Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 27.04.2020, RV/7100710/2014

Unionsrechtswidrigkeit der zwingenden Pauschalbesteuerung gemäß § 42 Abs. 2 InvFG 1993 idF bis BGBl. I 2010/111.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R in der Beschwerdesache Bf vertreten durch StB über die Berufung (nunmehr Beschwerde) vom  gegen die Bescheide der belangten Behörde Finanzamt FA vom und vom betreffend die Abweisung des Antrages gemäß § 299 BAO auf Aufhebung der Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2008 bis 2011 zu Recht erkannt: 

I. Der Berufung (nunmehr Beschwerde) wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2008 bis 2011 vom werden gemäß § 299 BAO aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensverlauf

Die Berufungswerberin (nunmehr Beschwerdeführerin, in weiterer Folge abgekürzt Bf) übermittelte dem zuständigen Finanzamt am über FinanzOnline ihre Einkommensteuererklärungen für die Jahre 2008 bis 2011. Darin erklärte sie in den jeweiligen Jahren Kapitalerträge aus ausländischen Kapitalanlagen ohne Kapitalertragsteuerabzug samt den diesbezüglichen ausländischen (Quellen-)Steuern (Einkünfte aus Kapitalvermögen; Kennzahlen 754 und 757), unter Progressionsvorbehalt steuerbefreite Auslandseinkünfte (ausländische Pensionseinkünfte; Kennzahl 453) sowie die in weiterer Folge streitgegenständlichen Erträge aus ausländischen Investmentfonds. Hinsichtlich dieser Einkünfte erklärte die Bf unter Kennzahl 409 die Substanzgewinne aus ausländischen Investmentfonds ohne Kapitalertragsteuerabzug (22.468,57 Euro im Jahr 2008, 24.195,78 Euro im Jahr 2009, 25.332,02 Euro im Jahr 2010 und 23.459,11 Euro im Jahr 2011) und beantragte unter Kennzahl 760 die Berücksichtigung negativer ausschüttungsgleicher Erträge (4.071,13 Euro im Jahr 2008, 6.140,45 Euro im Jahr 2009, 2.465,98 Euro im Jahr 2010 und 3.372,98 Euro im Jahr 2011).

Die belangte Behörde veranlagte die Einkommensteuer der Jahre 2008 bis 2011 mit den Bescheiden vom in der Form, dass die Erträge aus ausländischen Kapitalanlagen und die Substanzgewinne aus ausländischen Investmentfonds mit dem festen Steuersatz von 25% belegt wurden. Die geltend gemachten ausländischen (Quellen)-Steuern wurden zum Teil, die negativen ausschüttungsgleichen Erträge gar nicht als Kapitalertragsteuer auf die Einkommensteuer angerechnet bzw berücksichtigt. Zur Begründung führte das Finanzamt dazu aus, dass die Anrechnung von Quellensteuer nur bei normalen Zinserträgen, nicht jedoch bei sogenannten schwarzen Fonds möglich sei. Im Ergebnis ergaben sich aus den Bescheiden – betragsmäßig im Wesentlichen resultierend aus der Besteuerung der ausländischen Investmentfonds – Nachforderungen an Einkommensteuer iHv 5.624,82 Euro für das Jahr 2008, 6.143,70 Euro für das Jahr 2009, 6.429,91 Euro für das Jahr 2010 und 5.947,00 Euro für das Jahr 2011.

Mit Eingabe vom beantragte die Bf fristgerecht, dh innerhalb der diesbezüglich geltenden Jahresfrist, die Aufhebung der Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2008 bis 2011 vom gemäß § 299 Bundesabgabenordnung (BAO). Dem Antrag legte die Bf korrigierte Steuererklärungen für diese Jahre sowie zu den einzelnen Fonds ausgefüllte Formulare E 1D bzw E 1E (Beilage zur Einkommensteuererklärung zum Selbstnachweis für ausschüttungsgleiche Erträge eines ausländischen Investmentfonds iSd § 42 Abs. 1 Investmentfondsgesetz (InvFG) 1993 bzw eines ausländischen Immobilienfonds iSd § 42 Abs. 1 Immobilien-Investmentfondgesetz (ImmoInvFG)) samt den jeweiligen Rechenschaftsberichten für die betroffenen Zeiträume bei.

