Keine Wiederaufnahme des Verfahrens zur nachträglichen Geltendmachung "vergessener" Werbungskosten
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Dr. Angela Paulus in den Beschwerdesachen Bf., Adr1, über die Beschwerden vom gegen die Bescheide des FA vom betreffend Abweisung der Anträge vom auf Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer 2016 und 2017 zu Recht erkannt:
Die Beschwerden werden gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Der Bf. ist slowakischer Staatsbürger und bezieht in Österreich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Bei der Veranlagung des Bf. zur Einkommensteuer 2016 wurden erklärungsgemäß der Alleinverdienerabsetzbetrag, der Kinderfreibetrag für zwei haushaltszugehörige Kinder und der Pauschbetrag gemäß § 34 Abs. 8 EStG für die auswärtige Berufsausbildung eines Kindes gewährt.
In der Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2017 machte der Bf. auch Werbungskosten für doppelte Haushaltsführung geltend. Ein diesbezüglicher Vorhalt vom wurde vom Bf. mit Eingabe vom unzureichend beantwortet, da die eingescannt vorgelegten Unterlagen nur schlecht lesbar waren.
Bei der Veranlagung des Bf. zur Einkommensteuer 2017 wurden erklärungsgemäß Werbungskosten für die doppelte Haushaltsführung, der Alleinverdienerabsetzbetrag, der Kinderfreibetrag für zwei haushaltszugehörige Kinder, sowie ein Viertel der Aufwendungen für Topf-Sonderausgaben berücksichtigt.
Die Bescheide vom betreffend Einkommensteuer 2016 und vom betreffend Einkommensteuer 2017 erwuchsen mangels Einbringung von Beschwerden in Rechtskraft.
Mit Schreiben vom beantragte der Bf. (ua.) betreffend Einkommensteuer 2016 und 2017 die Wiederaufnahme des Verfahrens. Er habe "damals" vergessen, den Mehrkindzuschlag sowie den Kinderfreibetrag für drei Kinder (er bekomme in Österreich Familienbeihilfe für drei Kinder), den Alleinverdienerabsetzbetrag, sowie die Kosten für Familienheimfahrten zu seinem Familienwohnsitz in der Slowakei einzutragen.
Mit Schreiben vom legte der Bf. ergänzend folgende Unterlagen vor:
- Schreiben Autohausxy, B, Slowakei, vom in slowakischer Sprache (offenbar: Bestätigung über die Km-Stände des auf den Bf. zugelassenen Pkw),
- Zulassungsschein für den auf den Bf. zugelassenen Pkw,
- Führerschein des Bf.,
- E9- Bescheinigungen der ausländischen Steuerbehörde betreffend das Jahr 2018 für den Bf. vom und für seine Gattin vom ,
- Schreiben der A-OG vom bezüglich eine Mietzinserhöhung betreffend der Wohnung des Bf. in Wien,
- Mietvertrag vom betreffend die Wohnung des Bf. in Wien,
- Konvolut an Tankbelegen.
Mit Bescheiden vom wurden die Wiederaufnahmeanträge als unbegründet abgewiesen, da es sich um keinen Neuerungstatbestand iSd. § 303 Abs. 1 BAO handle.
Inhaltlich wurde zudem darauf verwiesen, dass der Kinderfreibetrag für das Kind mit Geburtsdatum tt.07.1996 nicht berücksichtigt werden könne, da für dieses Kind im Kalenderjahr für nicht mehr als sechs Monate der Kinderabsetzbetrag zustehe. Der Antrag auf Mehrkindzuschlag sei abzuweisen gewesen, da weder (gemeint: sowohl) der Bf. noch (gemeint: als auch) sein Ehepartner in keinem Monat für mehr als zwei Kinder Familienbeihilfe bezogen hätten.
Mit Beschwerden vom ersuchte der Bf. nochmals, seine Werbungskosten zu berücksichtigen, wobei er darauf hinwies, dass er mit seinem Antrag alle (gemeint: erforderlichen) Unterlagen abgegeben habe.
Mit Beschwerdevorentscheidungen vom wurden die Beschwerden mit folgender Begründung als unbegründet abgewiesen:
Gemäß § 303 Abs. 1 BAO könne ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
In seinem Erkenntnis vom , Ra 2014/15/0058 habe der VwGH ausgeführt, dass das Neuhervorkommen von Tatsachen bei einem Antrag auf Wiederaufnahme aus der Sicht des Antragsstellers zu beurteilen ist (vgl. auch , und ).
Da davon auszugehen sei, dass dem Bf. die Tatsache(n) der (Geltendmachung der) Familienheimfahrten und der doppelten Haushaltsführung vor Abschluss des Einkommensteuerverfahrens 2016 bzw. 2017 bekannt war(en) - das Wissen über selbst verwirklichte Sachverhalte sei in der Regel anzunehmen - handle es sich bei diesem Umstand um keine neu hervorgekommenen Tatsachen im Sinne des § 303 Abs. 1 BAO.
Mit Vorlageantrag vom beantragte der Bf. nochmals die Berücksichtigung des Alleinverdienerabsetzbetrages, der Kosten für Familienheimfahrten, der doppelten Haushaltsführung sowie des Kinderfreibetrages für drei Kinder.
