Nachsicht bereits entrichteter Abgaben, Aufbewahrungsfrist abgelaufen bei längerer Verjährungsfrist wegen Hinterziehung
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R. in der Beschwerdesache Bf., A-1, vertreten durch HPP Steuerberatung GmbH, Czerningasse 7A/1/3, 1020 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt Wien 4/5/10 vom , Steuernummer N-1, betreffend Nachsicht gemäß § 236 BAO zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.
Entscheidungsgründe
Mit Ansuchen vom beantragte die Beschwerdeführerin (Bf.), von dem zu diesem Zeitpunkt auf seinem Abgabenkonto aufgrund der jüngst erlittenen Betriebsprüfung bei Unterstellung einer positiven Rechtsmittelerledigung der Eingabe vom und Berücksichtigung der heutigen Zahlung von € 2.000,00 in Höhe von ca. € 11.000,00 aushaftenden Rückstand einen Teilbetrag von 75% nachsehen zu wollen.
Für die Bf. sei die Einhebung des offenen Abgabenbetrages nach der Lage des konkreten Falles völlig zweifelsfrei unbillig.
Die Einbringlichmachung bzw. Exekution des jetzt offenen Rückstandes würde ihre wirtschaftliche Situation extrem gefährden.
Bedingt durch die doch sehr lange andauernde Betriebsprüfung im Kalenderjahr 2018, mit den dort getroffenen Unterstellungen der Finanzverwaltung, sei die innerliche Handlungsfreiheit der Geschäftsleitung eingeschränkt und die Rahmenbedingungen im Kalenderjahr 2018 bedingt durch die - nicht gerechtfertigten - Unterstellungen der Finanzverwaltung sehr unangenehm und belastend gewesen; dementsprechend, auch durch die Unsicherheiten zu verschiedenen Geschäftspartnern, die mehr oder weniger direkt in das Betriebsprüfungsverfahren „verwickelt“ gewesen seien, habe ihre Ertragskraft im Kalenderjahr 2018 stark nachgelassen.
Anbei werde eine (vorläufige) Gewinn- und Verlustrechnung 2018 mit den Vergleichswerten zu 2017 übermittelt, worin sowohl die Umsatzeinbuße als auch die Gefährdung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Bf. ersichtlich seien.
Selbstverständlich sei sie willig und bereit, die Firma zu retten, sie habe schließlich nicht unwesentliche Einschüsse in das Gesellschaftsvermögen geleistet.
Ein großer Teil der Abgabenschuldigkeiten aus dem Betriebsprüfungsverfahren resultiere aus Verfehlungen anderer, nämlich eines Geschäftspartners, der Firma G-1, mit welchem einige Monate eine Geschäftsbeziehung unterhalten worden sei, also Subauftragsleistungen vergeben worden seien.
Die Betriebsprüfung habe Verfehlungen „aus dem Umkreis bzw. auch Nicht-Kreis“ jener Firma festgestellt, zumindest seien jene Verfehlungen der Geschäftsleitung der Bf. vorgehalten und steuerliche Konsequenzen gezogen worden, die ihres Erachtens sachlich nicht „gerecht“ seien.
Auf die umfangreichen Eingaben zu dieser Thematik „G-1“ dürfe nochmals hingewiesen werden, zuletzt betreffend das Haftungsverfahren für die Kapitalertragsteuer 2013.
Die Bf. sei um einen Rechtsfrieden, Vermeidung unnötiger Aktenaufblähungen und Verfahrensschritte, mit der Finanzverwaltung bemüht (gewesen).
Die Bf. möchte an dieser Stelle wiederholen, dass es sich bei ihr um einen seit einigen Jahrzehnten betriebenen kleinen Familienbetrieb handle, welcher es bereits ohne Finanzamtsnachbelastungen für Vorjahre nicht wirklich „gerade leicht“ habe, denn die Marktbedingungen seien so, wie sie seien.
Dennoch sichere die Bf. seit bereits sehr vielen Jahren die im Betrieb gegebenen Arbeitsplätze ab.
Die an sich am fällige Rate von € 2.000,00 habe die Bf. bereits heute zur Überweisung gebracht mit dem Ziel, die gesamte Angelegenheit derart zu einem Ende zu bringen, dass sie für sie finanzierbar und ihre wirtschaftliche Existenz gerettet sei.
Sie danke bereits im Voraus für das Verständnis und Entgegenkommen.
