Bescheidbeschwerde – Senat – Erkenntnis, BFG vom 23.03.2020, RV/7103574/2018

Kein Rechtsirrtum und kein Wiedereinsetzungsgrund, sofern keine Änderung im nationalen Abgabenrecht (hier: § 2 Abs. 2 Z 2 UStG 1994) eingetreten ist.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Vorsitzende R1 und die weiteren Senatsmitglieder Richter R2, R3 und R4, im Beisein der Schriftführerin SF, in der Beschwerdesache Bf., vertreten durch Masseverwalterin M, gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 3/6/7/11/15 Schwechat Gerasdorf vom über die Abweisung der Wiedereinsetzungsanträge betreffend Umsatzsteuer für die Jahre 2010 bis 2013, nach der am durchgeführten mündlichen Senatsverhandlung, zu Recht erkannt:
 

I.   Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.

II.  Eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Strittig ist, ob die bescheidmäßige Abweisung der Wiedereinsetzungsanträge gem. § 308 BAO betreffend Umsatzsteuer für die Jahre 2010 bis 2013, zu Recht ergangen ist.

Bei der Beschwerdeführerin (Bf.) handelt es sich um eine Personengesellschaft mit Sitz in Österreich, die im Bauträgergewerbe tätig ist.
Sie erwirbt bzw. errichtet Immobilien, die sie dann vermietet oder veräußert.

Die Gesellschafterstruktur stellt sich im Streitzeitraum wie folgt dar:

I. Bf1 (FN 9568k):

Die Personengesellschaft wurde mit Vertrag vom errichtet.

a) Komplementärin der Personengesellschaft ist die A GesmbH (FN 7549m) mit Sitz in Österreich (Wien).

b) Kommanditistin der Personengesellschaft ist die D GmbH mit Sitz in Deutschland (D1).

Die A GesmbH und die D GmbH halten jeweils 50 % an der Bf.

An der A GesmbH ist Herr GF1, geb. ddd, zu 100 % beteiligt, wobei 1 % der Anteile über einen Treuhänder gehalten werden.

Herr GF1 ist weiters auch allein zeichnungsberechtigter Geschäftsführer (GF) der A GesmbH.

Da die A GesmbH Komplementärin der Bf. ist, führt Herr GF1 somit auch die Geschäfte der Bf.

II. R (FN 338g):

Die Personengesellschaft wurde mit Vertrag vom errichtet.

Unternehmensgegenstand dieser Personengesellschaft ist das reglementierte Baumeistergewerbe, insbesondere im Bereich Hochbau und die Tätigkeiten des Dachdeckers, Spenglers, Schwarzdeckers, Elektrikers sowie Gas-, Wasser- und Heizungsinstallationen.

a) Komplementärin der Personengesellschaft ist die H GmbH (FN 0587d) mit Sitz in Österreich (Wien).

b) Kommanditistin der Personengesellschaft ist die D GmbH mit Sitz in Deutschland (D1).

Die H GmbH und die D GmbH halten jeweils 50 % an der R.

An der H GmbH ist Herr GF1, geb. ddd, zu 100 % beteiligt.

Herr GF1 ist weiters auch allein zeichnungsberechtigter Geschäftsführer (GF) der H GmbH.

Da die H GmbH Komplementärin der Bf. ist, führt Herr GF1 somit auch die Geschäfte der R.

Die R hat seit ihrer Gründung Bautätigkeiten für die Bf. erbracht. Durch diese Vollauslastung war es nicht erforderlich, Aufträge von fremden Dritten zu akquirieren.

Strittig ist aber, ob die beiden o.a. Personengesellschaften eine umsatzsteuerliche Organschaft nach § 2 Abs. 2 Z 2 UStG 1994 darstellen (bejaht durch die Ansicht der Bf., verneint durch die Ansicht der Finanzverwaltung).

Aufgrund des (Rechtssache C-108/14 und C-109/14) geht die Bf. nach rechtskräftiger Erlassung der Umsatzsteuerbescheide für die o.a. Streitjahre davon aus, dass der österreichische Gesetzeswortlaut des § 2 Abs. 2 Z 2 UStG 1994 dem Unionsrecht widerspricht.

