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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 02.03.2020, RV/7105558/2019

Bindung an Gutachten des Sozialministeriumservice

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Regina Vogt in der Beschwerdesache Bf., W, vertreten durch Dr. Thomas Hofer-Zeni, Landstraßer Hauptstraße 82 Tür 11, 1030 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt Wien 1/23 vom betreffend Abweisung des Antrages auf Gewährung von Familienbeihilfe ab November 2017 zu Recht erkannt: 

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Der Bescheid bleibt mit der Maßgabe unverändert, als die Anträge vom auf Familienbeihilfe und vom auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe abgewiesen werden.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

Der Vertreter des Beschwerdeführers (Bf., geb. am xxx) stellte am mit dem Formular Beih100 den Antrag auf "erhöhte Familienbeihilfe" ab November 2017.

Nach Aufforderung durch die belangte Behörde stellte er am mit dem Formular Beih3 den Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe ab November 2017 und gab als Begründung "angeborenen psychische Beeinträchtigung" an.

Zum ersten Termin beim Sozialministeriumservice am erschien der Bf. nicht, woraufhin der "Antrag auf erhöhte Familienbeihilfe vom mit bescheid vom 19.3.218 abgewiesen wurde. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass der Bf. am nicht erschienen war und somit der Antrag vom auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe abzuweisen war.

In der Beschwerde vom brachte der Vertreter vor, dass der vom Termin nicht verständigt worden war und bei einem Ersatztermin für eine Begleitperson hätte sorgen können.

Es folgte eine Begutachtung am . Im Gutachten vom wurde festgestellt, dass hinsichtlich der Frage der voraussichtlich dauernden Unfähigkeit sich den Lebensunterhalt zu verschaffen keine Aussage getroffen werde könne, da keine Vorbefunde vorlägen.

Nachdem die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet abgewiesen worden war, stellte der Bf. am einen nicht weiter begründeten Vorlageantrag.

Über die Beschwerde wurde erwogen:

Sachverhalt:

Der Bf. ist am xxx geboren.

Er vollendete somit am yyy das 21. Lebensjahr.

Der Beschwerdeführer (Bf.) stellt am  mit dem Formular Beih100 den Antrag auf Gewährung von "erhöhter Familienbeihilfe" ab November 2017.

Am 1.12. wurde das Formular Beih3 nachgereicht, mit dem der Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe ab November 2017 beantragt wurde, wobei als Begründung eine angeborene psychische Beeinträchtigung angegeben wurde.

Zum Begutachtungstermin ist der Bf. nicht beim Sozialministeriumservice erschienen.

Auf Grund eines weiteren Termins am wurde am ein Gutachten erstellt, jedoch festgehalten, dass auf Grund fehlender Vorbefunde, eine Beurteilung einer bereits vor dem 21. Lebensjahr eingetretenen Erwerbsminderung nicht möglich sei.

Ein weites Gutachten wurde am erstellt, ein Grad der Behinderung von 30% festgestellt, jedoch festgehalten, dass der Bf. nicht dauernd erwerbsunfähig sei. 

Die Begründung lautet:

"Es liegt nach den befunden und der Anamnese eine intellektuelle Einschränkung in die Jugend zurückreichend vor.

Weder aus der Anamnese, noch aus den Befunden noch aus dem klinischen Eindruck lässt sich allerdings eine daraus resultierende Funktionseinschränkung vor dem 18./21. Lebensjahr ableiten, die zu einer dauernden Selbsterhaltungsunfähigkeit vor dem 18./21. Lebensjahr geführt hätte." 

Rechtliche Erwägungen:

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. c  FLAG 1967 BGBl I 2010/111, mit Wirkung ab , besteht Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Die Familienbeihilfe und die erhöhte Familienbeihilfe kann nur für höchstens fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt werden (§ 10 Abs. 3 FLAG 1967).

§ 8 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) lautet auszugsweise:

(5) Als erheblich behindert gilt ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muß mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.

(7) Die Abs. 4 bis 6 gelten sinngemäß für Vollwaisen, die gemäß § 6 Anspruch auf Familienbeihilfe haben.

§ 8 Abs. 6 FLAG 1967 bestimmt zur Lösung der Frage, ob das Kind behindert oder voraussichtlich dauernd unfähig ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, die Nachweisführung ausschließlich durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (früher: Bundessozialamt, jetzt: Sozialministeriumservice).

Diese Bescheinigung hat gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens zu erfolgen.

