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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 06.03.2020, RV/7100465/2020

Unzumutbarkeit der Verlegung des Familienwohnsitzes an den Ort der Beschäftigung während der reproduktionsmedizinischen (fortpflanzungsmedizinischen) Behandlung der Ehegattin

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/7100465/2020-RS1
Die Verlegung des Familienwohnsitzes, an welchem sich die Ehegattin des Steuerpflichtigen einer reproduktionsmedizinischen (fortpflanzungsmedizinischen) Behandlung unterzieht, an den Ort der Beschäftigung ist unzumutbar.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R in der Beschwerdesache Bf (Beschwerdeführer, Bf.), ausländAdresse, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes WienY (belangte Behörde), betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) für 2017 vom , St.Nr. StNr zu Recht erkannt : 

I.) Gemäß § 279 BAO wird der Beschwerde stattgegeben und wird der angefochtene Bescheid abgeändert. Die Einkommensteuer für das Jahr 2017 wird mit -1.161,00 € festgesetzt. Die Bemessungsgrundlagen hierfür sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

II.) Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

Entscheidungsgründe

A) Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (in der Folge: Bf.) bezog im Streitjahr 2017 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.

Mit elektronischer Eingabe via Finanz Online reichte der Bf. am die Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2017 ein. Darin führte er an, dass die jährlichen Einkünfte seiner Ehepartnerin Euro 6.000,00 nicht überschritten haben. Unter dem Punkt Werbungskosten gab er Ausgaben für Arbeitsmittel in Höhe von Euro 40,00, Kosten für Familienheimfahrten in Höhe von Euro 1.836,00 und Kosten für doppelte Haushaltsführung in Höhe von Euro 1.500,00 an. Als außergewöhnliche Belastung mit Selbstbehalt wurden Krankheitskosten im Ausmaß von Euro 206,60 eingetragen.

Mit Bescheid (Einkommensteuerbescheid 2017) vom erfolgte die Arbeitnehmerveranlagung für das Jahr 2017 und führte zu einer Gutschrift in Höhe von Euro 227,00. (Dies ist gleichbedeutend mit einer festgesetzten Einkommensteuer in Höhe von Euro -227,00.) In der Begründung wird ausgeführt, dass Familienheimfahrten eines Arbeitnehmers von der Wohnung am Arbeitsort zum Familienwohnsitz nur Werbungskosten seien, wenn die Voraussetzungen einer beruflich veranlassten doppelten Haushaltsführung vorliegen. Dies sei dann der Fall, wenn dem Erwerbstätigen eine Wohnsitzverlegung in übliche Entfernung vom Ort der Erwerbstätigkeit nicht zugemutet werden kann. Wenn die Voraussetzungen für eine auf Dauer angelegte doppelte Haushaltsführung nicht vorliegen, so könnten Kosten für Familienheimfahrten nur vorübergehend als Werbungskosten geltend gemacht werden. Als vorübergehend werde bei einem verheirateten oder in eheähnlicher Gemeinschaft lebenden Steuerpflichtigen ein Zeitraum von zwei Jahren angesehen. Da im Fall des Bf. die Voraussetzungen nicht zuträfen, könnten die geltend gemachten Aufwendungen nicht als Werbungskosten berücksichtigt werden. Betreffend die beantragten Werbungskosten von Euro 40,00 sei der höhere Pauschbetrag von Euro 132,00 berücksichtigt worden. Die Aufwendungen für außergewöhnliche Belastungen könnten nicht berücksichtigt werden, da der den Bf. treffende Selbstbehalt Euro 2.006,71 betrage.

