Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 17.06.2020, RV/5101399/2019

Schätzung von Bemessungsgrundlagen

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri***

in der Beschwerdesache

***Bf1***, ***Bf1-Adr*** über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des ***FA*** vom , ***Steuernummer***, betreffend Umsatz- und Einkommensteuer 2017

zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird Folge gegeben.

1. Der angefochtene Umsatzsteuerbescheid wird - ersatzlos - aufgehoben.

2. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid wird abgeändert.
Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem am Ende der Entscheidungsgründe als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt, das einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses bildet, zu entnehmen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG ) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Sachverhalt

1.1. Die Beschwerdeführerin (in der Folge kurz Bf) wurde vom Finanzamt mangels Abgabe von Steuererklärungen bereits seit mehreren Jahren im Schätzungswege zur Umsatz- und Einkommensteuer veranlagt. Bezüglich des Vorliegens bzw. der Höhe von steuerpflichtigen Einnahmen oder Einkünften waren bei der Abgabenbehörde keine Unterlagen aktenkundig.

1.2. Auch für das beschwerdegegenständliche Jahr 2017 wurde die Bf mangels Abgabe von Steuererklärungen mit Bescheiden vom im Schätzungswege gemäß § 184 BAO zur Umsatz- und Einkommensteuer veranlagt.
Im Umsatzsteuerbescheid 2017 vom wurde als Gesamtbetrag der Bemessungsgrundlagen für Lieferungen und sonstige Leistungen der Betrag von 30.000,00 €, steuerfrei zufolge Kleinunternehmereigenschaft, in Ansatz gebracht. Die Vorsteuern wurden mit 0,00 € geschätzt. Insgesamt ergab sich eine Umsatzsteuerzahllast von 0,00 €.
Im Einkommensteuerbescheid 2017 vom wurden Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 16.000,00 € in Ansatz gebracht. Nach Abzug des Sonderausgabenpauschbetrages von 60,00 € ergab sich ein geschätztes Einkommen von 15.940,00 € und wurde eine Einkommensteuer in Höhe von 1.235,00 € festgesetzt.

1.3. Mit Faxschreiben vom erhob die Bf einen Ablehnungsantrag/Urgenz bzw. Delegierungsantrag an ein anderes unbefangenes Finanzamt sowie Beschwerde gegen den Umsatz- und Einkommensteuerbescheid 2017, beide vom . Die Beschwerde wurde zusammenfassend im Wesentlichen damit begründet, dass die in Ansatz gebrachten Beträge vom Finanzamt in amtsmissbräuchlicher Art und Weise frei erfunden und fern jeglicher Realität in Ansatz gebracht worden seien, obwohl sie in intensiven telefonischen und schriftlichen Kontakten mit der Finanzamtsvertreterin alle Fragen beantwortet und die wirklichen Verhältnisse ausführlich und klar dargelegt habe.

1.4. Mit Schreiben des Finanzamtes vom wurde die Bf um Bekanntgabe, aus welchem Einkommen sie ihren Lebensunterhalt bestreite, und um Vorlage einer Aufstellung der Einnahmen und betrieblichen Ausgaben bis zum ersucht. Dieses Schreiben blieb unbeantwortet.

1.5. Mit Beschwerdevorentscheidungen vom wurde die Beschwerde gegen den Umsatz- sowie den Einkommensteuerbescheid 2017 mit der Begründung, dass das Ergänzungsersuchen vom unbeantwortet geblieben sei, abgewiesen.

1.6. Mit Faxeingabe vom stellte die Bf den Antrag auf Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht (Vorlageantrag) betreffend den Umsatz- und Einkommensteuerbescheid 2017 bzw. die diesbezüglichen Beschwerdevorentscheidungen vom , zugestellt am .
Sie verwies auf offenkundige Willkürakte der Abgabenbehörde und ersuchte um Bekanntgabe, falls notwendige Beweismittel nicht auffindbar sein sollten, um diese innerhalb einer angemessenen Frist von vier Wochen nachreichen zu können.

