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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 27.03.2020, RV/7101328/2020

Abweisung eines Antrags auf Wiederaufnahme mangels Neuhervorkommens von Tatsachen

Rechtssätze


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Folgerechtssätze
RV/7101328/2020-RS1
wie RV/7101981/2018-RS1
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (; ; ) hat ein Antrag auf Wiederaufnahme – bei Geltendmachung neu hervorgekommener Tatsachen – insbesondere die Behauptung zu enthalten, dass Tatsachen oder Beweismittel „neu hervorgekommen sind“. Aus dem insoweit klaren Wortlaut des § 303 Abs. 1 lit. b iVm § 303 Abs. 2 lit. b BAO ist somit abzuleiten, dass bei einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens das Neuhervorkommen von Tatsachen aus der Sicht des Antragstellers zu beurteilen ist.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R in der Beschwerdesache Bf., über die Beschwerde vom gegen die Bescheide der belangten Behörde Finanzamt X vom , betreffend Abweisung des Antrags vom auf Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren für die Jahre 2015 und 2016, zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Die angefochtenen Bescheide bleiben unverändert.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig. 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerdeführerin (Bf.) bezog in den streitgegenständlichen Jahren Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.

Am und langten die Erklärungen der Bf. zu den ArbeitnehmerInnenveranlagungen für 2015 und 2016 beim Finanzamt ein. Die Bezug habenden Einkommensteuerbescheide, jeweils vom , ergingen erklärungsgemäß und erwuchsen in Rechtskraft.

Am brachte die Bf. beim Finanzamt gemäß § 303 Abs. 1 BAO einen Antrag auf Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren für die Jahre 2015 und 2016 ein:

Sie beantrage hiermit die Berücksichtigung ihrer Lebensversicherung iHv 2.472,00 € für 2015 und iHv 2.546,16 € für 2016. Die dazugehörigen Unterlagen mögen der Vorhaltsbeantwortung 2017/2018 entnommen werden.

Ebenfalls am übermittelte die Bf. dem Finanzamt unter dem Betreff „Ergänzung zur Wiederaufnahme 2015 und 2016“ mehrere sie betreffende Bestätigungen der „XX“-Versicherungsgesellschaft.

Mit Bescheiden vom wies die Abgabenbehörde den Antrag der Bf. auf Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren für die Jahre 2015 und 2016 ab, da es sich um keinen Neuerungstatbestand handle.

Gegen diese Abweisungsbescheide erhob die Bf. am Beschwerde:

Lt. Neuerungstatbestand SZK-010103/0119-SVE/2017 [Anm.: gemeint ist die Info FB SVE des SZK-010103/0119-SVE/2017] liege kein ermessensschädliches Verhalten seitens der Bf. vor.

Ein einmaliges Versehen (Übersehen, Vergessen, Irrtum) bei Geltendmachung von steuermindernden Umständen („XX“-Versicherungsbestätigungen 2015 und 2016) spreche nicht gegen eine amtswegige Wiederaufnahme. Billigkeit vor Zweckmäßigkeit und Vorrang des Prinzips der Rechtsrichtigkeit vor dem Prinzip der Rechtsbeständigkeit.

Aus den oben angeführten Gründen und aufgrund der dem Wiederaufnahmeantrag beigelegten und in der Vorhaltsbeantwortung 2017/2018 ersichtlichen Unterlagen ersuche die Bf. nochmals um Berücksichtigung der „XX“-Versicherung 2015 und 2016.

Mit Beschwerdevorentscheidungen vom wies das Finanzamt die Beschwerde der Bf. als unbegründet ab:

Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO könne e in durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen seien und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Der Verwaltungsgerichtshof habe in seinem Erkenntnis , Ra 2014/15/0058, ausgeführt, dass das Neuhervorkommen von Tatsachen bei einem Antrag auf Wiederaufnahme aus der Sicht des Antragstellers zu beurteilen sei (vgl. auch , und ).

Da davon auszugehen sei, dass der Bf. die Tatsache der Geltendmachung von Sonderausgaben (Versicherungsprämien) vor Abschluss der Einkommensteuerverfahren 2015 und 2016 bekannt gewesen sei (das Wissen über (selbst) verwirklichte Sachverhalte sei in der Regel anzunehmen), handle es sich bei diesem Umstand um keine neu hervorgekommenen Tatsachen iSd § 303 Abs. 1 BAO.

