Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 24.04.2020, RV/7104201/2019

Familienbeihilfe - Schwester kein Kind iSd FLAG

Beachte

Revision beim VwGH anhängig zur Zahl Ra 2020/16/0119. Zurückweisung mit Beschluss vom .

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R. über die Beschwerde der Bf., Wien, vertreten durch RA Dr. Alois Eichinger, Rochusgasse 2, 1030 Wien, vom , gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 2/20/21/22 vom , betreffend Abweisung des Antrages auf erhöhte Familienbeihilfe ab September 2012, zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin (Bf) ist die Schwester von K., geb. 1967. Die Bf wurde mit Beschluss des BG Donaustadt vom zu 123, gemäß § 268 Abs 3 Z 2 ABGB zur Sachwalterin für ihre Schwester bestellt.

Der Bestellungsumfang umfasst

- Vertretung vor Gerichten, Behörden, Sozialversicherungsträgern und privaten Vertragspartnern;
- Verwaltung von Einkünften, Vermögen und Verbindlichkeiten;
- Vertretung bei Rechtsgeschäften, die über Geschäfte des täglichen Lebens hinausgehen;
- Vertretung bei medizinischen Heilbehandlungen;
- Aufenthaltsbestimmung.

Die Bf stellte unter Verwendung des Formulares Beih 1 im eigenen Namen am einen Antrag auf erhöhte Familienbeihilfe rückwirkend ab Jänner 2012 für ihre Schwester.

Das Finanzamt (FA) wies den Antrag mit Bescheid vom unter Verweis auf die maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen (§ 6 Abs 2 lit d Familienlastenausgleichsgesetz 1967, idF: FLAG 1967) mit folgender Begründung ab:

"Gemäß § 6 Abs. 2 lit. d Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) in der bis gültigen Fassung haben volljährige Vollwaisen und ihnen gleichgestellte Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, Anspruch auf Familienbeihilfe.

Gemäß § 6 Abs. 2 lit. d Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) in der ab gültigen Fassung haben volljährige Vollwaisen und ihnen gleichgestellte Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, Anspruch auf Familienbeihilfe.

Da laut amtsärztlichen Sachverständigengutachten vom die Erwerbsunfähigkeit nach Vollendung Ihres 21.Lebensjahres eingetreten ist, besteht ab dem Monat Februar 2011 kein Anspruch auf Familienbeihilfe und erhöhte Familienbeihilfe."

Die Bf erhob gegen den Abweisungsbescheid mit Schreiben vom Beschwerde und brachte vor, dass die Behinderung ihrer Schwester bereits vor dem 21. Lebensjahr bestanden habe. Beweis: Befund Dr. A..

Mit Bescheid gemäß § 299 BAO vom hob das FA den Bescheid vom auf und wies in der Folge die Eingabe der Bf vom betreffend Antrag auf Familienbeihilfe und Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung für die Monate Jänner 2012 bis August 2012 unter Verweis auf die Bestimmungen des § 10 FLAG, wonach die Gewährung von (erhöhter) Familienbeihilfe nur im Höchstausmaß von rückwirkend fünf Jahren ab Antragstellung bzw. ab dem Monat, ab dem das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) den Grad der Behinderung festgestellt hat, möglich ist, zurück.

Weiters wies das FA den Antrag der Bf auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe rückwirkend ab September 2012 mit Bescheid vom mit der Begründung ab, dass unter "Kinder einer Person" im Sinne des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 (FLAG 1967) deren Nachkommen, deren Wahlkinder und deren Nachkommen, deren Stiefkinder, deren Pflegekinder (§§ 186 und 186a des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches) zu verstehen sind. Da K. kein Kind im Sinne des § 2 Abs 3 FLAG 1967 sei, bestehe ab dem Monat September 2012 kein Anspruch auf Familienbeihilfe und auf den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung.