Mit elektronischer Eingabe via Finanz Online vom brachte der Bf. Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid 2017 vom ein. In dem hochgeladenen Begleitschreiben führte der Bf. aus, dass seine Frau und er seit mehreren Jahren eine Familie planten und im Jahr 2017 mehrere Versuche einer künstlichen Befruchtung – wie mit Rechnungen nachweisbar – durchgeführt worden seien. Seine Frau habe mehrere Fehlgeburten erlitten und sei deshalb unter ärztlicher Aufsicht gestanden, weshalb ihr Einkommen in den vergangenen zwei Jahren gering ausgefallen sei. Die Beibehaltung des Familienwohnsitzes in Heimatland sei nicht aus Bequemlichkeit, sondern aus dem Bestreben, die vorgeschriebenen Untersuchungen, Schonungen, Behandlungen ernst zu nehmen, um weder die Gesundheit der Ehefrau noch des ungeborenen Kindes zu gefährden. Letztlich sei das gemeinsame Kind infolge einer erfolgreichen künstlichen Befruchtung am Geb.tag 2018 zur Welt gekommen. (Nachweis mit Geburtsurkunde)

Mit Beschwerdevorentscheidung (BVE) vom hat die belangte Behörde die Beschwerde vom als unbegründet abgewiesen. Unter Hinweis auf die Lohnsteuerrichtlinien 2002 (Rz 345) wird ausgeführt, dass eine künstliche Befruchtung keinen Grund für eine Unzumutbarkeit der Verlegung des Wohnsitzes darstelle. In der Folge wurden einige Beispiele angeführt, die eine unzumutbare Wohnsitzverlegung begründen würden. Unter anderem wurde ausgeführt, dass (bei Vorliegen anderer Kriterien) eine Unzumutbarkeit vorliege, wenn der Verkauf des Einfamilienhauses bzw. der Wohnung am Familienwohnsitz aufgrund der Lage in einem strukturschwachen Gebiet zu erheblichen Vermögenseinbußen führen würde und die Anschaffung einer adäquaten Wohnung am Beschäftigungsort aus dem Erlös nicht möglich wäre.

Am  erhob der Bf. Beschwerde gegen den Bescheid (BVE) vom , was als Antrag auf Vorlage der Beschwerde vom zur Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht zu deuten ist, ein. Darin stellte er zum einen die Situation seiner Frau dar, die in Österreich nicht sozialversichert sei und aufgrund der Krankenhausaufenthalte ihre Arbeitsleistung reduzieren habe müssen, wodurch es zu erheblichen finanziellen Problemen gekommen sei. Zum anderen führte er betreffend die räumliche Wohnsituation im Jahr 2017 an, dass seine Arbeiterunterkunft in Österreich im Ausmaß von knapp 20 m2 keinesfalls als Familienwohnsitz geeignet und eine größere Unterkunft infolge der medizinischen Ausgaben nicht finanzierbar gewesen sei. In Heimatland lebe der Bf. mit seiner Frau in einem Einfamilienhaus, das schuldenfrei sei. Selbst bei Verkauf des Hauses in Heimatland sei ein gleichwertiges Zuhause in Österreich nicht leistbar. Eine Umsiedlung nach Österreich sei aus den genannten Umständen unmöglich gewesen.

Mit Schreiben vom wurde ein Ergänzungsersuchen betreffend die Arbeitnehmerveranlagung 2017 an den Bf. übermittelt, in dem er aufgefordert wird, Nachweise in Bezug auf die geltend gemachten Kosten für Familienheimfahrten in Höhe von Euro 1.836,00 und für doppelte Haushaltsführung in Höhe von Euro 1.500,00 in deutscher Sprache zu erbringen. Konkret sollte der Bf. bis zum zu folgenden Punkten Stellung nehmen:

  • Angabe des Familienwohnsitzes in Heimatland und Meldebestätigungen vom Bf. und seiner Familie

  • Grundbuchsauszug des Einfamilienhauses in Heimatland

  • Detaillierte Darlegung und Nachweis der Gründe, die eine Verlegung des Familienwohnsitzes an den Beschäftigungsort des Bf. unzumutbar machen

  • Einkommensnachweis der in Heimatland lebenden Ehegattin [Formular E9, bestätigt von der ausländischen Steuerbehörde]

  • Belegmäßiger Nachweis für die entstandenen Kosten im Zusammenhang mit der Wohnung des Bf. am Beschäftigungsort (Mietvertrag & entrichtete Miete) und Angabe der Anzahl der Quadratmeter dieser Unterkunft

  • Belegmäßiger Nachweis der entstandenen Kosten im Zusammenhang mit Familienheimfahrten:

    •Bei einer Beförderung mit dem Auto: ua. Fahrtenbuch, Kopie des Zulassungs- und Führerscheines, Treibstoffrechnungen, Mautbelege, Nachweise über zurückgelegte Kilometer etc.;

    •Für die Beförderung mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder sonstigen Mitfahrgelegenheiten: Anzahl der Fahrten und Nachweis der entstandenen Kosten;

    •Bei Mitbeförderung von anderen Personen im Auto: Name der Mitbeförderten und Höhe der dafür erhaltenen Beträge.