Zur Begründung führte die Bf aus, sie sei im Jahr 2008 von Deutschland nach Österreich übersiedelt und besitze ein deutsches Wertpapierdepot mit Luxemburger und deutschen Investment- bzw Immobilienfonds. Da die Ergebnisse dieser Fonds nicht an das Bundesministerium für Finanzen gemeldet worden seien, seien sie in Österreich als sogenannte schwarze Fonds zu behandeln. Sie habe eine Steuerberaterin mit der Erstellung der Steuererklärungen beauftragt. Da die Rechenschaftsberichte damals nicht verfügbar gewesen seien, wurden die ausschüttungsgleichen Erträge laut der Bestimmung des § 42 Abs. 2 InvFG 1993 berechnet. Somit wurden 90% Prozent des Unterschiedsbetrages zwischen dem Wert am Jahresanfang und dem Wert am Jahresende zur Besteuerung herangezogen. Diese Berechnung sei aber insoweit diskriminierend, als mindestens 10% des Wertes am Jahresende der Einkommensteuer unterliegen, was bei ihr auch der Fall gewesen sei. Das Gesetz unterstelle somit eine jährliche Mindestrendite iHv 10% pro Jahr, die nur bei hochspekulativen Produkten erzielbar und somit auch mit einem erheblichen Verlustrisiko verbunden sei.

Die Besteuerung laut Veranlagung iHv insgesamt 24.145,52 Euro übersteige sogar die tatsächlichen Ausschüttungen, daher habe die Bf ihre steuerliche Vertretung gebeten, die Selbstnachweise für die ausschüttungsgleichen Erträge ihrer Investment- bzw Immobilienfonds vorzunehmen. Aus den korrigierten Einkommensteuererklärungen sei ersichtlich, dass im Gegensatz zur Pauschalbesteuerung bei der Besteuerung der tatsächlichen ausschüttungsgleichen Erträge bzw Substanzgewinne für alle Jahre insgesamt nur 4.509,11 Euro an Einkommensteuer anfallen würden.  Da es sich hier nicht bloß um eine geringfügige Änderung handle, sei es unter Berücksichtigung des § 20 BAO billig und zweckmäßig, hinsichtlich der Jahre 2008 bis 2011 das Ermessen der Wiederaufnahme zu üben.

Mit den Bescheiden vom bzw vom wies die belangte Behörde den Antrag auf Aufhebung der Einkommensteuerbescheide hinsichtlich der Jahre 2008 bzw 2009 bis 2011 ab. Zur Begründung wurde festgehalten, dass nach Ansicht der Finanzverwaltung im Zeitpunkt der Erklärungsabgabe das Wahlrecht in Bezug auf die schwarzen Fonds insoweit ausgeübt worden sei, als dass die Ermittlung der Einkünfte pauschal erfolgen sollte. Die nachträgliche Willensänderung könne nicht dazu führen, dass sich die Bescheide nunmehr als unrichtig erweisen würden.

Gegen diese Bescheide richtet sich die verfahrensgegenständliche Berufung (nunmehr Beschwerde) vom . Zur Begründung wiederholte die Bf im Wesentlichen ihr Vorbringen laut dem Antrag auf Bescheidaufhebung gemäß § 299 BAO vom und brachte ergänzend vor, sie habe im Zeitpunkt der Einreichung der Einkommensteuererklärungen für die Jahre 2008 bis 2011 keinen Zugriff auf die notwendigen Unterlagen für den Selbstnachweis der ausschüttungsgleichen Erträge im Sinne des § 42 Abs. 1 InvFG 1993 gehabt. Es sei ihr nur möglich gewesen, die Besteuerung gemäß § 42 Abs. 2 InvFG 1993 durchzuführen, weshalb es sich nicht um die Ausübung eines Wahlrechts gehandelt habe.   