Aufgrund dieser neuen Rechtskenntnis der Bf., stellte die Bf. am einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand betreffend Umsatzsteuer für die Jahre 2010 bis 2013 und begründet diesen im Wesentlichen wie folgt:

Eine Organschaft nach § 2 Abs. 2 Z 2 UStG 1994 liege zwischen der Bf. und der R nach österreichischem Gesetzeswortlaut nicht vor.

Diese gesetzliche Bestimmung widerspreche allerdings dem Unionsrecht.

Art. 11 MwSt-Syst-RL verlange lediglich das Vorliegen enger finanzieller, wirtschaftlicher und organisatorischer Beziehungen; diese würden nach Ansicht der Bf. zwischen der Bf. und der R vorliegen.

Demnach seien die Bf. bzw. die R hinsichtlich dieser Unionsrechtswidrigkeit des § 2 Abs. 2 Z 2 UStG 1994 einem „Rechtsirrtum“ unterlegen gewesen.

Da seitens der Bf. somit irrtümlicherweise davon ausgegangen worden sei, dass die Bestimmung des § 2 Abs. 2 Z 2 UStG 1994 unionsrechtskonform in österreichisches Recht übertragen worden sei, sei die Frist zur Erhebung eines Rechtsmittels gegen die Umsatzsteuerbescheide 2010 bis 2013 versäumt worden.

Daher habe auch eine Qualifikation der Umsätze zwischen der Bf. und der R als „nicht steuerbar“ nicht im Wege einer Beschwerde erreicht werden können, was einen Rechtsnachteil für die betroffenen Unternehmer darstelle.

Erst Mitte Dezember 2014 habe die Bf. Kenntnis davon erlangt, dass § 2 Abs. 2 Z 2 UStG 1994 dem Unionsrecht widerspreche.

Es seien umgehend Schritte eingeleitet worden (Besprechung mit dem Finanzamt am ).

Nach Ansicht der Bf. sei daher der Wiedereinsetzungsantrag rechtzeitig erfolgt.

Auch treffe die Bf. bzw. die R weder an der Fristversäumnis noch an dem vorliegenden Rechtsirrtum ein grobes Verschulden.

Der Rechtsirrtum und die dadurch resultierende Fristversäumnis sei daraus entstanden, dass sich die Bf. bzw. R an den Wortlaut des österreichischen Umsatzsteuergesetzes (§ 2 Abs. 2 Z 2 UStG 1994) gehalten haben.

Die Unionsrechtswidrigkeit dieser Bestimmung sei zum Zeitpunkt der Frist wohl nur für einen ausgewiesenen Fachexperten auf dem Gebiet des Unionsrechts zu erkennen gewesen.

Gleichzeitig erhebe die Bf. nunmehr Beschwerde gegen die Umsatzsteuerbescheide 2010 bis 2013.

In der Rechtsprechung sei zwar teilweise davon ausgegangen worden, dass die unionsrechtlichen Regelungen den Rahmen bilden, innerhalb dessen die Mitgliedstaaten das Gebilde der innerstaatlichen Organschaft mit einem gewissen Spielraum ausgestalten können; diese Auslegung sei aber nach Ansicht der Bf. nach dem , Kommission/Schweden, nicht mehr vertretbar.

Mit diesem Urteil stelle der EuGH klar, dass die unionsrechtlichen Bestimmungen hinsichtlich „Organschaft“ autonom und einheitlich auszulegen seien.

Die autonome und einheitliche Auslegung des Unionsrechts verlange somit, mehrere Personen zusammen als einen Steuerpflichtigen zu behandeln, wenn diese Personen zwar rechtlich unabhängig seien, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden seien.

Die Erfüllung weiterer Voraussetzungen für die Annahme eines einheitlichen Steuerpflichtigen seien lt. EuGH vom Unionsrecht nicht vorgesehen.

Ein Wahlrecht der Mitgliedstaaten hinsichtlich Organschaft bestehe somit nur für die grundsätzliche Anwendung der Bestimmung, nicht aber für Voraussetzungen, die an das Vorliegen der Organschaft geknüpft werden.

Die Einschränkung auf „juristische Personen des privaten Rechts“ als Organgesellschaften sei unionsrechtswidrig.

Das Unionsrecht verwende den Begriff „Personen“ (Art. 11 Der MwSt-Syst-RL).

