Nachsichtsansuchen und Einschränkung der Vollstreckung
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag. Markus Knechtl LL.M. in der Beschwerdesache Bf, Adr, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt Wien 4/5/10 vom betreffend Nachsicht § 236 BAO zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensablauf
Am langte beim Finanzamt Wien 4/5/10 (belangte Behörde) ein Nachsichtsgesuch des Beschwerdeführers ein. Darin brachte er vor, dass er ca. 1965 das Küchengerätegeschäft seines Vaters übernommen habe und er bis ca. 1990-1991 auch seine Steuern und Abgaben bezahlt habe. Wegen Honorarrückständen habe die Steuerberatungskanzlei, die damals für ihn tätig war, sodann ihre Arbeit eingestellt und keine Bilanz mehr erstellt. Dadurch kam es zur Schätzung durch das Finanzamt, wobei der Beschwerdeführer die Rechtsmittelfrist damals wegen Familienstreitigkeiten versäumt habe. Allerdings habe sich die Schätzung auf ein Vielfaches der nicht bezahlten Einkommensteuer belaufen. Schließlich gab der Beschwerdeführer noch an, im Jahr 2014 einen schweren Herzinfarkt erlitten zu haben und beantragte daher die Nachsicht der noch offenen Abgaben.
Beigelegt waren Spitalsbefunde.
Am richtete der Beschwerdeführer erneut eine Eingabe an die belangte Behörde und brachte vor, dass er hinsichtlich seines Nachsichtsersuchens noch keine Antwort von der belangten Behörde erhalten habe. Darüber hinaus ersuchte er um detaillierte Angaben, wofür die "Strafzahlung" gewesen sei, damit ihm ein weiteres Vorgehen ermöglicht werde.
Mit Bescheid vom hat die belangte Behörde das Nachsichtsansuchen abgewiesen. Die Begründung lautet wie folgt:
"Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn die Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.
Eine persönliche Unbilligkeit liegt vor, wenn die Einhebung die Existenzgrundlage des Nachsichtswerbers gefährdet bzw. die Einhebung mit außergewöhnlichen wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden ist. Eine sachliche Unbilligkeit ist gegeben, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes ein vom Gesetzgeber nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, das zu einer anormalen Belastungswirkung verbunden mit einem atypischen Vermögenseingriff kommt.
Das ist umgekehrt dann nicht der Fall, wenn die Steuervorschreibung bloß eine Auswirkung der allgemeinen Rechtslage und generell anzuwendender Normen darstellt, die alle Steuerpflichtigen gleichermaßen treffen und deren Verwirklichung vom Abgabepflichtigen selbst verursacht wurde bzw. gegebenenfalls auch abgewendet hätte werden können. Eine steuerliche Auswirkung, die ausschließlich die Folge eines als generelle Norm mit umfassendem personellen Geltungsbereich erlassenen Gesetztes ist, kann nicht durch Nachsicht behoben werden. Der Antrag war abzuweisen, da keine sachliche und aufgrund der laufenden jahrelangen Pensionspfändung auch keine persönliche Unbilligkeit gegeben ist."
Gegen diesen Abweisungsbescheid langte am eine Beschwerde (bezeichnet als Berufung) bei der belangten Behörde ein. Die Begründung der Beschwerde lautet wie folgt:
"Die Begründung der Abweisung meines Antrags vom ist für mich als Nichtjuristen nicht verständlich. Ich habe in meinem Antrag ausgeführt, dass die hohe ausstehende Steuerschuld aus der Übernahme des Geschäfts von meinem Vater herrührt und ich ohne jedes buchhalterische und sonstige steuerliche Wissen einer Schätzung des Finanzamtes nicht widersprochen habe. Dies auch deshalb, weil damals gerade meine umkämpfte Scheidung mit der Mutter meiner Kinder anhängig war. Jedenfalls stellte sich dann heraus, dass die Schätzung ein Vielfaches der tatsächlichen offenen Einkommensteuer betrug.