1.7. Mit Vorlagebericht vom wurde die im Faxschreiben vom erhobene Beschwerde gegen den Umsatz- und Einkommensteuerbescheid 2017 dem Bundesfinanzgericht vom Finanzamt zur Entscheidung vorgelegt.
Nicht betroffen von der Vorlage war mangels Zuständigkeit des Bundesfinanzgerichtes der im Faxschreiben gleichzeitig erhobene Ablehnungs- bzw. Delegierungsantrag.

1.8. Am wurde vom Finanzamt ein von der Pensionsversicherungsanstalt erstellter und nachträglich übermittelter Lohnzettel für das Jahr 2017 nachgereicht, der Bruttobezüge in Höhe von 11.805,92 € (Kennzahl 210) und steuerpflichtige Einkünfte in Höhe von 9.603,24 € (Kennzahl 245) auswies (Bezüge gemäß § 67 Abs. 1 und 2 EStG 1988/Kennzahl 220 = 1.686,56 €; Summe SV-Beiträge/Kennzahl 230 = 516,12 €; Lohnsteuer laut Kennzahl 260 = 0,00 €).
Erläuternd wurde darauf hingewiesen, dass nachträglich Lohnzettel ab 2011 (= Jahr des Eintritts der Bf, geboren 1951, in das Pensionsalter) übermittelt worden seien und angesichts dieser nunmehr evidenten Pensionsbezüge gegen eine Stattgabe der Beschwerde keine Einwände bestünden.

Beweiswürdigung

Die Sachverhaltsfeststellungen ergaben sich aus den vom Finanzamt übermittelten Akten.
Darin fanden sich weder eine Umsatz- oder Einkommensteuererklärung für das Jahr 2017 noch eine Antwort der Bf auf das aktenkundige Ergänzungsersuchen des Finanzamtes vom bezüglich Bestreitung des Lebensunterhaltes. Insgesamt lagen somit keinerlei Unterlagen vor, aufgrund welcher Rückschlüsse auf das Vorliegen bzw. die Höhe irgendwelcher steuerpflichtiger Einnahmen oder Einkünfte im Jahr 2017 gezogen hätten werden können.

Allerdings wurden nach Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht von der Pensionsversicherungsanstalt für die Jahre ab 2011 jeweils Lohnzettel nachgereicht, die jährlich verfügbare Pensionsbezüge auswiesen. Die verzögerte Übermittlung war laut Auskunft des Finanzamtes Folge einer zunächst mangelnden Zuordenbarkeit der Adressen der Bf.

Der Lohnzettel für das beschwerdegegenständliche Jahr 2017 wies Pensionseinkünfte in Höhe von 9.603,24 € bzw. Bruttoeinkünfte in Höhe von 11.805,92 € aus. Einkünfte in dieser Höhe lassen nach allgemeinen Erfahrungswerten die Bestreitung eines, wenn auch bescheidenen Lebensunterhaltes zu.

Die in den angefochten Bescheiden in Ansatz gebrachten Einnahmen bzw. Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit (Umsätze aus Lieferungen oder Leistungen in Höhe von 30.000,00 € bzw. Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 16.000,00 €) waren durch keinerlei aktenkundige Unterlagen bzw. Hinweise belegt. Aus von der Bf in ihrer Beschwerdeschrift angesprochenen telefonischen und schriftlichen Kontakten konnten laut Auskunft der belangten Behörde keine Hinweise auf Bemessungsgrundlagen abgeleitet werden und lägen diesbezüglich keine schriftlichen Unterlagen vor. Der Ansatz der Einkünfte aus Gewerbebetrieb und der Umsätze basierte dem Grunde und der Höhe nach lediglich auf der Annahme, dass der Bf Einkünfte zur Verfügung stehen hatten müssen, die ihr die Bestreitung ihres Lebensunterhaltes erlaubten. Dieser Umstand wurde durch den von der Pensionsversicherungsanstalt nachgereichten Lohnzettel aufgeklärt. An der Höhe der sich daraus ergebenden Einkünfte zu zweifeln, bestand kein Anlass. Von der Vertreterin der belangten Behörde wurde im Zuge der Nachreichung des Lohnzettels an das Bundesfinanzgericht angeregt, angesichts der nunmehr nachgewiesenen Pensionseinkünfte dem Beschwerdebegehren stattzugeben.