Sie könnte den Abschlagsbetrag in der Größenordnung von € 2.750,00 sehr kurzfristig finanzieren, wodurch sowohl Rechts- als auch „Zahlungsfrieden“ erreicht wäre.
Durch das Entgegenkommen der Finanzverwaltung würde ein „kleiner, langjährig tätiger Familienbetrieb“ der Rettung der wirtschaftlichen Überlebensmöglichkeit zugeführt sein.
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Mit Bescheid vom wies das Finanzamt dieses Ansuchen als unbegründet ab und führte aus:
Gemäß § 236 Abs. 1 BAO könnten fällige Abgabenschuldigkeiten ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn die Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.
Eine sachliche Unbilligkeit des Einzelfalles liege aber nicht vor, wenn die Abgabennachforderung ganz allgemein die Auswirkung genereller Rechtsnormen sei, die alle Wirtschaftstreibenden in ähnlicher Lage treffe. Materiell-rechtlich legislatorisch bedingte Unzulänglichkeiten („Ungerechtigkeiten“) seien keine Unbilligkeiten iSd § 236 BAO (vgl. Ritz, BAO, § 236 Tz 13).
Eine persönliche Unbilligkeit liege insbesondere vor, wenn die Einhebung die Existenz des Abgabepflichtigen oder seiner ihm gegenüber unterhaltsberechtigten Angehörigen gefährden würde und mit außergewöhnlichen wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden wäre, etwa wenn die Entrichtung der Abgabenschuldigkeit trotz zumutbarer Sorgfalt nur durch Vermögensveräußerung möglich wäre und dies einer Verschleuderung gleichkäme.
Aufgrund der Angaben der Bf. zur wirtschaftlichen Situation habe keine persönliche Unbilligkeit festgestellt werden können. Auch in den Zahlungserleichterungsansuchen vom bzw. werde lediglich eine vorübergehende Zahlungsstockung als Begründung für eine Ratenzahlung angeführt.
Mangels Vorliegens einer persönlichen oder sachlichen Unbilligkeit der Einhebung bleibe daher für eine Ermessensentscheidung kein Raum.
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In der dagegen am rechtzeitig eingebrachten Beschwerde führte die Bf. aus, dass ihrer Meinung nach jedenfalls eine sachliche Unbilligkeit vorliege, da das bei ihr abgehaltene Abgabenverfahren nicht als „allgemeine Auswirkung einer generellen Rechtsnorm und legislatorisch bedingte Unzulänglichkeit“ angesprochen (betitelt) werden könne.
Zu beachten sei vielmehr, dass die Bf. durch völlig ungerechtfertigte Verfahrensschritte sehr langwierig durch die Finanzbehörde in Anspruch genommen worden sei, was eine wesentliche Ertragsschmälerung im Jahr 2018 zur Folge gehabt habe.
Die Verfahrensschritte der Abgabenbehörde hätten am mit einer Razzia der Steuerfahndung Wien in den Betriebsräumlichkeiten der Bf. mit (ungerechtfertigten) Vorwürfen finanzstrafrechtlicher Natur begonnen.
Klar sei, dass die Razzia einer Finanzpolizei als „Auswirkung einer generellen Rechtsnorm“ anzusprechen sei. Jedoch sei in weiterer Folge, mit Beginn am , ein Betriebsprüfungsverfahren gefolgt, das - schlussendlich - einen insgesamt 10-jährigen Überprüfungszeitraum, nämlich 2008 bis 2017, umfasste habe.
Die Bf. habe im Betriebsprüfungsverfahren Unterlagen heraussuchen und rekonstruieren müssen, deren Aufbewahrungsfrist schon lange abgelaufen gewesen sei. Alle diese Anforderungen der BP für Jahre, für welche es nicht einmal mehr eine Aufbewahrungspflicht gegeben habe, konkret also für die Jahre 2008 bis 2010, habe irrsinnig viel Zeit der jetzigen Geschäftsleitung der Bf. in Anspruch genommen.
Selbiger Zeitaufwand habe dann naturgemäß „draußen beim Kunden“ gefehlt.
Erst am habe das BP-Verfahren abgeschlossen werden können; die BP-Bescheide seien dann - gesetzeswidrig - sogar zurück bis in das Jahr 2008 gegangen.
Erst im Rechtsmittelverfahren und mit Entscheidung vom habe der gesetzeskonforme Zustand hergestellt werden können, dass die Abgaben der Jahre 2008 und 2010 bereits verjährt gewesen seien.