Ich habe 2014 einen schweren Herzinfarkt erlitten und habe das Ersuchen gestellt, nach 25 Jahren Pfändung auf das Existenzminimum, meinen Lebensumständen Rechnung zu tragen und habe um Streichung der offenen Schuld ersucht. In meinem damaligen Ansuchen habe ich nicht erwähnt, dass ich einen behinderten, schon erwachsenen Sohn habe, den ich menschlich und auch finanziell unterstützen muss.
Ich verstehe nicht, warum es unbillig wäre, mir die restliche Schuld nachzulassen, wo ich doch schon bis heute ungefähr € 150.000,-- durch Pfändung bezahlt habe, was in keiner Weise zur Realität des damals zu versteuernden Gewinnes steht.
Aus der für mich besonders bedrückenden finanziellen Situation - ich habe mich von den Folgen des Herzinfarktes bis heute nicht erholt, habe aber umgekehrt nach wie vor die Sorge um meinen behinderten Sohn, der bei mir wohnt - ersuche ich höflich, meiner Berufung stattzugeben, wobei ich jederzeit bereit bin, die aufgestellten Behauptungen auch persönlich, mündlich darzulegen."
Beschwerdevorentscheidung
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde vom als unbegründet abgewiesen. Die Begründung lautet:
"Der Abgabepflichtige hat das Vorliegen einer persönlichen Unbilligkeit der Abgabeneinhebung geltend gemacht, indem er vorbringt, schwer erkrankt zu sein und als Einkommen nur seine Pension, für seinen Sohn zur Verfügung zu haben.
Der Rückstand auf dem Abgabenkonto wird mithilfe einer Pensionspfändung eigebracht. Es sind monatliche Eingänge in Höhe von € 420,00 aus der Pfändung zu verbuchen. Dem Pflichtigen verbleibt somit der von gesetzlichen Pfändungsbeschränkungen umfasste allgemeine Grundbetrag (Existenzminimum).
Es handelt sich dabei um einen Betrag, von dem anzunehmen ist, dass dieser ausreicht, dass der Verpflichtete seinen notwendigen Lebensunterhalt bestreiten kann.
Im Nachsichtsverfahren können auch keine Umstände berücksichtigt werden, die ihrer Natur nach Wiederaufnahmegründe darstellen, weil nicht Sinn des Nachsichtsverfahrens ist, Wirkungen von Verfahrenshandlungen, die versäumt wurden, auf diesem Wege herbeizuführen. Mangels Vorliegens einer persönlichen oder sachlichen Unbilligkeit der Einhebung bleibt daher für eine Ermessensentscheidung kein Raum. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden."
Vorlageantrag
Mit Schreiben vom beantragte der Beschwerdeführer die Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht. Der Vorlageantrag lautet:
"Fristgerecht stelle ich den
ANTRAG
auf Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht. Hierfür verweise ich auf die Ausführungen meiner Berufung. Im gegenständlichen Fall liegen wesentliche Nachsichtsgründe vor, die ich wie folgt nochmals zusammenfasse:
1) Mein Steuerrückstand beruht auf einer Schätzung des Finanzamts, der ich nicht widersprochen habe, weil ich damals ohne jegliche Kenntnisse nach der Übernahme des Geschäftes meines Vaters war und im Übrigen gerade in einer sehr belastenden Scheidung mit der Mutter meiner Kinder befasst war. Im Nachhinein stellte sich dann heraus, dass die Schätzung ein Vielfaches der tatsächlich offenen Einkommensteuerschuld betrug, in Folge des Ablaufs der Fristen konnte ich dann nichts mehr dagegen tun.
2) Ich bin achtzig Jahre alt und leide an einem Herzleiden, das auf einen erlittenen schweren Herzinfarkt beruht. Mit meiner Krankheit sind laufende medizinische Aufwendungen erforderlich, die nicht zur Gänze durch die Sozialversicherung getragen werden. Die Pfändung auf das Existenzminimum bedeutet entgegen den Ausführungen der Beschwerdevorentscheidung, dass ich nicht über genügend Einkommen verfüge, um den notwendigen Lebensunterhalt zu bestreiten und mein tägliches Leben von großen Entbehrungen gekennzeichnet ist.