Auch das Bundesfinanzgericht kam in freier Beweiswürdigung aufgrund der nunmehr vorliegenden Aktenlage zum Schluss, dass der Bf im Jahr 2017 keine Einnahmen bzw. Einkünfte aus gewerblicher bzw. unternehmerischer Tätigkeit zugeflossen sind, die zu einer Festsetzung von Umsatzsteuer und einer zusätzlichen Einkommensteuerbelastung für die Bf führen konnten. Insofern konnte auch von einer Nachreichung von allenfalls nicht aktenkundigen Beweismitteln, wie sie von der Bf in ihrem Vorlageantrag für den Bedarfsfall angeboten wurde, abgesehen werden.

Bezüglich weiterer Erwägungen zur Beweiswürdigung wird auf die Ausführungen unter Punkt 3.1.2. dieses Erkenntnisses, die verständnishalber im Kontext mit der rechtlichen Beurteilung zu tätigen waren, verwiesen.

Rechtliche Beurteilung

Eingangs ist Folgendes festzuhalten:
Gemäß Art. 131 Abs. 3 B-VG bzw. § 1 Abs. 1 BFGG (Bundesfinanzgerichtsgesetz ) obliegen dem Verwaltungsgericht des Bundes für Finanzen (Bundesfinanzgericht) Entscheidungen über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 bis 3 B-VG in Rechtssachen in Angelegenheiten der öffentlichen Abgaben (mit Ausnahme der Verwaltungsabgaben des Bundes, der Länder und Gemeinden) und des Finanzstrafrechts sowie in sonstigen gesetzlich festgelegten Angelegenheiten, soweit die genannten Angelegenheiten unmittelbar von den Abgaben- oder Finanzstrafbehörden des Bundes besorgt werden.
Die Zuständigkeit des Bundesfinanzgericht erstreckt sich somit nur auf Beschwerden.
Im Rahmen dieser Zuständigkeit war daher, wie sich aus dem Spruch ergibt, gemäß Art. 131 Abs. 3 B-VG und § 1 Abs. 1 BFGG in Verbindung mit Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG lediglich über die im Faxschreiben vom erhobene Beschwerde gegen die Bescheide betreffend Umsatz- und Einkommensteuer 2017 zu entscheiden. Bezüglich des im gleichen Faxschreiben enthaltenen Ablehnungs- bzw. Delegierungsantrages bestand keine Kompetenz des Bundesfinanzgerichtes.

Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)

3.1.1. Rechtsgrundlagen:

§ 184 BAO lautet folgendermaßen:
"(1) Soweit die Abgabenbehörde die Grundlagen für die Abgabenerhebung nicht ermitteln oder berechnen kann, hat sie diese zu schätzen. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind.
(2) Zu schätzen ist insbesondere dann, wenn der Abgabepflichtige über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder weitere Auskunft über Umstände verweigert, die für die Ermittlung der Grundlagen (Abs. 1) wesentlich sind.
(3) Zu schätzen ist ferner, wenn der Abgabepflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Abgabenvorschriften zu führen hat, nicht vorlegt oder wenn die Bücher oder Aufzeichnungen sachlich unrichtig sind oder solche formelle Mängel aufweisen, die geeignet sind, die sachliche Richtigkeit der Bücher oder Aufzeichnungen in Zweifel zu ziehen."