  • Wie oft wurden die Heimfahrten vom Arbeitgeber steuerfrei vergütet und wie hoch sind die dafür erhaltenen Ersätze?

Am hat der Bf. mittels elektronischer Eingabe via Finanz Online auf das Ergänzungsersuchen geantwortet. Der Bf. führt darin aus, dass vom Arbeitgeber weder Kosten für die Heimfahrten noch für die Unterkunft in Österreich vergütet wurden. Darüber hinaus weist er erneut darauf hin, dass ein Umzug nach Österreich zu erheblichen finanziellen Problemen geführt hätte. Außerdem hätte die notwendige medizinische Versorgung der Ehegattin und die im Jahr 2017 bestehende Schwangerschaft mit anschließender Entbindung im Jahr 2018 einen Umzug unmöglich gemacht. Die angeforderten Belege wurden beigelegt bzw. befänden sich beim Finanzamt in der Abteilung für Familienbeihilfe.

Am erfolgte die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht. Im Vorlagebericht wird zur streitgegenständlichen Sachlage Stellung genommen und ausgeführt, dass die geltend gemachten Kosten der Höhe nach zwar nachgewiesen seien, es allerdings an der Unzumutbarkeit der Verlegung des Familienwohnsitzes mangle. So seien die Behandlungen zur künstlichen Befruchtung sowie der Gesundheitszustand der Ehefrau des Bf., die im Jahr 2017 über keinerlei Einkünfte verfügt habe, lediglich behauptet und nicht nachgewiesen worden. Überdies sei eine künstliche Befruchtung auch in Österreich möglich. Zu den erheblichen finanziellen Einbußen, die sich aus einer Veräußerung des Einfamilienhauses in Heimatland und einem Umzug nach Österreich ergäben, bringt die belangte Behörde vor, dass wirtschaftliche Gründe alleine nicht maßgeblich seien. Mangels unterhaltsberechtigter und betreuungsbedürftiger Kinder im gemeinsamen Haushalt sei dieser Umstand nicht ausschlaggebend. Da die Voraussetzungen für den Kostenersatz einer doppelten Haushaltsführung nicht vorlägen, sei auch die Abzugsfähigkeit von Familienheimfahrten nicht möglich. Es werde daher die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Am hat der Bf. auf elektronischem Weg via Finanz Online eine Stellungnahme zum Vorlagebericht der belangten Behörde eingebracht, in der er Bezug auf die Feststellung der belangten Behörde nimmt, dass zum Gesundheitszustand der Ehefrau des Bf. keine Nachweise vorlägen. Einerseits waren der Stellungnahme Nachweise betreffend die Durchführung einer künstlichen Befruchtung in Heimatland angeschlossen, andererseits hat der Bf. darin ersucht, abzuklären, ob eine künstliche Befruchtung auch in Österreich problemlos im Rahmen einer Versicherungsleistung durchgeführt werden hätte können.
Die belangte Behörde hat diese Stellungnahme samt Beilagen dem BFG nachgereicht.

B) Über die Beschwerde wurde erwogen:

Der Bf. war im Streitjahr 2017 im Zeitraum vom 9. Jänner bis unselbständig in Österreich beschäftigt und mit einem Nebenwohnsitz wohnhaft. Bis zum war der Bf. an der Adresse AdresseWien1, mit Nebenwohnsitz gemeldet, wofür er nachgewiesenermaßen Miete in Höhe von brutto Euro 1.650,00 bzw. netto Euro 1.500,00 bezahlte. Ab dem war er an der Adresse AdresseWien2, mit Nebenwohnsitz gemeldet, wofür er keine Mietausgaben geltend machte und auch kein Nachweis erbracht wurde. Bei den Unterkünften an den Nebenwohnsitzen handelt es sich um Arbeiterquartiere. Der Hauptwohnsitz und zugleich Familienwohnsitz  des Bf. befindet sich in einem Einfamilienhaus, das er in Heimatland an der Adresse ausländHeimatadresse besitzt.

