bf. trotz Aufforderung die Honorarnoten ihrer Pflegetätigkeit nicht vorgelegt habe.

In der als Vorlageantrag gewerteten Eingabe vom brachte die Bf. vor, dass sie sich für die Unaufmerksamkeit und die Nichtzustellung der vom Finanzamt benötigten Unterlagen entschuldige. Aufgrund des unaufmerksamen Durchlesens des Finanzamtsschreibens und des Nichtverstehens der deutschen Amtssprache habe sie die falschen Unterlagen zugesandt. Sie sende nun die richtigen Unterlagen und hoffe, dass damit ihre Angelegenheit erfolgreich zu Ende gebracht werden könne.

Mit der fristgerechten Einbringung des Vorlageantrags gilt die Bescheidbeschwerde wiederum als unerledigt (§ 264 Abs. 3 BAO).

Mit Vorlagebericht vom legte das Finanzamt die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin (Bf.), ihr Ehegatte und ihre minderjährige Tochter **** sind slowakische Staatsbürger und haben ihren gemeinsamen Hauptwohnsitz in der Slowakischen Republik.
Die Bf. betreibt in Österreich das freie Gewerbe der Personenbetreuung (§ 159 GewO 1994). Sie verfügt seit über eine entsprechende Gewerbeberechtigung.
Die letzte von der Bf. vorgelegte Honorarnote ist mit datiert und umfasste den Zeitraum von 8. bis . Danach übte die Bf. die Personenbetreuung in Österreich nicht mehr aktiv aus. Vor der Geburt ihrer Tochter am **.**.**** bezog sie von bis Wochengeld.
Aufgrund des Wochengeldbezuges zeigte die Bf. der zuständigen Wirtschaftskammer das Ruhen der Gewerbeausübung in der Zeit ab an. Mit Wirksamkeit ab meldete sie den Wiederbetrieb ihres Gewerbes an. Bis dato erfolgte keine Abmeldung des Gewerbes.
Laut Sozialversicherungsdatenauszug war die Bf. nach Einstellung des Wochengeldbezugs erst wieder ab als gewerblich selbständige Erwerbstätige bei der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen (SVS) versichert.

Beweiswürdigung

Der dargestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten sowie aus den Angaben und Vorbringen der beschwerdeführenden Partei. Ausgehend von den Ermittlungsergebnissen sieht das Bundesfinanzgericht den maßgeblichen Sachverhalt als ausreichend geklärt an. Es liegen in sachverhaltsmäßiger Hinsicht keine begründeten Zweifel vor, die durch weitere Ermittlungen zu verfolgen wären, zumal auch die Verfahrensparteien keine solchen begründeten Zweifel darlegten, dass weitere Erhebungen erforderlich und zweckmäßig erscheinen.

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I.

  • Rechtslage:

§ 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) lautet auszugsweise:

"§ 2. (1) Anspruch auf Familienbeihilfe haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
a) für minderjährige Kinder,
b) ...

(2) Anspruch auf Familienbeihilfe für ein im Abs. 1 genanntes Kind hat die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.

(3) Im Sinne dieses Abschnittes sind Kinder einer Person
a) deren Nachkommen,
b) ..."

§ 2a FLAG 1967 lautet:

"§ 2a (1) Gehört ein Kind zum gemeinsamen Haushalt der Eltern, so geht der Anspruch des Elternteiles, der den Haushalt überwiegend führt, dem Anspruch des anderen Elternteiles vor. Bis zum Nachweis des Gegenteils wird vermutet, dass die Mutter den Haushalt überwiegend führt.

(2) …"

§ 53 Abs. 1 FLAG 1967 lautet:

"§ 53. (1) Staatsbürger von Vertragsparteien des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) sind, soweit es sich aus dem genannten Übereinkommen ergibt, in diesem Bundesgesetz österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt. Hiebei ist der ständige Aufenthalt eines Kindes in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums nach Maßgabe der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen dem ständigen Aufenthalt eines Kindes in Österreich gleichzuhalten."

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. L 166, S. 1 (im Folgenden Verordnung (EG) Nr. 883/2004) lauten (auszugsweise):

"Artikel 1

Definitionen

Für Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck:

a) "Beschäftigung" jede Tätigkeit oder gleichgestellte Situation, die für die Zwecke der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird oder die gleichgestellte Situation vorliegt, als solche gilt;

b) "selbstständige Erwerbstätigkeit" jede Tätigkeit oder gleichgestellte Situation, die für die Zwecke der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird oder die gleichgestellte Situation vorliegt, als solche gilt;

...

i) "Familienangehöriger":

1. i) jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, als Familienangehöriger bestimmt oder anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet wird;

...

j) "Wohnort" den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts einer Person;

..."

