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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 16.04.2020, RV/5101625/2014

Ort des Endverbrauches eines neuen Fahrzeuges im Inland (Ig Erwerb).

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Ansgar Unterberger in der Beschwerdesache Bf, Anschrift, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide der belangten Behörde Finanzamt Linz vom betreffend die Festsetzung der Kraftfahrzeugsteuer für die Monate 04-12/2011, 01-12/2012 und 01-12/2013 sowie betreffend die Festsetzung der Normverbrauchsabgabe für den Zeitraum 03/2011 und betreffend die Festsetzung der Umsatzsteuer für den Erwerb neuer Fahrzeuge zu Recht erkannt:

1. Den Beschwerden wird betreffend Kraftfahrzeugsteuer für die Monate 04-12/2011, 01-12/2012 und 01-12/2013 sowie betreffend Festsetzung der Normverbrauchsabgabe für den Zeitraum 03/2011 Folge gegeben. Die angefochtenen Bescheide werden aufgehoben.

2. Die Beschwerde betreffend Festsetzung der Umsatzsteuer für den Erwerb neuer Fahrzeuge wird als unbegründet abgewiesen.

3. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Zum Spruchpunkt 1:

Nach Rücksprache mit dem Amtsvertreter ist es unstrittig, dass im gesamten strittigen Zeitraum mindestens monatlich Aus- und Wiedereinbringungen des KFZ erfolgt sind, weshalb iSd VwGH-Erkenntnisse vom , 2011/16/0221 und vom , Ro 2015/16/0031 die Frist nach § 82 Abs. 8 KFG infolge der stattgefundenen Unterbrechungen nie überschritten wurde und keine widerrechtliche Verwendung vorliegt. Da somit der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Z 3 KfzStG nicht erfüllt ist, waren die im Spruch angeführten Bescheide betreffend betreffend Kraftfahrzeugsteuer für die Monate 04-12/2011, 01-12/2012 und 01-12/2013 sowie infolge der Nichterfüllung des Tatbestandes des § 1 Z 3 NoVAG betreffend Festsetzung der Normverbrauchsabgabe für den Zeitraum 03/2011 ersatzlos aufzuheben.

Zum Spruchpunkt 2:

Bisheriges Verwaltungsbehördliches Geschehen

Am wurde in einer Niederschrift der Finanzpolizei festgehalten, dass im Zuge einer Kontrolle nach den Bestimmungen des § 12 AVOG durch Organe der Finanzpolizei der Abgabenbehörde Finanzamt Linz am , um 15:30 Uhr, in der östAnschrift Herr Bf (in der Folge: Bf) betreffend die Verwendung des KFZ mit ausländischem Kennzeichen (dtKennz) in Österreich befragt wurde. Zusammengefasst hat dieser angegeben, dass er das Fahrzeug ca. am nach Österreich verbracht habe, damit aber jede Woche bzw jedenfalls alle 14 Tage nach Deutschland zu seinem Haus fahre. Weiters hat er angegeben, dass er gemeinsam mit seiner Frau und seiner Tochter in Österreich lebe und sie gemeinsam die Wochenenden in Deutschland verbringen würden. Das Unternehmen AG sei sein Arbeitgeber und er sei dort als Techniker im Innen- und Außendienst beschäftigt. Für den Außendienst verwende er größtenteils ein Mietfahrzeug, teilweise auch die Bahn. Der Bf habe in der Niederschrift angegeben, den Kaufvertrag, Rechnungen, Hauptmeldebestätigungen und die Meldebestätigung von Linz beim nächsten Deutschlandbesuch an das Organ der Finanzpolizei per Mail zu schicken.

Aus der übermittelten Rechnung des gegenständlichen KFZ (Auto) gehe hervor, dass das Datum der Erstzulassung mit dem Datum des Leistungszeitpunktes, nämlich der übereinstimme und das Fahrzeug einen Kilometerstand von 19 km aufweise. Aus dem übermittelten Versicherungsdatenauszug (Stand vom ) gehe hervor, dass der Arbeitgeber des Bf von bis laufend das Unternehmen AG sei. Aus dem Versicherungsdatenauszug der Ehegattin, Frau Gattin, gehe hervor, dass diese zumindest von bis bei der Drog durchgehend beschäftigt gewesen sei. In der Familienbeihilfendatenbank sei ersichtlich, dass für die gemeinsame Tochter, T geb. am Datum, von Oktober 2006 bis September 2013 ebenfalls in Österreich Familienbeihilfe ausbezahlt wurde.