Die Ehefrau des Bf. blieb am Wohnsitz in Heimatland wohnhaft und bezog im Streitjahr 2017 keine Einkünfte. Sie stand in Heimatland in ärztlicher Behandlung zur Durchführung einer künstlichen Befruchtung. Infolge einer künstlichen Befruchtung wurde die Ehefrau des Bf. im Jahr 2017 schwanger und hat am Geb.tag 2018 entbunden.

Entgegen der Ansicht der belangten Behörde im Vorlagebericht ist die Durchführung der fortplanzungsmedizinischen (reproduktionsmedizinischen) Behandlung durch die vom Bf. beigebrachten und in der mit dem Vorlagebericht (Datei: Beilage Aws-Belege_22.01.2020.pdf") elektronisch übermittelten Belege vom , , ) nachgewiesen. Die kurzen, fremdsprachigen Leistungsbeschreibungen darauf sind mit kostenlosen Übersetzungsprogramme auf Internet-Seiten leicht auf Deutsch zu übersetzen und ihr Inhalt zu erkennen (2 x gefrorener Embryo 1 Jahr, Labordiagnose). Insofern ist die unterlassene Beibringung einer Übersetzung vom ausländischen ins Deutsche unproblematisch.

Hingegen ist hinsichtlich der auf fremdsprachig verfassten und vom Bf. als Reaktion auf den ihm zugekommenen Vorlagebericht nachgereichten Schriftstücke

  • vom , , und jeweils mit der Überschrift Ü1 (ärztliche Benachrichtigung laut Reisewörterbuch)

  • vom mit der Überschrift Ü2 (Schlussbereicht laut Reisewörterbuch)

das Fehlen einer Übersetzung ins Deutsche nur hinsichtlich der Überschriften unproblematisch. Wenn es - was hier aber nicht der Fall ist - auf den Inhalt ankäme, wäre natürlich eine Übersetzung ins Deutsche beizubringen. Es geht hier aber nicht um medizinische Details, welche diese Schriftstücke wahrscheinlich enthalten, sondern um den Nachweis der Durchführung der reproduktionsmedizinischen Behandlung an sich. Und der ist auch ohne diese Schriftstücke durch die o.a. Belege erfolgt.

Die Entfernung zwischen den beiden Wohnsitzen beträgt 237 km. Der Bf. ist in der Regel wöchentlich vom Nebenwohnsitz in Österreich zum Hauptwohnsitz in Heimatland und wieder zurückgefahren. An Kosten für die Familienheimfahrten mit dem Auto macht der Bf. Ausgaben in Höhe von Euro 1.836,00 und an Kosten für die doppelte Haushaltsführung Ausgaben in Höhe von Euro 1.500,00 geltend. Die Kosten sind nachgewiesen, wobei hinsichtlich der doppelten Haushaltsführung Euro 1.650,00 nachgewiesen sind.

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus den von der belangten Behörde mit der Beschwerde vorgelegten Akten, der Nachreichung sowie Abfragen über google.maps.

Gemäß § 16 Abs. 1 EStG 1988 sind Werbungskosten die Aufwendungen oder Ausgaben zur Erwerbung, Sicherung oder Erhaltung der Einnahmen. […] Werbungskosten sind bei der Einkunftsart abzuziehen, bei der sie erwachsen sind. […]

Werbungskosten sind gemäß § 16 Abs. 1 Z 6 EStG 1988 auch Ausgaben des Steuerpflichtigen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Für die Berücksichtigung dieser Aufwendungen gilt: […]

lit. d) Ist dem Arbeitnehmer die Benützung eines Massenbeförderungsmittels zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zumindest hinsichtlich der halben Entfernung nicht zumutbar, beträgt das Pendlerpauschale abweichend von lit. c:

Bei mindestens 2 km bis 20 km                    372 Euro jährlich,

bei mehr als 20 km bis 40 km                       1 476 Euro jährlich,

bei mehr als 40 km bis 60 km                       2 568 Euro jährlich,

bei mehr als 60 km                                        3 672 Euro jährlich.