Die Bf. wiederhole an dieser Stelle, dass sie die sachliche Unbilligkeit im konkreten Fall darin sehe, dass ihre derzeitige Geschäftsleitung durch ungewöhnliche Verfahrensschritte der Behörde und dadurch bedingte zeitlich extrem hohe Inanspruchnahme daran gehindert gewesen sei, den „Ertrag einzufahren“, stattdessen sich mit Unterlagen und langwierigen Ausforschungen zu bereits lange verjährten Jahren (2008 bis 2010) herumschlagen habe müssen.
Insgesamt sei ihrer Meinung nach im konkreten Fall wirklich eine „außergewöhnliche Auswirkung einer Rechtsnorm“ auf die Mandantschaft eingestürzt, die die Argumentation einer „sachlichen Unbilligkeit einer Abgaben-Einhebung“ hervorrufe.
Zur persönlichen Unbilligkeit sei zu wiederholen, dass die jetzigen Nachzahlungen die Bf. insbesondere als „kleinen Familienbetrieb“ besonders hart träfen.
Sie sei um einen Rechtsfrieden sowie eine Vermeidung unnötiger Aktenaufblähungen und Verfahrensschritte mit der Finanzverwaltung bemüht (gewesen).
Die Bf. könnte den Abschlagsbetrag in der Größenordnung von € 3.500,00 sehr kurzfristig finanzieren; es wäre sowohl Rechts- als auch „Zahlungs-Frieden“ erreicht.
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Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde ebenfalls als unbegründet ab und führte aus:
Gemäß § 132 BAO seien Bücher und Aufzeichnungen sowie die zu den Büchern und Aufzeichnungen gehörigen Belege sieben Jahre aufzubewahren; darüber hinaus seien sie noch so lange aufzubewahren, als sie für die Abgabenerhebung betreffende anhängige Verfahren von Bedeutung seien, in denen diejenigen Parteistellung hätten, für die auf Grund von Abgabenvorschriften die Bücher und Aufzeichnungen zu führen gewesen oder für die ohne gesetzliche Verpflichtung Bücher geführt worden seien.
Bei dieser Frist handle es sich um eine Mindestaufbewahrungsfrist.
Der erhöhte Aufwand für die Wiederherstellung bzw. für die Beschaffung von abgabenrechtlich relevanten Unterlagen, die sofort nach dieser Mindestaufbewahrungsfrist vernichtet worden seien, stelle eine selbst verursachte Härte dar.
Diese selbst verschuldete Härte stelle aber keine sachliche Unbilligkeit im Sinne des § 236 BAO dar.
Die Beschwerdeangaben seien auch kein Beleg für den Tatbestand einer persönlichen Unbilligkeit.
Mangels Vorliegens einer persönlichen oder sachlichen Unbilligkeit der Einhebung bleibe daher für eine Ermessensentscheidung kein Raum.
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Mit Schreiben vom beantragte die Bf. die Vorlage der Beschwerde zur Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht und brachte ergänzend vor, dass die Begründung in der bekämpften Beschwerdevorentscheidung ihrer Meinung nach völlig unrichtig und nicht gesetzeskonform sei.
Grundsätzlich gelte, dass es ja einem Steuerpflichtigen nicht zum „Vorwurf“ gemacht werden dürfe, wenn er sich gesetzeskonform verhalte, im konkreten Fall nach Ablauf der gesetzlich vorgesehenen Aufbewahrungsfrist die nicht mehr aufzubewahrenden Unterlagen vernichtet habe. Nur der Ordnung halber werde auch noch festgehalten und darauf aufmerksam gemacht, dass die Bf. diese nicht sofort nach der Mindestaufbewahrungsfrist vernichtet habe.
Richtig sei vielmehr, dass die gesetzliche Aufbewahrungsfrist für das Kalenderjahr 2008 - bereits - am geendet habe, jene für 2009 am und für 2010 am .
Wenn also im Sommer 2018 Unterlagen der Jahre „2010 und älter“, auch die angeforderten Unterlagen zu 2008 und 2009, nur mit außerordentlichem Aufwand rekonstruiert hätten werden können, dann liege dieser Umstand im Sachverhalt einer „normalen und gesetzeskonformen Betriebsführung“.
Von „selbst verursachter Härte“ könne ihres Erachtens keine Rede sein.