Aufgrund dieser Feststllungen hat das zuständige Finanzamt am Bescheide über die Festsetzung der Kraftfahrzeugsteuer für die die Monate 04-12/2011, 01-12/2012 und 01-12/2013 sowie betreffend die Festsetzung der Normverbrauchsabgabe für den Zeitraum 03/2011 und betreffend die Festsetzung der Umsatzsteuer für den Erwerb neuer Fahrzeuge erlassen.

Gegen diese Bescheide wurde vom Bf am fristgerecht Beschwerde erhoben. In dieser hat er ausgeführt, dass sein Hauptwohnsitz in Deutschland sei und es auch nie beabsichtigt gewesen sei, den Hauptwohnsitz nach Linz zu verlegen. Sämtliche Arztbesuche seinen nachweislich ausschließlich in Deutschland erfolgt. Auch sämtliche Lebensmitteleinkäufe seien in Deutschland getätigt worden. Aufgrund des Alters und der Pflegebedürftigkeit seiner Mutter, welche in seinem Haus in Deutschland lebe, sei seine Anwesenheit dort unverzichtbar. Der Bf führt weiters an, dass er seit geraumer Zeit nicht mehr in Österreich arbeite.

In der am ergangenen Beschwerdevorentscheidung wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Es wurde klargestellt, dass es völlig außer Zweifel stehe, dass der Bf in Deutschland einen Wohnsitz habe und auch 14-tägig nach Deutschland gefahren sei. Die Ehefrau des Beschwerdeführers sei ebenfalls von bis durchgehend in Österreich beschäftigt gewesen und das Kind sei in Österreich zur Schule gegangen und es sei auch von Oktober 2006 bis September 2013 Familienbeihilfe in Österreich ausbezahlt worden. Aus diesen Gründen sei vom Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich auszugehen. Bezüglich der Festsetzung der Umsatzsteuer sei auf die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 282/2011 des Rates vom auf Artikel 16 zu verweisen: Der Mitgliedstaat der Beendigung des Versands oder der Beförderung der Gegenstände, in dem ein innergemeinschaftlicher Erwerb von Gegenständen im Sinne von Artikel 20 der Richtlinie 2006/112/EG erfolgt, nimmt seine Besteuerungskompetenz unabhängig von der mehrwertsteuerlichen Behandlung des Umsatzes im Mitgliedstaat des Beginns des Versands oder der Beförderung der Gegenstände wahr.

Gegen diese Beschwerdevorentscheidung wurde am ein Vorlageantrag (Berufung gegen die BVE) eingebracht.

Am wurde der Fall dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Sachverhalt und Beweiswürdigung

Der Richter geht nach der Aktenlage von folgendem Sachverhalt aus. Der Beschwerdeführer hatte seinen behördlich gemeldeten Hauptwohnsitz in Deutschland und nach seinen eigenen Angaben seinen Nebenwohnsitz in Österreich. Davon abweichend befand sich aber der tatsächliche Mittelpunkt seiner Lebensinteressen und daraus folgend auch der Ort des Endverbrauches des Fahrzeuges im Zeitpunkt des Erwerbes und in den Folgemonaten in Österreich.

Dies ergibt sich aus folgenden Umständen:

Der Bf war von bis   bei dem Unternehmen AG in der An2 beschäftigt.

Seine Ehefrau und auch sein Kind waren ebenfalls gemeinsam mit dem an deren gemeinsamen Familienwohnsitz  in Österreich ansässig. Die Gattin war vom bis zum durchgehend in Österreich beschäftigt und das Kind T (geboren am Datum) ist in Österreich zur Schule gegangen. Es wurde auch von Oktober 2006 bis September 2013 in Österreich Familienbeihilfe bezogen.