Gemäß § 20 Abs. 1 EStG 1988 dürfen bei den einzelnen Einkünften unter anderem nicht abgezogen werden:

1. Die für den Haushalt des Steuerpflichtigen und für den Unterhalt seiner Familienangehörigen aufgewendeten Beträge.

2. a) Aufwendungen oder Ausgaben für die Lebensführung, selbst wenn sie die wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen mit sich bringt und sie zur Förderung des Berufes oder der Tätigkeit des Steuerpflichtigen erfolgen.

b) […]

c) […]

d) […]

e) Kosten der Fahrten zwischen Wohnsitz am Arbeits-(Tätigkeits-)ort und Familienwohnsitz (Familienheimfahrten), soweit sie den auf die Dauer der auswärtigen (Berufs-)Tätigkeit bezogenen höchsten in § 16 Abs. 1 Z 6 lit. d angeführten Betrag übersteigen.

Haushaltsaufwendungen oder Aufwendungen für die Lebensführung sind gemäß § 20 Abs.  1 EStG 1988 nicht abzugsfähig.

Unter bestimmten Voraussetzungen können jedoch Aufwendungen oder Ausgaben für die doppelte Haushaltsführung und Familienheimfahrten als Werbungskosten einkünftemindernd berücksichtigt werden.

Von einer doppelten Haushaltsführung wird gesprochen, wenn aus beruflichen Gründen zwei Wohnsitze geführt werden, und zwar einer am Familienwohnort (Familienwohnsitz) und einer am Beschäftigungsort (Berufswohnsitz). Als Familienwohnsitz gilt jener Ort, an dem ein verheirateter Steuerpflichtiger mit seinem Ehegatten (auch ohne Kind iSd § 106 Abs. 1 EStG 1988) einen gemeinsamen Hausstand unterhält, der den Mittelpunkt der Lebensinteressen dieser Personen bildet (vgl. mwN).

Unterschieden wird zwischen einer vorübergehenden und einer auf Dauer angelegten doppelten Haushaltsführung. Der wesentliche Unterschied zwischen einer vorübergehenden und einer auf Dauer angelegten doppelten Haushaltsführung liegt darin, dass von einer vorübergehenden doppelten Haushaltsführung dann gesprochen wird, wenn die nachgewiesene Absicht besteht, nach einem absehbaren Zeitraum der auswärtigen Berufsausübung wieder an den Ort des Familienwohnsitzes zurückzukehren, während eine auf Dauer angelegte doppelte Haushaltsführung zur steuerlichen Berücksichtigung erfordert, dass die Verlegung des Familienwohnsitzes hin zum Arbeitsort unzumutbar ist.

Für beide Arten der doppelten Haushaltsführung gilt allgemein, dass die Beibehaltung des Familienwohnsitzes aus der Sicht einer Erwerbstätigkeit, die in unüblicher Entfernung von diesem Wohnsitz ausgeübt wird, niemals durch die Erwerbstätigkeit, sondern immer durch Umstände veranlasst ist, die außerhalb dieser Erwerbstätigkeit liegen. Der Grund, warum Aufwendungen für die doppelte Haushaltsführung dennoch als Werbungskosten bei den aus der Erwerbstätigkeit erzielten Einkünften Berücksichtigung finden, liegt darin, dass derartige Aufwendungen so lange als durch die Erwerbstätigkeit veranlasst gelten, als dem Erwerbstätigen eine Wohnsitzverlegung in üblicher Entfernung vom Ort der Erwerbstätigkeit nicht zugemutet werden kann. Dies bedeutet aber nicht, dass zwischen den für eine solche Unzumutbarkeit sprechenden Gründen und der Erwerbstätigkeit ein ursächlicher Zusammenhang bestehen muss. Die Unzumutbarkeit kann ihre Ursachen sowohl in der privaten Lebensführung als auch in einer weiteren Erwerbstätigkeit des Steuerpflichtigen oder in einer Erwerbstätigkeit seines (Ehe)Partners haben (siehe sowie mit Hinweisen auf Vorjudikatur).