Der Rechtsanwalt der Bf erhob für die Bf gegen den Bescheid vom mit Schreiben vom mit folgender Begründung Beschwerde:

Die Bf sei mit Beschluss des BG Donaustadt vom zu 123 zur Sachwalterin für ihre Schwester K., geb. 1967, bestellt worden. In diversen gerichtlichen Vorverfahren sei der Gesundheits- bzw. Geisteszustand der Betroffenen beurteilt worden. So habe die SV Dr. M. in einem nervenfachärztlichen SV Gutachten vom im Verfahren vor dem ASG Wien zu 9999, im Ergebnis ausgeführt, dass der Gesundheits- und Geisteszustand auf eine Meningitiserkrankung in der Kindheit zurückzuführen sei. Der psychomentale Entwicklungsrückstand wäre auf dem Niveau eines Kindes. Es sei für die Betroffene Pflegegeld der Stufe 3 bewilligt worden. Sie habe sich bereits als Minderjährige in der Türkei in medizinischer Behandlung befunden. Herr Prim. Dr. S. habe in einem Verfahren vor dem ASG Wien, 0000, in dem über einen Kinderzuschuss zu entscheiden gewesen sei, ein neurologisch- psychiatrisches SV Gutachten im Mai 2010 erstattet. Er habe ausgeführt, dass bei Frau K. eine retardierte Entwicklung im Kindesalter vorgelegen sei. Infolge einer Meningoencephalitis wäre es in weiterer Folge auch zu epileptischen Anfällen gekommen. Sie habe nur zwei Klassen Schule besucht und sei Analphabetin. Sie sei in Wien seitens des Psychosozialen Dienstes unter der Diagnose "Schizophrenie" wegen Verhaltensstöungen neuroleptisch behandelt worden. Die Betroffene hätte die maßgebliche psychische Störung bereits in das Erwerbsleben eingebracht und sie sei bereits vor dem 18. Lebensjahr nicht in der Lage gewesen, ohne Entgegenkommen einer verwertbaren Arbeit am allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen.

Beweis: Akt 0000 des ASG Wien, angeschlossenes neurologischpsychiatrisches SV Gutachten in Fotokopie, ihre Einvernahme.

Gemäß § 6 Abs 2 lit d FLAG 1967 in der ab gültigen Fassung hätten volljährige Vollwaisen und ihnen gleichgestellte Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsaubildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetretenen köperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außer Stande seien, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, Anspruch auf Familienbeihilfe.

Die Voraussetzungen dieser Gesetzesstelle seien aufgrund des Geisteszustandes der Betroffenen, der vor dem 18. bzw. 21. Lebensjahr eingetreten sei, gegeben. Es handle sich im Ergebnis auch um ein dem volljährigen Vollwaisen gleichgestelltes Kind, für welches von niemandem sonst Familienbeihilfe bezogen werde.

Nach § 6 Abs 5 FLAG 1967 hätten Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten würden und die sich nicht auf Kosten der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befänden, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe habe.

Es wäre daher für die betroffene K. aufgrund ihres Antrages vom die Familienbeihilfe und erhöhte Familienbeihilfe zu gewähren gewesen, da alle Voraussetzungen dafür vorgelegen seien.

Es werde daher der Antrag gestellt,

1) den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, dass für K. die Familienbeihilfe und die erhöhte Familienbeihilfe ab September 2017 gewährt werde,

2) in eventu die angefochtene Entscheidung aufzuheben und dem Finanzamt Wien 2/20/21/22 die Verfahrensergänzung und neuerliche Entscheidung aufzutragen.

Der Beschwerde war ein Gutachten von Dr. S., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger, Institut für forensische Neuropsychiatrie, Wien, vom beigelegt.

Der Sachverständige wurde in der Sozialrechtssache vom Arbeits- und Sozialgericht Wien beauftragt, Befund und Gutachten darüber zu erstatten, über die Leiden von K. und die sich daraus ergebenden Einschränkungen ihrer Fähigkeit zur Ausübung einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit zu erstatten (Klagende Partei: AM, beklagte Partei: Pensionsversicherungsanstalt). Laut Gutachten war für den Fall der Feststellung von Einschränkungen auch festzustellen, seit wann diese Einschränkungen bestehen, insbesondere ob jemals eine Erwerbsfähigkeit bestand.

