Abstandnahme von der Abgabenfeststzung nach § 206 Abs. 1 lit b BAO wegen Löschung im Firmenbuch wegen Vermögenslosigkeit und Uneinbringlichmachung bei der Haftungspflichtigen
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin **** in der Beschwerdesache Bf, AdresseBf, gegen die Bescheide des FA Wien 8/16/17 vom , betreffend Lohnsteuer, Dienstgeberbeitrag zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag für die Jahre 2002, 2003 und 2004 zu Recht erkannt:
Die Bescheide betreffend Lohnsteuer, Dienstgeberbeitrag zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag für die Jahre 2002, 2003 und 2004 werden gem. § 279 BAO abgeändert:
Der auf Grund des Haftungsverfahrens eingeschränkte Betrag der angefochtenen Bescheide von 144.668,26 €wird gem. § 279 BAO nicht festgesetzt.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.
Entscheidungsgründe
I. Übergang der Zuständigkeit vom UFS auf das BFG
Gemäß § 323 Abs. 38 BAO, in der Fassung BGBl. I Nr. 14/2013, sind die am beim unabhängigen Finanzsenat als Abgabenbehörde zweiter Instanz anhängigen Berufungen vom Bundesfinanzgericht als Beschwerden im Sinne des Art. 130 Abs. 1 BVG zu erledigen.
II. Verfahrensablauf
Die Beschwerdeführerin (in der Folge als Bf bezeichnet) wurde nach einer Betriebsprüfung bei der gleichnamigen GmbH i.L. (in der Folge als Bf GmbH i.L. bezeichnet) als Geschäftsführerin mit Haftungsbescheid vom zur Haftung für Abgabenschuldigkeiten, u.a. Lohnsteuer, Dienstgeberbeitrag zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag für die Jahre 2002, 2003 und 2004 in Anspruch genommen.
Die Bf GmbH i.L. wurde bereits am von Amts wegen gem. § 40 FBG wegen Vermögenslosigkeit im Firmenbuch gelöscht.
Auf Grund einer Beschwerde gegen den Haftungsbescheid wurde die Haftung betragsmäßig eingeschränkt (vgl. Entscheidung des Unabhängigen Finanzsenates vom , RV/3514-W/10), uzw. wie folgt:
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Abgabe | Zeitraum | Betrag in Euro |
Lohnsteuer | 2002 | 33.998,32 |
DB | 2002 | 10.199,50 |
DZ | 2002 | 997,28 |
Lohnsteuer | 2003 | 35.476,51 |
DB | 2003 | 10.642,95 |
DZ | 2003 | 993,34 |
Lohnsteuer | 2004 | 39.467,61 |
DB | 2004 | 11.840,28 |
DZ | 2004 | 1.052,47 |
Die Ermittlungen des Bundesfinanzgerichtes ergaben ua, dass die Bf vorgebracht hat, die dem Haftungsbescheid zu Grunde liegenden Abgabenbescheide seien erst am zugestellt worden. Dies hat sie bereits in ihrer Berufung vom gegen den Haftungsbescheid kritisch angemerkt. Dem Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom RV/7100271/2011 zu Folge, in dem über die Umsatzsteuer sowie Kapitalertragsteuer abgesprochen wurde, erfolgte die Versendung der Abgabenbescheide an die Bf mit . Die zuständige Referentin teilte mit, dass durch die Berufung () gegen den Haftungsbescheid die Berufungsfrist für die Berufung gegen die der Haftung zu Grunde liegenden Abgabenbescheide gehemmt sei und die Bf diese Berufung gegen die Abgabenbescheide nunmehr innerhalb der ab Zustellung der Bescheide verbleibenden Frist einbringen müsse. Diese - verfahrensgegenständliche- Berufung erfolgte am .
Das Bundesfinanzgericht stellte fest, dass neben Abgabenrückständen auf dem Abgabenkonto der GmbH die Aussetzung der Einhebung angemerkt ist und daher davon auszugehen ist, dass weder der bereits fällige Abgabenrückstand noch allfällige weitere Abgabennachforderungen bei der GmbH einbringlich sein werden.