Eine Unzumutbarkeit der täglichen Rückkehr ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn der Familienwohnsitz vom Beschäftigungsort mehr als 80 Kilometer entfernt ist und die Fahrzeit mehr als eine Stunde beträgt (vgl. ). Im Streitfall ist der Familienwohnsitz des Bf. 237 km von seinem Beschäftigungsort entfernt, sodass ihm eine tägliche Rückkehr unbestritten nicht zugemutet werden kann.

Strittig ist, ob dem Bf. im Streitjahr 2017 die Verlegung des Familienwohnsitzes an den Beschäftigungsort zugemutet werden konnte.

Der Bf. führt betreffend die Unzumutbarkeit der Verlegung des Familienwohnsitzes im Wesentlichen zwei Gründe an. Zum einen sei die Ehefrau des Bf. im Jahr 2017 in medizinischer Behandlung zur Durchführung einer künstlichen Befruchtung und unter ärztlicher Aufsicht in Heimatland gestanden. Zum anderen wäre es dem Bf. und seiner Ehefrau nicht möglich gewesen – selbst bei Verkauf des Einfamilienhauses in Heimatland –, eine gleichwertige Alternativunterkunft in Österreich zu erwerben.

Nach einer gewissen Zeit, die nicht schematisch, sondern stets im Einzelfall zu beurteilen ist, ist es dem Steuerpflichtigen in aller Regel zumutbar, den Familienwohnsitz in den Nahebereich seiner Arbeitsstätte zu verlegen (vgl. ). Bei einem verheirateten Steuerpflichtigen nimmt die Verwaltungspraxis einen Zeitraum von zwei Jahren an. Spätestens nach Ablauf dieser Zeitspanne hat der Steuerpflichtige darzulegen, aus welchen Gründen der entfernt liegende Familienwohnsitz beibehalten wird.

Die Unzumutbarkeit der Verlegung des Familienwohnsitzes ist aus der Sicht des jeweiligen Streitjahres zu beurteilen, ohne Belang ist, ob die Verlegung des Familienwohnsitzes bereits früher zumutbar gewesen ist oder nicht (vgl. mwN).

Aus der Abfrage des Zentralen Melderegisters ist ersichtlich, dass der Bf. seit Anfang 2014 in Österreich mit Nebenwohnsitz gemeldet war. Der Bf. war während dieses Zeitraumes in Österreich nichtselbständig beschäftigt. Mit Beginn des Jahres 2017 ist die oben genannte Zweijahresfrist jedenfalls abgelaufen, sodass der Bf. darzulegen hatte, warum im Streitjahr 2017 eine Verlegung des Wohnsitzes nach Österreich nicht möglich war.

Es ist Sache des Steuerpflichtigen, der Abgabenbehörde die Gründe zu nennen, aus denen er die Verlegung des Familienwohnsitzes an den Ort der Beschäftigung als unzumutbar ansieht. Die Abgabenbehörde ist in einem solchen Fall nicht verhalten, nach dem Vorliegen auch noch anderer als der vom Steuerpflichtigen angegebenen Gründe für die behauptete Unzumutbarkeit zu suchen (vgl. mwN).

Zunächst verweist der Bf. im Zusammenhang mit der Unzumutbarkeit der Verlegung des Wohnsitzes nach Österreich darauf, dass sich seine Ehefrau in laufender ärztlicher Behandlung in Heimatland befunden und ihr Gesundheitszustand einen Umzug nicht zugelassen hat.

Die Beibehaltung des Familienwohnsitzes außerhalb des Beschäftigungsortes ist nicht privat veranlasst, wenn die Verlegung des Familienwohnsitzes an den Beschäftigungsort aus verschiedensten privaten Gründen, denen erhebliches Gewicht zukommt, nicht zugemutet werden kann.