Da die Voraussetzungen des § 303 Abs. 1 BAO somit nicht gegeben gewesen seien (abweisende Bescheide vom ), habe die dagegen erhobene Beschwerde ebenfalls abgewiesen werden müssen.

In ihrem dagegen erhobenen Vorlageantrag vom führte die Bf. ergänzend zu ihrem bisherigen Vorbringen „in eventu“ aus, sollte ihr Antrag auf Wiederaufnahme zu Recht abgewiesen worden sein, so wäre dennoch eine amtswegige Wiederaufnahme durchzuführen gewesen, da die neu hervorgekommenen Tatsachen zumindest für die Abgabenbehörde neue Tatsachen dargestellt hätten, welche im Spruch einen anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten.

Die Abweisung des Wiederaufnahmeantrages stehe einer amtswegigen Wiederaufnahme unter der Voraussetzung, dass kein ermessensschädliches Verhalten vorliege, nicht entgegen. Ein einmaliges Versehen (Übersehen, Vergessen, Irrtum, Unkenntnis) bei Geltendmachung von steuermindernden Umständen spreche nicht gegen eine amtswegige Wiederaufnahme. Es gebe kein grobes Verschulden und kein auffälliges steuerliches Verhalten ihrerseits.

Die Auswirkung wäre für die Bf. auch nicht geringfügig (neue Wohnadresse ab Datum1 und bevorstehende Heirat).

Am wurde das Rechtsmittel dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Im Bezug habenden Vorlagebericht führte die Abgabenbehörde aus, sowohl das Jahr 2015 als auch das Jahr 2016 seien erklärungsgemäß veranlagt worden. Etwa eineinhalb Jahre nach Erlassung der betreffenden Einkommensteuerbescheide habe die Bf. einen Antrag auf Wiederaufnahme der beiden Verfahren gestellt und die Berücksichtigung ihrer Lebensversicherung beantragt. Mangels Neuerungstatbestandes sei der Antrag abgewiesen worden.

Dazu stellungnehmend führte die belangte Behörde nach Wiedergabe der Bestimmung des § 303 Abs. 1 lit. b BAO aus, der Verwaltungsgerichtshof habe in seinem Erkenntnis , Ra 2014/15/0058, dargelegt, dass das Neuhervorkommen von Tatsachen bei einem Antrag auf Wiederaufnahme aus der Sicht des Antragstellers zu beurteilen sei (vgl. auch , und ).

Der Umstand, dass die Bf. eine Lebensversicherung abgeschlossen gehabt habe, sei ihr bereits bei Abgeben der Erklärungen für 2015 und 2016 bekannt gewesen. Das bloße Vergessen der Eintragungen in der Erklärung sei keine neue Tatsache. Zudem habe die Bf. auch die Möglichkeit gehabt, die fehlende Berücksichtigung der Versicherung in ihren Einkommensteuerbescheiden zu monieren. Dies habe die Bf. jedoch verabsäumt.

Die Abweisung des Antrages sei daher zu Recht erfolgt und die Beschwerde sei daher abzuweisen.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

§ 303 BAO, BGBl. Nr. 194/1961 idgF, lautet:

„§ 303. (1) Ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren kann auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn

a) der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist, oder

b) Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, oder

c) der Bescheid von Vorfragen (§ 116) abhängig war und nachträglich über die Vorfrage von der Verwaltungsbehörde bzw. dem Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden worden ist,

und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

(2) Der Wiederaufnahmsantrag hat zu enthalten:

a) die Bezeichnung des Verfahrens, dessen Wiederaufnahme beantragt wird;

b) die Bezeichnung der Umstände (Abs. 1), auf die der Antrag gestützt wird.

(3) Der Bundesminister für Finanzen wird ermächtigt, durch Verordnung die für die Ermessensübung bedeutsamen Umstände zu bestimmen.“

Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass der Bf. der Abschluss ihrer „XX“-Lebensversicherung und die Zahlung der diesbezüglichen Versicherungsprämien bereits zu den Zeitpunkten der Einreichung ihrer Erklärungen zu den ArbeitnehmerInnenveranlagungen für 2015 und 2016 am und bzw. vor Abschluss der Einkommensteuerverfahren für 2015 und 2016 bekannt gewesen sind (wie das Finanzamt in seinen Bezug habenden Beschwerdevorentscheidungen zu Recht ausgeführt hat, ist das Wissen über selbst verwirklichte Sachverhalte idR anzunehmen). Gegenteiliges (dass die Bf. vom Abschluss ihrer Lebensversicherung bzw. von der diesbezüglichen Prämienzahlung zu den oa. Zeitpunkten keine Kenntnis gehabt hätte) widerspricht der Lebenserfahrung und wurde von ihr auch nicht dezidiert behauptet.