Das Gutachten lautet wie folgt:

"Beurteilungsgrundlagen

1. Akt:

Eingesehen wurden der Akt sowie der dem Akt beiliegende Anstaltsakt. Mit angefochtenem Bescheid vom wurde der Antrag auf Gewährung von Kinderzuschuss von der Beklagten abgelehnt. In der dagegen eingebrachten Klage wurde ausgeführt, dass die Tochter des Klägers aufgrund einer chronischen Schizophrenie erwerbsunfähig wäre.

2. Medizinische Vorgeschichte anhand von Anknüpfungstatsachen/Befunden;

Befund Drs. A., Facharzt für Geistesheilkunde und -krankheiten, vom betreffend K.:

Vorgeschichte: Sie wäre in ihrer Kindheit ein verschlossenes Kind gewesen. Im Alter von 2 Jahren Meningitis. Im Alter von 15-16 Jahren Zunahme von Problemen. Habe begonnen, Dinge zu zerstören, ohne das Wissen ihrer Eltern das Haus zu verlassen.

In der Familienanamnese keine Hinweise für Geisteskrankheiten. Die psychiatrische Untersuchung erbrachte eine Schlafstörung, eine Hör- und Sehstörung, Halluzinationen, sozialen Rückzug, Introvertiertheit sowie eine Störung des Gedankenflusses.

Diagnose: Schizophrenie. Eine medikamentöse Behandlung mit Norodol 10 mg 2x1 wurde empfohlen.

Laut offensichtlicher Karteikarte des Zentrums für Geistesheilkunde und -krankheiten Drs. A. war die Klägerin ab September 1985 bis in psychiatrischer Behandlung.

Übersetzungsbericht einer Ärztekommission betreffend K. vom :

Diagnose: chronische Psychose

K. wurde am in der Polyklinik des KH für Seelenheilkunde Manisa untersucht und bewertet. Zuvor wäre sie vom 19.6. bis in stationärer Behandlung gestanden. Die behandelnden Fachärzte kamen zur Ansicht, dass sie nicht arbeiten könne und die Arbeitsleistungsfähigkeit total verloren habe.

Aussagen der Zeugin FH, Schwester K. vom liegt dem Akt bei. Auf eine detaillierte Wiedergabe darf an dieser Stelle verzichtet werden.

Schreiben des sozialpsychiatrischen Ambulatorium Donaustadt vom :

Demnach steht Frau K. seit in Betreuung mit der Diagnose einer paranoiden Schizophrenie. Außenanamnestisch ist eruierbar, dass sie in ihrer Jugend an Schizophrenie erkrankte, nach Besuch der Grundschule nie erwerbstätig war und von ihrer Mutter betreut wurde. Als diese starb, brachte der in Wien lebende Vater seine Tochter aus der Türkei nach Österreich und in Behandlung des PSD. Die Behandlung erfolgt neuroleptisch und antidepressiv.

Neurologisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten Drs. E. vom samt Ergänzungsgutachten:

Sie stellte einen altersentsprechenden organneurologischen Befund fest. Auf psychischem Gebiet findet sich ein autistisches Zustandsbild. In ihrer Zusammenfassung kommt die Sachverständige zu der Ansicht, dass K. im 23. Lebensjahr (1989) an Schizophrenie erkrankte, welche chronisch fortschritt und eine Besserung nicht erwarten lässt. Erwerbsfähigkeit kann angenommen werden vom Schulabschluss bis zu Beginn der Erkrankung im 23. Lebensjahr.

3. Vorgeschichte:

Die Klägerin wird mit dem Gegenstand der Untersuchung und Befragung auseinandergesetzt und stimmt dieser zu.

Exploration mit dem Kläger:

Seine Tochter K. wurde am 1967 geboren. Zur Entwicklung befragt, führt er aus, dass seine Tochter ab dem 3. Lebensjahr angefangen habe zu sprechen, dies jedoch "nicht normal". Im Verlauf des 4. Lebensjahres habe sie das Gehen erlernt.