Eine sachliche Unbilligkeit liege ihrer Meinung nach im konkreten Fall aus dem Gesamtbild der Verhältnisse und der behördlichen Handlungen vor.
Auf die bisherigen Eingaben zum Thema dürfe verwiesen werden.
Die Bf. sei um einen Rechtsfrieden sowie eine Vermeidung unnötiger Aktenaufblähungen und Verfahrensschritte mit der Finanzverwaltung bemüht (gewesen).
Abschließend ersuche sie, eine Abgabennachsicht für einen Gesamtbetrag von € 7.500,00 auszusprechen.
Über die Beschwerde wurde erwogen:
Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.
Die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nach der Lage des Falles ist tatbestandsmäßige Voraussetzung für die in § 236 BAO vorgesehene Ermessensentscheidung. Ist die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung zu verneinen, so ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum ().
Die in § 236 BAO geforderte Unbilligkeit kann entweder persönlich oder sachlich bedingt sein. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt Unbilligkeit der Abgabeneinhebung im Allgemeinen voraus, dass die Einhebung in keinem wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis zu jenen Nachteilen steht, die sich aus der Einziehung für den Steuerpflichtigen oder den Steuergegenstand ergeben ().
Dabei ist es Sache des Nachsichtswerbers, einwandfrei und unter Ausschluss jeglicher Zweifel das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf die die Nachsicht gestützt werden kann (). Legt der Abgabepflichtige jene Umstände nicht dar, aus denen sich die Unbilligkeit der Einhebung ergibt, so ist es allein schon aus diesem Grund ausgeschlossen, eine Abgabennachsicht zu gewähren ().
Sachliche Unbilligkeit
Sachlich bedingte Unbilligkeit liegt nur dann vor, wenn sie in den Besonderheiten des Einzelfalles begründet ist. Eine derartige Unbilligkeit des Einzelfalles ist aber nicht gegeben, wenn lediglich eine Auswirkung der allgemeinen Rechtslage vorliegt, also die vermeintliche Unbilligkeit für die davon Betroffenen aus dem Gesetz selbst folgt. Nur wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, ist die Einziehung „nach der Lage des Falles unbillig“ ().
Sachliche Unbilligkeit einer Abgabeneinhebung ist grundsätzlich dann anzunehmen, in denen das außergewöhnliche Entstehen einer Abgabenschuld zu einem unproportionalen Vermögenseingriff beim Steuerpflichtigen führt. Der in der anormalen Belastungswirkung und verglichen mit ähnlichen Fällen, im atypischen Vermögenseingriff gelegene offenbare Widerspruch der Rechtsanwendung zu den vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnissen muss seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der auf eine vom Steuerpflichtigen nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat, die zudem auch ihrer Höhe nach unproportional zum auslösenden Sachverhalt ist ().
Bei jedem, der zur Führung von Büchern oder von Aufzeichnungen oder zur Zahlung gegen Verrechnung mit der Abgabenbehörde verpflichtet ist, kann die Abgabenbehörde gemäß § 147 Abs. 1 BAO jederzeit alle für die Erhebung von Abgaben bedeutsamen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse prüfen (Außenprüfung).
Die Finanzstrafbehörde ist gemäß § 99 Abs. 2 FinStrG auch befugt, zur Klärung des Sachverhaltes Nachschauen und Prüfungen im Sinne der Abgaben- oder Monopolvorschriften anzuordnen. (…)
Bücher und Aufzeichnungen sowie die zu den Büchern und Aufzeichnungen gehörigen Belege sind gemäß § 132 Abs. 1 BAO sieben Jahre aufzubewahren; darüber hinaus sind sie noch so lange aufzubewahren, als sie für die Abgabenerhebung betreffende anhängige Verfahren von Bedeutung sind, in denen diejenigen Parteistellung haben, für die auf Grund von Abgabenvorschriften die Bücher und Aufzeichnungen zu führen waren oder für die ohne gesetzliche Verpflichtung Bücher geführt wurden. Soweit Geschäftspapiere und sonstige Unterlagen für die Abgabenerhebung von Bedeutung sind, sollen sie sieben Jahre aufbewahrt werden. Diese Fristen laufen für die Bücher und die Aufzeichnungen vom Schluss des Kalenderjahres, für das die Eintragungen in die Bücher oder Aufzeichnungen vorgenommen worden sind, und für die Belege, Geschäftspapiere und sonstigen Unterlagen vom Schluss des Kalenderjahres, auf das sie sich beziehen; bei einem vom Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahr laufen die Fristen vom Schluss des Kalenderjahres, in dem das Wirtschaftsjahr endet.