Der Bf ist wöchentlich bzw zumindest 14-tätig nach Deutschland gefahren, unter anderem um sich dort um die Pflege seiner Mutter zu bemühen. Dies ändert aber nichts daran, dass das Fahrzeug außer an diesen Wochenenden und bei etwaigen Urlauben in Österreich verwendet wurde, hier bei Nichtnutzung auch am Mittelpunkt der Lebensinteressen des Bf, nämlich an seinem Wohnsitz in der östAnschrift abgestellt war.

Entgegen den Aussagen des Bf ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung auch davon auszugehen, dass das Fahrzeug auch für Einkäufe zur Deckung des täglichen Bedarfs in Österreich verwendet wurde. Es widerspricht der Lebenserfahreng, dass derartige Einkäufe nur an Wochenenden durchgeführt werden. Überdies ist davon auszugehen, dass es am Wohnort der Familie auch familiär bzw privat bedingte Fahrten iRd Freizeitgestaltung der Familienmitglieder gab.

Die Verwendung eines Mietautos bzw der Eisenbahn zu Außendienst-Fahrten weist auch darauf hin, dass das Fahrzeug auch von der Gattin des Bf während der Woche im Inland verwendet wurde.

Auch die Darstellung, dass Arztbesuche ausschließlich an einem der in Deutschland verbrachten Wochenenden stattfanden, widerspricht dem Umstand, dass sich Krankheiten nach der Lebenserfahrung üblicherweise nicht an Terminplanungen halten. Selbst wenn es tatsächlich so wäre, könnte dies nichts daran ändern, dass der Ort des Endverbrauches des Fahrzeuges im Erwerbszeitpunkt nach dem festgestellten Sachverhalt und den hier dargelegten Erwägungen am wahrscheinlichsten am gemeinsamen Familienwohnsitz in Österreich gelegen war.

Das gegenständliche KFZ wurde am beim Autohaus G in Deutschland erworben und auf den Beschwerdeführer in Deutschland zugelassen. Nach seinen eigenen Aussagen, in der Niederschrift vom , habe er das Fahrzeug ca. am (also eine Woche nach Erwerb) nach Österreich verbracht und es auch in Österreich verwendet.

Das Fahrzeug wies nach den im Akt aufliegenden Unterlagen (Rechnung und Zulassungsschein) im Zeitpunkt des Kaufes am einen Kilometerstand von 19 km auf. Der Tag der Erstzulassung war am Tag des Kaufes. Es sind somit im entscheidenden Lieferzeitpunkt auch die gesetzlichen Voraussetzungen für das Vorliegen eines neuen Fahrzeuges erfüllt.

Gesetzliche Grundlagen

Umsatzsteuergesetz 1994:

Art. 1 Abs. 1: Der Umsatzsteuer unterliegt auch der innergemeinschaftliche Erwerb im Inland gegen Entgelt

Abs. 2: Ein innergemeinschaftlicher Erwerb gegen Entgelt liegt vor, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind.

  • Ein Gegenstand gelangt bei der Lieferung an den Abnehmer (Erwerber) aus dem Gebiet eines Mitgliedstaates in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates, auch wenn der Lieferer den Gegenstand in das Gemeinschaftsgebiet eingeführt hat;

  • der Erwerber ist

    • ein Unternehmer, der den Gegenstand für sein Unternehmen erwirbt, oder

    • eine juristische Person, die nicht Unternehmer ist oder die den Gegenstand nicht für ihr Unternehmen erwirbt, und

  • die Lieferung an den Erwerber

    • wird durch einen Unternehmer gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausgeführt und

    • ist nach dem Recht des Mitgliedstaates, der für die Besteuerung des Lieferers zuständig ist, nicht auf Grund der Sonderregelung für Kleinunternehmer steuerfrei

(…)

Abs. 7: Der Erwerb eines neuen Fahrzeugs durch einen Erwerber, der nicht zu den in Abs. 2 Z 2 genannten Personen gehört, ist unter den Voraussetzungen des Abs. 2 Z 1 innergemeinschaftlicher Erwerb.

Abs. 8: Fahrzeuge im Sinne des Abs. 7 sind

  • motorbetriebene Landfahrzeuge mit einem Hubraum von mehr als 48 Kubikzentimetern oder einer Leistung von mehr als 7,2 Kilowatt,

soweit diese Fahrzeuge zur Personen- oder Güterbeförderung bestimmt sind.