"Artikel 2

Persönlicher Geltungsbereich

(1) Diese Verordnung gilt für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen.

(2) .."

"Artikel 3

Sachlicher Geltungsbereich

(1) Diese Verordnung gilt für alle Rechtsvorschriften, die folgende Zweige der sozialen Sicherheit betreffen:

...

j) Familienleistungen.

..."

"Artikel 4

Gleichbehandlung

Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, haben Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates."

"Artikel 7

Aufhebung der Wohnortklauseln

Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, dürfen Geldleistungen, die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten oder nach dieser Verordnung zu zahlen sind, nicht aufgrund der Tatsache gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, dass der Berechtigte oder seine Familienangehörigen in einem anderen als dem Mitgliedstaat wohnt bzw. wohnen, in dem der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat."

"Artikel 11

Allgemeine Regelung

(1) Personen, für die diese Verordnung gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel.

(2) Für die Zwecke dieses Titels wird bei Personen, die aufgrund oder infolge ihrer Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit eine Geldleistung beziehen, davon ausgegangen, dass sie diese Beschäftigung oder Tätigkeit ausüben. Dies gilt nicht für Invaliditäts-, Alters- oder Hinterbliebenenrenten oder für Renten bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten oder für Geldleistungen bei Krankheiten, die eine Behandlung von unbegrenzter Dauer abdecken.

(3) Vorbehaltlich der Artikel 12 bis 16 gilt Folgendes:

a) eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats;

...

e) jede andere Person, die nicht unter die Buchstaben a) bis d) fällt, unterliegt unbeschadet anders lautender Bestimmungen dieser Verordnung, nach denen ihr Leistungen aufgrund der Rechtsvorschriften eines oder mehrerer anderer Mitgliedstaaten zustehen, den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats.

..."

"Artikel 67

Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen

Eine Person hat auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden. Ein Rentner hat jedoch Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des für die Rentengewährung zuständigen Mitgliedstaats."

"Artikel 68

Prioritätsregeln bei Zusammentreffen von Ansprüchen

(1) Sind für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren, so gelten folgende Prioritätsregeln:

a) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus unterschiedlichen Gründen zu gewähren, so gilt folgende Rangfolge: an erster Stelle stehen die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelösten Ansprüche, darauf folgen die durch den Bezug einer Rente ausgelösten Ansprüche und schließlich die durch den Wohnort ausgelösten Ansprüche.

b) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus denselben Gründen zu gewähren, so richtet sich die Rangfolge nach den folgenden subsidiären Kriterien:

i) bei Ansprüchen, die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass dort eine solche Tätigkeit ausgeübt wird, und subsidiär gegebenenfalls die nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zu gewährende höchste Leistung. Im letztgenannten Fall werden die Kosten für die Leistungen nach in der Durchführungsverordnung festgelegten Kriterien aufgeteilt;

ii) bei Ansprüchen, die durch den Bezug einer Rente ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass nach diesen Rechtsvorschriften eine Rente geschuldet wird, und subsidiär gegebenenfalls die längste Dauer der nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten;

iii) bei Ansprüchen, die durch den Wohnort ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder.

(2) Bei Zusammentreffen von Ansprüchen werden die Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften gewährt, die nach Absatz 1 Vorrang haben. Ansprüche auf Familienleistungen nach anderen widerstreitenden Rechtsvorschriften werden bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags ausgesetzt; erforderlichenfalls ist ein Unterschiedsbetrag in Höhe des darüber hinausgehenden Betrags der Leistungen zu gewähren. Ein derartiger Unterschiedsbetrag muss jedoch nicht für Kinder gewährt werden, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, wenn der entsprechende Leistungsanspruch ausschließlich durch den Wohnort ausgelöst wird.