Im 2. Lebensjahr wäe es zu einer Maserninfektion gekommen. Im 10. Lebensjahr wäre sie an einer Gehirnhautentzündung erkrankt. Wegen epileptischer Anfälle wäre sie auch antiepileptisch behandelt worden. Sie wäre als Kind unruhig und sehr lebendig gewesen. Nach dem Tod ihrer Mutter wäre sie nach Österreich gekommen. Sie habe zwei Klassen Volksschule besucht, könne aber nicht lesen und schreiben. Ein Beruf wäre nie ausgeübt worden. Wegen epileptischer Anfalle wäre sie im Kaiser Franz-Josef Spital in Behandlung gestanden, aufgrund der psychischen Störung beim PSD. Durch die Medikamente ginge es ihr besser, sie wäre weniger aggressiv.

Unter dem Punkt "Beurteilung" wurde im neurologisch-psychiatrischen Sachverständigengutachten Folgendes festgehalten:

"Aufgrund der Aktenlage der vorliegenden Anknüpfungstatsachen und einer ausführlichen Exploration mit dem Kläger sowie Verhaltensbeobachtung bei K. ergeben sich folgende gutachterlichen Feststellungen:

Bei der am 1967 geborene K. findet sich eine retardierte Entwicklung im Kindesalter. So habe sie verspätet sprechen und gehen erlernt. Infolge einer Meningoencephalitis wäre es in weiterer Folge auch zu epileptischen Anfällen gekommen, die zumindest vorübergehend antikonvulsiv behandelt wurden.

Sie hat nur zwei Klassen Schule besucht und ist Analphabetin. Zu einer Berufsausübung wäre es nie gekommen. Nach dem Tod ihrer Mutter wäre sie zu ihrem Vater nach Wien übersiedelt, wo sie seitens des PSD unter der Diagnose einer Schizophrenie wegen Verhaltensstörungen neuroleptisch behandelt wurde.

Diagnostisch besteht (/bestehen):

Offensichtlicher Entwicklungsrückstand im seelischen und geistigen Bereich mit intellektueller Minderbegabung und Störung des Sozialverhaltens. Möglicherweise darauf aufgepfropft ist es zu einer chronischen wahnhaften Störung bzw. zu einer Störung aus dem schizophrenen Formenkreis gekommen.

Ohne die Möglichkeiten einer ausführlichen Exploration ist jedoch diese Diagnose nicht zu bestätigen, aber auch nicht zu verwerfen.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass unter der Zusammenschau aller lebensgeschichtlichen und medizinischen Angaben davon ausgegangen werden muss, dass bei der Klägerin eine maßgebliche psychische Störung bereits in das Erwerbsleben eingebracht wurde und sie vor dem 18. Lebensjahr bereits nicht in der Lage war, ohne Entgegenkommen einer verwertbaren Arbeit am allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen."


Das FA wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom ab und führte nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und nach Anführung der Beschwerdeeinwendungen Folgendes zur Begründung aus:

"Gemäß § 2 Abs. 1 lit. c Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) in der ab gültigen Fassung besteht Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres (bis vor Vollendung des 27.Lebensjahres), eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Gemäß § 8 Abs. 4 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes erheblich behinderte Kind. Voraussetzung für den Erhöhungsbetrag ist, dass der Grundbetrag an Familienbeihilfe zusteht.

Gemäß § 8 Abs. 5 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) in der derzeit gültigen Fassung gilt ein Kind als erheblich behindert, bei dem nicht nur eine vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50% betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit ist nach der geltenden Rechtslage § 8 Abs. 6 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 in der Fassung BGBl Nr. 105/2002 durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

Bei der Einschätzung des Grades der Behinderung wird die Verordnung über die Richtsätze für die Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Einschätzungsverordnung, BGBl. II Nr. 261/2010) angewendet.

Ein Anspruch auf Familienbeihilfe gemäß § 2 Abs. 1 lit. c Familienbeihilfengesetz 1967 wäre unter den vorgesehenen Anspruchsvoraussetzungen dann gegeben, wenn bei Ihrer volljährigen Schwester K. im Sinne des § 8 Abs. 5 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 ihr Unvermögen sich den Unterhalt selbst zu verschaffen vor Vollendung seines 21.Lebensjahres festgestellt worden wäre.