Dieser Begriff könne nicht auf juristische Personen des privaten Rechts beschränkt werden.

Eine unionsrechtskonforme Auslegung des § 2 Abs. 2 Z 2 UStG 1994 scheitere zwar an klaren Wortlaut der Bestimmung. Die Bf. könne sich aber bei mangelhafter Umsetzung des EU-Rechts unmittelbar auf das für sie günstigere EU-Recht berufen.

Nach Ansicht der Bf. könnten somit auch Personengesellschaften Mitglieder eines Organkreises sein.

Eine Über- und Unterordnung der Organgesellschaften, wie dies das österreichische Umsatzsteuergesetz fordere, stehe ebenfalls nicht im Einklang mit dem EU-Recht, das lediglich eine enge finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehung zwischen den einzelnen Personen fordert.

Diese enge finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehung liege zwischen der Bf. und der R vor.

Daher seien die Bf. und die R unter unmittelbarer Berufung auf das für sie günstigere EU-Recht als einheitlicher Steuerpflichtiger iSd Art. 11 MwSt-Syst-RL zu betrachten.

Umsätze zwischen der Bf. und der R seien daher als „nicht steuerbare Innenumsätze“ zu behandeln.

In analoger Anwendung der Bestimmungen bei ausländischen Organträgern wäre die Bf. als bedeutenderer Unternehmensteil als Unternehmer zu betrachten, die Umsatzsteuer beider Gesellschaften wäre somit bei der Bf. zu erfassen.

Die R sei mittlerweile in eine GmbH umgewandelt worden, welche als Rechtsnachfolgerin der R handle.

Auch die H GmbH sei in einem Organkreis mit der Bf.

Mit Bescheid vom wies das Finanzamt den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 308 BAO betreffend Umsatzsteuer 2010 bis 2013 ab, da die Bf. die gesetzlichen Bestimmungen zu § 2 Abs. 2 Z 2 UStG 1994 berücksichtigte und eingehalten habe.

Eine Rechtsunkenntnis liege somit nicht vor und stehe diese auch nicht in Zusammenhang mit einer Fristversäumnis betreffend Rechtsmittelfrist für die Umsatzsteuerbescheide 2010 bis 2013.

Die Voraussetzungen des § 308 BAO seien somit nicht erfüllt.

Gegen diesen Abweisungsbescheid hinsichtlich Wiedereinsetzung betreffend Umsatzsteuer 2010 bis 2013 erhob die Bf. Beschwerde und führt darin im Wesentlichen nochmals aus, dass die Bf. und die R hinsichtlich der Unionsrechtswidrigkeit des § 2 Abs. 2 Z 2 UStG 1994 einem Rechtsirrtum unterlegen sei.

Dieser habe darin bestanden, dass irrtümlicherweise davon ausgegangen worden sei, dass die Bestimmung des § 2 Abs. 2 Z 2 UStG 1994 unionsrechtskonform in österreichisches Recht übertragen worden sei.

Die Frist zur Erhebung eines Rechtsmittels gegen die Umsatzsteuerbescheide 2010 bis 2013 beider Gesellschaften sei als direkte Konsequenz der Unkenntnis der unionsrechtswidrigen Bestimmung versäumt.

In weiterer Folge habe eine Qualifikation der Umsätze zwischen der Bf. und der R als nicht steuerbare Innenumsätze nicht im Wege einer Beschwerde erreicht werden, was einen Rechtsnachteil für die betroffenen Unternehmer darstelle.

Auch liege an der Fristversäumnis und beim vorliegenden Rechtsirrtum kein grobes Verschulden vor.

Erst Mitte Dezember 2014 habe die Bf. und die R Kenntnis davon erlangt, dass § 2 Abs. 2 Z 2 UStG 1994 dem Unionsrecht widerspreche und somit Beschwerde hätte erhoben werden können.

Der Wiedereinsetzungsantrag vom sei daher rechtzeitig erfolgt.

Das Finanzamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet ab, da nach Ansicht des Finanzamtes eine „Rechtsunkenntnis“ der Bf. nicht vorliege, da diese die gesetzlichen Bestimmungen des Umsatzsteuergesetzes berücksichtigt und eingehalten habe.