3) Ich sorge mich täglich um meinen Sohn S., der ein Demenzleiden hat, das leider laufend fortschreitet. Dies bedeutet, dass ich mich täglich mehrere Stunden um S. kümmern muss, was wiederum mit auch finanziellen Aufwendungen verbunden ist. Dieser Umstand ist bisher bei der Bemessung des Existenzminimums nicht berücksichtigt und ersuche ich dies zu tun. Sollten Zweifel an meinen Behauptungen bestehen, kann ich jederzeit ärztliche Atteste meines Sohnes vorweisen.
Bei der Ermessensentscheidung bitte ich auch zu berücksichtigen, dass ich seit vielen Jahren auf das Existenzminimum gepfändet bin und bis heute nach meiner Berechnung schon ca. € 150.000,-- auf die offene Schuld bezahlt habe, die aber mangels meiner rechtlichen Kenntnisse wesentlich höher war, als sie den damaligen rechtlichen Verhältnissen entsprochen hätte.
4) Schließlich bitte ich auch zu berücksichtigen, dass ich bisher keinen Privatkonkurs, bzw. kein Schuldenregulierungsverfahren beantragt habe, obwohl mir mehrfach geraten wurde, dass ich auf diese Weise in absehbarer Zeit von der Pfändung auf das Existenzminimum befreit wäre.
Ich bitte höflich die oben dargelegten menschlichen Aspekte meiner Situation zu berücksichtigen und meinem Ansicht auf Nachsicht stattzugeben. Mir wäre schon geholfen, wenn der gepfändete monatliche Betrag, in Anbetracht meines Gesundheitszustandes und meiner Sorgepflichten für meinen dementen Sohn, wesentlich reduziert würde."
Vorlagebericht
Im Anschluss daran wurden die Beschwerdeakten dem Bundesfinanzgericht vorgelegt und vom Finanzamt als belangter Behörde im Vorlagebericht angeführt, dass die Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Ermittlungsauftrag
Mit Beschluss vom richtete das Bundesfinanzgericht nachfolgenden Ermittlungsauftrag an die belangte Behörde:
"I. Dem Finanzamt Wien 4/5/10 wird aufgetragen, nachfolgende sachverhalts- und entscheidungsrelevante Tatsachen zu ermitteln:
a) Wie hoch ist monatliche Pension (Auszahlungsbetrag), die dem Beschwerdeführer verbleibt?
b) Wie hoch sind die laufenden Fixkosten, die der Beschwerdeführer zu tragen hat (Miete, Strom/Gas, Lebenshaltungskosten, Mitgliedschaften bei Vereinen, etc.)?
c) Wie hoch sind die monatlichen Krankheitskosten, die der Beschwerdeführer zu tragen hat und die nicht von der Sozialversicherung übernommen werden?
d) Über welches Vermögen verfügt der Beschwerdeführer (Immobilien, Auto, Wertpapiere, Sparbücher, Sportausrüstung, etc.)?
e) Welche Unterhaltsverpflichtungen treffen den Beschwerdeführer?
f) Welche Schulden bestehen außer den Abgabenschulden?
II. Das Finanzamt Wien 4/5/10 wird ersucht, bekannt zu geben, ob hinsichtlich des letzten Satzes des Vorlageantrages bereits behördliche Erledigungen vorgenommen wurden.
III. Das Finanzamt Wien 4/5/10 wird ersucht, folgende Fragen zu beantworten:
a) Der Beschwerdeführer gibt in seinem Nachsichtsersuchen an, € 150.000,-- bereits bezahlt zu haben.
In der vorgelegten Rückstandsaufgliederung vom ist nur ein Rückstand in Höhe von € 4.229,69 vermerkt. Angeführt ist noch eine Aussetzung der Einbringung (AEB) in Höhe von € 76.756,52.