Abs. 9: Ein Fahrzeug gilt als neu, wenn die erste Inbetriebnahme im Zeitpunkt des Erwerbs nicht mehr als drei Monate zurückliegt. Für motorbetriebene Landfahrzeuge nach Abs. 8 Z 1 beträgt der Zeitraum sechs Monate. Dasselbe gilt, wenn das

  • Landfahrzeug nicht mehr als 6.000 Kilometer zurückgelegt hat,

Rechtliche Erwägungen

Gemäß Art. 1 Abs. 1 UStG 1994 unterliegt auch der innergemeinschaftliche Erwerb im Inland gegen Entgelt der Umsatzsteuer.

Nach Art. 1 Abs. 2 UStG 1994 liegt ein innergemeinschaftlicher Erwerb gegen Entgelt vor, wenn (Z 1) ein Gegenstand bei einer Lieferung an den Abnehmer (Erwerber) aus dem Gebiet eines Mitgliedstaates in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates gelangt, auch wenn der Lieferer den Gegenstand in das Gemeinschaftsgebiet eingeführt hat und (Z 2) der Erwerber ein Unternehmer, der den Gegenstand für sein Unternehmen erwirbt, oder eine juristische Person ist, die nicht Unternehmer ist oder die den Gegenstand nicht für ihr Unternehmen erwirbt.

Gemäß Art. 1 Abs. 7 UStG 1994 ist der Erwerb eines neuen Fahrzeugs durch den Erwerber, der nicht zu den in Abs. 2 Z 2 genannten Personen gehört, unter den Voraussetzungen des Abs. 2 Z 1 ein innergemeinschaftlicher Erwerb.

Art. 1 Abs. 8 UStG 1994 definiert den Betriff des Fahrzeugs, Art. 1 Abs. 9 leg. cit. regelt, unter welchen Voraussetzungen ein Fahrzeug als neu gilt.

Gemäß Art. 3 Abs. 8 UStG 1994 wird der innergemeinschaftliche Erwerb in dem Gebiet des Mitgliedstaates bewirkt, in dem sich der Gegenstand am Ende der Beförderung oder Versendung befindet.

Ebenso bestimmt Artikel 28b Teil A Abs. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom (77/388/EWG), dass als Ort eines innergemeinschaftlichen Erwerbs von Gegenständen der Ort gilt, in dem sich die Gegenstände zum Zeitpunkt der Beendigung des Versands oder der Beförderung an den Erwerber befinden (vgl. nunmehr Artikel 40 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem).

Der Europäische Gerichtshof hat mit seinem Urteil vom , X, C-84/09, darüber entschieden, ob die Einstufung eines Umsatzes als innergemeinschaftliche Lieferung oder innergemeinschaftlicher Erwerb von der Einhaltung einer bestimmten Frist (Beförderung des Gegenstandes vom Liefermitgliedstaat nach dem Bestimmungsmitgliedstaat) abhänge und auf welchen Zeitpunkt dabei für die Beurteilung abzustellen sei, ob ein Fahrzeug (im dort zu beurteilenden Fall: ein Segelboot) als "neu" zu beurteilen sei. Der Europäische Gerichtshof hat in diesem Urteil auch Ausführungen zur Frage getätigt, welcher Ort als Ort des innergemeinschaftlichen Erwerbs anzusehen ist:

"22 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Mehrwertsteuerübergangsregelung für den innergemeinschaftlichen Handel, die durch die Richtlinie 91/680/EWG des Rates vom zur Ergänzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG im Hinblick auf die Beseitigung der Steuergrenzen (ABl. L 376, S. 1) eingeführt worden ist, auf der Einführung eines neuen Steuertatbestands, des innergemeinschaftlichen Erwerbs von Gegenständen, beruht, der es ermöglicht, die Steuereinnahmen auf den Mitgliedstaat, in dem der Endverbrauch der gelieferten Gegenstände erfolgt, zu verlagern (…).