„Rechtsunkenntnis“ liege auch nicht in Zusammenhang mit einer Fristversäumnis betreffend Rechtsmittelfrist für die Umsatzsteuerbescheide der Jahre 2010 bis 2013 vor.

Auch könne das „günstigere Unionsrecht“ nicht unmittelbar angewendet werden.

Gültig sei daher für die Streitjahre das UStG 1994, weshalb wie o.a. kein Rechtsirrtum vorliege und somit die Voraussetzungen des § 308 BAO nicht erfüllt seien.

Die Bf. stellte daraufhin einen Vorlageantrag an das Bundesfinanzgericht und wiederholt darin sein o.a. Beschwerdebegehren, dass sich der „Rechtsirrtum“ und die daraus resultierende Fristversäumnis deshalb entstanden sei, dass sich die Bf. bzw. R an den Wortlaut des österreichischen Umsatzsteuergesetzes (§ 2 Abs. 2 Z 2 UStG 1994) gehalten hätten.

Die „Unionsrechtswidrigkeit dieser Bestimmung sei zum Zeitpunkt der Frist wohl nur für einen ausgewiesenen Fachexperten auf dem Gebiet des Unionsrechts zu erkennen gewesen, weshalb die Bf. auch kein grobes Verschulden treffe.

Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurden die Beschwerdeausführungen folgendermaßen ergänzt:

Nach Ansicht der steuerlichen Vertretung sei zum Zeitpunkt der Einreichung der Umsatzsteuerjahreserklärungen 2010 bis 2013 nicht erkennbar gewesen, dass die österreichische Gesetzeslage nicht dem Unionsrecht entsprechen würde.

Herr GF1 (GesGF der A GesmbH) habe im Dezember 2014 die Ernst & Young Steuerberatungs- und WirtschaftsprüfungsgesmbH um Erstellung eines Gutachtens über die diesbezügliche Gesetzeslage.

Das Gutachten vom der Ernst & Young Steuerberatungs- und WirtschaftsprüfungsgesmbH gehe im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Fall von einer Unionsrechtswidrigkeit des § 2 Abs. 2 Z 2 UStG 1994 aus.

Daraufhin sei fristgerecht der o.a. Wiedereinsetzungsantrag gestellt worden, da nach Ansicht der Bf. das österr. Recht „unionsrechtskonform“ auszulegen wäre (lt. EuGH).

Auch der deutsche BFH habe seitdem entschieden, dass auch Personengesellschaften Teil einer Organschaft sein können.

Im gegenständlichen Fall wären nach Ansicht der Bf. die materiellen Voraussetzungen für eine Organschaft erfüllt.

Auch handle es sich im gegenständlichen Fall um einen zu berücksichtigenden Rechtsirrtum, da es sich bloß um einen minderen Grad des Versehens handle (vgl. ).

Nach Ansicht der Bf. sei auch eine unionsrechtskonforme Interpretation der strittigen österreichischen Umsatzsteuerbestimmung möglich, wonach auch Personengesellschaften Organgesellschaften sein könnten (siehe auch Rz. 233 der USt-RL ab 2017).

Dem halte der Vertreter der belangten Behörde entgegen, wie bereits in der Beschwerdevorentscheidung vom ausgeführt, dass nach ständiger Rechtsprechung Rechtsunkenntnis bzw. Rechtsirrtum keinen Wiedereinsetzungsgrund darstelle. Eine Änderung der Rechtsmeinung sei kein Grund für eine Wiedereinsetzung.

Gem. den Bestimmungen des österreichischen Umsatzsteuergesetzes sehe diese eine Organschaft jedenfalls nur für juristische Personen vor und nicht auch für Personengesellschaften.

Eine Änderung sehen die USt-RL erst für Veranlagungszeiträume ab dem vor.

Der Senat hat nach mündlicher Verhandlung über die Beschwerde erwogen:

Als strittig stellt sich im gegenständlichen Beschwerdeverfahren die Frage dar, ob der Rechtsirrtum der Bf., wonach § 2 Abs. 2 Z 2 UStG 1994 dem Unionsrecht nicht widerspricht, einen Wiedereinsetzungsgrund gem. § 308 BAO darstellt.

