Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 11.03.2020, RV/7106465/2019

Die öffentliche Hand trägt nicht die Kosten des typischen Unterhalts, wenn dem Bund bereits ein Betrag vom Pensionsanspruch des Sohnes ausbezahlt wurde

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R. in der Beschwerdesache Bf. über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 2/20/21/22 vom , betreffend Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen, soweit dieser über den Zeitraum März 2015 bis Juli 2015 abspricht, zu Recht erkannt: 

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Das Bundesfinanzgericht hat mit Erkenntnis vom , RV/7100257/2016, der Beschwerde der Beschwerdeführerin (Bf.), soweit sich diese gegen den Zeitraum Oktober 2014 bis Februar 2015 gerichtet hat, Folge gegeben und den angefochtenen Bescheid insoweit aufgehoben. Für den Zeitraum März 2015 bis Juli 2015 wurde die Beschwerde hingegen abgewiesen und die Revision zugelassen.

Dagegen richtete sich die Revision der Bf.; der VwGH hat mit Erkenntnis , Ro 2017/16/0004, das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes aufgehoben und dies wie folgt begründet:

"...2 In der Begründung führte das Bundesfinanzgericht - soweit hier wesentlich - aus, der Sohn der Revisionswerberin sei wegen einer vor der Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretenen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Er beziehe eine Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit. Der Sohn der Revisionswerberin befindet sich aufgrund des Urteils des Landesgerichts Wien vom im Maßnahmenvollzug. Ab diesem Zeitpunkt habe der Bund gemäß § 324 Abs. 3 und 4 ASVG 80% der Pension des Sohns der Revisionswerberin einbehalten. Die Revisionswerberin habe an ihren Sohn nachweislich die im Vorlagebericht des Finanzamts aufgezählten Leistungen erbracht.

3 Zwar habe der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom , 2006/13/0092, ausgeführt, dass im Rahmen des § 2 Abs. 5 lit. c FLAG 1967 auch freiwillige Unterhaltsleistungen zu berücksichtigen seien. Im Erkenntnis vom , 2011/16/0173, sei der Verwaltungsgerichtshof in einem Fall der "schlichten" Strafhaft jedoch zum Ergebnis gelangt, dass ein Familienbeihilfenanspruch nach § 2 Abs. 1 lit. a FLAG 1967 nicht zustehe, wenn die typischen Unterhaltskosten, wie Unterkunft, Bekleidung und Verpflegung von der öffentlichen Hand getragen würden. Diese Judikatur habe der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom , Ra 2014/16/0014, betreffend den Familienbeihilfenanspruch für subsidiär schutzberechtigte Kinder nach § 3 Abs. 4 zweiter Satz FLAG 1967 bestätigt.

4 Auch im vorliegenden Fall seien die typischen Unterhaltskosten des Sohns der Revisionswerberin von § 31 Abs. 1 des Strafvollzugsgesetzes (StVG) erfasst, wonach die Anstalten zum Vollzug von Freiheitsstrafen für den Unterhalt der Strafgefangenen zu sorgen hätten. Dies gelte gemäß § 167 Abs. 1 StVG sinngemäß auch für den Maßnahmenvollzug nach § 21 Abs. 1 StGB. Dass die Revisionswerberin die für einen Gefangenen im Maßnahmenvollzug verbleibende Restbedürfnisse in Erfüllung ihrer Unterhaltspflicht oder freiwillig decke, ändere daran nichts. Auch § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967 müsse telelogisch reduziert werden, sodass der Revisionswerberin ab März 2015 kein Anspruch auf Familienbeihilfe zustehe.

5 Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das Bundesfinanzgericht für zulässig. Das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2006/13/0092, scheine den späteren Erkenntnissen (; ) zu widersprechen und gehe auf den Umstand, dass § 31 Abs. 1 StVG auch auf den Maßnahmenvollzug anzuwenden sei, nicht ein.

6 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die vorliegende ordentliche Revision (das Finanzamt erstattete keine Revisionsbeantwortung) - in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

7 Nach § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967 haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, einen Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

8 Gemäß § 8 Abs. 4 FLAG 1967 steht für erheblich behinderte Kinder ein Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe zu.

9 Der Anspruch einer Person auf Familienbeihilfe setzt nach § 2 Abs. 2 erster Satz FLAG 1967 grundsätzlich die Haushaltszugehörigkeit des Kindes voraus.

10 § 2 Abs. 5 lit. c FLAG 1967 enthält die gesetzliche Fiktion, dass diese Haushaltszugehörigkeit nicht als aufgehoben gilt, wenn sich das Kind wegen eines Leidens oder Gebrechens nicht nur vorübergehend in Anstaltspflege befindet, und die Person zu den Kosten des Unterhalts mindestens in Höhe der (erhöhten) Familienbeihilfe für ein Kind beiträgt.

11 Die durch die Anstaltspflege bedingte Abwesenheit des Kindes steht somit dem Erfordernis der Haushaltszugehörigkeit nicht entgegen, wenn die Familienbeihilfe dem Kind trotz der räumlichen Trennung zur Gänze zugutekommt, wobei es unerheblich ist, ob zu den Kosten des Unterhalts freiwillig oder aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung beigetragen wird (vgl. , VwSlg 8497/F).