Wie hoch war der Abgabenrückstand, der durch die Gehalts- bzw. Pensionspfändung hereingebracht werden soll?
b) Am vorgelegten Ausdruck "Abfrage der Buchungen vom bis " findet sich mit Buchungstag eine Buchung "GF 01" mit der Abgabenart "IE 11/15" und einem Betrag in Höhe von € 262,00, der auch bezahlt wurde.
Am findet sich eine Buchung mit "GF 78", ebenfalls mit der Abgabenart "IE", jedoch mit dem Zeitraum "12/15" und einem Betrag von wiederum € 262,00. Bei der zweiten Buchung findet sich jedoch kein Zahlungseingang.
Handelt es sich dabei zwei Mal um denselben Erwerbsvorgang?
IV. Für die Beantwortung der Fragen und für die Bekanntgabe des Ergebnisses der noch vorzunehmenden Ermittlungen wird der vorgemerkt.
Entscheidungsgründe
I. Allgemein:
Gemäß § 115 BAO sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse von Amts wegen zu erforschen. Gemäß § 138 Abs 1 BAO haben die Abgabepflichtigen auf Verlangen in Erfüllung ihrer Offenlegungspflicht zur Beseitigung von Zweifeln den Inhalt ihrer Anbringen zu erläutern und zu ergänzen sowie dessen Richtigkeit zu beweisen. Gemäß § 269 Abs 1 BAO haben im Beschwerdeverfahren die Verwaltungsgerichte die Obliegenheiten und Befugnisse, die den Abgabenbehörden auferlegt und eingeräumt sind. Gemäß § 269 Abs 3 BAO können die Verwaltungsgerichte das zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes erforderliche Ermittlungsverfahren durch eine zu bestimmende Abgabenbehörde durchführen oder ergänzen lassen. Es liegt im Ermessen des Verwaltungsgerichtes, an welche Abgabenbehörde sie den Ermittlungsauftrag richtet. Da der Beschwerdeführer seinen Wohnsitz im Zuständigkeitsbereich des Finanzamtes Wien 4/5/10 hat, war es zweckmäßig, diese Behörde mit den Ermittlungen zu beauftragen.
II. Nachsicht:
Im Nachsichtsansuchen vom , eingelangt bei der belangten Behörde am , führt der Beschwerdeführer unter anderem an, dass er 2014 einen schweren Herzinfarkt erlitten habe. Beigelegt war ein Patientenbrief der Krankenanstalt X, aus dem hervorgeht, dass der Beschwerdeführer während eines Urlaubes in Kroatien medizinisch behandelt werden musste. In der Beschwerde vom wird noch angeführt, dass sich der Beschwerdeführer von den Folgen des Herzinfarktes bis heute nicht erholt habe und einen behinderten, schon erwachsenen Sohn habe, den er menschlich und auch finanziell unterstützen müsse und der bei ihm wohne. Schließlich führt der Beschwerdeführer noch aus, dass er jederzeit bereit wäre, die aufgestellten Behauptungen auch persönlich und mündlich darzulegen.
In der Beschwerdevorentscheidung führt die belangte Behörde an, dass es sich beim Existenzminimum um einen Betrag handelt, "von dem anzunehmen ist, dass dieser ausreicht, dass der Verpflichtete seinen notwendigen Lebensunterhalt bestreiten kann."
Im Vorlageantrag bringt der Beschwerdeführer vor, dass er achtzig Jahre alt sei und an einem Herzleiden leide, das auf einen erlittenen schweren Herzinfarkt beruhe. Mit der Krankheit wären laufende medizinische Aufwendungen erforderlich, die nicht zur Gänze durch die Sozialversicherung getragen werden würden. Die Pfändung auf das Existenzminimum bedeute entgegen den Ausführungen der Beschwerdevorentscheidung, dass er nicht über genügend Einkommen verfüge, um den notwendigen Lebensunterhalt zu bestreiten und sein tägliches Leben von großen Entbehrungen gekennzeichnet wäre.
Für die Entscheidung über ein Nachsichtsansuchen sind die Vermögens- und Einkommensverhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung über das Ansuchen maßgebend.