(3) Wird nach Artikel 67 beim zuständigen Träger eines Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften gelten, aber nach den Prioritätsregeln der Absätze 1 und 2 des vorliegenden Artikels nachrangig sind, ein Antrag auf Familienleistungen gestellt, so gilt Folgendes:

a) Dieser Träger leitet den Antrag unverzüglich an den zuständigen Träger des Mitgliedstaats weiter, dessen Rechtsvorschriften vorrangig gelten, teilt dies der betroffenen Person mit und zahlt unbeschadet der Bestimmungen der Durchführungsverordnung über die vorläufige Gewährung von Leistungen erforderlichenfalls den in Absatz 2 genannten Unterschiedsbetrag;

b) der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften vorrangig gelten, bearbeitet den Antrag, als ob er direkt bei ihm gestellt worden wäre; der Tag der Einreichung des Antrags beim ersten Träger gilt als der Tag der Einreichung bei dem Träger, der vorrangig zuständig ist."

Die hier maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. L 284, S. 1 (im Folgenden Verordnung (EG) Nr. 987/2009) lauten (auszugsweise):

"Artikel 1

Begriffsbestimmungen

(1) Im Sinne dieser Verordnung

a) bezeichnet der Ausdruck "Grundverordnung" die Verordnung (EG) Nr. 883/2004;

b) bezeichnet der Ausdruck "Durchführungsverordnung" die vorliegende Verordnung; und

c) gelten die Begriffsbestimmungen der Grundverordnung.

..."

"Artikel 60

Verfahren bei der Anwendung von Artikel 67 und 68 der Grundverordnung

(1) Die Familienleistungen werden bei dem zuständigen Träger beantragt. Bei der Anwendung von Artikel 67 und 68 der Grundverordnung ist, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen. Nimmt eine Person, die berechtigt ist, Anspruch auf die Leistungen zu erheben, dieses Recht nicht wahr, berücksichtigt der zuständige Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften anzuwenden sind, einen Antrag auf Familienleistungen, der von dem anderen Elternteil, einer als Elternteil behandelten Person oder von der Person oder Institution, die als Vormund des Kindes oder der Kinder handelt, gestellt wird.

(2) Der nach Absatz 1 in Anspruch genommene Träger prüft den Antrag anhand der detaillierten Angaben des Antragstellers und berücksichtigt dabei die gesamten tatsächlichen und rechtlichen Umstände, die die familiäre Situation ausmachen.

Kommt dieser Träger zu dem Schluss, dass seine Rechtsvorschriften nach Artikel 68 Absätze 1 und 2 der Grundverordnung prioritär anzuwenden sind, so zahlt er die Familienleistungen nach den von ihm angewandten Rechtsvorschriften.

Ist dieser Träger der Meinung, dass aufgrund der Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats ein Anspruch auf einen Unterschiedsbetrag nach Artikel 68 Abs. 2 der Grundverordnung bestehen könnte, so übermittelt er den Antrag unverzüglich dem zuständigen Träger des anderen Mitgliedstaats und informiert die betreffende Person; außerdem unterrichtet er den Träger des anderen Mitgliedstaats darüber, wie er über den Antrag entschieden hat und in welcher Höhe Familienleistungen gezahlt wurden."

Gemäß § 24 Abs. 2 Kinderbetreuungsgeldgesetz (KBGG) versteht man unter Erwerbstätigkeit im Sinne dieses Bundesgesetzes die tatsächliche Ausübung einer in Österreich sozialversicherungspflichtigen (kranken- und pensionsversicherungspflichtigen) Erwerbstätigkeit. Als der Ausübung einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit gleichgestellt gelten Zeiten der vorübergehenden Unterbrechung dieser zuvor mindestens 182 Kalendertage andauernden Erwerbstätigkeit während eines Beschäftigungsverbotes nach dem Mutterschutzgesetz 1979 (MSchG), BGBl. Nr. 221, oder gleichartigen anderen österreichischen Rechtsvorschriften, sowie Zeiten der vorübergehenden Unterbrechung dieser zuvor mindestens 182 Kalendertage andauernden Erwerbstätigkeit zum Zwecke der Kindererziehung während Inanspruchnahme einer Karenz nach dem MSchG oder Väter-Karenzgesetz (VKG), BGBl. Nr. 651/1989, oder gleichartigen anderen österreichischen Rechtsvorschriften, bis maximal zum Ablauf des zweiten Lebensjahres eines Kindes.

  • Rechtliche Beurteilung

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) ist die Frage, ob für einen bestimmten Zeitraum Familienbeihilfe zusteht, an Hand der rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten im Anspruchszeitraum zu beantworten. Der gesetzlich festgelegte Anspruchszeitraum für die Familienbeihilfe ist, wie sich dies den Regelungen des § 10 Abs. 2 und 4 FLAG 1967 entnehmen lässt, der Monat. Das Bestehen des Familienbeihilfenanspruches für ein Kind kann somit je nach Eintritt von Änderungen der Sach- und/oder Rechtslage von Monat zu Monat anders zu beurteilen sein (vgl. etwa ).