§ 2 Abs. 2 Z 2 UStG 1994 lautet:

Die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit wird nicht selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person dem Willen eines Unternehmers derart untergeordnet ist, dass sie keinen eigenen Willen hat.

Eine juristische Person ist dem Willen eines Unternehmers dann derart untergeordnet, dass sie keinen eigenen Willen hat (Organschaft), wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in sein Unternehmen eingegliedert ist.

Die Wirkungen der Organschaft sind auf Innenleistungen zwischen den im Inland gelegenen Unternehmensteilen beschränkt. Diese Unternehmensteile sind als ein Unternehmen zu behandeln.

Hat der Organträger seine Geschäftsleitung im Ausland, gilt der wirtschaftlich bedeutendste Unternehmensteil im Inland als Unternehmer.

Nach § 308 Abs. 1 BAO ist gegen die Versäumung einer Frist (§§ 108 bis 110 BAO) auf Antrag einer Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten.

Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Ziel der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist es, Rechtsnachteile zu beseitigen, die einer Partei daraus erwachsen, dass sie eine Frist ohne grobes Verschulden versäumt hat.

Voraussetzungen für die Bewilligung der Wiedereinsetzung sind daher
- neben der Versäumung einer Frist und einem hierdurch entstandenen Rechtsnachteil
- ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis und kein grobes Verschulden auf Seiten des Wiedereinsetzungswerbers (z.B. Ritz, BAO-Kommentar, 6. Aufl., § 308 Tz 1f.).

Die engste Verwandtschaft mit § 308 BAO weisen der § 71 AVG und § 46 VwGG auf, weshalb vor allem der zu diesen Vorschriften ergangenen Judikatur und Literatur bei der Anwendung und Interpretation der Tatbestandsmerkmale des § 308 BAO erhöhte Bedeutung beigemessen wird.

Als Ereignis (auch im Sinne des § 308 Abs. 1 BAO) ist jedes Geschehen ohne jede Beschränkung auf Vorgänge in der Außenwelt anzusehen. Gehindert wird eine Person durch eigene menschliche Unzulänglichkeit ebenso wie durch Gewalteinwendung von außen (Hauer/Leukauf, Verwaltungsverfahren6, S 1071, 17a).

Nicht nur ein äußeres Ereignis, sondern auch ein "Irrtum" kann ein Ereignis im Sinne des § 71 AVG - somit auch im Sinne des § 308 BAO - sein. Insofern wird in jenen Fällen, in denen die ältere Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in einer unrichtigen Beurteilung der Rechtslage keinesfalls und sogar auch dann keinen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund erblickt hat, wenn dieser Irrtum durch eine unrichtige Rechtsauskunft des behördlichen Organs veranlasst oder bestärkt wurde (VwSlg 7276 a), im Einzelfall jedenfalls die Verschuldensfrage zu prüfen und ein Wiedereinsetzungsgrund nur dann zu verneinen sein, wenn dem Wiedereinsetzungswerber wenigstens Fahrlässigkeit bei der Versäumung des Termins zur Last fällt.

Denselben Gedanken bringt die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Ausdruck, wonach zwar mangelnde Rechtskenntnis oder Rechtsirrtum nicht als ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis zu werten sind, dass die rein subjektive Beurteilung einer Rechtslage den Wiedereinsetzungswerber niemals hindern kann, sich vorsorglich bei Rechtskundigen zu informieren ().

Die Relativierung der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der Auswirkungen mangelnder Rechtskenntnis oder Rechtsirrtums erfolgte in jenen Fällen, in denen eine unvertretene Partei aufgrund ihrer mangelnden Rechtskenntnis bzw. einer Fehlvorstellung über die Rechtslage einen Nachteil erlitten hatte (siehe dazu BFG-Erkenntnis vom , RV/7101602/2014).

Im gegenständlichen Fall handelt es sich aber nicht um eine „unvertretene“ Person, sondern um eine Person die einen rechtskundigen berufsmäßigen Parteienvertreter beauftragt hat (in allen Umsatzsteuererklärungen der obigen Streitjahre ist die steuerliche Vertretung namentlich vermerkt).