III. Begehren um Erhöhung des unpfändbaren Freibetrages:
Schließlich begehrt der Beschwerdeführer im Vorlageantrag, dass der Umstand, dass er sich um seinen Sohn kümmere, was auch mit einem finanziellen Aufwand verbunden wäre, bei der Bemessung des Existenzminimums nicht berücksichtigt worden wäre. Weiters führt der Beschwerdeführer an, dass ihm schon geholfen wäre, wenn der gepfändete monatliche Betrag, in Anbetracht seines Gesundheitszustandes und seiner Sorgepflichten reduziert werden würde.
Die Richtlinien für die Abgabeneinhebung (RAE) sehen in der Rz 1653 zur persönlichen Unbilligkeit vor, dass dann, wenn nur der pfändungsfreie Teil einer Alterspension zur Bestreitung des Unterhaltes verbleibt, eine Unbilligkeit indiziert ist.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind Parteierklärungen nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen, d. h. es kommt darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszweckes und der der Behörde vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss. Bei undeutlichem Inhalt eines Anbringens ist die Absicht der Partei zu erforschen. Der letzte Satz des Vorlageantrages, der wie folgt lautet: "Mir wäre schon geholfen, wenn der gepfändete monatliche Betrag, in Anbetracht meines Gesundheitszustandes und meiner Sorgepflichten für meinen dementen Sohn, wesentlich reduziert würde." könnte durchaus als Anbringen gem. § 59 AbgEO, über das bescheidmäßig abzusprechen wäre, verstanden werden."
Daraufhin schickte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer ein Formular zur Erhebung seines Vermögens. Die darin gestellten Fragen beantwortete der Beschwerdeführer dahingehend, dass er eine Pension von der Sozialversicherungsanstalt der Gewerblichen Wirtschaft beziehe, die jedoch gepfändet werde und ihn grundsätzlich keine Unterhaltspflichten treffen, er jedoch seinen behinderten Sohn unterstütze. Als einziger Vermögensgegenstand wird ein VV Caddy mit einem Kilometerstand von 550.000 km angeführt.
Am erhob die belangte Behörde die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers. Dabei kam hervor, dass von der Nettopension (nach Pfändung durch das Finanzamt) noch Behandlungsbeiträge abgezogen werden, eine Restschuld beim Stromversorger besteht und vom verbleibenden Betrag noch die Miete, Betriebskosten, Versicherung und Rezeptgebühren bezahlt werden müssen.
Mit Bescheid vom schränkte die belangte Behörde die Pfändung der Pensionsbezüge des Beschwerdeführers auf € 250 pro Monat ein. Sämtliche darüber hinausgehende Beträge können an den Beschwerdeführer ausbezahlt werden. Dieser Bescheid wurde der auch der Drittschuldnerin, der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft zur Kenntnis gebracht.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Sachverhalt
Die Pensionseinkünfte des Beschwerdeführers werden von der belangten Behörde bis zum Existenzminimum gepfändet. Im Dezember 2016 stellte der Beschwerdeführer einen Nachsichtsantrag und gab darin an, dass er es versäumt habe, gegen die Festsetzung jener Abgaben, die zur Pfändung führten, ein Rechtsmittel zu erheben. Im Vorlageantrag gab der Beschwerdeführer zuletzt an, dass er auch eine Reduktion des gepfändeten Betrages anstrebe.
Von der Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft werden monatlich ca. € 420,-- im Zuge der Pfändung auf das Abgabenkonto des Beschwerdeführers bei der belangten Behörde überwiesen; zwei Mal im Jahr werden ca. € 920,-- gepfändet und auf das Abgabenkonto des Beschwerdeführers überwiesen.
Der Beschwerdeführer ist achtzig Jahre alt und leidet an einem Herzleiden. Behandlungsbeiträge werden von der pensionsauszahlenden Stelle einbehalten. Darüber hinaus hat er neben den allgemeinen Lebenshaltungskosten noch Ausgaben für Medikamente. Es konnte nicht festgestellt werden, dass den Beschwerdeführer Sorgepflichten treffen.