Im Spruch des angefochtenen Bescheides hat das Finanzamt die Zuerkennung von Ausgleichszahlungen für das im Bescheid genannte Kind für Zeiträume "ab Dezember 2017" versagt. Damit ist auch die Entscheidungsbefugnis des Bundesfinanzgerichtes auf diese Zeiträume beschränkt.

Die Bf. ist slowakische Staatsbürgerin und damit Unionsbürgerin. Aus diesem Grund ist die Bf. gemäß § 53 Abs. 1 FLAG 1967 österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt. Die innerstaatlichen Normen werden zugleich durch die unionsrechtlichen Regelungen überlagert.

Ab Mai 2010 gilt die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 mit der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 987/2009 für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union. (vgl. Gebhart in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG, 2. Aufl. 2020, § 53 Rz 60)

Im gegenständlichen Fall stellte die Bf. unter Verwendung des Formblattes Beih 38 einen mit datierten Antrag auf Gewährung einer Differenzzahlung für ihre Tochter **** für den Zeitraum ab Dezember 2017. Die Bf., ihr Ehegatte und das im angefochtenen Bescheid genannte Kind hatten bzw. haben ihren Familienwohnsitz in der Slowakei. Von den Parteien wird nicht in Zweifel gezogen, dass im hier zu beurteilenden Zeitraum die Slowakei jener Staat ist, in dem sich der gewöhnliche Aufenthalt der Bf. im Sinne des Art. 1 Buchstabe j der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 befindet ("Wohnortstaat").

Es wird somit von der Bf. ein Sachverhalt dargestellt, der sowohl die Slowakische Republik als auch Österreich als Mitgliedstaaten der Europäischen Union betreffen, sodass neben dem jeweiligen innerstaatlichen Recht auch die Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 und (EG) Nr. 987/2009 zu beachten sind.

Die Bf. sowie ihr im angefochtenen Bescheid genanntes Kind sind slowakische Staatsangehörige und sind daher vom persönlichen Geltungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 umfasst. Familienleistungen fallen nach Artikel 3 Abs. 1 Buchstabe j) in den sachlichen Geltungsbereich der genannten Verordnung.

Strittig ist im Beschwerdefall, ob die Bf. im Streitzeitraum "ab Dezember 2017" den österreichischen Rechtsvorschriften unterlag.

Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung zur Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 darauf hingewiesen, dass die Vorschriften des Titels II dieser Verordnung, nach denen sich die auf innerhalb der Europäischen Union zu- und abwandernde Erwerbstätige anzuwendende Rechtsvorschriften bestimmen, nach ständiger Rechtsprechung u. a. bezwecken, dass die Betroffenen grundsätzlich dem System der sozialen Sicherheit eines einzigen Mitgliedstaats unterliegen, sodass die Kumulierung anwendbarer nationaler Rechtsvorschriften und die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben können, vermieden werden. Dieser Grundsatz komme insbesondere in Art. 13 Abs. 1 dieser Verordnung zum Ausdruck (vgl. verb. Rs. C-611/10 und C-612/10, Rn 41)

Dass an diesem Grundsatz die die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 ablösende Verordnung (EG) Nr. 883/2004 etwas ändern hätte sollen, ist nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes nicht ersichtlich ().

Personen, für die die zuletzt genannte Verordnung gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats (Art. 11 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004).
Nach Art. 11 Abs. 3 Buchstabe a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 unterliegt eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats.

Demzufolge unterliegt eine Person, sofern die Verordnung keine Ausnahmen vorsieht (vgl. Art. 12 bis 16), grundsätzlich immer den Rechtsvorschriften jenes Staates, in dem die Tätigkeit tatsächlich ausgeübt wird (Territorialitäts- bzw. Beschäftigungslandprinzip).

Art. 67 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 normiert einen Anspruch auf Export von Familienleistungen. Ob Österreich für die Erbringung von Familienleistungen (und damit auch für den etwaigen Export in einen anderen Mitgliedstaat) zuständig ist, ist auf der Grundlage der kollisionsrechtlichen Vorschriften der Art. 11 ff der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zu beurteilen. Leistungszuständig dafür ist jener Mitgliedstaat, dessen Rechtsvorschriften nach den Art. 11 ff der Verordnung anwendbar sind. Für den Fall, dass für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Ansprüche auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren sind, sieht Art. 68 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 Prioritätsregeln vor. Die Bestimmung legt somit, um Doppelleistungen zu vermeiden, für den Fall der Kumulierung von Anspruchsberechtigungen fest, welche Staaten vorrangig zuständig sind (, Bogatu, Rn 24).