Die Verjährungsfrist beträgt gemäß § 207 Abs. 2 BAO (…) bei allen übrigen Abgaben fünf Jahre. Soweit eine Abgabe hinterzogen ist, beträgt die Verjährungsfrist zehn Jahre. (…)
Die §§ 207 Abs. 2 und 209 Abs. 4 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 105/2010 sind gemäß § 323 Abs. 27 BAO erstmals auf Abgaben anzuwenden, für die der Abgabenanspruch nach dem entstanden ist.
Die Bf. brachte zum Vorliegen einer sachlichen Unbilligkeit vor, dass sie durch völlig ungerechtfertigte und langwierige Verfahrensschritte durch die Finanzbehörde in Anspruch genommen worden sei, da sie im Betriebsprüfungsverfahren für die Jahre 2008-2010 Unterlagen rekonstruieren habe müssen, für die die Belegaufbewahrungsfrist bereits abgelaufen gewesen sei.
Aus diesem Vorbringen lässt sich jedoch nichts gewinnen, weil im Betriebsprüfungsverfahren, das begann und mit dem Prüfungsbericht vom endete, folgende Malversationen festgestellt wurden:
- Verbuchung von Provisionen an unbekannte Empfänger aufgrund von Kassadifferenzen, die vom früheren Geschäftsführer P-1 verursacht waren
- Nichtabzugsfähige Fremdleistungen aufgrund von Scheinrechnungen der G-1, die sowohl für das Erstellen von Scheinrechnungen als auch für Scheinanmeldungen von unbekannten Dienstnehmern bei der Gebietskrankenkasse missbräuchlich verwendet wurde
Da es sich bei den aufgrund der Feststellungen der Außenprüfung am 29. und festgesetzten Nachforderungen um hinterzogene Abgaben handelte, betrug die Festsetzungsverjährungsfrist gemäß § 207 Abs. 2 BAO iVm § 323 Abs. 27 BAO zehn Jahre und konnte somit auch die Jahre 2008-2010 umfassen.
Dass die Belegaufbewahrungsfrist von sieben Jahren für diese Jahre bereits gemäß § 132 Abs. 1 BAO abgelaufen war, ändert nichts daran, dass die Geschäftsführer der Bf. (P-1 vom D-1 bis D-2 und P-2 seit D-2) wussten, dass Abgabenhinterziehungen vorlagen, weshalb die Belege bis zum Ablauf der zehnjährigen Verjährungsfrist aufzubewahren gewesen wären, da der Grundsatz, dass es dem Abgabepflichtigen nicht zum Nachteil gereichen dürfe, wenn er nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist des § 132 BAO Unterlagen vernichtet, in diesem Fall nicht zutrifft.
Eine in der Rekonstruktion von Unterlagen und damit verbundener Einschränkung des Geschäftsbetriebes, die durch das Recht der Abgabenbehörden, gemäß § 147 BAO und § 99 Abs. 2 FinStrG iVm § 207 Abs. 2 BAO Außenprüfungen im Hinterziehungsfall für einen Zeitraum von zehn Jahren durchzuführen, jeden Steuerpflichtigen treffen kann und damit eine Auswirkung genereller Normen ist (vgl. ), gelegene sachliche Unbilligkeit kann daher nicht erkannt werden.
Auch geht der Einwand, dass es die Bf. als Familienbetrieb nicht leicht habe, aber dennoch Arbeitsplätze absichere, ins Leere, da nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes wirtschaftspolitische Überlegungen und Interessen an der Arbeitsplatzsicherung noch keine Unbilligkeit der Abgabeneinhebung begründen ().
Aus dem Vorbringen der Bf., dass ein großer Teil der Abgabenschuldigkeiten aus dem Betriebsprüfungsverfahren aus Verfehlungen anderer, nämlich der G-1, resultiere, lässt sich nichts gewinnen, weil die Verwendung von Scheinrechnungen wohl nicht ohne Kenntnis der handelnden Organe der Bf. erfolgen hätte können.
