Rückforderung auch bei irrtümlicher Anweisung der Familienbeihilfe durch das Finanzamt
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch R in der Beschwerdesache Bf., W , über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt Wien 3/6/7/11/15 Schwechat Gerasdorf vom , betreffend Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen für den Zeitraum Oktober 2017 bis Jänner 2018 zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerdeführerin (Bf.) beantragte am die Zuerkennung von Familienbeihilfe für ihre Tochter T, geb. am xxx, ab . Als Grund gab sie "Leistungsnachweis" an. Weiters wurde bekanntgegeben, dass die Tochter seit Oktober 2017 an der Karl Franzens Universität in Graz Pharmazie studiere.
Mit Bescheid vom wurden die Familienbeihilfe und die Kinderabsetzberäge für den Zeitraum Oktober 2017 bis Jänner 2018 zurückgefordert.
Als Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass Anspruch ab dem 2. Studienjahr erst dann bestehe, wenn ein Erfolgsnachweis im Ausmaß von 16 ECTS-Punkten erbracht worden sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde vom , in der die Bf. vorbrachte, die Tochter habe im Zeitraum Oktober 2017 bis Jänner 2018 in Graz studiert. Der Erfolgsnachweis vom mit insgesamt 16 erreichten ECTS-Punkten wurde ebenfalls vorgelegt.
Nachdem die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom unter neuerlichem Hinweis auf den lt. § 2 Abs. 1 lit.6 FLAG erforderlichen Erfolgsnachweis im zweiten Studienjahr und den tatsächlich am erbrachten Erfolgsnachweis für das "neue Studium" abgewiesen worden war, stellte die Bf. am einen Vorlageantrag.
In diesem verwies sie darauf, dass sie auf die Richtigkeit der Auszahlung der Familienbeihilfe durch die belangte Behörde vertraut habe, diese ein Fehler der belangten Behörde gewesen sei und die Beihilfe bereits gutgläubig verbraucht worden sei.
Nach der ständigen Rechtssprechung des OGH könne die Rückerstattung von irrtümlich angewiesenen Bezügen, sofern sie Unterhaltscharakter haben, dann nicht verlangt werden, wenn der Empfänger sie im guten Glauben erhalten und sie als seinen redlichen Besitz verbraucht habe (vgl. etwa 8 ObA 226/92 90bA 97/93).
Im Vorlagebericht führte die belangte Behörde zur Klarastellung des Sachverhaltes folgendes aus:
Für Tochter T wurde von 10/2015 bis 9/2016 Familienbeihilfe bezogen, da sie an der Uni Wien ein BA Studium Pharmazie begann. Der erforderliche positive Erfolgsnachweis von 16 ECTS nach dem ersten Studienjahr wurde nicht erbracht, daher wurde der Beihilfenbezug mit 09/2016 eingestellt.
Mit wurde für T mit dem Hinweis "Leistungsnachweis" wieder Familienbeihilfe beantragt - ab . Irrtümlich wurde jedoch vom Finanzamt auch Beihilfe für den nicht beantragten Zeitraum ab 10/2017 gewährt. Die Nachzahlung erfolgte mit .
Der Irrtum fiel bei einer Überprüfung auf. Da für das neu begonnene Studium, Studienbeginn 10/2017 an der Uni Graz, die erforderlichen 16 ECTSP erst mit 2/2018 nachgewiesen werden konnten, wurde die Familienbeihilfe für den nicht beantragten Zeitraum 10/2017 bis 01/2018 rückgefordert.
Gegen den Rückforderungsbescheid richtet sich das Beschwerdeverfahren.
Für den Zeitraum 10/2017 bis 01/2018 wurde Familienbeihilfe ohne Antrag ausbezahlt.
Da auch der für einen Familienbeihilfenbezug erforderliche Erfolgsnachweis von 16 ECTSP erst mit Februar 2018 erreicht wurde, sind die Voraussetzungen für einen Beihilfenbezug im strittigen Zeitraum nicht erfüllt.