Das Finanzamt erledigte die Beschwerde am mit einer abweisenden Beschwerdevorentscheidung und führte zur Begründung aus, dass die in der Beschwerde vorgebrachten Argumente nicht geeignet seien, eine Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide aufzuzeigen.

Am stellte die Bf den Antrag auf Entscheidung über die Berufung (nunmehr Beschwerde) durch das Bundesfinanzgericht und brachte ergänzend vor, bei den vorgelegten Selbstnachweisen handle es sich um neu hervorgekommene Tatsachen und Beweismittel gemäß § 301 Abs. 1 BAO, die im abgeschlossenen Verfahren der Behörde noch nicht vorgelegen seien. Deshalb beantrage die Bf in eventu die Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren gemäß § 303 Abs. 1 BAO.

Das Finanzamt legte dem Bundesfinanzgericht die Beschwerde am zur Entscheidung vor und führte in einer Stellungnahme im Vorlagebericht zusammengefasst aus, dass § 299 BAO auch für dynamische, also sich erst später erweisliche Unrichtigkeiten gelte. Eine Rechtswidrigkeit könne sich demgemäß auch aus Änderungen der Judikatur, zB des VwGH, ergeben. Im vorliegenden Fall sei gemäß § 42 Abs. 2 InvFG 1993 in der damals geltenden Fassung der ausschüttungsgleiche Ertrag mit 90% des Unterschiedsbetrages zwischen ersten und letzten im Kalenderjahr festgesetzten Rücknahmepreis, mindestens mit 10% des letzten im Kalenderjahr festgesetzten Rücknahmepreises angenommen worden. Es bestehe eine Schätzungsverpflichtung gemäß § 184 BAO iVm § 42 Abs. 2 InvFG 1993, wenn keine Meldungen der Erträge erfolgen und die Besteuerungsgrundlage nicht auf andere Art (durch Selbstnachweis) ermittelt werden könne. Im konkreten Fall seien die Erträge nicht gemeldet worden und der Steuererklärung auch kein Selbstnachweis beigelegt worden (es seien die Erträge sogar gemäß § 42 Abs. 2 InvFG 1993 geschätzt in die Erklärungen eingetragen worden). Die Bescheide entsprächen den zwingenden gesetzlichen Vorschriften. Es werde dem Abgabepflichtigen ein Wahlrecht eingeräumt, durch Selbstnachweis die tatsächlichen ausschüttungsgleichen Erträge der Besteuerung zu Grunde zu legen oder sich nach der in § 42 InvFG 1993 vorgeschriebenen Weise schätzen zu lassen. Die dynamische Wirkung des § 299 BAO könne nicht dazu führen, dass sich Bescheide durch nachträgliche Willensänderungen des Abgabepflichtigen als nunmehr unrichtig erweisen würden.

Mit Eingabe per E-Mail vom übermittelte die Bf dem Bundesfinanzgericht die EuGH-Entscheidung vom , C-326/12, van Caster, und führte dazu aus, die in den Jahren 2008 bis 2011 angewandte Pauschalbesteuerung sei laut diesem Erkenntnis eine mittelbare Diskriminierung von ausländischen Investmentfonds und zwar dann, wenn innerhalb der Frist der Wiederaufnahme kein positives Ermessen durch „Weißrechnung“ des Abgabenpflichtigen möglich sei. Die Verweigerung der Wiederaufnahme führe zu einer EU-widrigen Behandlung und widerspreche Art. 63 AEUV.

