Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 24.04.2020, RV/5101374/2019

Eigenanspruch auf erhöhte Familienbeihilfe

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R in der Beschwerdesache BF, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt Linz vom zu VNR, mit dem ein Eigenantrag auf Gewährung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung für den Zeitraum ab November 2012 abgewiesen wurde, zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Sachverhalt

In einem aktenkundigen Bescheid des Bundessozialamtes vom betreffend Feststellung der Zugehörigkeit der Beschwerdeführerin zum Kreis der begünstigten Behinderten wurde der Grad der Behinderung mit 60 % festgestellt. Grundlage dafür war ein ärztliches Sachverständigengutachten vom . Darin wurden als Gesundheitsschädigungen eine Resthemiplegie links (lt. Wikipedia: Lähmung einer Körperseite) und eine Cerebralparese (Bewegungsstörungen, charakterisiert durch Störungen des Nervensystems und der Muskulatur im Bereich der willkürlichen Motorik) infolge Frühgeburt sowie eine Veränderung der Wirbelsäule festgestellt. Die erste "Gesundheitsschädigung" wurde unter Pos. 436 der Richtsatzverordnung eingeordnet und der Grad der Behinderung mit 50 % bestimmt. Die zweite Beeinträchtigung wurde unter Pos. 190 der Richtsatzverordnung subsumiert und ein Behinderungsgrad von 30 % festgestellt, woraus sich durch das Zusammenwirken der Gesundheitsschädigungen gemäß § 3 der Richtsatzverordnung ein Gesamtgrad der Behinderung von 60 % ergab.

Unter Bezugnahme auf diese am durchgeführte Untersuchung stellte der untersuchende Arzt des Bundessozialamtes in einem Aktengutachten vom fest:

Anamnese:

Untersuchung Bundessozialamt am : Resthemiplegie li bei Cerebralparese infolge Frühgeburt. Skoliose der Wirbelsäule und Beckenschiefstand.

Behandlung/Therapie (Medikamente, Therapien - Frequenz): keine

Untersuchungsbefund: Aktengutachten

Status psychicus / Entwicklungsstand: Aktengutachten

Relevante vorgelegte Befunde:

2004-06-16 BUNDESSOZIALAMT, GUTACHTEN Dr.B Resthemiplegie li. bei Cerebralparese infolge Frühgeburt in 34. Woche, Veränderungen der Wirbelsäule

Diagnose(n):

Resthemiplegie li. bei Cerebralparese

Richtsatzposition: 436 Gdb: 050 % ICD: G11.4

Rahmensatzbegründung: aufgrund der verbliebenen cerebralmotorischen Bewegungsstörung mit zum Teil spastischen Bewegungsmuster li. und teilweise gliedkinetisch auftretenden Apraxieerscheinungen

Skoliose der Wirbelsäule

Richtsatzposition: 190 Gdb: 030% ICD: Q76.3

Rahmensatzbegründung: kompensierte Skoliose bei Beckenschiefstand li. um 2 cm und damit verbundenen Einschränkungen und subjektiven Beschwerden

Gesamtgrad der Behinderung: 60 vH voraussichtlich mehr als 3 Jahre anhaltend. Hauptleiden ist das Leiden in Pkt. 1, Leiden in Pkt. 2 erhöht um 1 Stufe.

Eine Nachuntersuchung in 3 Jahren ist erforderlich.

Die rückwirkende Anerkennung der Einschätzung des Grades d. Behinderung ist ab 2005-09-01 aufgrund der vorgelegten relevanten Befunde möglich. Die Untersuchte ist voraussichtlich nicht dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Aufgrund dieses ärztlichen Gutachtens bzw. der darauf fußenden Bescheinigung bezog die Mutter der Beschwerdeführerin (KM) für diese ab November 2005 (bis Juni 2011) erhöhte Familienbeihilfe.

Am wurde beim Bundessozialamt eine Nachuntersuchung durchgeführt. Dabei wurde festgestellt:

Anamnese:

Bf. kommt zur Nachuntersuchung. Sie hat eine angeborene Lähmung der linken Körperseite bei Z. n. Frühgeburt. Die Mama ist Physiotherapeutin, insoferne wird ständig geturnt und geübt. Allmählich scheint sich die Situation eher zu verschlechtern, da nun ein beruflich bedingter Bewegungsmangel dazukommt. Bf. studiert an der PädAk Deutsch und Geschichte, muss da viel am PC arbeiten. Wenn sie Ausflüge mit den Kindern macht (Praktikum), ist sie die letzte, weil sie am Gehtempo nicht mithalten kann. Im Studium darf sie viele Prüfungen mündlich ablegen, weil sie beim Schreiben schnell Krämpfe bekommt. Koordinationsspiele sind auch ein Problem. Beispielsweise kann Bf. nur Schreiben, wenn sie mit beiden Beinen am Boden steht, obwohl die linke Seite die restpartese zeigt, kommt es in der rechten Hand zu Spasmen beim Schreiben.

Behandlung/Therapie (Medikamente, Therapien - Frequenz):

Heilgymnastik ständig, Massagen

Untersuchungsbefund:

23-jährige Jugendliche, 160cm, 80kg. Schonhinken links, Fußspitze zeigt nach innen beim Gehen. Spitzfuß wurde korrigiert. BLV 2cm links, muskuläre Verschmächtigung der linken Extremitäten. Der linke Arm ist auch kürzer als der rechte, Koordination mangelhaft - dh sie könnte links durchaus etwas heben, aber keinesfalls einen Ball fangen. Ansonsten altersgemäßer Status.

Status psychicus / Entwicklungsstand:

Manchmal etwas zäher Ductus, fröhlich

Relevante vorgelegte Befunde: keine

Diagnose(n):

Z.n.Hemiparese links

Richtsatzposition: 436 Gdb: 060% ICD: G81.9

Rahmensatzbegründung:

Unveränderter Zustand seit Kindheit, erhebliche Probleme bei der Koordination

Gesamtgrad der Behinderung: 60 vH voraussichtlich mehr als 3 Jahre anhaltend

Eine Nachuntersuchung ist nicht erforderlich - Dauerzustand.