Gemäß § 26 FLAG ist zu Unrecht bezogene Familienbeihilfe zurückzubezahlen. Eine Rückforderung ist auch dann zulässig, wenn der entscheidungswesentliche Sachverhalt der Behörde vollständig offengelegt und von dieser zunächst unrichtig beurteilt wurde (siehe Wanke in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG 2. Auflage, § 26 Rz 3).
Über die Beschwerde wurde erwogen:
Folgender Sachverhalt wie er sich aus dem Verwaltungsgeschehen ergibt und als erwiesen angenommen wird, wird der Entscheidung zu Grunde gelegt:
Die Tochter studierte von Oktober 2015 bis inkl. September 2016 Pharmazie an der Uni Wien. 16 ECTS-Punkte wurde nicht erreicht.
Mit September 2016 wurde die Auszahlung der Familienbeihilfe eingestellt.
Ab Oktober 2017 studierte sie "Pharmazeutische Wissenschaften" an der Uni Graz.
Mit wurde ein Leistungsnachweis über 16 ECTS-Punkte erbracht.
Die Bf. beantragte die Zuerkennung von Familienbeihilfe ab 21..
Die belange Behörde gewährte (auch) Familienbeihilfe für den Zeitraum Oktober 2017 bis Jänner 2018.
Rechtliche Würdigung:
Strittig ist, ob die Familienbeihilfe und die Kinderabsetzbeträge für den Zeitraum Oktober 2017 bis Jänner 2018 zu recht zurückgefordert wurden und-falls dies zutrifft-ein gutgläubiger Verbrauch der Rückforderung entgegenstünde.
Die hier zunächst maßgebliche Bestimmung des § 2 Abs. 1 FLAG 1967 lautet:
Anspruch auf Familienbeihilfe haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
a) für minderjährige Kinder,
b) für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist. Bei volljährigen Kindern, die eine in § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992, BGBl. Nr. 305, genannte Einrichtung besuchen, ist eine Berufsausbildung nur dann anzunehmen, wenn sie die vorgesehene Studienzeit pro Studienabschnitt um nicht mehr als ein Semester oder die vorgesehene Ausbildungszeit um nicht mehr als ein Ausbildungsjahr überschreiten. Wird ein Studienabschnitt in der vorgesehenen Studienzeit absolviert, kann einem weiteren Studienabschnitt ein Semester zugerechnet werden. Die Studienzeit wird durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis (zB Krankheit) oder nachgewiesenes Auslandsstudium verlängert. Dabei bewirkt eine Studienbehinderung von jeweils drei Monaten eine Verlängerung der Studienzeit um ein Semester. Zeiten als Studentenvertreterin oder Studentenvertreter nach dem Hochschülerschaftsgesetz 1998, BGBl. I Nr. 22/1999, sind unter Berücksichtigung der Funktion und der zeitlichen Inanspruchnahme bis zum Höchstausmaß von vier Semestern nicht in die zur Erlangung der Familienbeihilfe vorgesehene höchstzulässige Studienzeit einzurechnen. Gleiches gilt für die Vorsitzenden und die Sprecher der Heimvertretungen nach dem Studentenheimgesetz, BGBl. Nr. 291/1986. Der Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie hat durch Verordnung die näheren Voraussetzungen für diese Nichteinrechnung festzulegen. Zeiten des Mutterschutzes sowie die Pflege und Erziehung eines eigenen Kindes bis zur Vollendung des zweiten Lebensjahres hemmen den Ablauf der Studienzeit. Bei einem Studienwechsel gelten die in § 17 Studienförderungsgesetz 1992, BGBl. Nr. 305, angeführten Regelungen auch für den Anspruch auf Familienbeihilfe. Die Aufnahme als ordentlicher Hörer gilt als Anspruchsvoraussetzung für das erste Studienjahr. Anspruch ab dem zweiten Studienjahr besteht nur dann, wenn für ein vorhergehendes Studienjahr die Ablegung einer Teilprüfung der ersten Diplomprüfung oder des ersten Rigorosums oder von Prüfungen aus Pflicht- und Wahlfächern des betriebenen Studiums im Gesamtumfang von acht Semesterwochenstunden oder im Ausmaß von 16 ECTS-Punkten nachgewiesen wird. Der Nachweis ist unabhängig von einem Wechsel der Einrichtung oder des Studiums durch Bestätigungen der im § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992 genannten Einrichtungen zu erbringen. Für eine Verlängerung des Nachweiszeitraumes gelten die für die Verlängerung der Studienzeit genannten Gründe sinngemäß.