Art. 11 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 regelt, welche Rechtsordnung zur Anwendung kommt. Nach Art. 11 Abs. 3 Buchstabe a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 ist - unabhängig vom Wohnsitz - in erster Linie jener Mitgliedstaat zuständig, in dem eine Person einer Beschäftigung nachgeht oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübt (Beschäftigungsstaat). Kann nicht an eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit angeknüpft werden, so ist gemäß Art. 11 Abs. 3 lit. e der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 der Wohnsitzmitgliedstaat zuständig.

Art. 68 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 normiert Prioritätsregeln, wenn Ansprüche auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen zusammentreffen. Für den Fall der Kumulierung von Anspruchsberechtigungen aus verschiedenen Mitgliedstaaten wird festgelegt, welcher Staat vorrangig zuständig ist.

Art. 60 Abs. 1 zweiter Satz der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 bestimmt für die Anwendung der Art. 67 und 68 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, dass vom zuständigen Träger die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen ist, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen ("Familienbetrachtungsweise").

Gemäß Art. 68 Abs. 1 Buchstabe a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 gilt bei Leistungsgewährung von mehreren Mitgliedstaaten aus unterschiedlichen Gründen folgende Rangfolge: An erster Stelle stehen Ansprüche, die deshalb bestehen, weil die betreffende Person im jeweiligen Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit ausübt. Diesen nachgereiht sind Ansprüche, die durch eine Rente ausgelöst werden. Darauf folgen an letzter Stelle Ansprüche, die aufgrund des Wohnsitzes bestehen.

Für den Fall, dass ein Anspruchskonflikt deshalb besteht, weil die Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten jeweils aus dem gleichen Grund (nämlich Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit) zur Anwendung kommen, bestimmt Art. 68 Abs. 1 Buchstabe b sublit. i) der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 jenen Staat als vorrangig zuständig, in dem auch die Kinder ihren Wohnort haben, unter der Voraussetzung, dass dort eine solche Tätigkeit ausgeübt wird.

Überträgt man diese Grundsätze auf den vorliegenden Beschwerdefall, ergibt sich daraus Folgendes:

Die Bf. übt das Gewerbe der Personenbetreuung (§ 159 GewO 1994) aus. Damit ist zunächst die Frage zu beantworten, ob die Bf. in den im Spruch des angefochtenen Bescheides angesprochenen Zeiträumen ("ab Dezember 2017") nach der Geburt ihrer Tochter eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübte oder eine der Erwerbstätigkeit gleichgestellte Situation vorlag.

Der Begriff "selbstständige Erwerbstätigkeit" wird in Art. 1 Buchstabe b der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 definiert als jede Tätigkeit oder gleichgestellte Situation, die für die Zwecke der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird oder die gleichgestellte Situation vorliegt, als solche gilt.
Gleichzeitig fingiert Art. 11 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 unter bestimmten Umständen eine selbstständige Erwerbstätigkeit: Demnach wird bei Personen, die aufgrund oder infolge ihrer selbstständigen Erwerbstätigkeit eine Geldleistung beziehen, davon ausgegangen, dass sie diese Tätigkeit ausüben.

Als weitere Begriffsbestimmung enthält der Beschluss Nr. F1 der Verwaltungskommission vom zur Auslegung des Artikels 68 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates hinsichtlich der Prioritätsregeln beim Zusammentreffen von Familienleistungen, ABlEU Nr. C 106 vom . Nach dessen Nr. 1 Buchstabe b sublit. iii) gelten für die Zwecke des Art. 68 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 Ansprüche auf Familienleistungen insbesondere dann als "durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelöst", wenn sie durch unbezahlten Urlaub zum Zweck der Kindererziehung, solange dieser Urlaub nach den einschlägigen Rechtsvorschriften einer Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit gleichgestellt ist, erworben wurden.