Die Untersuchte ist voraussichtlich nicht dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Die Beschwerdeführerin beantragte mit den Formularen Beih 1 und Beih 3, unterfertigt am , eingelangt beim Finanzamt am , die Gewährung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung (Eigenantrag).

Am Formblatt Beih 1 gab die Beschwerdeführerin an, dass sie ledig sei und alleine lebe. Als Beruf gab die Beschwerdeführerin an "Deutschtrainerin, Bürokauffrau", als Wohnanschrift "Adr.1".

Die Beschwerdeführerin hatte laut Eintragungen im Zentralen Melderegister ihren Hauptwohnsitz bis bei ihrer Mutter in Adr.2. Seit dem wohnt sie an der oben und im Spruch angeführten Anschrift; Unterkunftgeberin ist die GWG.

Auf dem Formblatt Beih 3 nannte die Beschwerdeführerin als Erkrankung: "spastische Cerebralparese, Depression, kombinierte Persönlichkeitsstörung". Der Antrag werde "ab dem Zeitpunkt des Eintrittes der erheblichen Behinderung, den der medizinische Sachverständige feststellt im Höchstausmaß von rückwirkend fünf Jahren ab Antragstellung" gestellt. Pflegegeld sei beantragt worden.

Daraufhin veranlasste das Finanzamt eine Untersuchung der Beschwerdeführerin durch das Bundessozialamt (Sozialministeriumservice). Im Gutachten vom wurde nach der am durchgeführten Untersuchung festgestellt:

Anamnese:

Neuantrag, Letztuntersuchung am Dr.H, Diagnose: Z. n. Hemiparese links GdB 60 %, Dauerzustand, keine dauernde Erwerbsunfähigkeit. Es besteht eine Hemiparese li. nach spastischer Cerebralparese. Die Patientin hat Volkschule und Gymnasium besucht, sie ist Rechtshänderin. Betroffen ist Fuß und Hand links. Es besteht auch eine kombinierte Persönlichkeitsstörung, paranoid ängstlich mit immer wiederkehrenden depressiven Episoden mittelschwerer Ausprägung.

Derzeitige Beschwerden:

Länger als 16 Stunden kann sie nicht arbeiten aufgrund ihrer psychischen Problematik. Sie hat schon immer Probleme gehabt seit der Schulzeit. Erste Behandlung dieser Erkrankung erfolgte 2015. Die Patientin ist insgesamt verlangsamt, ängstlich paranoid, hat Wahnvorstellungen. Die Patientin gibt an, dass diese Erkrankung schon weit vorher bestanden, sie sich aber nie in Behandlung begeben hat.

Behandlungen) / Medikamente / Hilfsmittel:

ständige Heilgymnastik und Massagen; Risperdal

Sozialanamnese:

Sie ist derzeit 32 Jahre alt, arbeitet 16 Stunden auf einem geschützten Arbeitsplatz, angestellt ist sie als Deutschtrainerin.

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

WJKH vom : kombinierte Persönlichkeitsstörung, paranoid narzistisch, generalisierte Angststörung, spastische Cerebralparese

WJKH vom 2015: kombinierte Persönlichkeitsstörung

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand: gut, Ernährungszustand: adipös, Größe: 160,00 cm Gewicht: 95,00 kg

Status (Kopf/ Fußschema) - Fachstatus:

Herz: leise, rein, rhythmisch, keine vitiumtypischen Geräusche

Lunge: sonoren Klopfschall und VA, die Lungenbasen sind gut verschieblich

Abdomen: im Thoraxniveau, keine pathologische Resistenz

Haut: unauffällig

Gliedmaßen: frei beweglich

WS: altersgemäß, normal beweglich

Gesamtmobilität - Gangbild:

Links hinkendes Gangbild, Reflexe der li. oberen und unteren Extremität gesteigert, Gebrauchsfähigkeit des li. Armes und Beines deutlich eingeschränkt.

Psycho(patho)logischer Status:

Die Patientin ist eher sehr ängstlich, leidet an einer generalisierten Angststörung und zeigt eine deutlich depressive Stimmung, ist zeitlich, örtlich, zur Person und situativ gut orientiert, im Duktus geordnet, keine auf formalen und inhaltlichen Denkstörungen.

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

1) Hemiparese links, Pos.Nr. , GdB 60 %; 60 % aufgrund der spastischen Lähmung der oberen und unteren Extremität links

2) Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen, Depression, Pos.Nr. , GdB 40 %; 40 % aufgrund der paranoid, ängstlich und wiederkehrenden depressiven Episoden mittelschwerer Ausprägung

Gesamtgrad der Behinderung 70 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung: Pkt. 2 steigert um 1 Stufe aufgrund der negativen Beeinflussung des Hauptleidens in Pkt. 1.

Stellungnahme zu Vorgutachten:

Leiden in Pkt. 1 unverändert gegenüber der Letztuntersuchung, Leiden in Pkt. 2 wurde neu aufgenommen und beurteilt. GdB nun 70 %.

Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern:

GdB liegt vor seit: 01/2015

GdB 60 % liegt vor seit: 09/2005

Frau Bf ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: JA

Die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ist nicht vor vollendetem 18. Lebensjahr eingetreten.

Die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ist nicht vor vollendetem 21. Lebensjahr eingetreten.

Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: Dauernde Erwerbsunfähigkeit ist nach dem 21. Lebensjahr eingetreten, lt. Befund 2015.