Auf Ersuchen des Bundesfinanzgerichtes übermittelte die belangte Behörde am die berichtigten Einkommensteuererklärungen und Selbstnachweise der Bf betreffend die Jahre 2008 bis 2011.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Entscheidungsrelevanter Sachverhalt

Die Bf hat in den streitgegenständlichen Jahren 2008 bis 2011 inländische und ausländische Pensionseinkünfte erzielt und Anteile an den folgenden ausländischen Investment- bzw Immobilienfonds (ISIN-Nummer, Name des Fonds, Art des Fonds) gehalten:

LUxxxxxxxxx1, Fonds_01, Investmentfonds

LUxxxxxxxxx2, Fonds_02, Investmentfonds

DExxxxxxxxx3, Fonds_03, Immobilienfonds

LUxxxxxxxxx4, Fonds_04, Investmentfonds

LUxxxxxxxxx5, Fonds_01 05, Investmentfonds

DExxxxxxxxx6, Fonds_06, Immobilienfonds

Bei diesen Wertpapier- bzw Immobilienfonds handelt es sich um sogenannte schwarze ausländische Fonds, für die kein Nachweis der ausschüttungsgleichen Erträge durch einen steuerlichen Vertreter erfolgte. Für diese Fonds wurden dementsprechend keine Daten auf der Homepage des BMF veröffentlicht.

Der Sitz der Kapitalanlagegesellschaften, die die oben erwähnten Fonds aufgelegt hatten, befindet sich in Deutschland oder Luxemburg, somit innerhalb der Europäischen Union.

Die Bf erklärte die Erträge aus ihren Fondsanteilen in den ursprünglichen Einkommensteuererklärungen vom nach der pauschalen Ermittlungsmethode gemäß § 42 Abs. 2 InvFG 1993, dh mit ausschüttungsgleichen Erträgen iHv 10% des Rücknahmepreises zum Ende des Geschäftsjahres. Dabei wurde der Abzug negativer ausschüttungsgleicher Erträge iZm vorangegangenen Ausschüttungen beantragt, von der belangten Behörde aber nicht berücksichtigt.

In den korrigierten Steuererklärungen vom erfolgte die Ermittlung der ausschüttungsgleichen Erträge und Substanzgewinne entsprechend den vorgelegten Selbstnachweisen für die Erträge ausländischer Investment- bzw Immobilienfonds. Die Anrechnung ausländische (Quellen)Steuern sowie die Berücksichtigung negativer ausschüttungsgleicher Erträge wurde nicht mehr beantragt. Die Selbstnachweise umfassen alle Fondsgeschäftsjahre mit Beginn ab frühestens und Ende bis spätestens sowie die Zuflüsse aus diesen Fonds zwischen und .  

Beweiswürdigung

Die unstrittigen Sachverhaltsfeststellungen gründen sich auf den Inhalt der vorgelegten Akten sowie den elektronischen Steuerakt.

Rechtsgrundlagen und rechtliche Beurteilung

1. Rechtsgrundlagen

Gemäß § 299 Abs. 1 Bundesabgabenordnung (BAO) kann die Abgabenbehörde auf Antrag der Partei oder von Amts wegen einen Bescheid der Abgabenbehörde erster Instanz aufheben, wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweist. Der Antrag hat zu enthalten:

a) die Bezeichnung des aufzuhebenden Bescheides;

b) die Gründe, auf die sich die behauptete Unrichtigkeit stützt.

Die Aufhebung nach § 299 Abs. 1 BAO liegt im Ermessen der Abgabenbehörde. Gemäß § 20 BAO müssen sich Entscheidungen, die die Abgabenbehörden nach ihrem Ermessen
zu treffen haben (Ermessensentscheidungen), in den Grenzen halten, die das Gesetz dem
Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit
und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu
treffen.

Gemäß § 299 Abs. 2 BAO ist mit dem aufhebenden Bescheid der den aufgehobenen Bescheid ersetzende Bescheid zu verbinden. Dies gilt nur, wenn dieselbe Abgabenbehörde zur Erlassung beider Bescheide zuständig ist.

Gemäß § 302 Abs. 1 BAO sind Abänderungen, Zurücknahmen und Aufhebungen von Bescheiden, soweit nichts anderes bestimmt ist, bis zum Ablauf der Verjährungsfrist,
Aufhebungen gemäß § 299 BAO jedoch bis zum Ablauf eines Jahres nach Bekanntgabe (§ 97 BAO) des Bescheides zulässig.