Mit Bescheid vom hat die belangte Behörde die Exekution auf € 250,-- pro Monat eingeschränkt und ausgesprochen, dass sämtliche Beträge, die darüber hinaus gehen, von der Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft dem Beschwerdeführer zur Auszahlung gebracht werden können. Im April 2020 wurden von der pensionsauszahlenden Stelle nur noch € 250,-- an die belangte Behörde überwiesen.
Beweiswürdigung
Der festgestellte Sachverhalt beruht auf den Verwaltungsakten. Im Zuge der abgabenbehördlichen Ermittlungen ist hervorgekommen, dass der Beschwerdeführer nur über Einkünfte aus seiner Pension verfügt und abgesehen von einem Kraftfahrzeug mit 550.000 km Laufzeit kein Vermögen besitzt. Neben der Miete und den Betriebskosten treffen den Beschwerdeführer noch Aufwendungen im Zusammenhang mit seiner Krankheit.
Erstmals im Vorlageantrag brachte der Beschwerdeführer vor, dass er sich um einen Sohn, der ein Demenzleiden hat, kümmert. Sowohl im Vermögensverzeichnis vom als auch im Zuge der Erhebung der wirtschaftlichen Verhältnisse hat der Beschwerdeführer angegeben, dass ihn keine (rechtlichen) Unterhaltsverpflichtungen treffen, aber er seinen kranken Sohn unterstützt.
Schließlich hat der Beschwerdeführer am Ende seines Vorlageantrages vom noch vorgebracht, dass ihm schon geholfen wäre, wenn der gepfändete monatliche Betrag in Anbetracht seines Gesundheitszustandes wesentlich reduziert werden würde. Dieses Vorbringen hat die belangte Behörde letztlich als Anbringen nach § 59 AbgEO aufgefasst.
Die Feststellung zu den monatlich gepfändeten Beträgen ergibt sich aus einer Übersicht des Abgabenkontos, das von der belangten Behörde vorgelegt wurde. Die Feststellung zur Einschränkung der Exekution ergibt sich aus den von der belangten Behörde vorgelegten Bescheiden über die Einschränkung der Vollstreckung vom . Daraus ergibt sich, dass dem Beschwerdeführer in einem Durchschnittsmonat zumindest € 170,-- mehr ausbezahlt werden.
Die Feststellung, dass im April 2020 nur noch der eingeschränkte Betrag von € 250,-- von der Drittschuldnerin an die belangte Behörde überwiesen wurde gründet sich auf eine Einsichtnahme in das elektronisch geführte Abgabenkonto, das mit Buchungsdatum einen Zahlungseingang in Höhe von € 250,-- von der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen aufweist.
Rechtsgrundlagen
§ 236 BAO lautet:
§ 236. (1) Fällige Abgabenschuldigkeiten können auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.
(2) Abs. 1 findet auf bereits entrichtete Abgabenschuldigkeiten sinngemäß Anwendung.
(3) Die Bestimmungen des § 235 Abs. 2 und 3 gelten auch für die Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten.
§§ 1 - 3 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen betreffend Unbilligkeit der Einhebung im Sinn des § 236 BAO (BGBl. II Nr. 435/2005 idF BGBl. II Nr. 236/2019) lauten:
§ 1. Die Unbilligkeit im Sinn des § 236 BAO kann persönlicher oder sachlicher Natur sein.
§ 2. Eine persönliche Unbilligkeit liegt insbesondere vor, wenn die Einhebung
1. die Existenz des Abgabepflichtigen oder seiner ihm gegenüber unterhaltsberechtigten Angehörigen gefährden würde;
2. mit außergewöhnlichen wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden wäre, etwa wenn die Entrichtung der Abgabenschuldigkeit trotz zumutbarer Sorgfalt nur durch Vermögensveräußerung möglich wäre und dies einer Verschleuderung gleichkäme.