Nach § 42 Abs. 1 Z 1 EStG 1988 hat der unbeschränkt Steuerpflichtige eine Steuererklärung für das abgelaufene Kalenderjahr (Veranlagungszeitraum) ua dann abzugeben, wenn er vom Finanzamt dazu aufgefordert wird.

Gemäß § 21 Abs. 4 UStG 1994wird der Unternehmer nach Ablauf des Kalenderjahres zur Steuer veranlagt.
Unternehmer ist
nach § 2 Abs. 1 UStG 1994, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt.

Nach § 33 Abs. 8 Z 3 EStG 1988 sind dann, wenn sich bei Steuerpflichtigen, die Anspruch auf den Pensionistenabsetzbetrag haben, eine Einkommensteuer unter null ergibt, 50% der Werbungskosten im Sinne des § 16 Abs. 1 Z 4, höchstens aber 110 Euro jährlich, rückzuerstatten (SV-Rückerstattung). Die Rückerstattung vermindert sich um steuerfreie Zulagen gemäß § 3 Abs. 1 Z 4 lit. f.

Gemäß § 41 Abs. 2 Z 2 EStG 1988in der für das beschwerdegegenständliche Jahr 2017 geltenden Fassung hat das Finanzamt von Amts wegen eine antragslose Veranlagungnach Maßgabe folgender Bestimmungen vorzunehmen, wenn bis Ende Monats Juni keine Abgabenerklärung für das vorangegangene Veranlagungsjahr eingereicht wurde:
a) Folgende Voraussetzungen müssen vorliegen:
- Aufgrund der Aktenlage ist anzunehmen, dass der Gesamtbetrag der zu veranlagenden Einkünfte ausschließlich aus lohnsteuerpflichtigen Einkünften besteht.
- Aus der Veranlagung resultiert eine Steuergutschrift.
- Aufgrund der Aktenlage ist nicht anzunehmen, dass die zustehende Steuergutschrift höher ist als jene, die sich aufgrund der übermittelten Daten gemäß § 18 Abs. 8, § 35 Abs. 8 und § 84 ergeben würde.
b) Wurde bis zum Ablauf des dem Veranlagungszeitraum zweitfolgenden Kalenderjahres keine Abgabenerklärung für den betroffenen Veranlagungszeitraum abgegeben, ist jedenfalls eine antragslose Veranlagung durchzuführen, wenn sich nach der Aktenlage eine Steuergutschrift ergibt.
c) Wird nach erfolgter antragsloser Veranlagung innerhalb der Frist der Z 1 eine Abgabenerklärung abgegeben, hat das Finanzamt darüber zu entscheiden und gleichzeitig damit den gemäß lit. a ergangenen Bescheid aufzuheben.
d) Die Steuererklärungspflicht (§ 42) bleibt auch nach Vornahme der Veranlagung aufrecht."

3.1.2. Erwägungen im gegenständlichen Fall:

In den angefochtenen Bescheiden wurden von der Abgabenbehörde unter Berufung auf die zitierte Bestimmung des § 184 BAO im Schätzungswege ermittelte Einkünfte aus Gewerbebetrieb und Umsätze in Ansatz gebracht.
Nach Ansicht der Bf waren diese frei erfunden und in keiner Weise nachvollziehbar.

Hierzu ist Folgendes auszuführen:

Wie sich aus § 184 BAO ergibt, beruht die Befugnis (Verpflichtung) zur Schätzung allein auf der objektiven Voraussetzung der Unmöglichkeit, die Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln oder zu berechnen. § 184 Abs. 2 und 3 nennen keine eigenständigen Gründe, sondern Beispiele, woraus sich eine solche Unmöglichkeit ergeben kann (Ritz, BAO6, § 184 Tz 6 mwN).