In den verfahrensgegenständlichen Jahren gelangen die nachfolgend angeführten Bestimmungen des Investmentfondsgesetzes (InvFG) 1993 in der Fassung vor dem BGBl I 111/2010 (Budgetbegleitgesetz 2011) zur Anwendung.

Gemäß § 40 Abs. 1 InvFG 1993 sind Ausschüttungen eines Kapitalanlagefonds an die Anteilsinhaber sowie Substanzgewinne bei diesen steuerpflichtige Einnahmen.

Insoweit eine tatsächliche Ausschüttung des im Sinne des Abs. 1 verrechneten Jahresertrages einschließlich der verrechneten Substanzgewinne unterbleibt, gelten
nach § 40 Abs. 2 Z 1 InvFG 1993 mit der Auszahlung der Kapitalertragsteuer (§ 13 dritter
Satz) sämtliche nicht ausgeschütteten Gewinne des abgelaufenen Geschäftsjahres an
die Anteilinhaber in dem aus dem Anteilsrecht sich ergebenem Ausmaß als ausgeschüttet
(ausschüttungsgleiche Erträge). Wird diese Auszahlung nicht innerhalb von vier Monaten
nach Ende des Geschäftsjahres vorgenommen, gelten die nicht ausgeschütteten Jahresgewinne nach Ablauf dieser Frist als ausgeschüttet. Werden nachweislich diese
Erträge später tatsächlich ausgeschüttet, so sind sie steuerfrei.

Gemäß § 40 Abs. 2 Z 2 InvFG 1993 sind die ausschüttungsgleichen Erträge unter Anschluss der notwendigen Unterlagen nachzuweisen. Der Nachweis ist im Wege
eines steuerlichen Vertreters zu erbringen. Steuerlicher Vertreter ist ein inländisches
Kreditinstitut oder ein inländischer Wirtschaftstreuhänder. Erfolgt der Nachweis der
ausschüttungsgleichen Erträge nicht durch den steuerlichen Vertreter, kann der
Anteilinhaber die Besteuerungsgrundlagen in gleichartiger Form im Veranlagungswege
selbst nachweisen.

Nach § 42 Abs. 1 InvFG 1993 sind die Bestimmungen des § 40 InvFG 1993 auch für ausländische Kapitalanlagefonds anzuwenden.

Unterbleibt für ausländische Kapitalanlagefonds ein Nachweis, so wird gemäß § 42 Abs. 2 InvFG 1993 der ausschüttungsgleiche Ertrag mit 90% des Unterschiedsbetrages zwischen
dem ersten und letzten im Kalenderjahr festgesetzten Rücknahmepreis, mindestens aber
mit 10% des letzten im Kalenderjahr festgesetzten Rücknahmepreises angenommen.
Bei Veräußerung eines Anteilrechtes ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem bei
der Veräußerung und dem letzten im abgeschlossenen Kalenderjahr festgesetzten
Rücknahmepreis, mindestens aber 0,8% des bei der Veräußerung festgesetzten
Rücknahmepreises für jeden angefangenen Monat des im Zeitpunkt der Veräußerung
laufenden Kalenderjahres anzusetzen.

Gemäß § 42 Abs. 1 Immobilien-Investmentfondsgesetz (ImmoInvFG) sind die Bestimmungen des § 42 Abs. 2 InvFG 1993 auch auf ausländische Immobilienfonds anzuwenden.