Im fünften Erwägungsgrund des genannten Beschlusses heißt es:
"In einer Rechtssache, in der der Arbeitnehmerstatus einer Person wegen ihres unbezahlten Urlaubs im Anschluss an die Geburt eines Kindes und für die Erziehung dieses Kindes ruhte, verwies der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (, Dodl und Oberhollenzer) auf Artikel 73 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates in Verbindung mit Artikel 13 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71. Ein solcher unbezahlter Urlaub muss daher auch als Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit gemäß Artikel 68 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 gelten. In diesem Zusammenhang bekräftigte der Gerichtshof, dass diese Vorschriften nur so lange anwendbar sind, wie die betreffende Person als Arbeitnehmer oder Selbstständiger im Sinne des Artikels 1 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 gilt; dieser Begriffsbestimmung gemäß muss die betreffende Person in zumindest einem Zweig der sozialen Sicherheit versichert sein. Personen in unbezahltem Urlaub, die von keinem System der sozialen Sicherheit des betreffenden Mitgliedstaats mehr erfasst werden, sind dadurch ausgeschlossen."

Zwar bezieht sich der Beschluss Nr. F1 auf die Prioritätsregeln des Art 68 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004; da die Prioritätsregeln aber an den anzuwendenden Rechtsvorschriften anknüpfen, ist nach der im Schrifttum vertretenen Ansicht davon auszugehen, dass der Begriff "Beschäftigung" bzw. "selbstständige Erwerbstätigkeit" des Art. 11 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 jenem des Art. 68 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 entsprechend zu interpretieren ist (vgl. Felten in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht, 59. Lfg. Art. 68 VO 883/2004 Rn 6 mwH).

Rechtsprechung des EuGH besteht bisher nur zur Vorgängerverordnung zur Verordnung (EG) Nr. 883/2004. Für den Anwendungsbereich der Vorgängerverordnung (EWG) 1408/71 war die Frage, ob der betroffene Mitgliedstaat für die Gewährung von Familienleistungen weiterhin zuständig bleibt und diese Leistungen als durch eine Beschäftigung ausgelöst gelten, im Beschluss der Verwaltungskommission Nr. 207 vom , ABlEG Nr. L 175 vom , näher geregelt. Danach galt unter anderem ein unbezahlter Urlaub zum Zweck der Kindererziehung als "Ausübung der Erwerbstätigkeit", solange dieser Erziehungsurlaub nach den einschlägigen Rechtsvorschriften einer Erwerbstätigkeit gleichgestellt war.

Der EuGH verwies in seiner Entscheidung , Borger, auf seine frühere Rechtsprechung (, Dodl und Oberhollenzer ), wonach eine Person - trotz des Ruhens des Arbeitnehmerstatus wegen eines unbezahlten Urlaubes im Anschluss an die Geburt eines Kindes und für die Erziehung dieses Kindes - dann Arbeitnehmereigenschaft iSd Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 besitze, wenn sie auch nur gegen ein einziges Risiko im Rahmen eines der in Art. 1 lit a dieser VO genannten allgemeinen oder besonderen Systeme der sozialen Sicherheit pflichtversichert oder freiwillig versichert ist, und zwar unabhängig vom aufrechten Bestehen eines Arbeitsverhältnisses.

In seiner Folgeentscheidung zum Urteil des EuGH in der Rs Borger vertrat der OGH () die Ansicht, dass die Arbeitnehmereigenschaft iSd Art. 1 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 iSd Rechtsprechung des EuGH auch während des Zeitraums einer sechsmonatigen Verlängerung der Karenz gegeben sei, weil während dieser Zeit nach § 8 Abs. 1 Z. 2 lit. g ASVG eine Teilversicherung in der Pensionsversicherung bestand. Die Voraussetzung der Erziehung eines Kindes in den ersten 48 Lebensmonaten im Inland liege vor, weil das Erfordernis einer Erziehung im Inland zur Vermeidung einer Diskriminierung so zu verstehen sei, dass auch eine Erziehung des Kindes in der Schweiz unschädlich ist. Gleiches gilt für die Erziehung eines Kindes in einem anderen EU-Mitgliedstaat (vgl. 10 Ob S 117/14z).

Nach der von Rief (Zuständigkeit für Familienleistungen - aktuelle EuGH-Judikatur und die neue Rechtslage, DRdA 2011, 480 [484]) vertretenen Ansicht sei die zur Verordnung (EWG) 1408/71 ergangene EuGH-Rechtsprechung auch auf die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zu übertragen, da sich die allgemeinen Zuständigkeitsregelungen in Art. 13 Abs. 2 Buchstaben a und f der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 inhaltlich kaum von jenen in Art. 11 Abs. 3 Buchstaben a und e der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 unterscheiden würden.