Die Rechtsprechung betreffend einer „unvertretenen“ Person ist nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes somit nicht ohne weiteres auf einen berufsmäßigen Parteienvertreter, dem ein von der Bf. behaupteter Fehler (nämlich die fristgerechte Stellung eines Wiedereinsetzungsantrages aufgrund einer vom Bf. vermuteten Anwendbarkeit eines und C-109/14) unterläuft, zu übertragen (; Hauer/Leukauf, Verwaltungsverfahren6, S 1071, 17b, 17c).

Unvorhergesehen ist ein Ereignis, das die Partei nicht einberechnet hat und dessen Eintritt sie auch unter Bedachtnahme auf die ihr persönlich zumutbare Aufmerksamkeit und Vorsicht nicht erwarten konnte.

Unabwendbar ist ein Ereignis hingegen dann, wenn es die Partei mit den einem Durchschnittsmenschen zur Verfügung stehenden Mitteln nicht verhindern konnte, auch wenn sie dessen Eintritt voraussah (Ritz, BAO-Kommentar, 6. Aufl., § 308 Tz 10 f, mwN).

Nicht jede Form von Verschulden hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung. Unschädlich ist ein minderer Grad des Versehens, der der leichten Fahrlässigkeit iSd. § 1332 ABGB gleichzusetzen ist.

Keine leichte Fahrlässigkeit liegt vor, wenn jemand auffallend sorglos handelt (z.B. ). Auffallend sorglos handelt, wer die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und persönlich zumutbare Sorgfalt außer Acht lässt ().

An rechtskundige Parteienvertreter ist hierbei ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige Personen (Ritz, aaO, § 308 Tz 15, mwN).

Ein Verschulden des Vertreters ist dem Verschulden des Vertretenen gleichzuhalten (Ritz, aaO, § 308 Tz 17, und die dort zitierten Judikate).

Im gegenständlichen Fall beurteilte die Bf. die Bestimmung des § 2 Abs. 2 Z 2 UStG 1994 zunächst als unionsrechtskonform.

Mitte Dezember 2014 habe die Bf. erst Kenntnis davon erlangt, dass § 2 Abs. 2 Z 2 UStG 1994 nicht unionsrechtskonform sei (unter Bezug auf das EuGH-Verfahren zu C-108/14 und C-109/14, Larentia + Minerva).

Die Bf. stellte daher am einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand betreffend Umsatzsteuer 2010 bis 2013.

Wenn im Wiedereinsetzungsantrag bzw. in der gegen den abweisenden Bescheid eingebrachten Beschwerde ausgeführt wird, dass die Bf. erst durch das EuGH-Verfahren Larentia + Minerva erkannt habe, dass § 2 Abs. 2 Z 2 UStG 1994 unionsrechtswidrig sei, dann wird hiermit ein Rechtsirrtum, im gegenständlichen Fall ein Irrtum über das materielle Recht, geltend gemacht.

Nun bildet aber nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes ein derartiger Rechtsirrtum, dem die Bf. offensichtlich vermeint unterlegen zu sein, kein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis, das nach § 308 BAO die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen würde, da das zur dritten an den EuGH herangetragenen Frage u.a. wie folgt ausführt:

„Wie der Generalanwalt in Nr. 112 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, bedarf die in Art. 4 Abs. 4 der Sechsten Richtlinie aufgestellte Voraussetzung, nach der die Bildung einer Mehrwertsteuergruppe davon abhängt, dass zwischen den betreffenden Personen enge Verbindungen in finanzieller, wirtschaftlicher und organisatorischer Hinsicht bestehen, einer Präzisierung auf nationaler Ebene.

Dieser Artikel hat daher insoweit einen bedingten Charakter, als er die Anwendung nationaler Rechtsvorschriften voraussetzt, die den konkreten Umfang solcher Verbindungen bestimmen.

Demnach erfüllt Art. 4 Abs. 4 der Sechsten Richtlinie nicht die Voraussetzungen, um unmittelbare Wirkung zu entfalten.