Ein Studienwechsel i.S.d. § 17 Abs 1 StudFG 1992 liegt dann vor, wenn der Studierende das von ihm begonnene und bisher betriebene, aber noch nicht abgeschlossene Studium nicht mehr fortsetzt und an dessen Stelle ein anderes unter den Geltungsbereich des Studienförderungsgesetzes fallendes Studium beginnt.
Dabei ist es ohne rechtserhebliche Bedeutung, ob der Studierende unmittelbar im Anschluß an den Abbruch des Vorstudiums ein neues (anderes) Studium aufnimmt oder ob dazwischen ein mehr oder weniger langer Zeitraum liegt (vgl. ).
Ein für den Bezug der Familienbeihilfe schädlicher Studienwechsel liegt u.a. dann vor, wenn das Studium nach drei Semestern gewechselt wird.
Die belangte Behörde äußerte sich nicht eindeutig dazu, ob sie den Beginn des Studiums an der Uni Graz als Fortsetzung des in Wien begonnen Pharmaziestudiums oder als "neues Studium" und damit als Studienwechsel sieht (siehe die Begründung in der Beschwerdevorentscheidung "Zweites Studienjahr" und "neues Studium). Dies ist aber insoweit nicht von Bedeutung als ein allfälliger Wechsel bereits nach dem zweiten Semester erfolgt wäre und dieser die gleiche Konsequenz hinsichtlich des Beihilfenanspruches hat wie ein fortgesetztes Studium, wenn in diesem im ersten Studienjahr nicht der entsprechende Erfolgsnachweis in Form von 16 erreichten ECTS-Punkten vorliegt:
Im Sinne des § 2 Abs. 1 lit b FLAG steht Familienbeihilfe erst dann zu, wenn ein Studienerfolgsnachweis erbracht wurde, hier im Februar 2018. Dies dürfte die Bf. im Zeitpunkt der Antragstellung ohnehin auch so gesehen haben, weil sie die Zuerkennung von Familienbeihilfe ab "" beantragte. Das ist jener Tag, an dem die Tochter die letzte zum ersten Semester zählende Prüfung absolvierte und damit insgesamt mit allen anderen Prüfungen dieses Semesters 16 ECTS Punkte erreichte.
Für den Zeitraum Oktober 2017 bis Jänner 2018 stand daher keine Familienbeihilfe zu, obwohl sich die Tochter in Berufsausbildung befand.
Die Möglichkeit der Rückforderung von bereits ausgezahlten Beihilfen und Kinderabsetzbeträgen ist in bzw. § 33 Abs. 3 EStG 1988 geregelt.
Wer Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, hat die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen.
Steuerpflichtigen, denen auf Grund des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 Familienbeihilfe gewährt wird, steht im Wege der gemeinsamen Auszahlung mit der Familienbeihilfe ein Kinderabsetzbetrag von monatlich 58,40 Euro für jedes Kind zu. Für Kinder, die sich ständig außerhalb eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines Staates des Europäischen Wirtschaftsraumes oder der Schweiz aufhalten, steht kein Kinderabsetzbetrag zu. Wurden Kinderabsetzbeträge zu Unrecht bezogen, ist § 26 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 anzuwenden.
Diese Rückzahlungspflicht normiert eine objektive Erstattungspflicht desjenigen, der die Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat. Die Verpflichtung zur Rückerstattung unrechtmäßiger Beihilfenbezüge ist von subjektiven Momenten unabhängig. Entscheidend ist lediglich, ob der Empfänger die Beträge zu Unrecht erhalten hat. Ob und gegebenenfalls, wie der Bezieher die erhaltenen Beträge verwendet hat, ist unerheblich (u.a. ). Demnach entbindet auch die Weitergabe der zu Unrecht bezogenen Beträge, etwa auch die Überweisung der Familienbeihilfe auf ein Konto des Kindes nicht von der zwingenden Rückzahlungsverpflichtung (vgl. dazu insbesondere , und auch ).