Wie bereits dargestellt gilt gemäß Art. 11 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 der Bezug einer Geldleistung aufgrund oder infolge einer selbstständigen Erwerbstätigkeit als Ausübung der Tätigkeit, somit als eine einer selbstständigen Erwerbstätigkeit gleichgestellte Situation.

Da die Bf. im Dezember 2017 und im Jänner 2018 Wochengeld - sohin eine Geldleistung im Sinne des Art. 11 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 - bezog, wird für diesen Zeitraum das Vorliegen einer Erwerbstätigkeit fingiert, sodass die Bf. insoweit gemäß Art. 11 Abs. 3 Buchstabe a der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 den Rechtsvorschriften Österreichs unterlag.

Das Finanzamt steht im Vorlagebericht auf dem Standpunkt, dass die Bf. von Mitte Februar 2017 bis zur Geburt des Kindes eine tatsächliche Tätigkeit nicht ausgeübt habe und eine solche auch nicht ins Auge gefasst habe. Sie habe sich daher in keiner Beschäftigung oder gleichgestellten Situation befunden.

Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass eine derartige Voraussetzung weder dem Unionsrecht noch den Bestimmungen des GSVG oder des FLAG 1967 zu entnehmen ist. Eine solche Voraussetzung wird ausschließlich im sachlichen Anwendungsbereich des KBGG normiert. Dafür, dass der Gesetzgeber mit § 24 Abs. 2 KBGG einen über den sachlichen Anwendungsbereich des KBGG hinausgehenden nationalen Begriff der Beschäftigung bzw. selbständigen Erwerbstätigkeit - insbesondere auch für Zwecke der Familienbeihilfe - definieren wollte, fehlen aber jegliche Anhaltspunkte (; ). Hingewiesen wird in diesem Zusammenhang auch auf die in der Literatur geäußerten Zweifel an der Unionsrechtskonformität der in § 24 Abs. 3 KBGG normierten Einschränkungen der gleichgestellten Situationen (vgl. Felten in Spiegel, Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht, 59. Lfg. Art. 68 VO 883/2004 Rn 6/1).

Der angefochtene Bescheid war daher hinsichtlich der Zeiträume Dezember 2017 und Jänner 2018 aufzuheben.

In seinen Erkenntnissen , , und , gelangte das Bundesfinanzgericht (BFG) vor dem in den Entscheidungen näher dargestellten rechtlichen Hintergrund zum Ergebnis, dass die Nichtausübung eines angemeldeten Gewerbes in den ersten 48 Monaten nach der Geburt eines Kindes zum Zwecke der Kindererziehung eine der selbständigen Erwerbstätigkeit gleichgestellte Situation im Sinne des Art. 1 Buchstabe b der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 darstellt. Voraussetzung dafür ist, dass keine Gewerbeabmeldung erfolgt und während dieses Zeitraumes nach Maßgabe der österreichischen Rechtsvorschriften zumindest eine Teilversicherung, z.B. in der Pensionsversicherung nach § 3 Abs. 3 Z. 4 GSVG, vorliegt. Nicht maßgeblich ist demgegenüber, ob das Gewerbe bis zum Beginn des Wochengeldbezuges tatsächlich (durchgehend) ausgeübt worden ist.

Das BFG verwies in diesem Zusammenhang auf die Materialien zu BGBl. I Nr. 116/2009 (Änderung des KBGG; RV 340 BlgNR XXIV. GP 16), in denen es heißt:
"Weiters gelten Zeiträume, in denen die Erwerbstätigkeit unterbrochen wurde, um sich der Kindererziehung zu widmen, als der tatsächlichen Ausübung einer Erwerbstätigkeit gleichgestellt, sofern es sich um Zeiten der gesetzlichen Karenz nach dem MSchG oder VKG handelt (aufrechtes, ruhendes Dienstverhältnis). Darunter fällt auch eine der einer Karenz nach MSchG und VKG nachgebildeten Karenz nach anderen gleichartigen österreichischen Rechtsvorschriften, (zB LAG), dazu gehören aber auch Zeiten der einer solchen Karenz vergleichbaren Situation, etwa die einer Selbständigen oder Gewerbetreibenden, die ihr Gewerbe anlässlich der Geburt eines Kindes zum Zwecke der Kindererziehung ruhend meldet (nicht jedoch abmeldet)."

Die Gesetzesmaterialien gehen sohin davon aus, dass nicht nur die gesetzliche Karenzierung nach dem MSchG bzw dem VKG die Fiktion eines durchgehenden Beschäftigungsverhältnisses ermöglicht, sondern auch eine gleich gewichtig angesehene Situation wie etwa die Ruhendmeldung des Gewerbes durch eine selbständig Erwerbstätige.