Eine Schätzungsberechtigung kann nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter anderem dann bestehen, wenn der Abgabepflichtige seiner Verpflichtung zur Einreichung von Abgabenerklärungen nicht nachkommt und deswegen eine genaue Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen unmöglich ist (siehe zB ; Ritz, BAO6, § 184 Tz 6 mwN). Eine solche Verpflichtung besteht gemäß § 42 Abs. 1 Z 1 EStG 1988 unter anderem dann, wenn der/die Steuerpflichtige vom Finanzamt dazu aufgefordert wird.
Ein Grund für die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen liegt auch vor, wenn der Abgabepflichtige nicht aufzuklären vermag, aus welchen Quellen er seinen laufenden Lebensunterhalt bestreiten konnte (; ).

Im vorliegenden Fall ergab sich aus der Aktenlage, dass von der Bf trotz Aufforderung durch das Finanzamt für das Jahr 2017 keine Umsatz- und Einkommensteuererklärungen abgegeben worden waren. Damit brachte die Bf zum Ausdruck, dass sie weder als Unternehmerin tätig gewesen war noch steuerpflichtiges Einkommen bezogen hatte, weshalb es zu keiner Belastung an Umsatz- oder Einkommensteuer kommen hätte können. Ungeachtet der Tatsache, ob sie tatsächlich über steuerpflichtige Einkünfte oder Einnahmen verfügte, wäre sie aber über Aufforderung durch das Finanzamt zur Erklärungsabgabe verpflichtet gewesen. Dies ergibt sich aus der oben zitierten Bestimmung des § 41 Abs. 1 Z 1 EStG 1988.
Darüber hinaus war mangels aktenkundiger Einkünfte zunächst unklar, aus welchen Mitteln die Bf ihren Lebensunterhalt bestritten hatte.
Zum Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Bescheide bestand daher zufolge obiger Ausführungen dem Grunde nach eine Schätzungsberechtigung.

Was die Wahl der Schätzungsmethode anlangt, so ist auf das Ziel jeder Schätzung Bedacht zu nehmen. Dieses besteht nach übereinstimmender Lehre und Rechtsprechung darin, den wahren Besteuerungsgrundlagen (den tatsächlichen Gegebenheiten) möglichst nahe zu kommen, somit die Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln, welche die größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich haben (Ritz, BAO6, § 184 Tz 3; siehe zB ).
Die Schätzung darf nicht den Charakter einer Strafbesteuerung haben (Ritz, BAO6, § 184 Tz 3), weshalb auch bei mangelnder Mitwirkung der Bf bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlagen danach zu trachten ist, diese aufgrund mittelbarer Beweise möglichst realitätsnahe zu ergründen.
Die Wahl der Schätzungsmethode steht der Abgabenbehörde grundsätzlich frei. Angesichts des Zieles, jene Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln, die der Wahrscheinlichkeit am nächsten kommen, wird jene Methode zu wählen sein, von der angenommen werden kann, dass sie das tatsächliche Bild der Einkünfte am besten wiedergibt.
Die Schätzung ist ein Akt der tatsächlichen Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen mit Hilfe von Wahrscheinlichkeitsüberlegungen und ihrem Wesen nach ein Beweisverfahren, in dem der Sachverhalt unter Zuhilfenahme mittelbarer Beweise ermittelt wird. Der Schätzungsvorgang ist eine Art der Feststellung tatsächlicher Gegebenheiten und Verhältnisse ( mwN).

Im gegenständlichen Fall schätzte die Abgabenbehörde die Bemessungsgrundlagen zunächst in Höhe der in den angefochtenen Bescheiden ausgewiesenen Besteuerungsgrundlagen in Anlehnung an vermutete Lebenshaltungskosten. Dabei handelt es sich grundsätzlich um eine mögliche Schätzungsmethode. Die Behörde konnte sich dabei sonst aber weder der Art noch der Höhe der Einkünfte nach auf irgendwelche aktenkundigen Hinweise stützen.