Demnach ist zu prüfen, ob der vom Bf. ins Treffen geführte gesundheitliche Zustand seiner Ehefrau bzw. die im Heimatland durchgeführten medizinischen Behandlungen einen derart wichtigen privaten Grund darstellen, der die Beibehaltung des Familienwohnsitzes außerhalb des Beschäftigungsortes rechtfertigt.

Wie sich aus den vorgelegten Unterlagen ergibt, hat sich die Ehefrau des Bf. im Jahr 2017 einer medizinischen Behandlung zur Erfüllung des Kinderwunsches unterzogen. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde im Vorlagebericht ist dies nachgewiesen.

Die Durchführung einer künstlichen Befruchtung stellt einen medizinischen Eingriff dar, der über einen längeren Zeitraum erfolgt. Ein unerfüllter Kinderwunsch sowie die Notwendigkeit der Durchführung einer künstlichen Befruchtung stellt eine starke psychische Belastung bei einem Paar mit Kinderwunsch dar (siehe Stichwort „Künstliche Befruchtung“ Pschyrembel Online).

Es ist nachvollziehbar, dass der Bf. und seine Ehefrau während der laufenden Behandlung zur Durchführung der künstlichen Befruchtung eine Verlegung des Wohnsitzes nicht vornehmen wollten. Der Umzug nach Österreich hätte zu einer Unterbrechung der laufenden medizinischen Behandlung im gewohnten Umfeld geführt, wodurch eine erfolgreiche Befruchtung im Jahr 2017 wohl nicht möglich gewesen wäre. Das Ehepaar hätte neben der Suche nach einer Wohnmöglichkeit in Österreich überdies die Fortführung der medizinischen Behandlung in Österreich organisieren müssen, was zweifellos einen enormen Stress verursacht hätte. Der Stressfaktor, die Behandlungsunterbrechung sowie der Umstand, dass das vertraute ärztliche Umfeld verloren geht, hätte womöglich den Behandlungserfolg, der sich im Jahr 2017 letztlich eingestellt hat, zunichte gemacht. Das Eingehen eines solchen Risikos war nicht zumutbar. Dass ein solches Risiko bestand, ist unzweifelhaft. Es kommt daher nicht auf ein ärztliches Gutachten, wie hoch das dem Grunde nach bestehende Risiko im Einzelfall genau war. Insgesamt war es dem Paar demnach nicht zumutbar, die fortpflanzungsmedizinische Behandlung in Heimatland zu unterbrechen, um im Streitjahr 2017 nach Österreich umzuziehen.

Da bereits aus diesem Grund die Verlegung des Familienwohnsitzes an den Beschäftigungsort nicht zugemutet werden konnte, braucht auf den zweiten vorgebrachten Grund, wonach der Erwerb einer Alternativunterkunft in Österreich nicht möglich gewesen wäre, nicht eingegangen werden.

Bei einem ausländischen Familienwohnsitz gelten für die Frage der Anerkennung von Kosten der doppelten Haushaltsführung als Werbungskosten grundsätzlich dieselben Kriterien wie bei einem inländischen Familienwohnsitz.

Dem Bf. sind hinsichtlich der Unterkunftnahme in Österreich im Streitjahr 2017 nachgewiesene Kosten in Höhe von Euro 1.650,00 entstanden, die er unter dem Titel doppelte Haushaltsführung als Werbungskosten absetzen kann. (Bei einem Arbeitnehmer kann es keine abziehbare Vorsteuer geben, sodass nicht nur der Nettobetrag in Höhe von 1.500,00, sondern der Bruttobetrag absetzbar ist.)

Familienheimfahrten sind die Fahrten zwischen Berufs- und Familienwohnsitz, also zwischen zwei Wohnungen. Es liegt sohin ein Sachverhalt vor, der grundsätzlich in den Bereich der privaten Lebensführung zu verweisen wäre. Steuerlich absetzbar werden diese Kosten daher nur dann, wenn die Voraussetzungen einer beruflich veranlassten doppelten Haushaltsführung vorliegen, und nur insoweit, als den Steuerpflichtigen ein Mehraufwand trifft und die durch § 20 Abs. 1 Z 2 lit. e EStG 1988 gesetzte Begrenzung mit dem höchsten Pendlerpauschale nicht überschritten wird. Als Fahrtkosten sind jene Aufwendungen abzusetzen, die durch das tatsächlich benutzte Verkehrsmittel anfallen (Bahnkarte, Kfz-Kosten, Flugkosten). Die Kosten sind vom Steuerpflichtigen nachzuweisen; aus der Tatsache, dass tatsächlich Familienheimfahrten stattgefunden haben, kann noch kein konkreter Werbungskostenabzug abgeleitet werden (vgl. ).