§ 3. Eine sachliche Unbilligkeit liegt bei der Einhebung von Abgaben insbesondere vor, soweit die Geltendmachung des Abgabenanspruches
1. von Rechtsauslegungen des Verfassungsgerichtshofes oder des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn im Vertrauen auf die betreffende Rechtsprechung für die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhaltes bedeutsame Maßnahmen gesetzt wurden;
2. in Widerspruch zu nicht offensichtlich unrichtigen Rechtsauslegungen steht, die
a) dem Abgabepflichtigen gegenüber von der für ihn zuständigen Abgabenbehörde geäußert oder
b) vom Bundesministerium für Finanzen im Amtsblatt der österreichischen Finanzverwaltung oder im Internet als Amtliche Veröffentlichung in der Findok veröffentlicht wurden, wenn im Vertrauen auf die betreffende Äußerung bzw. Veröffentlichung für die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhaltes bedeutsame Maßnahmen gesetzt wurden.
§ 59 AbgEO lautet:
Pfändungsschutz in Ausnahmefällen.
§ 59. (1) Das Finanzamt kann auf Antrag des Abgabenschuldners den unpfändbaren Freibetrag (§ 291a EO) erhöhen, wenn dies mit Rücksicht
a) auf besondere Bedürfnisse des Abgabenschuldners aus persönlichen oder beruflichen Gründen oder
b) auf besonders umfangreiche gesetzliche Unterhaltspflichten des Abgabenschuldners oder
c) auf eine zu erwartende Steuermehrbelastung aufgrund mehrerer Arbeitsverhältnisse
geboten ist.
(2) Das Finanzamt kann den unpfändbaren Freibetrag (§ 291a EO) herabsetzen, wenn der Abgabenschuldner im Rahmen des Arbeitsverhältnisses Leistungen von Dritten erhält, die nicht von § 290a Abs. 2 EO erfaßt werden.
Rechtliche Erwägungen
Gemäß § 236 Abs 1 und 2 BAO können fällige, aber auch bereits entrichtete Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre. Nach dieser Gesetzesbestimmung hat die Abgabenbehörde im Falle eines Ansuchens um Nachsicht zuerst zu prüfen, ob ein Sachverhalt vorliegt, wonach die "Einhebung nach der Lage des Falles unbillig" wäre (). Bejaht die Abgabenbehörde das Vorliegen einer Unbilligkeit im Sinne des Gesetzes, so hat sie im Bereich des Ermessens nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit zu entscheiden. Die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nach der Lage des Falles ist tatbestandsmäßige Voraussetzung für die in § 236 BAO vorgesehene Ermessensentscheidung. Ist die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung zu verneinen, so ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum (; sowie Stoll, BAO, 583).
Im Nachsichtsverfahren liegt das Hauptgewicht der Behauptungslast und Beweislast naturgemäß beim Nachsichtswerber. Seine Sache ist es, einwandfrei und unter Ausschluß jeglichen Zweifels das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf die die Nachsicht gestützt werden kann.
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Zusammenhang mit der Nachsicht nach § 236 BAO ausgesprochen, dass eine persönliche Unbilligkeit einer Abgabenbelastung in einem wirtschaftlichen Missverhältnis zwischen der Einhebung der Abgabe und den im Bereich des Abgabepflichtigen entstehenden Nachteilen besteht. Eine solche Unbilligkeit ist stets gegeben, wenn die Einhebung die Existenz des Abgabepflichtigen gefährdet (). Diese Existenzgefährdung müsste gerade durch die Einhebung der Abgabe verursacht oder entscheidend ("auch") mitverursacht sein. Eine - unbestrittene - Verminderung der Liquidität reicht jedoch für die Annahme einer Existenzgefährdung nicht aus ().