2. Rechtliche Beurteilung

Im vorliegenden Fall ist es unstrittig, dass die Besteuerungsgrundlagen in den Steuererklärungen vom und den Einkommensteuerbescheiden vom entsprechend den Vorgaben des § 42 Abs. 2 InvFG 1993 in der Fassung vor dem BGBl I 111/2010 (Budgetbegleitgesetz 2011) ermittelt worden sind.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom , Ro 2015/15/0022, festgestellt, dass aus der Systematik des InvFG 1993 folgt, dass der Anteilsinhaber die Art der Erträge und der Aufwendungen offen zu legen hat. Nach der Rechtsprechung des EuGH sei es dem Grundsatz der Steuerautonomie der Mitgliedstaaten inhärent, dass diese bestimmen, welche Nachweise erforderlich sind, um in den Genuss eines Steuervorteils (in Form der Nichtanwendung einer Pauschalbesteuerung) zu kommen. Der Verwaltungsgerichtshof hält diesbezüglich fest, dass aus dem Umstand, dass ein qualifizierter Nachweis verlangt wird, ein Verstoß gegen die Freiheit des Kapitalverkehrs gemäß Art. 63 AEUV schon deswegen nicht abgeleitet werden könne, weil diese Regelung sowohl für inländische als auch für ausländische Fonds gilt. Bei Unterbleiben eines Nachweises sah § 42 Abs. 2 InvFG 1933 idF bis zum Budgetbegleitgesetz 2011 – diese Regelung ist im vorliegenden Fall für alle Jahre anwendbar – jedoch nur betreffend ausländische Kapitalanlagefonds ohne inländischen Vertreter (sogenannte schwarze Fonds) eine Pauschalbesteuerung ausschüttungsgleicher Erträge bei der Einkommensbesteuerung der Anteilsinhaber vor. Betreffend inländische Kapitalanlagefonds waren die Einkünfte gemäß § 184 BAO zu schätzen. Insofern lag – im Verhältnis zu Mitgliedstaaten und zu Drittstaaten, von denen entsprechende Informationen aufgrund von Amtshilfeabkommen eingeholt werden können – eine ungerechtfertigte Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit vor. Diese war nur im Verhältnis zu jenen Drittstaaten gerechtfertigt, von denen insbesondere wegen des Fehlens einer vertraglichen Verpflichtung des Drittstaates zur Erteilung von Auskünften die erforderlichen Informationen nicht eingeholt werden konnten (vgl und C-437/08, Haribo Lakritzen Hans Riegel Betriebsgmbh ua).

Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erachtet somit die zwingende Pauschalbesteuerung ausländischer „schwarzer“ Investmentfonds bei Unterbleiben eines Nachweises – nach der damaligen Rechtslage und mit Ausnahme von Fonds aus Drittstaaten ohne Amtshilfeabkommen – für unionsrechtswidrig (vgl auch ).

Im vorliegenden Fall hatten sowohl die betroffenen Fonds als auch die ausgebenden Kapitalanlagegesellschaften ihren Sitz innerhalb der Europäischen Union. Die Besteuerung der ausschüttungsgleichen Erträge nach der Bestimmung des § 42 Abs. 2 InvFG 1993 (90% des Unterschiedsbetrages bzw 10% des letzten Rücknahmepreises etc), wie sie in den Einkommensteuerbescheiden für die Jahre 2008 bis 2011 vom vorgenommen wurde, stellt somit eine ungerechtfertigte Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV bzw davor Art. 56 EGV) dar.

Voraussetzung für eine Bescheidaufhebung von Amts wegen oder auf Grund eines entsprechenden Antrages ist nach dem Gesetzeswortlaut, dass sich der Spruch des Bescheides als nicht richtig "erweist". § 299 BAO ist somit "dynamisch" auszulegen und gilt daher auch für erst später erweisliche Unrichtigkeiten (vgl Ritz, BAO6, § 299 Tz 10).

Aufgrund obiger Ausführungen ist klargestellt, dass der Spruch der Einkommensteuerbescheide 2008 bis 2011 gegen Unionsrecht verstoßen hat und sich somit als nicht richtig erweist.

Bei der Aufhebung auf Antrag bestimmt die betreffende Partei den Aufhebungsgrund. Sie gibt im Aufhebungsantrag an, aus welchen Gründen sie den Bescheid für inhaltlich rechtswidrig hält. Die Sache, über die in der Berufung (nunmehr Beschwerde) gegen einen Bescheid, mit welchem der Aufhebungsantrag abgewiesen wird, zu entscheiden ist, wird bei der beantragten Aufhebung durch die Partei im Aufhebungsantrag festgelegt (vgl ; , 2012/13/0123).