Einer Rückforderung steht nach derzeitiger Rechtslage auch nicht entgegen, wenn der unrechtmäßige Bezug ausschließlich durch das Finanzamt verursacht worden ist (vgl ; , 2008/15/0329; ,2007/15/0162; , 2008/15/0002; , 2006/13/0174; , 2001/13/0048; , 2001/13/0160; , 2002/13/0079; , 2000/15/0183; , 97/15/0013).
Allerdings kann ein Grund für eine Nachsicht nach § 236 BAO vorliegen (vgl ; , RV/7100264/2016).
Ein solches Ansuchen um Nachsicht muss beim Finanzamt gestellt werden.
§ 236 Abs.1 BAO lautet:
(1) Fällige Abgabenschuldigkeiten können auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.
Das Finanzamt entscheidet im Ermessen("können"), es besteht kein Rechtsanpruch auf Nachsicht.
Die Unbilligkeit der Einhebung einer Abgabe kann entweder eine persönliche oder eine sachliche sein. Der VwGH stellt auf die Unbilligkeit im Einzelfall ab (vgl ).
Eine persönliche Unbilligkeit ergibt sich aus der wirtschaftlichen Situation des Antragstellers bzw des Gesamtschuldners. Sie besteht bei einem wirtschaftlichen Missverhältnis zwischen der Einhebung der Abgabe und den im Bereich des Abgabepflichtigen entstehenden Nachteilen (vgl Ritz, BAO 6, § 236 Rz 10). Eine solche persönliche Unbilligkeit ist anzunehmen, wenn die Einhebung der Forderung die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, insbesondere das Vermögen und das Einkommen des Schuldners, in besonderer Weise unverhältnismäßig beeinträchtigen würde (vgl unter Hinweis auf Stoll, BAO-Kommentar, 2430, und die dort wiedergegebene Rechtsprechung).
Nach der Rechtsprechung kann eine sachliche Unbilligkeit vorliegen, wenn durch die Beihilfenbehörde der Grundsatz von Treu und Glauben (vgl ) dadurch verletzt wurde, dass der Nachsichtswerber auf ein unrichtiges Verhalten der Behörde, das eindeutig und unzweifelhaft für ihn zum Ausdruck kam, vertraut und danach disponiert hat (vgl zu mehrfacher Überprüfung des Anspruchs auf FB und Auszahlung von FB vor Erlassung eines Rückforderungsbescheids über 8.763,19 € unter Hinweis auf und ).
Die von der Bf. ins Treffen geführten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes betrafen die Rückforderung von gutgläubig empfangenem Ruhegenuss bzw. Dienstbezügen.
Die Rechtsprechung des OGH kann hier insbesondere auch deswegen keine Anwendung finden, weil es sich bei der Familienbeihilfe nicht um eine Unterhaltsleistung handelt.
Die Familienbeihilfe soll grundsätzlich jenem Haushalt zukommen, in dem das Kind betreut wird, und hat die Funktion einer Abgeltung der steuerlichen Mehrbelastung von Unterhaltsverpflichteten zu übernehmen ( mwN; , Ra 2018/22/0080 mwN). Der Staat verfolgt mit ihr einen doppelten Zweck: Den Mindestunterhalt des Kindes zu gewährleisten und gleichzeitig die Eltern von ihrer Unterhaltspflicht zu entlasten (vgl etwa oder mwN). Vgl. dazu die Ausführungen im FLAG, Kommentar2, Rz 303 zu § 1
Der Rückforderungsbescheid erging daher zu recht und es war wie im Spruch zu entscheiden.
Zulässigkeit einer Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Da das Erkenntnis nicht von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, war die ordentliche Revision nicht zuzulassen.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 26 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
Schlagworte | Rückforderung von Familienbeihilfe objektive Rückzahlungsverpflichtung |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2020:RV.7100538.2020 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at