Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 27.04.2020, RV/7103250/2019

Fehlende Begründung einer Wiederaufnahme durch Verweis auf Betriebsprüfungsbericht, wenn dort auf die Wiederaufnahme nicht eingegangen wird; Gegenstandsloserklärung der Beschwerde hinsichtlich ESt-Bescheid

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Ri. in der Beschwerdesache Bf., Adr._Bf., vertreten durch ARTUS Steuerberatung GmbH & Co KG, Wassergasse 3, 2500 Baden, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide der belangten Behörde Finanzamt Baden Mödling vom , betreffend Wiederaufnahme Einkommensteuer 2016 und Einkommensteuer 2016 

I. zu Recht erkannt:

Der Beschwerde gegen den Bescheid betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer 2016 wird gemäß § 279 Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird ersatzlos aufgehoben.

II. beschlossen:

Der Einkommensteuerbescheid 2016 scheidet aus dem Rechtsbestand aus. Die Beschwerde gegen diesen Bescheid wird daher gemäß § 261 Abs. 2 BAO iVm § 278 Abs. 1 BAO als gegenstandslos erklärt.

III. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

1. Sachverhalt

Die Beschwerdeführerin Bf., vormals Bf. (in der Folge „Bf.“), betrieb bis einen Handelsbetrieb.

Mit Vereinbarung vom veräußerte die Bf. die komplette Kundendatenbank betreffend Verkauf, Reparatur und Service von Elektromobilen gegen Erhalt von Provisionen an die Firma XY (Inhaberin Inhaberin_XY).

Im Dezember 2007 erfolgte auf Basis der Vereinbarung eine Provisionsabrechnung zwischen der Bf. und Frau Inhaberin_XY. Im Jahr 2008 sowie im Zeitraum Jänner bis Juni 2009 erfolgten weitere Provisionsabrechnungen und -zahlungen. Im Zeitraum Juli 2009 bis Dezember 2010 erfolgten keine Provisionsabrechnungen und -zahlungen.

Die Bf. ermittelte ihren Gewinn im Jahr 2007 gemäß § 4 Abs. 1 EStG. In den Jahren 2008 und 2009 wurde die Bf. von der belangten Behörde geschätzt. Im Jahr 2008 schätzte die belangte Behörde Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 4.600 Euro (Erstbescheid vom ). Im Jahr 2009 schätzte die belangte Behörde Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 0 Euro (Erstbescheid vom ).

Am meldete die Bf. die Betriebsaufgabe.

Die Bf. erhob am Klage auf Pönalzahlung gemäß der Vereinbarung vom . Der Bf. wurde nach Zurückweisung der ao Revision des OGH rechtskräftig eine Pönalezahlung zugestanden. Der Bf. floss am eine Zahlung in Höhe von 10.000 Euro, am eine Zahlung in Höhe von 63.945 Euro zu.

Die belangte Behörde nahm das Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer 2016 gemäß § 303 BAO nach Durchführung einer Betriebsprüfung mit Bescheid vom wieder auf. Begründend führt die belangte Behörde aus:

" Die Wiederaufnahme des Verfahrens erfolgte gem. § 303 (1) BAO aufgrund der Feststellungen der abgabenbehördlichen Prüfung, die der darüber aufgenommenen Niederschrift bzw. dem Prüfungsbericht zu entnehmen sind. Daraus ist auch die Begründung für die Abweichungen vom bisherigen im Spruch bezeichneten Bescheid zu ersehen. Die Wiederaufnahme wurde unter Abwägung von Billigkeits- und Zweckmäßigkeitsgründen (§ 20 BAO) verfügt. Im vorliegenden Fall überwiegt das Interesse an der Rechtsrichtigkeit das Interesse auf Rechtsbeständigkeit. Die steuerlichen Auswirkungen können auch nicht als bloß geringfügig angesehen werden."

Weder in der Niederschrift noch im Prüfungsbericht wird die Wiederaufnahme erwähnt. Ein Wiederaufnahmegrund ist nicht vorhanden.

2. Beweiswürdigung

Die Sachverhaltsfeststellungen entsprechen dem von der Behörde festgestellten Sachverhalt und ergeben sich aus dem Verwaltungsakt. Zudem ergibt sich der Sachverhalt aus folgender Beweiswürdigung:

Dass aus der Niederschrift über die Schlussbesprechung und dem Prüfungsbericht nicht ersichtlich ist, auf welche Wiederaufnahmegründe die belangte Behörde ihre Wiederaufnahme des Verfahrens stützt, ergibt sich aus dem aktenkundigen Bericht über die Außenprüfung vom sowie aus der aktenkundigen Niederschrift über die Schlussbesprechung vom . Ebenso wird dies durch die belangte Behörde mit E-Mail vom , das zum Akt genommen wurde, bestätigt. Die Stellungnahme der belangten Behörde wurde der Bf. am mit E-Mail zur Kenntnis gebracht. Die steuerliche Vertretung der Bf. sah von einer Stellungnahme ab.

Für das Bundesfinanzgericht ergibt sich daher abschließend, dass weder im Bericht über die Außenprüfung, noch in der Niederschrift über die Schlussbesprechung über die Wiederaufnahme abgesprochen wird.