Streit zwischen den Parteien des gegenständlichen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens besteht darüber, ob die Abweisung des Antrags der Bf. vom auf Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren für die Jahre 2015 und 2016 zu Recht erfolgt ist.

Dazu ist seitens des Bundesfinanzgerichtes Folgendes festzuhalten:

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (; ; ) hat ein Antrag auf Wiederaufnahme – bei Geltendmachung neu hervorgekommener Tatsachen – insbesondere die Behauptung zu enthalten, dass Tatsachen oder Beweismittel „neu hervorgekommen sind“. Aus dem insoweit klaren Wortlaut des § 303 Abs. 1 lit. b iVm § 303 Abs. 2 lit. b BAO ist somit abzuleiten, dass bei einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens das Neuhervorkommen von Tatsachen aus der Sicht des Antragstellers (hier: der Bf.) zu beurteilen ist (so auch Setina, Wiederaufnahme auf Antrag bei Säumnis des Abgabepflichtigen?, BFGjournal Nr. 2/2020, S 88 ff, wonach das Wiederaufnahmeverfahren nicht den Zweck hat, Versäumnisse des Antragstellers zu sanieren).

Im gegenständlichen Fall sind, wie oben ausgeführt, der Bf. der Abschluss ihrer Lebensversicherung und die Zahlung der diesbezüglichen Versicherungsprämien bereits vor Einreichung des gegenständlichen Wiederaufnahmeantrages am bekannt gewesen und somit aus der Sicht der Bf. nichtneu hervorgekommen. Damit liegt aber die tatbestandsmäßige Voraussetzung des § 303 Abs. 1 lit. b BAO - das Neuhervorkommen von Tatsachen oder Beweismitteln - für die seitens der Bf. beantragte Wiederaufnahme der Einkommensteuerverfahren für die Jahre 2015 und 2016 nicht vor (d as bloße Vergessen bzw. Übersehen der Bezug habenden Eintragungen in den Abgabenerklärungen stellt, wie die belangte Behörde in ihrem Vorlagebericht vom richtig ausgeführt hat, keine neu hervorgekommenen Tatsachen iSd § 303 Abs. 1 lit. b BAO dar) , weshalb das Finanzamt diesen Antrag zu Recht abgewiesen hat.

Was die Ausführungen der Bf. zur Wiederaufnahme von Amts wegen betrifft (die Abweisung des Wiederaufnahmeantrages stehe einer amtswegigen Wiederaufnahme unter der Voraussetzung, dass kein ermessensschädliches Verhalten vorliege, nicht entgegen, etc.) ist festzuhalten, dass auf eine amtswegige Maßnahme jedoch nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kein Rechtsanspruch besteht (zB ). Eine Entscheidungspflicht betreffend Anregung einer amtswegigen Wiederaufnahme des Verfahrens besteht nicht (; so auch die von der Bf. in ihren Rechtsmittelschriftsätzen angeführte Info FB SVE des SZK-010103/0119-SVE/2017, Punkt 2.). Anzumerken ist, dass gemäß § 305 BAO für die Entscheidung (auch) über die (amtswegige) Wiederaufnahme stets eine Abgabenbehörde (hier: das Finanzamt X) zuständig ist (Ritz, BAO6, § 305 Tz 1) und nicht das Bundesfinanzgericht.

Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.

Unzulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im gegenständlichen Fall ergibt sich die Rechtsfolge der Abweisung der Beschwerde aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (; , etc.; siehe oben), weshalb keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegt. Die ordentliche Revision war daher nicht zuzulassen.      

Hinweis zum 2. COVID-19-Gesetz:

Abweichend von der folgenden Rechtsbelehrung beginnt die Frist zur Erhebung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder einer Revision an den Verwaltungsgerichtshof gegen diese Entscheidung – sofern diese vor dem zugestellt wurde -  mit zu laufen (§ 6 Abs. 2 i. V. m. § 1 Abs. 1 Art. 16 2. COVID-19-Gesetz BGBl. I Nr. 16/2020). 

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 303 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise



Setina, Wiederaufnahme auf Antrag bei Säumnis des Abgabepflichtigen?, BFGjournal Nr. 2/2020, S 88 ff
Ritz, BAO 6. Auflage, § 305 Tz 1
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.7101328.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at