Tritt keine Erwerbsunfähigkeit vor Vollendung des 21. Lebensjahres ein, besteht weder Anspruch auf Familienbeihilfe, noch auf den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblichen Behinderung.

Laut amtsärztlichen Sachverständigengutachten vom wurde der Behinderungsgrad von K. im Ausmaß von 80 v.H. und das Unvermögen sich den Unterhalt selbst zu verschaffen ab dem Monat Juni 2008, also nach Vollendung Ihres 21. Lebensjahres, festgestellt.

Gemäß § 2 Abs. 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 hat Anspruch auf Familienbeihilfe für ein im Abs. 1 genanntes Kind die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.

(3) Im Sinne dieses Abschnittes sind Kinder einer Person

a) deren Nachkommen, b) deren Wahlkinder und deren Nachkommen,
c) deren Stiefkinder,
d) deren Pflegekinder (§§ 186 und 186a des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches).

Ihr in der Beschwerde angeführtes Argument, wonach K. gemäß § 6 Abs. 5 Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 Anspruch auf Familienbeihilfe und auf den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung begründet, und sie aufgrund Ihres Antrages vom die Familienbeihilfe und der Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe zu gewähren gewesen wäre, ist hiebei unerheblich, da bei K. die dauernde Erwerbsunfähigkeit nach Vollendung Ihres 21. Lebensjahres festgestellt wurde und Sie als Sachwalterin für K. gemäß § 2 Abs. 3 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 keinen Anspruch auf Familienbeihilfe und auf den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung begründen.

Infolgedessen bestand die Abweisung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung für K. ab dem Monat September 2012 zu Recht.

Ihrem Beschwerdebegehren konnte daher nicht entsprochen werden."

Der rechtsfreundliche Vertreter stellte für die Bf als Sachwalterin ihrer Schwester am einen Vorlageantrag an das Bundesfinanzgericht und führte begründend aus, dass in der Beschwerdevorentscheidung neuerlich damit argumentiert worden sei, dass die Erwerbsunfähigkeit von K. erst nach Vollendung des 21. Lebensjahres entstanden sein soll, die Abweisung der Ansprüche ab dem Monat September 2012 daher zu Recht erfolgt sein solle.

In der Beschwerde sei auf zwei Akte des ASG Wien und den Pflegschaftsakt des BG Donaustadt Bezug genommen worden. Es seien in diesen Verfahren diverse Gutachten zum Gesundheits- bzw. Geisteszustand der betroffenen K. eingeholt worden. Insbesondere sei laut Ergebnis der Gutachten der Gesundheits- und Geisteszustand auf eine Meningitiserkrankung in der Kindheit zurückzuführen, die Erkrankung sohin bereits weit vor Erreichung des 21. Lebensjahres gegeben gewesen. Der Behinderungsgrad und das Unvermögen, sich den Unterhalt selbst zu verschaffen, sei bereits weit vor Vollendung des 21. Lebensjahres gegeben gewesen.

Die Behörde sei verpflichtet, den für die Beurteilung erforderlichen Sachverhalt umfassend zu erheben. Bei Einsichtnahme in die genannten Akte und in die eingeholten SV Gutachten hätte die Behörde zur Auffassung kommen müssen, dass K. bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres nicht in der Lage war, sich den notwendigen Unterhalt selbst zu verschaffen.

Bei richtiger Würdigung des Sachverhaltes hätte daher in Stattgebung der Beschwerde der angefochtene Bescheid abgeändert werden müssen.

Es werde daher der Antrag gestellt,

1) das Bundesfinanzgericht möge den angefochtenen Bescheid dahingehend abändern, dass für K. die Familienbeihilfe und die erhöhte Familienbeihilfe ab September 2012 gewährt wird,

2) in eventu die angefochtene Entscheidung aufzuheben und dem Finanzamt Wien 2/20/21/22 die Verfahrensergänzung und neuerliche Entscheidung aufzutragen.

Das FA legte mit Vorlagebericht vom die Beschwerde dem BFG zur Entscheidung vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

Über die Beschwerde wurde erwogen

Sachverhalt:

Die Bf, Bf., geb. 1968, ist die Schwester von K., geb. 1967.