3. Erwägungen

   3.1. Zu Spruchpunkt I: Stattgabe

§ 303 Abs. 1 BAO normiert:

§ 303. (1) Ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren kann auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn                    

a) der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist, oder

b) Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, oder

c) der Bescheid von Vorfragen (§ 116) abhängig war und nachträglich über die Vorfrage von der Verwaltungsbehörde bzw. dem Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden worden ist,

und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Die belangte Behörde verweist zur Begründung der Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer 2016 auf den Außenprüfungsbericht bzw. die Niederschrift über die Schlussbesprechung. Grundsätzlich hat der Spruch eines die Wiederaufnahme verfügenden Bescheides den maßgeblichen Wiederaufnahmetatbestand anzuführen. Ist dies nicht der Fall, kann die Begründung des Bescheides als Auslegungsbehelf herangezogen werden (vgl. ; ; ).

Zur Klarstellung, ob eine amtswegige Wiederaufnahme dem Gesetz gemäß verfügt worden ist, hat die Behörde die zeitliche Abfolge des Bekanntwerdens der maßgebenden Tatsachen und Beweismittel zu erheben und in der Begründung ihres Bescheides kontrollierbar darzustellen (vgl. ). Die formularmäßige Begründung der Ermessensübung im Außenprüfungsbericht ist grundsätzlich ausreichend (vgl. ).

Ein im Wiederaufnahmebescheid enthaltener Verweis auf die Ausführungen in einem Außenprüfungsbericht ist rechtlich zulässig, wenn aus diesem Bericht die Wiederaufnahmegründe hervorgehen (vgl. ; ).

In den diesbezüglichen Textziffern des Außenprüfungsberichts müssen jedoch Umstände dargetan werden, die als Wiederaufnahmegrund geeignet sind (vgl. ). Wird in jener Textziffer des Außenprüfungsberichts, der Ausführungen zu den Feststellungen enthält, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens erforderlich machen, auf eine Textziffer im Außenprüfungsbericht verweisen, die keine Darlegung von neu hervorgekommenen Tatsachen oder Beweismitteln enthält, ist die Wiederaufnahme des Verfahrens nicht ordnungsgemäß begründet und somit rechtswidrig (vgl. ; ; -G/07; ).

Im gegenständlichen Fall enthält der Außenprüfungsbericht zwei Textziffern: Tz 1 behandelt Einkünfte gemäß § 32 EStG; Tz 2 Einkünfte aus Kapitalvermögen. Eine Textziffer, die sich mit der Wiederaufnahme beschäftigt, ist nicht vorhanden. Der Außenprüfungsbericht enthält weder die herangezogenen Wiederaufnahmegründe noch einen Verweis auf Textziffern im Bericht, die die Wiederaufnahmegründe enthalten. Das Wort "Wiederaufnahme" kommt kein einziges Mal in diesem Bericht vor. Ebenso finden sich keine Aussagen über die Wiederaufnahme des Verfahrens in der Niederschrift über die Schlussbesprechung anlässlich der Außenprüfung.

Liegt der vom Finanzamt angenommene Wiederaufnahmsgrund nicht vor (oder hat dieses die Wiederaufnahme tatsächlich auf keinen Wiederaufnahmegrund gestützt), ist im Rechtsmittelverfahren der angefochtenen Wiederaufnahmebescheid des Finanzamtes ersatzlos aufzuheben (vgl. ; ; ). Dass im Rahmen des Vorlageberichts nunmehr von der belangten Behörde Wiederaufnahmsgründe vorgebracht werden, ändert an diesem Ergebnis nichts.

Da die belangte Behörde die Wiederaufnahme auf keinen Wiederaufnahmegrund gestützt hat, wird der Beschwerde hinsichtlich Wiederaufnahme Einkommensteuer 2016 stattgegeben und der Wiederaufnahmebescheid ersatzlos aufgehoben.

   3.2. Zu Spruchpunkt II: Gegenstandsloserklärung

Die Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid 2016 ist vor dem Hintergrund der der Beschwerde über die Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer 2016 stattgebenden Entscheidung gemäß § 261 Abs. 2 BAO mit Beschluss als gegenstandslos zu erklären. Ein weiteres Eingehen auf das diesbezügliche Beschwerdevorbringen erübrigt sich somit.

   3.3. Zu Spruchpunkt III: Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 2 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Gegen ein Erkenntnis bzw. einen Beschluss des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Hinsichtlich jenes Teils der Entscheidung mit dem über die Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer 2016 abgesprochen wird (Spruchpunkt I.), liegt keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vor. Das Bundesfinanzgericht folgt der ständigen Rechtsprechung des VwGH (vgl. ; ; ).

Hinsichtlich jenes Teiles der Entscheidung mit dem die Gegenstandsloserklärung ausgesprochen wird (Spruchpunkt II.), ist die Revision ebenfalls unzulässig, da eine klare Rechtslage vorliegt, die keine Auslegungsschwierigkeiten bereitet. Die Rechtsfolge der Gegenstandsloserklärung ergibt sich bereits unmittelbar aus dem Gesetz (§ 261 Abs. 2 BAO).

Die Revision ist daher unzulässig.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 303 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 303 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 261 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.7103250.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at