Ein solcher Hinweis hat sich nun während des anhängigen Beschwerdeverfahrens ergeben, indem die belangte Behörde durch Übermittlung eines Lohnzettels von der Pensionsversicherungsalt Kenntnis über Pensionsbezüge der Bf erlangte. Der von der Pensionsversicherungsanstalt erstellte Lohnzettel wies für 2017 Bruttobezüge in Höhe von 11.805,92 € und steuerpflichtige Pensionsbezüge in Höhe von 9.603, 24 € aus.
Einkünfte in diesem Ausmaß reichen aber nach allgemeiner Lebenserfahrung aus, um eine, wenn auch bescheidene Lebensführung zu gewährleisten. Der zusätzliche Bezug von Einkünften aus Gewerbebetrieb bzw. Umsätzen aus unternehmerischer Tätigkeit war, wie von der Bf bestritten und auch von der belangten Behörde nunmehr festgestellt, angesichts dieser neuen Erkenntnisse nicht mehr wahrscheinlich, zumal er auch durch keinerlei Hinweise untermauert war. Einer Schätzung weiterer bzw. höherer Besteuerungsgrundlagen war somit der Boden entzogen und konnte dem Begehren der Bf sohin insofern beigetreten werden.

Im Ergebnis führte dies zu einer Stattgabe der Beschwerde, da sich aufgrund der gegenständlichen Entscheidung, wie von der Bf begehrt, weder eine Umsatzsteuer- noch eine Einkommensteuerbelastung ergab:

Der Bf konnte aufgrund der neuen Erkenntnisse keine unternehmerische Tätigkeit im Sinne des Umsatzsteuergesetzes unterstellt werden. Demzufolge war sie gemäß § 21 Abs. 4 UStG 1994 nicht mit Bescheid zur Umsatzsteuer zu veranlagen. Der angefochtene Umsatzsteuerbescheid 2017 war daher ersatzlos aufzuheben.

Die Einkommensteuer für das Jahr 2017 auf Basis der Pensionsbezüge laut Lohnzettel der Pensionsversicherungsanstalt errechnete sich mit 0,00 € und ergab sich für die Bf dementsprechend die höchstmögliche SV-Rückerstattung in Form einer Gutschrift in Höhe von 110,00 €.
Wie sich aus § 33 Abs. 8 Z 3 EStG 1988 ergibt, sind dann, wenn sich bei Steuerpflichtigen, die Anspruch auf einen Pensionistenabsetzbetrag haben, eine Einkommensteuer unter null ergibt, 50 % der Werbungskosten im Sinne des § 16 Abs. 1 Z 4, höchstens aber 110 Euro jährlich rückzuerstatten (SV-Rückerstattung).
Die Berechnung der Einkommensteuer für das Jahr 2017 aufgrund der Pensionseinkünfte ergab einen Betrag unter null (siehe beiliegendes Berechnungsblatt/Einkommensteuer 2017). Die Werbungskosten gemäß § 16 Abs. 1 Z 4 lit. a EStG 1988 (= Beiträge der Versicherten zur Pflichtversicherung in der gesetzlichen Sozialversicherung) betrugen laut Lohnzettel der Pensionsversicherungsanstalt für das Jahr 2017 516,12 €. Im Zuge der Veranlagung zur Einkommensteuer gemäß der oben unter Punkt 3.1.1. zitierten Bestimmung des § 41 Abs. 2 Z 2 EStG 1988 stand daher der maximale Betrag an SV-Rückerstattung in Höhe von 110 Euro zu (siehe beiliegendes Berechnungsblatt).

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird (Art. 133 Abs. 4 B-VG).

Bei der Schätzung von Besteuerungsgrundlagen handelt es sich um ein Beweisverfahren, bei dem der Sachverhalt bezogen auf das im Einzelfall konkret vorliegende sachliche Geschehen unter Zuhilfenahme mittelbarer Beweise ermittelt wird (). Solcherart war das gegenständliche Erkenntnis nicht von der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängig.

Beilage: 1 Berechnungsblatt (Einkommensteuer 2017)

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 184 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.5101399.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at