Bei der Beantwortung der Frage, ob der Bf. bereits vor dem 21. Lebensjahr dauernd außerstande war, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist die Behörde bzw. das Bundesfinanzgericht an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrunde liegenden Gutachten gebunden und darf diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig und nicht einander widersprechend sind (vgl. ; , und die bei Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Rz 29 zitierte Rechtsprechung). Die Beihilfenbehörden haben bei ihrer Entscheidung von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen und können von ihr nur nach entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung abgehen (vgl. ; ).

Zur Schlüssigkeit von Gutachten des Sozialministeriumservice besteht umfangreiche Rechtsprechung des Bundesfinanzgerichts (etwa ; ; ; ; ):

Die Gutachten der Ärzte des Sozialministeriumservice haben den an ärztliche Sachverständigengutachten zu stellenden Anforderungen an ihre Nachvollziehbarkeit zu entsprechen. Sie dürfen sich daher insbesondere nicht widersprechen oder in bloßen Behauptungen erschöpfen. Die Behörden des Verwaltungsverfahrens sind daher verpflichtet, die Beweiskraft der Gutachten des Sozialministeriumservice zu prüfen und erforderlichenfalls für deren Ergänzung zu sorgen (vgl. etwa , m.w.N.).

Zur ersten Begutachtung am ist der Bf. nicht beim Sozialministeriumservice erschienen, sodass eine Gutachtenerstellung nicht möglich war.

Wenn der Vertreter in der Beschwerde vorbringt, er hätte im Fall einer Verständigung für eine Begleitperson sorgen könne, so ist nicht erkennbar, inwieweit, diese erforderlich gewesen wäre, da der Bf. auch zu den folgenden zwei Begutachtungen ohne Begleitperson kam.

Der Bf. hat somit die ihn nach der Judikatur des Verwaltungserichtshofes für Begünstigungsvorschriften  treffende erhöhte Mitwirkungspflicht verletzt, sodass er die Unsicherheit für das allfällige Bestehen einer bereits vor dem 21. Lebensjahr eingetreten Erwerbsminderung auf Grund einer physischen oder psychischen Behinderung zunächst zu tragen hatte und der Antrag zu recht mit Bescheid vom abgewiesen worden war.

Aber auch die folgenden Gutachten vom und vom können zu keiner anderen Beurteilung durch das Bundesfinanzgericht führen:

Bei der Begutachtung am konnte mangels Vorbefunden keine Aussage zu den behaupteten angeborenen psychischen  Beeinträchtigungen getroffen werden.

Bei der Begutachtung am wurde schließlich das Ergebnis der Stellungsuntersuchung am vorgelegt und folgendermaßen zitiert,

"Schwachsinn, leichter....

....knapp durchschnittliche Begabung, ausreichendes Grundwissen....Grundfertigkeiten

wenig ausgeprägte...im Benton Test ausreichende Grundbegabung feststellbar(förderbarl)

gut....motiviert als Hilfskraft eben noch geeignet

"ungeeignet"

Das Bundesfinanzgericht hat sich, wie bereits oben ausgeführt lt. ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung des § 8 Abs. 6 FLAG an Sachverständigengutachten zu halten.

Eine Unschlüssigkeit des Letzgutachtens vom , das dem Bf. auf Grund aller vorliegenden Unterlagen und der klinischen Untersuchung von eben diesem Tag die Selbsterhaltungsfähigkeit bescheinigt, kann vom Bundesfinazgericht nicht erkannt werden.

Da ein Volljähriger, wenn er nicht aus einem anderen Grund Anspruch auf Familienbeihilfe hat (z.B. wegen Berufsausbildung) nur Anspruch auf den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe hat, wenn ihm auch der Grundbetrag zusteht und das nur dann der Fall ist, wenn er auf Grund einer vor dem 21. Lebensjahr eingetretenen körperlichen oder psychischen Behinderung voraussichtlich dauernd außer Stande ist, sich den Lebensunterhalt zu verschaffen, ist der Antrag vom und vom als ein Antrag zu sehen. Dies wurde offensichtlich auch von der belangten Behörde so gesehen, wenn zwar im Spruch nur der Antrag vom , in der Begründung sehr wohl aber der Antrag vom Erwähnung finden.  

Der Spruch war daher zu präzisieren.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die de facto Bindung des Bundesfinanzgerichtes an ärztliche Sachverständigengutachten des Sozialministeriumservice ist in § 8 Abs. 6 FLAG ausdrücklich gesetzlich geregelt.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
Schlagworte
Erwerbsunfähigkeit
Bindungswirkung Gutachten
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.7105558.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at