Dauerzustand

Daraufhin wies das Finanzamt den am eingelangten Antrag vom mit Bescheid vom für den Zeitraum ab November 2012 (somit fünf Jahre rückwirkend ab dem Zeitpunkt der Antragstellung) ab. In der Begründung führte das Finanzamt aus:

"Lebt ein Kind im Haushalt der Eltern (eines Elternteiles) oder finanzieren die Eltern überwiegend die Unterhaltskosten, haben die Eltern (hat der Elternteil) gemäß § 2 Abs. 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) vorrangig Anspruch auf Familienbeihilfe.

Gemäß § 6 Abs. 2 lit. d Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) in der ab gültigen Fassung haben volljährige Vollwaisen und ihnen gleichgestellte Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, Anspruch auf Familienbeihilfe.

Laut Gutachten des Sozialministeriumservice vom wurde Ihnen eine Behinderung im Ausmaß von 60% ab und 70% ab sowie eine dauernde Erwerbsunfähigkeit, die nach dem 21. Lebensjahr eingetreten ist, diagnostiziert. Somit liegt die Anspruchsvoraussetzung für die Gewährung der Familienbeihilfe samt Erhöhungsbetrag wegen Behinderung nicht vor."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde vom , eingelangt am . Darin wurde beantragt, ein neuerliches Gutachten einzuholen. Als Beweis wurde ein noch nachzureichender Befund von Dr.S, Arzt für Allgemeinmedizin und Psychotherapeut angeboten. Das dem Bescheid zu Grunde liegende medizinische Gutachten vom gehe davon aus, dass bei der Beschwerdeführerin ein Gesamtgrad der Behinderung von 70 % ab Jänner 2015 vorliege, sie dauernd außerstande sei, sich ihren Lebensunterhalt selbst zu verschaffen und diese Unfähigkeit, sich den Lebensunterhalt zu verschaffen, nicht vor ihrem 21. Lebensjahr eingetreten ist. Die Erwerbsunfähigkeit sei auch als Dauerzustand anzusehen. Richtigerweise sei im Gutachten die dauernde Erwerbsunfähigkeit auf Grund ihrer Behinderung festgestellt worden. Allerdings sei in diesem Gutachten fälschlicherweise der Eintritt der Erwerbsunfähigkeit nach dem 21. Lebensjahr diagnostiziert worden. Dies sei keinesfalls richtig. Die bei ihr vorliegenden und auch im Gutachten festgehaltenen Diagnosen - Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen, depressive Episoden, sowie paranoide Angststörung mit Wahnvorstellungen - hätten schon weit früher bestanden, jedenfalls vor dem 21. Lebensjahr, ja sogar während ihrer Schulzeit. Dazu wurde nochmals auf die noch nachzureichende Stellungnahme von Dr.S verwiesen. Aus diesem Grund wiederhole sie den Antrag auf Zuerkennung der erhöhten Familienbeihilfe ab November 2012.

In einer Beschwerdeergänzung vom wurde eine Bestätigung des Dr.S vom vorgelegt. Demnach befand sich die Beschwerdeführerin "im Zeitraum 1995 (ev. 1997)" bei diesem in mehrmaliger psychologischer-psychotherapeutischer Behandlung. Aufgrund nicht mehr vorhandener Unterlagen sei eine genauere Datierung praktisch unmöglich. Die Patientin habe an depressiver Symptomatik in Verbindung mit Angststörungen gelitten. Eine differenziertere Diagnose "ist aus heutiger Sicht nicht mehr möglich".

Ferner wurden eine Fülle ärztlicher Befunde aus der Kindheit der Beschwerdeführerin vorgelegt, die sich jedoch auf die körperlichen Beeinträchtigungen beschränken und zu allfälligen psychischen Beeinträchtigungen keinerlei Aussage enthalten. In diesem Unterlagenkonvolut findet sich auch der eingangs erwähnte Bescheid des Bundessozialamtes vom , mit dem der Grad der Behinderung mit 60 % festgestellt worden war; in diesem Bescheid wurden wie bereits erwähnt ausschließlich körperliche Beeinträchtigungen der Beschwerdeführerin festgestellt. Ferner finden sich in diesen Unterlagen auch jene Arztbriefe, die im Sachverständigengutachten vom berücksichtigt wurden.

In diesem sehr ausführlichen ärztlichen Sachverständigengutachten des Sozialministeriumservice vom wurde nach der am durchgeführten Untersuchung der Beschwerdeführerin festgestellt:

Anamnese:

Letztgutachten Dr.A, 02/2018, Gesamtgrad der Behinderung 70%, Diagnose: Hemiparese links, GdB 60%, Persönlichkeits-/Verhaltensstörung und Depression, GdB 40%, GdB 60% liegt vor seit 09/2005 und 70% seit 01/2015;

NEUFESTSETZUNG WEGEN EINSPRUCH GEGEN DAS LETZTGUTACHTEN BEZÜGLICH DAUERNDER ERWERBSUNFÄHIGKEIT:

2010 hat sie die Pädak in Linz abgeschlossen, anschließend hat sie an der Uni Salzburg noch 3 Jahre studiert, bis 2013 und mit der Magistra für Deutsch und Geschichte abgeschlossen; anschließend hat sie ein Jahr in Salzburg gelebt, es sei ihr damals aber psychisch schlecht gegangen, sie hat, da der Vater gestorben war, damals vom Erbe gelebt; anschließend hat Fr. Mag. Bf ein 12-monatiges Pflichtpraktikum begonnen aber nach 10 Monaten abgebrochen, aufgrund "psychischer und physischer Probleme", sie hat dann mehrere Arbeitsversuche beim Wifi und beim BFI gemacht, diese haben jeweils ca. 2 Monate gedauert; seit 12/2017 arbeitet sie bei einer Firma, die Jugendliche für eine überbetriebliche Lehre ausbilden (unterrichtet Deutsch, 20 Stunden pro Woche);