24 Was insbesondere die Regeln für die Besteuerung des Erwerbs von neuen Fahrzeugen betrifft, geht aus dem elften Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/112, der den Inhalt des elften Erwägungsgrundes der Richtlinie 91/680 übernimmt, hervor, dass diese Regeln neben der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse außerdem noch das Ziel verfolgen, Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Mitgliedstaaten, die sich aus der Anwendung unterschiedlicher Steuersätze ergeben können, vorzubeugen. In Ermangelung einer Übergangsregelung würde sich der Vertrieb neuer Fahrzeuge nämlich zulasten anderer Mitgliedstaaten und ihrer Steuereinnahmen auf Mitgliedstaaten mit niedrigem Mehrwertsteuersatz beschränken. Wie die Generalanwältin in Nr. 34 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, hat der Unionsgesetzgeber nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Ziff. ii der Richtlinie 2006/112 den Erwerb neuer Fahrzeuge nicht nur durch Steuerpflichtige oder nichtsteuerpflichtige juristische Personen, sondern aufgrund u.a. des hohen Wertes und der leichten Transportierbarkeit dieser Güter auch durch Privatpersonen besteuert.

(…)

40 Um dem vorlegenden Gericht gleichwohl eine für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zweckdienliche Antwort zu geben, ist zu präzisieren, unter welchen Voraussetzungen der Erwerb eines neuen Fahrzeugs durch eine Privatperson, die beabsichtigt, den betreffenden Gegenstand in einem bestimmten Mitgliedstaat zu verwenden, als innergemeinschaftlicher Erwerb einzustufen ist.

41 Nach ständiger Rechtsprechung haben die Begriffe, die die im Rahmen des gemeinsamen Mehrsteuersystems steuerbaren Umsätze definieren, objektiven Charakter und sind unabhängig von Zweck und Ergebnis der betreffenden Umsätze anwendbar (…). Die Einstufung einer innergemeinschaftlichen Lieferung oder eines innergemeinschaftlichen Erwerbs hat somit gleichfalls anhand objektiver Kriterien wie des Vorliegens einer physischen Bewegung der betreffenden Gegenstände zwischen Mitgliedstaaten zu erfolgen (…).

42 Was neue Fahrzeuge betrifft, ist jedoch festzustellen, dass die in der vorstehenden Randnummer erwähnte Regel auf innergemeinschaftliche Umsätze mit solchen Gegenständen in Anbetracht des besonderen Charakters dieser Umsätze nicht ohne Weiteres anwendbar ist.

43 Zum einen lässt sich insoweit die Beförderung neuer Fahrzeuge von deren Benutzung nur schwer unterscheiden. Zum anderen ist die Einstufung des Umsatzes deshalb schwierig, weil die auf diesen Umsatz entfallende Mehrwertsteuer auch von einer nichtsteuerpflichtigen Privatperson zu entrichten ist, für die die Erklärungs- und Rechnungslegungspflichten nicht gelten, so dass sich eine spätere Überprüfung dieser Person als unmöglich erweist. Im Übrigen kann die Privatperson als Endverbraucher selbst dann keinen Vorsteuerabzug geltend machen, wenn ein erworbenes Fahrzeug weiterverkauft wird, und hat deshalb ein größeres Interesse daran, sich der Besteuerung zu entziehen, als ein Wirtschaftsteilnehmer.

44 Um unter diesen Bedingungen einen Umsatz als innergemeinschaftlichen Erwerb einstufen zu können, ist es erforderlich, eine umfassende Beurteilung aller objektiven tatsächlichen Umstände vorzunehmen, die für die Feststellung maßgebend sind, ob der erworbene Gegenstand das Gebiet des Liefermitgliedstaats tatsächlich verlassen hat und, wenn ja, in welchem Mitgliedstaat sein Endverbrauch stattfinden wird.

45 Wie die Generalanwältin hierzu in Nr. 38 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, gehören zu den Umständen, denen eine gewisse Bedeutung zukommen kann, neben dem zeitlichen Ablauf der Beförderung des in Rede stehenden Gegenstands u.a. der Ort seiner Registrierung und gewöhnlichen Verwendung, der Wohnort des Erwerbers sowie das Bestehen oder Fehlen von Verbindungen, die der Erwerber zum Liefermitgliedstaat oder einem anderen Mitgliedstaat unterhält.