Die Bf wurde mit Beschluss des BG Donaustadt vom , 123, zur Sachwalterin für ihre Schwester bestellt und stellte im eigenen Namen als anspruchsberechtigte, antragstellende Person für diese als "Kind", und zwar als "Pflegekind" am einen Antrag auf Familienbeihilfe und erhöhte Familienbeihilfe rückwirkend ab September 2012.

K. lebt mit der Bf im selben Haushalt und wird von ihr gepflegt.

K. wurde im amtsärztlichen Sachverständigengutachten vom eine 80%ige Erwerbsminderung ab Juni 2008 und eine Erwerbsunfähigkeit bescheinigt.

Der Eintritt der Erwerbsunfähigkeit wurde erst nach dem 21. Lebensjahr bescheinigt.

Beweiswürdigung:

Die persönlichen Daten sind unstrittig.

Der Beschluss des BG Donaustadt wurde vorgelegt.

Die Anträge auf Familienbeihilfe und erhöhte Familienbeihilfe sind aktenkundig.

Die Daten des ärztlichen Sachverständigengutachtens sind unstrittig.

Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 2 Abs 1 lit c FLAG 1967 haben bestimmte Personen Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außer Stande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

§ 2 Abs 3 FLAG 1967 in der seit unveränderten Fassung lautet:

Im Sinne dieses Abschnittes sind Kinder einer Person

a) deren Nachkommen,
b) deren Wahlkinder und deren Nachkommen,
c) deren Stiefkinder,
d) deren Pflegekinder (§§ 186 und 186a des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches).

Gemäß § 6 Abs 2 lit d FLAG 1967 in der bis gültigen Fassung haben volljährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und sich in keiner Anstaltspflege befinden.

Gemäß § 6 Abs 2 lit d FLAG 1967 in der seit gültigen Fassung haben volljährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen, wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, sofern die Vollwaise nicht einen eigenständigen Haushalt führt; dies gilt nicht für Vollwaisen, die Personen im Sinne des § 1 Z 3 und Z 4 des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, sind, sofern die Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, auf sie Anwendung finden.

Gemäß § 6 Abs 5 FLAG 1967 haben Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3). Erheblich behinderte Kinder im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. c, deren Eltern ihnen nicht überwiegend den Unterhalt leisten und die einen eigenständigen Haushalt führen, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 und 3).

Die Bf hat die Familienbeihilfe im eigenen Namen für ihre Schwester beantragt. Sie hat im Antrag auf Familienbeihilfe und im Antrag auf erhöhte Familienbeihilfe sich selbst als anspruchsberechtigte, antragstellende Person bezeichnet und ihre Schwester als Pflegekind. Gleichzeitig mit dem Antrag hat sie den Beschluss des BG Donaustadt vom über ihre Bestellung als Sachwalterin für ihre Schwester vorgelegt. Der Bestellungsumfang umfasst auch die Vertretung vor Gerichten und Behörden.

Hätte die Bf als Sachwalterin im Namen ihrer Schwester die Familienbeihilfe samt Erhöhungsbetrag beantragen wollen, hätte sie dies entsprechend zum Ausdruck bringen müssen. Sie hätte diese als Anspruchsberechtigte bezeichnen müssen, für die sie als Vertreterin einschreitet.

Da sie sich jedoch selbst als Anspruchsberechtigte bezeichnet hat und die Familienbeihilfe samt Erhöhungsbetrag im eigenen Namen für das "Pflegekind" beantragte, hat das FA zu Recht geprüft, ob die Schwester der Bf als "Kind" iSd § 2 Abs 3 FLAG 1967 anspruchsbegründend für die Antragstellerin, der Trägerin der mit dem Antrag geltend gemachten Rechte, ist.

Auch in der Beschwerde des rechtsfreundlichen Vertreters der Bf wird Bf. (= Bf.) als "Beschwerdeführerin" bezeichnet (wenn auch "als SW der K."). Wäre K. (Schwester) die Beschwerdeführerin, hätte dies dementsprechend dargestellt werden müssen, etwa durch "Beschwerdeführerin: K., vertreten durch Bf. als Sachwalterin".