Rückblick: Schwangerschaft unauffällig bis zur Frühgeburt in der 34. GW wegen vorzeitigem Wehenbeginn; Entbindung per sectio wegen Placentainsuffizienz, Geburtsgewicht 1650g, 44cm, APGAR 7/8/8; sie hat das Gymnasium (Unterstufe) in S besucht, hat dann eine HAK besucht und nach 2 1/2 Jahren aber abgebrochen, wegen psychischer Probleme, hat nachher eine außerordentliche Lehre zur Bürokauffrau absolviert, anschließend hat sie ca. 2 Jahre bei einer Firma in P halbtags als Bürokauffrau gearbeitet und dann das Pädak-Studium in Linz begonnen; auch das Büro sei zu anstrengend gewesen;

Derzeitige Beschwerden:

1.: Die 20-stündige Arbeit sei ihr zu stark, sie leide unter Wahnvorstellungen, Angst- und Panikattacken; "Ich habe das Gefühl, als würde ich verfolgt, andere Menschen mir schaden wollen, indem sie mit Firmen kooperieren oder mit anderen Organisationen ...". Auch glaubt sie, dass ihre Wohnung überwacht ist, damit man ihr durch Informationen, die man dort finden könnte, schaden kann; "Ich habe auch schon im Gymnasium (bei dem 12-monatigen Praktikum) und dann an der Uni ein Mobbing erlebt, ich hatte den Eindruck, dass da Informationen über mich an die Presse weitergegeben werden." Aber auch als Schülerin im Gymnasium hatte sie den Eindruck, dass sie gemobbt wird, dass die Kollegen und Lehrer schlecht über sie reden und denken;

2.: "Ich habe viele Krämpfe am linken Bein und Arm."

3.: Hauptbeschwerde: "Ich habe einmal pro Woche trotz der Xeplion-Spritze noch Wahnvorstellungen und Depressionen, habe keinen Antrieb, manchmal auch Suizidgedanken."

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:

Sertralin, Atarax, Xeplion Depot-Injektion, Risperdalb.B.;

Sozialanamnese:

Fr. Mag. Bf hat einen jüngeren Bruder, hat auch Freunde und Freundinnen, die sie regelmäßig sieht, wobei sie allerdings den Freunden gegenüber misstrauisch ist, dass diese ihr schaden könnten, dann zieht sie sich eher zurück; der Vater war Primar auf der Internen Abteilung im KH S, die Mutter war Physiotherapeutin, hat mit ihr viel geübt;

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

Dr.S, Psychologe, 08/2018:

Fr. Mag. Bf befand sich im Zeitraum 1995 (evtl. 1997) bei mir in mehrmaliger psychologischer und psychotherapeutischer Behandlung; aufgrund nicht mehr vorhandener Unterlagen ist eine genaue Datierung praktisch unmöglich, die Patientin litt an depressiver Symptomatik in Verbindung mit Angststörungen; eine differenziertere Diagnose ist aus heutiger Sicht nicht mehr möglich;

Fr. Mag.K, Psychotherapeutin, 06/2018:

ich bestätige hiermit, dass Fr. Mag. Bf im Zeitraum von Oktober 1995 bis Oktober 1996 bei mir in ambulanter psychotherapeutischer Behandlung war; damaliges Diagnosebild F 43.2, sie wies eine Anpassungsstörung mit vorwiegend emotionaler Störung auf;

KUK Neuromed Campus, 09/2017, 4 Wochen stationär, Diagnose:

kombinierte Persönlichkeitsstörung (paranoid, ängstlich), mittelgradig depressive Episode, spastische Cerebralparese, Nebenwirkungen unter Zyprexa (Gewichtszunahme) und Citalopram (Myoklonie);

Arbeitspsychologische Stellungnahme Fit 2 Work, Mag.S, Diagnose:

kombinierte Persönlichkeitsstörung (paranoid-ängstlich), depressive Episode, gegenwärtig mittelschwer; ich empfehle für die Kundin aktuell eine längere Stabilisierungsmaßnahme, z.B. ATZ, wenn möglich mit reduziertem Stundenausmaß, eine generell berufliche Umstellung ist nach Erreichen einer ausreichenden psychischen Stabilität angeraten; die Kundin kann den gelernten Beruf als Bürokauffrau nicht weiter ausführen; Leistungskalkül: aktuell reicht die psychische Stabilität nicht für eine Einsetzbarkeit am allgemeinen Arbeitsmarkt aus, die psychische Stabilisierung steht im Vordergrund, zu einem späteren Zeitpunkt wird eine Neubewertung empfohlen;

Medikamentenverordnung Dr.M, Fachärztin für Psychiatrie, 05/2018,

Diagnose: paranoide Schizophrenie;

Kinderklinik Linz 04/1985:

Übernahme des Kindes wegen Atemnotsyndrom-Symptomatik vom KH S; bei der Ankunft wird sie sofort intubiert, Respiratortherapie begonnen, anfänglich 100%-ige Sauerstoffzufuhr notwendig, die Beatmung konnte nach 4 Tagen beendet werden; initial erfolgte zur Hirnödemprophylaxe mehrmals Gabe von Lasix und Fortecortin; am 10. Lebenstag deutliche Verschlechterung im AZ, Umstellung der antibiotischen Therapie auf Chlormycetin plus Certomycin und Immunglobuline wurden verabreicht, auch ein Ery- Konzentrat wurde wegen Abfall des Hämoglobinspiegels gegeben; im zuletzt durchgeführten Schädel-Sonogramm ergab sich leider doch der Verdacht auf eine stattgehabte periventrikuläre Blutung beidseits geringen Ausmaßes; dieser Befund soll zusammen mit dem neuromotorischen Status kontrolliert werden; Diagnose: Frühgeburt 34. GW, IRDS Grad 3, Hyperbilirubinämie, Verdacht auf Sepsis;

Bestätigung Dr.F / BH S von 2005:

DG infantie Zerebralparese, mehrmalige operative Spitzfußkorrektur;

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand: unauffällig, Ernährungszustand: adipös, Größe: 160,00 cm Gewicht: 88,00 kg,

Status (Kopf / Fußschema) - Fachstatus:

Gehör: unauffällig; Visus: unauffällig; Kopf: Pupillen eng, rund, isokor, direkte Lichtreaktion angedeutet, Bulbusmotilität konjugiert, Gesicht symmetrisch innerviert, keine Lippenzyanose, Zunge feucht, kommt gerade vor, Gebiss in Ordnung; Halsorgane: unauffällig; Cor: rhythmisch, normfrequent, Herztöne unauffällig, keine Nebengeräusche; Pulmo: Vesikuläratmen über beiden Lungen; Thorax: symmetrisch; Wirbelsäule: gerade, FBA ca. 25cm; Arme: hebt sie nach vorne bis 170°, zur Seite ebenso, Schulter-, Ellbogen-, Hand- und Fingergelenke unauffällig, Faustschluss beidseits komplett, grobe Kraft und Feinmotorik unauffällig, Nacken- und Kreuzgriff frei, Pinzettengriff frei; Beine: hebt sie gestreckt aus Rückenlage beidseits bis 40°, passiv kann bis 90° gebeugt werden, Kniegelenke mit mäßiger Valgusform, mäßige Hemiparese, fragliche Diparese mit Linksbetonung, PSR seitengleich sehr lebhaft auslösbar, Babinski links mäßig positiv, geringer Halluxvalgus beidseits, Babinski rechts negativ; sie gibt ein sensibles Defizit an der gesamten linken Körperhälfte an, auch das Temperaturempfinden sei links schwächer als rechts;

Gesamtmobilität - Gangbild:

Geradeaus mit typisch spastischer Gangstörung, wobei sie im Zehenballenbereich vermehrt auftritt und die Füße nach innen rotiert; Fersengang beidseits nicht möglich, Zehenballengang beidseits möglich;

Psycho(patho)logischer Status:

Allseits orientiert, kontaktfähig, höflich, Antrieb gering herabgesetzt, Stimmung indifferent, Affizierbarkeit mäßig eingeschränkt, Ductus kohärent; paranoide Ideen vorhanden

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

1) infantile linksbetonte Zerebralparese, spastische Gangstörung; Pos.Nr. , GdB 60 %

2) Persönlichkeits-/ Angststörung nach Frühgeburt in der 34.SSW, Einschätzung entsprechend der verminderten psychischen Belastbarkeit und Zustand nach chronischer Überforderung, paranoide Ideen; PosNr. , GdB 50 %

Gesamtgrad der Behinderung 70 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

das Leiden unter Nr. 2 steigert um eine Stufe auf einen Gesamtgrad der Behinderung von 70%, da das Gesamtbild in funktioneller Hinsicht verschlechtert wird.

Stellungnahme zu Vorgutachten:

das Leiden unter Nr.2 wird aufgrund der deutlich verminderten psychischen Belastbarkeit aktuell höher eingeschätzt

Der festgestellte Grad der Behinderung wird voraussichtlich mehr als 3 Jahre andauern:

GdB liegt vor seit: 01/2015

GdB 60 liegt vor seit: 03/1985

Begründung GdB liegt rückwirkend vor:

GdB 70% rückwirkend ab 2015 (Befund vom WJ KH mit DG Persönlichkeits-/ Angststörung vorliegend). Fr. Mag. Bf wurde auch schon 1995 1 Jahr lang psychotherapeutisch wegen Anpassungsstörung behandelt - diese Erkrankung wurde vermutlich unter der Diagnose infantile Zerebralparese subsumiert;

GdB 60% ab 3 /1985 bei infantiler Cerebralparese nach Frühgeburt in der 34. SSW und Zustand nach mehreren Spitzfußoperation

Frau Bf ist voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen: JA

Die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen ist nicht vor vollendetem 18. Lebensjahr eingetreten.

Die Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist nicht vor dem vollendeten 21. Lebensjahr eingetreten.

Anmerkung bzw. Begründung betreffend die Fähigkeit bzw. voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen:

Aufgrund der verminderten psychischen und körperlichen Belastbarkeit kann sie sich den Unterhalt am ersten Arbeitsmarkt nicht selbst verschaffen; für die Annahme einer dauernden Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr liegen laut Oberbegutachtung durch Fr. Dr.T und Fr. Dr.U keine ausreichenden Befunde vor.

Dauerzustand

Angesichts dieses Gutachtens wies das Finanzamt die verfahrensgegenständliche Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom ab, dies im Wesentlichen mit der Begründung, dass im vorliegenden Gutachten des Sozialministeriumservice vom eine dauernde Erwerbsunfähigkeit erst ab 01/2015 (somit im Alter von 29 Jahren) festgestellt worden sei und für die Beurteilung einer dauernden Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr keine ausreichenden Befunde vorgelegen wären. Darüber hinaus sei in den Jahren 2017 und 2018 laut "vorliegenden Unterlagen" die in "§ 5 Abs. 1 FLAG" normierte Einkommensgrenze überschritten worden.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Vorlageantrag vom . Darin wurden als Beweise angeboten: der schon im Zuge der Beschwerde beigebrachte Befund von Dr.S, Arzt für Allgemeinmedizin und Psychotherapeut, sowie der beigebrachte Befund von Mag.K, Psychotherapeutin und ein beigefügtes ärztliches Schreiben von Fr. Dr.M, Fachärztin für Psychiatrie. Richtigerweise sei im Gutachten vom ihre dauernde Erwerbsunfähigkeit auf Grund ihrer Behinderung festgestellt worden. Allerdings sei in diesem Gutachten (wiederum) fälschlicherweise ihre dauernde Erwerbsunfähigkeit ab 01/2015 festgehalten und das Vorliegen ihrer dauernden Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr verneint worden. Diese Annahme sei damit begründet worden, dass für diesen Zeitraum (dauernde Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr) keine ausreichenden Befunde vorlägen. Zwar seien die von ihr beigebrachten Befunde (ärztliches Schreiben von Dr.S sowie Befund von Fr. Mag.K) vom untersuchenden Arzt in seinem Sachverständigengutachten angeführt und teilweise zitiert worden, allerdings habe der Arzt die aus diesen ärztlichen Schreiben hervorgehende Bestätigung, konkret, dass ihre psychischen Krankheitssymptome schon weit vor ihrem 18. Lebensjahr vorgelegen seien, dennoch völlig negiert. Auch die von ihm festgehaltene Vermutung, dass ihre psychische und mentale Erkrankung unter die Diagnose infantile Cerebralparese subsumiert worden sei bzw. zu subsumieren sei, entbehre jeglicher medizinischen Nachvollziehbarkeit. Die bei ihr vorliegende und auch im Gutachten festgehaltenen Diagnosen - Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen, depressive Episoden, sowie paranoide Angststörung mit Wahnvorstellungen - hätten schon weit früher bestanden, jedenfalls vor dem 21. Lebensjahr (siehe auch beiliegendes ärztliches Schreiben von Fr. Dr.M). Aus diesem Grund halte sie den Antrag auf Zuerkennung der erhöhten Familienbeihilfe ab November 2012 aufrecht.