46 Im speziellen Fall des Erwerbs eines Segelboots, wie er im Ausgangsverfahren beabsichtigt ist, können sich auch der Flaggenmitgliedstaat und der Ort als maßgebend erweisen, an dem das Segelboot seinen gewöhnlichen Liege- oder Ankerplatz hat sowie der Ort, an dem es über Winter untergebracht ist.

47 Darüber hinaus sind im besonderen Fall des Erwerbs eines neuen Fahrzeugs so weit wie möglich die Absichten zu berücksichtigen, die der Erwerber zum Zeitpunkt des Erwerbs hatte, sofern sie durch objektive Gesichtspunkte gestützt sind (…). Dies ist erst recht in dem Fall erforderlich, in dem der Erwerber die Befugnis, über den in Rede stehenden Gegenstand wie ein Eigentümer zu verfügen, im Liefermitgliedstaat erlangt und sich verpflichtet, den Gegenstand in den Bestimmungsmitgliedstaat zu befördern.

48 Entgegen dem Vorbringen von X kann jedoch nicht verlangt werden, dass bei einem innergemeinschaftlichen Erwerb die Beförderung eines Fahrzeugs unmittelbar nach seiner Lieferung durchgeführt wird, dass sie nicht unterbrochen wird und dass der in Rede stehende Gegenstand vor oder während dieser Beförderung nicht in irgendeiner Weise verwendet wird.

49 Zum einen beließe nämlich die Auferlegung solch strenger Bedingungen dem Erwerber die Möglichkeit der Wahl, in welchem Mitgliedstaat die Besteuerung des betreffenden Neufahrzeugs erfolgt, was dem Zweck der Richtlinie 2006/112 zuwiderliefe. Zum anderen gibt es - wie die schwedische Regierung in der mündlichen Verhandlung zutreffend ausgeführt hat - keinen Grund, eine unterschiedliche steuerliche Behandlung danach anzuwenden, ob das Boot mit einem Schlepper nach Schweden befördert oder ob es dorthin gesegelt wird.

50 Ausschlaggebend ist nämlich, in welchem Mitgliedstaat die endgültige und dauerhafte Verwendung des in Rede stehenden Fahrzeugs stattfinden wird. Seine Verwendung während des Transports, selbst zu Freizeitzwecken, stellt im Verhältnis zur allgemeinen Lebensdauer eines Fahrzeugs insoweit nur eine völlig untergeordnete Zeitspanne dar."

Der Steuertatbestand des innergemeinschaftlichen Erwerbs von Gegenständen soll es ermöglichen, die Umsatzsteuereinnahmen auf den Mitgliedstaat zu verlagern, in welchem der Endverbrauch der gelieferten Gegenstände erfolgt (Rn 22 des Urteils C-84/09). Bei neuen Fahrzeugen will der Unionsgesetzgeber insbesondere im Hinblick auf deren leichte Transportierbarkeit (und auf deren Wert) auch den Erwerb durch Privatpersonen besteuert wissen (Rn 24).

Die Beurteilung, in welchem Mitgliedstaat der Endverbrauch eines Fahrzeugs (und damit der innergemeinschaftliche Erwerb) stattfindet, hat auf einer umfassenden Abwägung aller objektiven tatsächlichen Umstände zu beruhen. Zu diesen im Rahmen des Gesamtbildes der Verhältnisse zu berücksichtigenden Umständen gehören u.a. der Ort der gewöhnlichen Verwendung des Gegenstandes, seine Registrierung, der Wohnort des Erwerbers sowie das Bestehen oder Fehlen von Verbindungen des Erwerbers zu einzelnen Mitgliedstaaten (Rn 44 f). Es ist anhand objektiver Umstände im Zeitpunkt der Lieferung festzustellen, in welchem Mitgliedstaat die endgültige und dauerhafte Verwendung eines Fahrzeugs stattfinden wird.