Daher ist auf die dritte Frage zu antworten, dass bei Art. 4 Abs. 4 der Sechsten Richtlinie nicht davon ausgegangen werden kann, dass er unmittelbare Wirkung hat, so dass Steuerpflichtige dessen Inanspruchnahme gegenüber ihrem Mitgliedstaat geltend machen könnten, falls dessen Rechtsvorschriften nicht mit dieser Bestimmung vereinbar wären und nicht in mit ihr zu vereinbarender Weise ausgelegt werden könnten.“

Das bedeutet, dass sich ein Steuerpflichtiger lt. EuGH nicht direkt auf Art. 4 Abs. 4 der Sechsten Mehrwertsteuer-Richtlinie berufen kann.

Für den gegenständlichen Fall bedeutet dies, dass somit die gesetzliche Bestimmung des § 2 Abs. 2 Z 2 UStG 1994 sowohl vor dem Ergehen als auch nach dem Ergehen des EuGH-Urteils unverändert nur für juristische Personen angewandt werden kann, da bis dato eine diesbezügliche gesetzliche Änderung des Umsatzsteuergesetzes 1994 nicht erfolgte.

Aus diesem Grunde hat sich die Bf., die sich in den o.a. Streitjahren rechtskundiger Berater bediente (siehe Umsatzsteuererklärungen 2010 bis 2013), sowohl vor dem Ergehen als auch nach dem Ergehen des EuGH-Urteils gesetzeskonform verhalten; von einem Rechtsirrtum bzw. Rechtsunkenntnis kann daher keine Rede sein, da die oben zitierten gesetzlichen Bestimmungen des österreichischen Umsatzsteuergesetzes keine Änderungen erfahren haben (der Hinweis der Bf. auf die Umsatzsteuer-Richtlinien [Seite 6 des Vorlageantrages vom ; die angeführte Änderung bei Rz. 233 USt-RL bezieht sich jedoch erst auf Veranlagungszeiträume ab dem , wobei dies bis dato gesetzlich nicht verankert ist] geht ins Leere, da Richtlinien, durch die bloß die Rechtsauffassung des Finanzministeriums mitgeteilt wird, keine normative Bedeutung zukommt; vgl. VwGH-Erkenntnis vom , 98/14/0043 und vom , 2011/15/0192).

In diesem Zusammenhang bleibt von der Bf. unerwähnt, dass die Umsatzsteuer-Richtlinien in Abschnitt 2 aber auch ausdrücklich festhalten, dass das Kriterium der finanziellen Eingliederung zwischen zwei Schwesterngesellschaften jedenfalls nicht erfüllt ist, da die eine Schwesterngesellschaft (hier R) nicht als Organgesellschaft in die andere Schwesterngesellschaft (hier Bf.) als Organträger finanziell eingegliedert ist, sondern sich nur die Anteile an beiden Schwesterngesellschaften in der Hand derselben Gesellschafter befinden.

Die diesbezüglichen Ausführungen der Bf. zu Ausführungen in den Umsatzsteuer-Richtlinien gehen damit ins Leere.

Da somit der behauptete Rechtsirrtum bzw. Rechtsunkenntnis (= keine Änderung des österreichischen Umsatzsteuergesetzes vor bzw. nach dem EuGH-Urteil zu C-108/14 und C-109/14 und lt. EuGH keine direkte Inanspruchnahme des Steuerpflichtigen gegenüber seinem Mitgliedstaat betreffend Art. 4 Abs. 4 der Sechsten Richtlinie möglich ist) wie o.a. im gegenständlichen Fall nicht vorliegt, liegt auch nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes kein Grund für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 308 BAO vor.

Auch ist es bis dato zu keiner Änderung der o.a. strittigen umsatzsteuerlichen Bestimmung im UStG 1994 gekommen. Die Bf. hat sich nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes stets rechtskonform verhalten.

Der Wiedereinsetzungsantrag vom wurde vom Finanzamt somit zu Recht abgewiesen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zur Zulässigkeit der Revision:

Gem. Art. 133 Abs. 4 B-VG iVm § 25a Abs. 1 VwGG wird eine ordentliche Revision beim Verwaltungsgerichtshof nicht zugelassen, da die Revision von der Lösung einer Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, nicht abhängt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab, noch fehlt es an einer diesbezüglichen Rechtsprechung (vgl. ). Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 308 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 2 Abs. 2 Z 2 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994
Schlagworte
Wiedereinsetzung
Personengesellschaft
Rechtsirrtum
unionswidrig
Organschaft
Fristversäumnis
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.7103574.2018

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at