In der im Vorlageantrag erwähnten ärztlichen Bestätigung der Dr.M vom hielt diese fest:

"Die Patientin wurde in der 34. Schwangerschaftswoche per sectio entbunden; danach Komplikationen, in der Folge spastische Zerebralparese entwickelt. Frau Bf berichtet, dass bereits weit vor dem 18. Lebensjahr psychische Störungen aufgetreten seien, die damals von ihrem Vater (war Arzt) behandelt worden seien. Sie habe aus dieser Zeit leider keine Befunde mehr. Später Weiterbehandlung über Psychologen und Psychotherapeuten - ca. 1995 und 1996 (Befunde in der Ordination dokumentiert). Danach Weiterbehandlung in der Landesnervenklinik Wagner-Jauregg. Therapieübernahme in der Ordination August 2017. Es bestehen mentale und körperliche Einschränkungen, wobei die mentale Erkrankung medikamentös therapiert werden muss. Dadurch ist die Patientin auch nur begrenzt arbeitsfähig und kann somit für ihren Lebensunterhalt, finanziell nicht ausreichend sorgen. Die Patientin kommt regelmäßig zur Behandlung in die Ordination."

Am legte das Finanzamt die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und beantragte eine Abweisung derselben.

Rechtslage

§ 6 FLAG 1967 normiert:

(1) Anspruch auf Familienbeihilfe haben auch minderjährige Vollwaisen, wenn

a) sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,

b) ihnen nicht Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist und

c) für sie keiner anderen Person Familienbeihilfe zu gewähren ist.

(2) Volljährige Vollwaisen haben Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie …

d) wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, sofern die Vollwaise nicht einen eigenständigen Haushalt führt; dies gilt nicht für Vollwaisen, die Personen im Sinne des § 1 Z 3 und Z 4 des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, sind, sofern die Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, auf sie Anwendung finden.

(3) Ein zu versteuerndes Einkommen (§ 33 Abs. 1 EStG 1988) einer Vollwaise führt bis zu einem Betrag von 10.000 € in einem Kalenderjahr nicht zum Wegfall der Familienbeihilfe. Übersteigt das zu versteuernde Einkommen (§ 33 Abs. 1 EStG 1988) der Vollwaise in einem Kalenderjahr, das nach dem Kalenderjahr liegt, in dem die Vollwaise das 19. Lebensjahr vollendet hat, den Betrag von 10.000 €, so verringert sich die Familienbeihilfe, die der Vollwaise nach § 8 Abs. 2 einschließlich § 8 Abs. 4 gewährt wird, für dieses Kalenderjahr um den 10.000 € übersteigenden Betrag. § 10 Abs. 2 ist nicht anzuwenden. Bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens (§ 33 Abs. 1 EStG 1988) der Vollwaise bleiben außer Betracht:

a) das zu versteuernde Einkommen, das vor oder nach Zeiträumen erzielt wird, für die Anspruch auf Familienbeihilfe besteht,

b) Entschädigungen aus einem anerkannten Lehrverhältnis,

c) Waisenpensionen und Waisenversorgungsgenüsse,

(4) Als Vollwaisen gelten Personen, deren Vater verstorben, verschollen oder nicht festgestellt und deren Mutter verstorben, verschollen oder unbekannt ist.

(5) Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3). Erheblich behinderte Kinder im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. c, deren Eltern ihnen nicht überwiegend den Unterhalt leisten und die einen eigenständigen Haushalt führen, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 und 3).

Gemäß § 8 Abs. 1 FLAG 1967 bestimmt sich der einer Person zustehende Betrag an Familienbeihilfe nach der Anzahl und dem Alter der Kinder, für die ihr Familienbeihilfe gewährt wird. Die Höhe dieses Grundbetrages wird in § 8 Abs. 2 und 3 FLAG näher geregelt.

Gemäß § 8 Abs. 4 FLAG erhöht sich die Familienbeihilfe monatlich für jedes Kind, das erheblich behindert ist, um die dort angeführten Beträge (Erhöhungsbetrag).

Als erheblich behindert gilt ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muß mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen (§ 8 Abs. 5 FLAG).

Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen. Die diesbezüglichen Kosten sind aus Mitteln des Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen zu ersetzen (§ 8 Abs. 6 FLAG).

§ 8 Abs. 4 bis 6 gelten sinngemäß für Vollwaisen, die gemäß § 6 Anspruch auf Familienbeihilfe haben (§ 8 Abs. 7 FLAG).

Erwägungen

Ein sogenannter Eigenanspruch der Beschwerdeführerin auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe (Grundbetrag gemäß § 8 Abs. 2 FLAG und Erhöhungsbetrag gemäß § 8 Abs. 4 FLAG) würde im gegenständlichen Fall voraussetzen, dass die erst in den beiden Gutachten des Sozialministeriumservice aus dem Jahr 2018 festgestellte dauernde Erwerbsunfähigkeit bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres (somit vor dem Datum1) eingetreten ist (§ 6 Abs. 5 iVm § 6 Abs. 2 lit. d FLAG).