Die Bf hat im Aufhebungsantrag vorgebracht, dass die Besteuerung der ausschüttungsgleichen Erträge gemäß der Bestimmung des § 42 Abs. 2 InvFG 1993 (in der damals geltenden Fassung) diskriminierend sei, da sie zu einer ungerechtfertigt hohen Steuerbelastung führen würde. Im Hinblick auf dieses Vorbringen ist die Besteuerung von Fondseinkünften nach dieser Gesetzesbestimmung Sache des Verfahrens des gegenständlichen Aufhebungsantrages.

Das Finanzamt hat die Abweisung des Antrages darauf gestützt, dass die Bf im Zeitpunkt der Erklärungsabgabe das Wahlrecht in Bezug auf die schwarzen Fonds insoweit ausgeübt habe, als dass die Ermittlung der Einkünfte pauschal (und nicht anhand der tatsächlichen Gewinne) erfolgen sollte. Die nachträgliche Willensänderung könne nicht dazu führen, dass sich die Bescheide als unrichtig erweisen würden.

Dieser Auffassung schließt sich das Bundesfinanzgericht nicht an, da die in § 42 Abs. 2 InvFG 1993 normierte Methode zwingend anzuwenden war, wenn die Besteuerungsgrundlagen nicht auf andere Art (durch Selbstnachweis) ermittelt werden konnten. Entscheidungswesentlich ist aber ohnehin, dass diese Berechnungsmethode für Investmentfonds aus Staaten, mit denen eine Amtshilfe besteht, unionsrechtswidrig war.

Im Rahmen der Ermessensübung ist zu berücksichtigen, dass bei Aufhebungen gemäß § 299 BAO – dem Normzweck entsprechend – der Vorrang des Prinzips der Rechtmäßigkeit vor dem Prinzip der Rechtssicherheit zu beachten ist.

Der Berufung (nunmehr Beschwerde) war somit stattzugeben und die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2008 bis 2011 vom gemäß § 299 BAO aufzuheben. Die Erlassung neuer Sachbescheide für diese Jahre fällt gemäß § 299 Abs. 2 zweiter Satz BAO in die Zuständigkeit der Abgabenbehörde.

Aus den dargelegten Gründen war spruchgemäß zu entscheiden.

Unzulässigkeit einer ordentlichen Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im gegenständlichen Fall liegt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor. Das Erkenntnis folgt bei der entscheidungserheblichen Rechtsfrage betreffend die Ermittlung der ausschüttungsgleichen Erträge der angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Eine ordentliche Revision ist daher nicht zulässig.

Hinweis zum 2. COVID-19-Gesetz

Abweichend von der folgenden Rechtsbelehrung beginnt die Frist zur Erhebung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder einer Revision an den Verwaltungsgerichtshof gegen diese Entscheidung – sofern diese vor dem zugestellt wurde – mit zu laufen (§ 6 Abs. 2 iVm § 1 Abs. 1 Art. 16 2. COVID-19-Gesetz BGBl. I Nr. 16/2020).

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 299 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 299 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 40 Abs. 1 InvFG 1993, Investmentfondsgesetz, BGBl. Nr. 532/1993
§ 40 Abs. 2 Z 1 InvFG 1993, Investmentfondsgesetz, BGBl. Nr. 532/1993
§ 40 Abs. 2 Z 2 InvFG 1993, Investmentfondsgesetz, BGBl. Nr. 532/1993
§ 42 Abs. 2 InvFG 1993, Investmentfondsgesetz, BGBl. Nr. 532/1993
§ 42 Abs. 1 ImmoInvFG, Immobilien-Investmentfondsgesetz, BGBl. I Nr. 80/2003
Art. 63 AEUV, ABl. Nr. C 83 vom S. 47
Verweise
VwGH, Ro 2015/15/0022
VwGH, Ro 2016/15/0037
Anmerkung
Rechtslage vor dem Budgetbegleitgesetz 2011, BGBl. I 2010/111
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.7100710.2014

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at