Darüber hinaus stellt der Unbilligkeitstatbestand des § 236 BAO nicht auf die Festsetzung, sondern auf die Einhebung einer Abgabe ab (), weshalb auch die Nachsicht nach § 236 BAO nicht dazu dient, im vorangegangenen Festsetzungsverfahren allenfalls unterlassene Einwendungen nachzuholen (; ; ).
Eine sachliche Unbilligkeit liegt daher nicht vor.
Persönliche Unbilligkeit
Da die Bf. auch Umsatzeinbußen und die Gefährdung ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit vorbrachte, war nunmehr zu prüfen, ob im gegenständlichen Fall eine persönliche Unbilligkeit vorliegt. Hierbei ist jedoch noch keine Ermessensentscheidung zu treffen, sondern ein unbestimmter Gesetzesbegriff auszulegen.
Zunächst ist festzustellen, dass sich auf dem Abgabenkonto derzeit ein Guthaben von € 265,40 befindet und die nicht vom Nachsichtsansuchen umfasste Kapitalertragsteuer 12/2013 von € 3.668,00 gemäß § 212a BAO von der Einhebung ausgesetzt ist.
Nach § 236 Abs. 2 BAO findet der erste Absatz dieser Vorschrift auf bereits entrichtete Abgabenschuldigkeiten sinngemäß Anwendung. In einem solchen Fall ist kein strengerer Maßstab als bei der Nachsicht noch nicht entrichteter Abgaben anzulegen. Aufgabe des Antragstellers auf Erteilung der Nachsicht im Sinne des § 236 Abs. 2 BAO ist es, in nachvollziehbarer Weise darzulegen, dass die für eine Unbilligkeit der Einhebung der Abgaben, wären sie noch nicht entrichtet, sprechenden Umstände durch die Tilgung der Abgabenschuldigkeit nicht beseitigt worden sind ().
Für das Vorliegen einer persönlichen Unbilligkeit muss ein wirtschaftliches Missverhältnis zwischen der Einhebung der Abgabe und den im subjektiven Bereich der Bf. entstehenden Nachteilen bestehen. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn die Einhebung die Existenz des Abgabepflichtigen gefährde (vgl. ).
Die Bf. hat jedoch nicht ausreichend dargelegt, weshalb gerade durch die Einbringung der in Rede stehenden restlichen Abgaben ihre wirtschaftliche Existenz gefährdet wäre, da die in der Bilanz zum in Höhe von € 134.896,83 ausgewiesenen Verbindlichkeiten angesichts der liquiden Mittel von € 22.825,54 in keiner Relation zum zur Nachsicht beantragten Abgabenrückstand von € 7.500,00 stehen, zumal eine - unbestrittene - Verminderung der Liquidität für die Annahme einer Existenzgefährdung nicht ausreicht ().
Zur Entrichtung des aushaftenden und am fälligen Abgabenrückstandes brachte die Bf. am ein Zahlungserleichterungsansuchen ein, das mit Bescheid vom bewilligt wurde. In der Folge entrichtete die Bf. die Zahllast mittels der gewährten Ratenzahlungen.
Damit liegt aber auch keine persönliche Unbilligkeit vor, da es keiner Abgabennachsicht bedarf, wenn Zahlungserleichterungen wirtschaftlich begründeten Härten aus der Abgabeneinhebung abhelfen können ().
Ermessen
Obwohl die die Bewilligung der Nachsicht nur dann im Ermessen der Abgabenbehörde liegt, wenn alle Nachsichtsvoraussetzungen gegeben sind (), wird informativ darauf hingewiesen, dass der Beschwerde auch bei Vorliegen einer Unbilligkeit im Rahmen des Ermessens kein Erfolg beschieden wäre, da bei der Ermessensübung vor allem das bisherige steuerliche Verhalten des Abgabepflichtigen zu berücksichtigen wäre; insbesondere bei Hinterziehung käme daher eine Nachsicht nicht in Betracht ().
Gegen die Nachsichtsgewährung spräche auch, wenn die Nachsicht sich nur zu Gunsten anderer Gläubiger auswirken würde, zumal die Bf. auch nicht behauptet hat, dass andere Gläubiger auf ihre Forderungen verzichtet hätten oder diese Forderungen befriedigt worden seien ().
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zulässigkeit einer Revision
Gegen diese Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG eine Revision nach Art. 133 Abs. 6 Z 2 B-VG nicht zulässig, da das Erkenntnis nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Die Entscheidung folgt vielmehr der dargestellten ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 236 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 132 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2020:RV.7104341.2019 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at