Durch die Bestimmung des § 8 Abs. 6 FLAG hat der Gesetzgeber die Frage des Grades der Behinderung und auch die damit in der Regel unmittelbar zusammenhängende Frage der voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, der eigenständigen Beurteilung der Familienbeihilfenbehörden entzogen und dafür ein qualifiziertes Nachweisverfahren eingeführt, bei dem eine für diese Aufgabenstellung besonders geeignete Institution eingeschaltet wird und der ärztliche Sachverstand die ausschlaggebende Rolle spielt. Die Beihilfenbehörden haben bei ihrer Entscheidung jedenfalls von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen und können von ihr nur nach entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung abgehen (). Daraus folgt, dass die Abgabenbehörde und das Bundesfinanzgericht an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrundeliegenden Gutachten gebunden sind und diese nur insoweit prüfen dürfen, ob sie schlüssig und vollständig sind und im Falle mehrerer Gutachten nicht einander widersprechen (; , 2009/16/0307 und 2009/16/0310, mwN). Wurde von der Abgabenbehörde bereits ein solches Sachverständigengutachten eingeholt, erweist sich dieses als schlüssig und vollständig und wendet der Beschwerdeführer nichts Substantiiertes ein, besteht für das Bundesfinanzgericht kein Grund, neuerlich ein Sachverständigengutachten einzuholen (; vgl. zu alldem auch Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Tz 29).

Diese Bindungswirkung gilt auch für rückwirkende Feststellungen im Gutachten zur Frage, ab wann der festgestellte Grad der Behinderung eingetreten ist, und genauso zur Frage, seit wann eine Person dauernd erwerbsunfähig ist. Der Sachverständige kann dabei in der Regel nur aufgrund von vorliegen Befunden Rückschlüsse darauf ziehen, zu welchem Zeitpunkt eine erhebliche Behinderung bwz. eine dauernde Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist (vgl. Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Rz 32; ; ). Die Beihilfenbehörde ist an eine Bescheinigung im Sinne des § 8 Abs. 6 FLAG auch dann gebunden, wenn darin schlüssig begründet wird, warum eine rückwirkende Feststellung betreffend einen lange zurückliegenden Zeitpunkt nicht möglich ist ().

§ 6 Abs. 2 lit. d FLAG stellt darauf ab, dass der Vollwaise (hier: Sozialwaise im Sinne des § 6 Abs. 5 FLAG) auf Grund einer zu einem bestimmten Zeitpunkt eingetretenen Behinderung außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Eine derartige geistige oder körperliche Behinderung kann durchaus die Folge einer Krankheit sein, die schon seit längerem vorliegt (bei angeborenen Krankheiten oder genetischen Anomalien etwa seit Geburt), sich jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt manifestiert. Erst wenn diese Krankheit zu einer derart erheblichen Behinderung führt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt, ist der Tatbestand des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG erfüllt. Mithin kommt es weder auf den Zeitpunkt an, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu (irgend)einer Behinderung führt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem diejenige Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt (; ).

Es kommt daher nicht darauf an, ab wann die Beschwerdeführerin an den angeführten psychischen Störungen erkrankt ist, sondern ab wann diese Erkrankung ein Ausmaß angenommen hat, das zu einer Erwerbsunfähigkeit führt.

Die Beschwerdeführerin hat das 21. Lebensjahr am Datum1 vollendet. Das erste für Zwecke des Beihilfenverfahrens erstellte Gutachten des Bundessozialamtes stammt aus dem Jahr 2005 und fußt auf der am durchgeführten Untersuchung. Eine psychische Erkrankung der Beschwerdeführerin wurde dabei weder festgestellt noch finden sich dazu auch nur ansatzweise in diese Richtung deutende Feststellungen in der Anamnese.

Gleiches gilt für den aktenkundigen Bescheid des Bundessozialamtes vom , in dem auf Grund der am durchgeführten Untersuchung ausschließlich körperliche Beeinträchtigungen der Beschwerdeführerin festgehalten worden waren.

Ebenso wurden bei der im Jahr 2008 durchgeführten Nachuntersuchung nur physische Einschränkungen der Beschwerdeführer festgestellt. Auch in diesem Gutachten finden allfällige psychische Beeinträchtigungen in der Anamnese keine Erwähnung. Es wird zwar zum Entwicklungsstand ein "manchmal etwas zäher Ductus" festgehalten, die Beschwerdeführerin aber als "fröhlich" beschrieben. Von einer psychischen Beeinträchtigung, die zu einer Erwerbsunfähigkeit führen könnte, ist keine Rede.

Im Gutachten vom werden erstmals die psychischen Beeinträchtigungen der Beschwerdeführerin festgestellt. Dazu wird auf Befunde des Wagner Jauregg Krankenhauses aus den Jahren 2015 und 2016 Bezug genommen, in denen eine kombinierte Persönlichkeitsstörung der Beschwerdeführer festgestellt worden war.

Ältere Befunde, die eine solche kombinierte Persönlichkeitsstörung dokumentieren würden, sind von der Beschwerdeführerin nicht vorgelegt worden. In der Bestätigung des Dr.S vom wird nur auf Behandlungen "im Jahr 1995 oder 1997" verwiesen. Die Beschwerdeführerin habe an "depressiver Symptomatik in Verbindung mit Angststörungen" gelitten, eine differenziertere Diagnose sei nicht mehr möglich. Es ist nicht als unschlüssig zu werten, wenn das Sozialministeriumservice aus dieser allgemeine gehaltenen Diagnose keine bereits damals vorliegende dauernde Erwerbsunfähigkeit abgeleitet hat.