Über die Beschwerde wurde erwogen:
Gemäß § 303 Abs. 1 BAO idFd FVwGG 2012, BGBl. I Nr. 13/2014 kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn
a) der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist, oder
b) Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, oder
c) der Bescheid von Vorfragen (§ 116) abhängig war und nachträglich über die Vorfrage von der Verwaltungsbehörde bzw. dem Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden worden ist,
und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Gemäß § 303 Abs. 2 BAO hat der Wiederaufnahmeantrag zu enthalten:
a) die Bezeichnung des Verfahrens, dessen Wiederaufnahme beantragt wird,
b) die Bezeichnung der Umstände (Abs. 1), auf die der Antrag gestützt wird.
Gemäß § 303 Abs. 3 BAO wird der Bundesminister für Finanzen wird ermächtigt, durch Verordnung die für die Ermessensübung bedeutsamem Umstände zu bestimmen.
Tatsachen iSd § 303 Abs. 1 lit. b BAO sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände, also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis geführt hätten.
Keine "Tatsachen" sind hingegen etwa (vgl. Ritz, BAO, 6. Aufl., § 303 Tz 23):
- neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung von Sachverhaltselementen, gleichgültig, ob die späteren rechtlichen Erkenntnisse durch die Änderung der Verwaltungspraxis oder Rechtsprechung, oder nach vorhergehender Fehlbeurteilung oder Unkenntnis der Rechtslage eigenständig gewonnen werden (; , 96/15/0148; , 2008/15/0215),
- das Hervorkommen von Rechtsirrtümern (; ),
- die Nachholung von in der Abgabenerklärung vergessenen Positionen wie zB. Werbungskosten ().
Als Beweismittel neu hervorkommen können zB. Urkunden und Aufzeichnungen.
Tatsachen und Beweismittel stellen nur dann Wiederaufnahmsgründe dar, wenn sie zwar im Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorhanden waren, aber erst später hervorgekommen sind (nova reperta). Später entstandene Umstände (nova producta) sind keine Wiederaufnahmsgründe.
Ein Antrag auf Wiederaufnahme hat - bei Geltendmachung neu hervorgekommener Tatsachen - insbesondere die Behauptung zu enthalten, dass Tatsachen oder Beweismittel "neu hervorgekommen sind". Aus dem insoweit klaren Wortlaut des § 303 Abs. 1 lit. b iVm Abs. 2 lit. b BAO ist abzuleiten, dass bei einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens das Neuhervorkommen von Tatsachen aus der Sicht des Antragstellers zu beurteilen ist (; , Ra 2014/15/0058; , Ro 2016/15/0036; , Ro 2015/13/0011).
Für den Beschwerdefall bedeutet dies:
Der Bf. führt in seinem Wiederaufnahmeantrag aus, er habe es "damals", dh. bei Einreichung der Abgabenerklärungen, vergessen, den Mehrkindzuschlag sowie den Kinderfreibetrag für drei Kinder, den Alleinverdienerabsetzbetrag, sowie die Kosten für Familienheimfahrten einzutragen.
"Vergessene" Absetzbeträge begründen jedoch nach der oa. Judikatur ebensowenig wie eine nach Rechtskraft der Bescheide eingetretene bessere Rechtskenntnis des Bf. über steuerlich mögliche Absetzbeträge oder Werbungskosten einen Wiederaufnahmegrund aus dem Titel neuhervorgekommener Tatsachen.
Auch ein Hervorkommen von neuen Beweismitteln aus Sicht des Antragstellers, also des Bf., ist in Bezug auf die mit Schreiben vom vorgelegten Unterlagen nicht gegeben:
Die E9-Bescheinigungen sowie das Schreiben der A-OG betreffend die Mietzinserhöhung betreffen den gegenständlich nicht relevanten Veranlagungszeitraum 2018.
Was die Kopien des Führerscheines, des Zulassungsscheines und des Mietvertrages betrifft, so ist davon auszugehen, dass diese Dokumente aus Sicht des Bf. nicht "neu hervorgekommen" sein können.
Dasselbe gilt für die Tankbelege: der Bf. legte diese Belege als Nachweis seiner Fahrtkosten zum Familienwohnsitz vor und will damit zum Ausdruck bringen, dass er tatsächlich diese Ausgaben getätigt hat. Also können diese Tankbelege aus Sicht des Bf. keine "neu hervorgekommenen Beweismittel" darstellen, da sie ihm ja bereits bei Bezahlung bekannt waren.
Es ist somit davon auszugehen, dass dem Bf. sämtliche für die Veranlagungszeiträume 2016 und 2017 relevanten Unterlagen bereits vor Abschluss der Veranlagungen zur Einkommensteuer 2016 und 2017 zur Verfügung standen und er es lediglich aus Vergesslichkeit oder auch aus Unwissenheit über die rechtlichen Möglichkeiten verabsäumt hat, die nunmehr in den Wiederaufnahmeanträgen beantragten Absetzungen rechtzeitig in den Abgabenerklärungen oder zumindest in Beschwerden gegen die Einkommensteuerbescheide 2016 und 2017 steuerlich geltend zu machen.
Da somit nach der Aktenlage zum Zeitpunkt der Einbringung der strittigen Wiederaufnahmeanträge aus Sicht des Bf. keine neu hervorgekommenen Tatsachen oder Beweismittel vorlagen, waren die Beschwerden als unbegründet abzuweisen.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zulässigkeit einer Revision
Gegen das gegenständliche Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision nicht zulässig, da sie nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis weder von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, noch eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 303 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2020:RV.7105764.2019 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at