Der Fahrzeuglieferant hat dem Beschwerdeführer das neue Fahrzeug am in Deutschland übergeben, und letzterer hat das Fahrzeug sodann (eine Woche nach Erwerb) nach Österreich zu seinem Familienwohnsitz gefahren. Es handelt sich um ein neues Fahrzeug gemäß Art 1 Abs. 9 UStG 1994, da als Datum der Erstzulassung der ausgewiesen ist und das gegenständliche KFZ zum Zeitpunkt des Erwerbs nur einen Kilometerstand von 19 km aufweist.

Diese Umstände legen es nahe, dass die Beförderung des Fahrzeugs an diesem Wohnsitz, also in Österreich, endete und von diesem Ort aus die regelmäßige Benutzung erfolgte.

Zu diesen objektiven Umständen gehören in diesem Fall insbesondere der Familienwohnsitz des Beschwerdeführers im Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs (Mittelpunkt der Lebensinteressen). Auch die tatsächliche Nutzung des Fahrzeuges kann als Indiz für die beim Erwerb vorgelegene Verwendungsabsicht herangezogen werden (vgl. ; ). Die Frage, welcher von mehreren Wohnsitzen eines Menschen als Hauptwohnsitz anzusehen ist, ist im Rahmen der Gesamtschau zu beurteilen (vgl. ). Bei mehreren Wohnsitzen vereinigt jeweils einer die stärksten persönlichen Beziehungen auf sich, demnach gibt es nur einen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen (vgl. ). Die behördliche Meldung eines Wohnsitzes als Hauptwohnsitz ist dagegen nicht ausschlaggebend, dieser kommt nach der Judikatur allenfalls Indizwirkung zur.

Sowohl der Beschwerdeführer als auch seine Familie (Ehefrau und Kind) waren in Österreich ansässig. Auch wenn es sich nach den Angaben des Bf um einen  Nebenwohnsitz handelt, hat sich die ganze Familie unter der Woche und auch an mehreren Wochenenden in Österreich aufgehalten. Sowohl der Beschwerdeführer als auch seine Gattin waren in Österreich berufstätig und das Kind ist in Österreich zur Schule gegangen. Auch der Arbeitsplatz des Bf war am Nebenwohnsitz gelegen.

Auch die tatsächliche Nutzung des Fahrzeugs in den Jahren 2011 bis 2013 wird als Indiz auf die beim Erwerb vorgelegene Verwendungsabsicht heranzuziehen sein. Der Beschwerdeführer hat selbst angegeben, dass er das gegenständliche KFZ in Österreich nutzt und nur wöchentlich bzw 14-tägig nach Deutschland zu seiner Mutter fährt.

Diese Umstände sprechen alle für einen Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich und somit auch dafür, dass der Ort des Endverbrauchs iSd oben dargestellten Judikatur eher am Mittelpunkt der Lebensinteressen -  in Österreich – als an einem anderen Ort lag.

Die Beschwerde betreffend des Bescheides über die Festsetzung der Umsatzsteuer für den Erwerb neuer Fahrzeuge (Spruchpunkt 2) war daher als unbegründet abzuweisen.

Ergänzende Anmerkung: Aufgrund dieses Erkenntnisses müsste es möglich sein, dass der deutsche Lieferant seine Rechnung berichtigt und eine neuerliche Rechnung ohne Umsatzsteuer ausstellt und die USt dem Bf erstattet. Diese Berichtigungsmöglichkeit ist laut deutschem BFH vom , XI B 15/19, unbefristet möglich und würde beim Lieferanten zu einer Minderung der Steuerlast im Zeitraum der Rechnungsberichtigung führen. Falls diese Rechnungskorrektur nicht möglich ist, könnte versucht werden, die Umsatzsteuer von der deutschen Finanzverwaltung unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EuGH erstattet zu bekommen (EuGH in den Rechtssachen: Reemtsma C-35/05, SC Fatorie C-424/12, Tibor Farkas C-564/15, Porr C-691/17).

Zu Spruchpunkt3.: Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Eine Revision ist nicht zulässig, da die gegenständlichen Rechtsfragen bereits höchstgerichtlich geklärt wurden.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 1 Abs. 1 Z 3 KFZStG, Kraftfahrzeugsteuergesetz 1952, BGBl. Nr. 110/1952
Art. 3 Abs. 8 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994
Art. 1 Abs. 9 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.5101625.2014

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at

Fundstelle(n):
VAAAC-24168