Gleiches gilt für die im Zuge des Vorlageantrages vorgelegte Bestätigung der Dr.M. Darin wird festgehalten, dass zu den von der Beschwerdeführerin berichteten psychischen Störungen bereits vor dem 18. Lebensjahr keinerlei Befunde vorlägen, da diese vom Vater der Beschwerdeführerin behandelt worden wären. Frühere Befunde als jene des Wagner Jauregg Krankenhauses aus den Jahren 2015 und 2016 wurden auch von Dr.M nicht vorgelegt. Inhaltlich ergeben sich aus dieser Bestätigung daher keine Aufschlüsse, die über die bereits im Zuge des Letztgutachtens berücksichtigten Befunde hinausgingen. Da diese Bestätigung nichts substantiell Neues enthält, war die Einholung eines weiteren Gutachtens durch das Sozialministeriumservice im Hinblick auf die oben aufgezeigte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht erforderlich.

Es liegen daher zum einen keine ärztlichen Befunde vor, in denen solche psychische Beeinträchtigungen der Beschwerdeführerin vor dem Datum1 dokumentiert werden, die aufgrund ihrer Art und Schwere bereits damals eine dauernde Erwerbsunfähigkeit bewirkt hätten. Gegen eine bereits zu diesem Zeitpunkt vorliegende derart schwere psychische Erkrankung spricht auch der Umstand, dass in den ärztlichen Gutachten des Bundessozialamtes aus den Jahren 2005 und 2008 und im Bescheid des Bundessozialamtes vom keinerlei psychische Beeinträchtigungen festgestellt worden waren.

Insgesamt gesehen ist daher die Feststellung des Bundessozialamtes im Letztgutachte vom schlüssig, dass für die Annahme einer dauernden Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr keine ausreichenden Befunde vorlägen. Es fehlt daher schon an dieser Voraussetzung für einen Eigenanspruch der Beschwerdeführerin auf erhöhte Familienbeihilfe, sodass sich der angefochtene Bescheid als rechtmäßig erweist und daher spruchgemäß zu entscheiden war.

Der Vollständigkeit halber wird noch bemerkt, dass gemäß § 6 Abs. 1 lit. c FLAG ein Eigenanspruch nur dann besteht, wenn die Familienbeihilfe keiner anderen Person zu gewähren ist. Das Finanzamt hat im angefochtenen Bescheid zutreffend darauf hingewiesen, dass gemäß § 2 Abs. 2 FLAG primär jene Person anspruchsberechtigt ist, zu deren Haushalt das Kind gehört. Die Beschwerdeführerin war in den Jahren 2012 bis 2017 mit Hauptwohnsitz in 4782 St. Florian, Pramhof 54, gemeldet und somit zum Haushalt ihrer Mutter zugehörig, sodass diese primär anspruchsberechtigt gewesen wäre, wenn die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 lit. c FLAG, der im Wesentlichen dem § 6 Abs. 2 lit. d FLAG entspricht, vorgelegen wären (vor dem 21. Lebensjahr eingetretene Erwerbsunfähigkeit der Beschwerdeführerin).

Ferner wurde in der Beschwerdevorentscheidung zutreffend und unwidersprochen darauf hingewiesen, dass ab dem Veranlagungsjahr 2017 die Einkommensgrenze des § 6 Abs. 3 FLAG überschritten wurde. Wird der Grenzbetrag von 10.000,00 € überschritten, so verringert sich die Familienbeihilfe, die nach § 8 Abs. 2 einschließlich § 8 Abs. 4 gewährt wird, für dieses Kalenderjahr um den 10.000 € übersteigenden Betrag. Laut Einkommensteuerbescheid 2017 vom betrug das zu versteuernde Einkommen der Beschwerdeführerin in diesem Jahr 16.015,58 €. Der Grundbetrag an Familienbeihilfe für dieses Jahr hätte gemäß § 8 Abs. 2 FLAG monatlich 162,00 € (im Jahr daher 1.944,00 €) und der Erhöhungsbetrag gemäß § 8 Abs. 4 FLAG monatlich 152,90 € (jährlich daher 1.834,80 €) betragen, sodass sich für das Jahr 2017 ein Beihilfenanspruch von insgesamt 3.778,80 € ergeben hätte. Die Einkünfte der Beschwerdeführerin im Jahr 2017 überstiegen den Betrag von 10.000,00 € aber um 6.015,58 €. Wird dieser Betrag vom Beihilfenanspruch von 3.778,80 € abgezogen, verbleibt tatsächlich kein auszahlbarer Betrag.

Gleiches gilt für die Jahre 2018 und 2019, auch wenn für diese Zeiträume zu berücksichtigen ist, dass der Grundbetrag gemäß § 8 Abs. 2 FLAG auf 165,10 € und der Erhöhungsbetrag gemäß § 8 Abs. 4 FLAG auf 155,90 € erhöht wurden. Laut Einkommensteuerbescheid 2018 vom betrug das steuerpflichtige Einkommen in diesem Jahr 16.053,19 €. Für das Jahr 2019 liegt noch kein Einkommensteuerbescheid vor, den bereits übermittelten Lohnzetteln und Mitteilungen gemäß § 109a EStG ist aber zu entnehmen, dass auch in diesem Jahr die Einkommensgrenze des § 6 Abs. 3 FLAG deutlich überschritten wird.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Da im gegenständlichen Verfahren die entscheidungsrelevanten Rechtsfragen bereits ausreichend durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt sind, und die Entscheidung von dieser Rechtsprechung nicht abweicht, ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig.

Hinweis zum 2. COVID-19-Gesetz

Abweichend von der folgenden Rechtsbelehrung beginnt die Frist zur Erhebung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder einer Revision an den Verwaltungsgerichtshof gegen diese Entscheidung - sofern diese vor dem zugestellt wurde - mit zu laufen (§ 6 Abs. 2 i. V. m. § 1 Abs. 1 Art. 16 2. COVID-19-Gesetz BGBl. I Nr. 16/2020).

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.5101374.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at