In der Beschwerde wird zwar ausgeführt, der Antrag sei abgewiesen worden, weil K. kein Kind iSd § 2 Abs 3 FLAG 1967 sei, diesbezügliche Einwendungen werden allerdings nicht vorgebracht. Letztlich wird beantragt, dass für K. die Familienbeihilfe gewährt wird, sodass das BFG davon ausgeht, dass die Anspruchswerberin Bf. (= Bf.) auch die Beschwerdeführerin ist. Andernfalls wäre die Beschwerde zurückzuweisen gewesen, da K. wegen fehlender Aktivlegitimation (der Erstbescheid war an Bf. [= Bf.] gerichtet) nicht zur Einbringung einer Beschwerde berechtigt gewesen wäre.

Auch die BVE ist richtig an Bf. (= Bf.) gerichtet. Im Vorlageantrag wird wiederum Bf. (= Bf.) als Beschwerdeführerin (wenn auch als SW der K.) bezeichnet und beantragt, für K. die Familienbeihilfe zu gewähren, sodass das BFG davon ausgeht, dass die Beihilfenwerberin Bf. (= Bf.) auch den Vorlageantrag eingebracht hat.

Dem FA ist zu folgen, wenn es davon ausgeht, dass die Schwester der Bf nicht unter den Begriff "Kind", welcher in § 2 Abs 3 FLAG 1967 definiert ist, fällt.

Bei Geschwistern kann es sich schon begrifflich und nach dem Wortsinn nicht um Nachkommen, Wahlkinder oder Stiefkinder handeln.

Die Schwester der Bf ist aber auch kein Pflegekind der Bf. Ein Pflegekindschaftsverhältnis setzt unter anderem eine persönliche Beziehung, die dem Verhältnis zwischen leiblichen Eltern und Kindern nahe kommt, voraus. Aufgrund des Altersunterschiedes der Bf zu ihrer Schwester, welche ca. 1,5 Jahre älter als die Bf ist, kann aber keinesfalls von einem Verhältnis, welches dem zwischen leiblichen Eltern und Kindern nahekommt, ausgegangen werden (vgl. dazu zu einer sieben Jahre älteren Halbschwester).

Dazu kommt, dass ein Pflegekindschaftsverhältnis nur zu Minderjährigen begründet werden kann, da nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts, auf die § 2 Abs 3 lit d FLAG 1967 verweist, auf die Pflege des minderjährigen Kindes abstellt. Bei Personen, die erst im großjährigen Alter in Pflege genommen werden, liegt kein Pflegekindschaftsverhältnis vor (; ).

Die Bf wurde im Jahr 2015 zur Sachwalterin für ihre Schwester bestellt. Zu diesem Zeitpunkt war ihre Schwester bereits 48 Jahre alt, sodass ein Pflegekindschaftsverhältnis nicht mehr begründet werden konnte. Auch wenn man davon ausgeht, dass die Bf ihre Schwester auch schon vorher betreute, ist dieser Zeitpunkt jedenfalls erst nach Erreichen der Volljährigkeit eingetreten.

Ob allenfalls ein Eigenanspruch von K. besteht, ist im vorliegenden Verfahren nicht zu beurteilen. Es braucht daher auf die Einwendungen der Bf, bei ihrer Schwester sei die Erwerbsunfähigkeit bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten, nicht eingegangen werden.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zulässigkeit einer Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Vorliegendes Erkenntnis folgt der Judikatur des VwGH bzw. ergibt sich die Lösung ggstdl. Rechtsfrage bereits aus dem Wortlaut des Gesetzes, sodass keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.

Hinweis zum 2. COVID-19-Gesetz:

Abweichend von der folgenden Rechtsbelehrung beginnt die Frist zur Erhebung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder einer Revision an den Verwaltungsgerichtshof gegen diese Entscheidung - sofern diese vor dem zugestellt wurde - mit zu laufen (§ 6 Abs. 2 i. V. m. § 1 Abs. 1 Art. 16 2. COVID-19-Gesetz BGBl. I Nr. 16/2020).

Wien, am

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