12 Dem - ausschließlich die Haushaltszugehörigkeit nach § 2 Abs. 5 lit. c FLAG 1967 betreffenden - Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom ist weiters zu entnehmen, dass eine "Anstaltspflege" iSd § 2 Abs. 5 lit. c FLAG 1967 auch dann vorliegt, wenn sich ein Kind im Maßnahmenvollzug nach § 21 Abs. 1 StGB befindet, wobei es hier für die Erfüllung des Kriteriums der Anstaltspflege nicht darauf ankommt, wer die Kosten der Unterbringung trägt.

13 Ist eine pensionsberechtigte Person nach § 21 Abs. 1 StGB auf Kosten den Bundes in einer Anstalt oder Einrichtung untergebracht, gebührt deren Pensionsanspruch (einschließlich allfälliger Zulagen und Zuschläge) höchstens jedoch bis zu 80 vH, dem Bund, wobei dieser Betrag vom Versicherungsträger unmittelbar an jene Anstalt oder Einrichtung ausgezahlt werden kann, in der die pensionsberechtigte Person untergebracht ist (vgl. § 324 Abs. 3 und 4 ASVG).

14 Das Bundesfinanzgericht hat im angefochtenen Erkenntnis die Feststellung getroffen, dass 80% der Pension des Sohns der Revisionswerberin anlässlich des Maßnahmenvollzugs nach § 21 Abs. 1 StGB aufgrund der gesetzlichen Vorgaben des § 324 Abs. 3 und 4 ASVG einbehalten worden sind.

15 Darin unterscheidet sich die Gestaltung des vorliegenden Revisionsfalls von derjenigen, die dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2011/16/0173, zu Grunde lag. Im Revisionsfall durfte das Bundesfinanzgericht die Versagung der Familienbeihilfe nicht darauf stützen, dass die öffentliche Hand (hier: der Bund) die Kosten des typischen Unterhalts getragen hätte, denn dem Bund oder unmittelbar der Anstalt, in welcher der Sohn der Revisionswerberin untergebracht war, wurde ein Betrag vom Pensionsanspruch des Sohns der Revisionswerberin ausbezahlt.

16 Dass das Einkommen des Sohns der Revisionswerberin im Kalenderjahr 2015 eine Höhe erreicht hätte, welche einen Wegfall der Familienbeihilfe nach § 5 Abs. 1 FLAG 1967 nach sich zöge, hat das Bundesfinanzgericht, welches lediglich eine monatliche Pension "netto" ohne Dauer des Bezugs erwähnt, nicht festgestellt.

17 Eine abschließende Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die Fiktion des § 2 Abs. 5 lit. c FLAG 1967 der für den Familienbeihilfenanspruch der Revisionswerberin erforderlichen Haushaltszugehörigkeit ihres Sohns im Revisionsfall gegeben wären oder nicht, erlauben die Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis nicht.

18 Das angefochtene Erkenntnis war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben."

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhaltsfeststellungen und Beweiswürdigung

Der als erwiesen angenommene Sachverhalt ergibt sich zunächst aus Rz 2 des obigen Erkenntnisses des VwGH. Aufgrund der glaubwürdigen und großteils durch Belege dokumentierten Ausführungen in der Beschwerde und im Antwortschreiben vom ist ferner als erwiesen anzunehmen, dass die Bf. im Streitzeitraum zumindest in Höhe der Familienbeihilfe zuzüglich Erhöhungsbetrag zu den Kosten des Unterhalts ihres Sohnes beigetragen hat. Fest steht weiters, dass der Sohn der Bf. 2015 eine Pension unter 10.000 € bezogen hat.

2. Rechtsgrundlagen

§ 2 Abs. 5 lit. c FLAG 1967 enthält die gesetzliche Fiktion, dass die Haushaltszugehörigkeit nicht als aufgehoben gilt, wenn sich das Kind wegen eines Leidens oder Gebrechens nicht nur vorübergehend in Anstaltspflege befindet, und die Person zu den Kosten des Unterhalts mindestens in Höhe der (erhöhten) Familienbeihilfe für ein Kind beiträgt.

Nach § 5 Abs. 1 FLAG 1967 führt ein zu versteuerndes Einkommen bis zu einem Betrag von 10.000 € nicht zum Wegfall der Familienbeihilfe.

Da diese Voraussetzungen erfüllt sind und der VwGH die Rechtsansicht vertritt, dass aufgrund der Einbehaltung von 80% der Pension des Sohnes des Bf. nicht davon gesprochen werden kann, dass die öffentliche Hand (hier: der Bund) die Kosten des typischen Unterhalts getragen hätte, war der Beschwerde Folge zu geben und der angefochtene Bescheid auch für den im Spruch angeführten Zeitraum aufzuheben.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Diese Voraussetzung liegt im Beschwerdefall nicht vor, da das BFG der Rechtsansicht des , folgt.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.7106465.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at