Über die anzuerkennende Häufigkeit der Familienheimfahrten bestehen keine gesetzlichen Regelungen (siehe ), weshalb die anzuerkennende Anzahl der Familienheimfahrten im Einzelfall zu prüfen ist, wobei insbesondere die Distanz zwischen den beiden Wohnsitzen und die familiären Verhältnisse zu berücksichtigen sein werden (vgl. ). Bei einem verheirateten Steuerpflichtigen sind grundsätzlich die Kosten von wöchentlichen Familienheimfahrten zu berücksichtigen (siehe ).

Aus der vorgelegten Aufstellung ist ersichtlich, dass der Bf. im Streitjahr 2017 wöchentlich – abgesehen von urlaubsbedingten Unterbrechungen – zwischen seinem Berufswohnsitz in Österreich und dem Familienwohnsitz in Heimatland gependelt ist. Die jeweilige Wegstrecke hat nach Überprüfung via google.maps 237 km betragen. Der Bf. legte die Wegstrecke mit dem Auto zurück, wofür er entsprechende Tankrechnungen vorlegte.

Da aus den oben dargelegten Gründen die Aufwendungen des Bf. hinsichtlich der doppelten Haushaltsführung im Streitjahr 2017 als Werbungskosten anzuerkennen sind, sind die Kosten für die Fahrten zwischen Beschäftigungs- und Familienwohnsitz ebenfalls als Werbungskosten zu berücksichtigen. Die vom Bf. geltend gemachten und nachgewiesenen Fahrtkosten für die Familienheimfahrten betragen Euro 1.836,00. Der gemäß § 16 Abs. 1 Z 6 lit. d EStG 1988 höchstmögliche Betrag von Euro 3.672,00 wird damit nicht überschritten, weshalb Euro 1.836,00 als Aufwendungen für Familienheimfahrten im Streitjahr 2017 anzuerkennen sind.

Die auf dem beiliegenden Berechnungsblatt in einem ausgewiesenen Werbungkosten in Höhe von Euro 3.526,00 resultieren aus folgender Addition: 40,00 (Arbeitsmittel) + 1.650,00 (doppelte Haushaltsführung) + 1.836,00 (Familienheimfahrten) = Euro 3.526,00.

Weitere Erläuterungen zum Berechnungsblatt: Der für außergewöhnliche Belastungen maßgebliche Selbstbehalt sinkt durch die Stattgabe von Euro 2.006,71 (laut Bescheidbegründung) auf Euro 1.701,25. Dies ist aber immer noch höher als die geltend gemachten außergewöhnlichen Belastungen in Höhe von Euro 206,60, welche sich daher auch jetzt nicht auswirken. Die Festsetzung der Einkommensteuer mit einem Negativbetrag bedeutet aus Sicht des Steuerpflichtigen eine Gutschrift (in Höhe des Absolutbetrages des Negativbetrages), welche an die Stelle der Gutschrift im angefochtenen Bescheid tritt (und nicht etwa zu dieser addiert wird).

Aus den dargelegten Gründen war spruchgemäß zu entscheiden.

C) Zulässigkeit einer Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG i.V.m. § 25a Abs. 1 VwGG zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Das Bundesfinanzgericht hat die verfahrensgegenständlichen Rechtsfragen unter Berücksichtigung der angeführten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes gelöst. Da konkret zur Frage, ob die Durchführung einer künstlichen Befruchtung am Familienwohnsitz einen Umzug an den Beschäftigungswohnsitz unzumutbar macht, keine Rechtsprechung besteht, liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor. Die ordentliche Revision war daher wie im Spruch ersichtlich zuzulassen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.7100465.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at