Ebenso wie § 8 Abs. 1 Z. 2 lit. g ASVG sieht § 3 Abs. 3 Z. 4 GSVG für diesen Fall eine Teilversicherung in der Pensionsversicherung vor.
Nach § 3 Abs. 3 Z. 4 GSVG besteht für Personen, die ihr Kind in den ersten 48 Kalendermonaten nach der Geburt (oder im Falle einer Mehrlingsgeburt ihre Kinder in den ersten 60 Kalendermonaten nach der Geburt) tatsächlich und überwiegend im Inland erziehen, eine Teilversicherung in der Pensionsversicherung. Das Erfordernis der Erziehung im Inland ist zur Vermeidung einer Diskriminierung so zu verstehen, dass auch eine Erziehung des Kindes in einem anderen EU-Mitgliedstaat unschädlich ist (vgl. ).

Im gegenständlichen Fall ergibt sich jedoch aus dem vorliegenden Sozialversicherungsdatenauszug (Stand: ) und einer Mitteilung der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen, dass die Bf. nach Ende des Wochengeldbezuges ab Februar 2018 bis zum von der GSVG-Pflichtversicherung ausgenommen war. Demnach bestand für sie im angeführten Zeitraum auch keine Teilversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 3 Abs. 3 Z. 4 GSVG. Das Bundesfinanzgericht geht daher bei dieser Sach- und Beweislage davon aus, dass die Bf. von Februar 2018 bis einschließlich November 2018 von keinem Zweig des österreichischen Systems der sozialen Sicherheit im Sinne der bereits zitierten Rechtsprechung des EuGH mehr erfasst war.

Kann nicht an eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit angeknüpft werden, so ist gemäß Art. 11 Abs. 3 lit. e der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 der Wohnsitzmitgliedstaat zuständig.

Die Bf. unterliegt somit im Zeitraum ab Februar 2018 den slowakischen Rechtsvorschriften, sodass ausschließlich die Slowakische Republik für die Gewährung von Familienleistungen zuständig ist.

Aus den dargestellten Erwägungen war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Der diesem Erkenntnis zugrundeliegende Bescheid vom spricht über die Abweisung eines Antrags auf Ausgleichszahlung für die Zeiträume "ab Dezember 2017" ab, ohne einen Endzeitpunkt zu benennen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) gilt dieser Abspruch mangels eines festgelegten Endzeitpunktes für den Zeitraum, in dem die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse keine Änderung erfahren haben, jedenfalls aber bis zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides im Mai 2018 (vgl. etwa ).

Ein solcher Bescheid gilt jedoch über diesen Zeitpunkt der Bescheiderlassung hinaus solange weiter, als sich die der Bescheiderlassung zugrundeliegende Sach- und Rechtslage nicht ändert (vgl. ).
Eine solche Änderung könnte etwa ab im Fall der Wiederaufnahme der ruhend gemeldeten Gewerbeausübung in Österreich eingetreten sein.

Wird somit nach Erlassung eines solchen Bescheides neuerlich ein Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe (Ausgleichszahlung) gestellt, so hat das Finanzamt zu prüfen, ob oder zu welchem Zeitpunkt sich die Sach- oder Rechtslage geändert hat. Eine meritorische Entscheidung über einen neuerlichen Antrag hat zu erfolgen, als sich die Sach- oder Rechtslage seit Erlassung des Bescheides über den seinerzeitigen Antrag geändert hat und dem neuerlichen Antrag auch nach Änderung der Sach- oder Rechtslage nicht vollinhaltlich entsprochen wird (vgl. ).

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Es fehlt eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Nichtausübung eines angemeldeten (ruhenden) Gewerbes in den ersten 48 Monaten nach der Geburt eines Kindes zum Zwecke der Kindererziehung als eine der selbstständigen Erwerbstätigkeit gleichgestellte Situation im Sinne des Art. 11 Abs. 3 Buchstabe a in Verbindung mit Art. 1 Buchstabe b der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 anzusehen ist.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Art. 1 Buchstabe b VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 68 Abs. 1 Buchstabe a VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 11 Abs. 1 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 11 Abs. 3 Buchstabe a VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 11 Abs. 3 lit. e VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 67 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 68 Abs. 1 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 11 Abs. 2 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Verweise

ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.5101444.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at