Die Nachsicht dient nicht dazu, im Festsetzungsverfahren unterlassene Einwendungen nachzuholen (). Gegenstand eines Verfahrens iSd § 236 BAO ist ausschließlich die Unbilligkeit der Einhebung der fälligen Abgaben. Zu einer möglichen Existenzgefährdung ist im beschwerdegegenständlichen Fall zu beachten, dass die Forderungen des Beschwerdeführers gegenüber der pensionsauszahlenden Stelle schon lange gepfändet werden. Er selbst spricht von 25 Jahren. Aus Aktenvermerken der belangten Behörde geht jedoch hervor, dass es auch andere Exekutionen gegeben hat und an die belangte Behörde erst ab Oktober 2008 von der Drittschuldnerin (Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft) Zahlungen auf das Abgabenkonto des Beschwerdeführers bei der belangten Behörde erfolgen, wobei sich die ursprüngliche Abgabenschuld auf ca. € 88.000,-- belaufen haben dürfte. Die vom Beschwerdeführer angeführten € 150.000 sind jedoch - als reine Abgabenschulden - nicht nachvollziehbar. Wenn nun der Beschwerdeführer - nach seinen Angaben - schon seit 25 Jahren bis auf das Existenzminimum gepfändet wurde, kann sich durch die Pfändung des Finanzamtes, die erst seit 2008 läuft, grundsätzlich keine Existenzgefährdung ergeben.
Eine Krankheit ist, wie der Verwaltungsgerichtshof mehrfach ausgesprochen hat (z.B. ; ), im Rahmen des § 236 BAO lediglich dann berücksichtigungswürdig, wenn sie eine schlechte wirtschaftliche Lage des Nachsichtswerbers zur Folge hat, die die Entrichtung der nachsichtsgegenständlichen Abgabenschuldigkeiten unmöglich macht. Die Krankheit, die der Beschwerdeführer anführt, nämlich sein Herzleiden ab dem Jahr 2014, hat jedoch keine Auswirkung auf die Höhe der ihm zustehenden Pension. Allerdings werden dadurch erhöhte Ausgaben für medizinische Versorgung/Behandlung verbunden sein.
Können Zahlungserleichterungen Härten aus der Abgabeneinhebung abhelfen, so bedarf es keiner Abgabennachsicht ( mwN; in diesem Sinne auch ).
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind Parteierklärungen nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen, d. h. es kommt darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszweckes und der der Behörde vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss. Der letzte Absatz im Vorlageantrag kann daher durchaus als Anbringen nach § 59 AbgEO verstanden werden, auch wenn weder die Bestimmung des § 59 AbgEO noch deren Inhalt ausdrücklich genannt werden. Die belangte Behörde hat dieses Anbringen letztlich einer bescheidmäßigen Erledigung zugeführt und mit der Einschränkung der Vollstreckung auf maximal € 250,-- dafür gesorgt, dass dem Beschwerdeführer - im Vergleich zu seiner Situation davor - nun zumindest € 170,-- zuzüglich Sonderzahlungen zusätzlich verbleiben werden.
Gemäß § 59 Abgabenexekutionsordnung kann das Finanzamt auf Antrag des Abgabenschuldners den unpfändbaren Freibetrag erhöhen kann, wenn dies mit Rücksicht auf besondere Bedürfnisse des Abgabenschuldners aus persönlichen Gründen geboten ist. Gründe für eine solche Erhöhung des pfändungsfreien Betrages vom Pensionsbezug sind unter anderem (schwere) Krankheit, Gebrechlichkeit, Schwerinvalidität.
Bei krankheitsbedingten finanziellen Mehrbelastungen ist daher eine Abgabennachsicht regelmäßig nicht erforderlich, wenn diesen durch eine Maßnahme gemäß § 59 AbgEO Rechnung getragen werden könnte (z.B. ; ).
Bei Prüfung eines Nachsichtsansuchens sind alle Umstände des Einzelfalles, und zwar im Zeitpunkt der Entscheidung (Rechtsmittelentscheidung), zu berücksichtigen, um zur Erkenntnis zu gelangen, ob Unbilligkeit vorliegt (; ). Im Zeitpunkt der Rechtsmittelentscheidung war somit auch die Einschränkung der Vollstreckung zu berücksichtigen.
Die Beschwerde war daher abzuweisen.
Zulässigkeit einer Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Entscheidung hing im Wesentlichen von der Würdigung der Umstände des Einzelfalles ab. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist daher nicht zulässig.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 236 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 Unbilligkeit der Einhebung im Sinn des § 236 BAO, BGBl. II Nr. 435/2005 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2020:RV.7105993.2019 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at