Feststellungen der belangten Behörde vom über die wirtschaftlichen Verhältnisse der grundsätzlich haftenden Bf., die dem Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom RV/7100271/2011 zu Grunde liegen, stellen sich dermaßen dar, dass die Bf derzeit arbeitslos sei und Mindestsicherung i.H. von ca. € 580.- beziehe sowie Bezüge vom AMS i.H. von € 317.-, wobei die monatlichen Lebenshaltungskosten € 300,26/Monat für Miete, € 116.-/Monat für Energie, € 50.-/Monat für UPC und € 26.-/Monat für das Handy betrügen, die Bf kein Vermögen besitze, aber im Zuge eines Schuldenregulierungsverfahrens € 15.-/Monat aufbringen müsse.
Auf Basis der Ermittlungen wurde das Finanzamt per Beschluss des Bundesfinanzgerichtes vom ersucht, bekanntzugeben, ob sich die Verhältnisse in der Zwischenzeit geändert haben sollten bzw. falls nicht, ob allfällige Gründe einer Abstandnahme von der Festsetzung der Abgaben entsprechend der Bestimmung des § 206 Abs 1 lit b BAO entgegenstehen.
Das Finanzamt erhob im Antwortschreiben vom keine Einwendungen gegen die Abstandnahme von der Abgabenfestsetzung gem. § 206 Abs. 1 lit b BAO, sondern antwortete vielmehr, dass die wirtschaftliche Lage der haftungspflichtigen Bf unverändert sei, sie sich seit in Schuldenregulierung befinde, das Abschöpfungsverfahren per rechtskräftig eingeleitet worden sei und sohin fünf Jahre laufe; das Finanzamt ginge davon aus, dass auch künftig mit keiner "Einbringlichmachung" zu rechnen sei.
III. Entscheidungsrelevanter Sachverhalt
Die rechtskräftige Entscheidung des UFS (nunmehr Bundesfinanzgericht) hat eine betragsmäßig eingeschränkte Haftung der Bf für die Abgabenschuldigkeiten des gegenständlichen Verfahrens zur Folge (siehe Verfahrensablauf).
Die Bf GmbH i.L. wurde am von Amts wegen gem. § 40 FBG wegen Vermögenslosigkeit im Firmenbuch gelöscht.
Auf Grund der finanziellen Verhältnisse der Bf ist eine Bezahlung der Schuldigkeiten, auch nach Ansicht der belangten Behörde, nicht zu erwarten.
IV. Rechtliche Beurteilung
Da in der Berufung vom gegen den Haftungsbescheid die Bf kritisch anmerkte, dass die Bescheide ihr nicht übersandt worden wären, und nach Übersendung derselben die Bf innerhalb der verbliebenen Frist die gegenständliche, als Beschwerde zu behandelnde, Berufung am einlegte, ist diese rechtzeitig und nicht wegen Verspätung zurückzuweisen.
Die Abgabenbehörde kann gemäß § 206 Abs 1 lit b BAO, BGBl. Nr. 194/1961, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 14/2013 von der Festsetzung von Abgaben ganz oder teilweise Abstand nehmen, soweit im Einzelfall auf Grund der der Abgabenbehörde zur Verfügung stehenden Unterlagen und der durchgeführten Erhebungen mit Bestimmtheit anzunehmen ist, dass der Abgabenanspruch gegenüber dem Abgabenschuldner nicht durchsetzbar sein wird.
Abs 2 leg.cit. bestimmt:
Durch die Abstandnahme (Abs. 1) erlischt der Abgabenanspruch (§ 4) nicht. Die Abstandnahme berührt nicht die Befugnis, diesbezügliche persönliche Haftungen gegenüber Haftungspflichtigen geltend zu machen.
Maßnahmen gemäß § 206 BAO liegen im Ermessen der für die Abgabenfestsetzung zuständigen Abgabenbehörde bzw der Verwaltungsgerichte (Ritz, BAO6, 738). Gemäß § 20 BAO müssen sich Entscheidungen, die die Abgabenbehörden nach ihrem Ermessen zu treffen haben, in den Grenzen halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht.
Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Die maßgebenden Kriterien für die Übung des Ermessens ergeben sich primär aus der Ermessen einräumenden Bestimmung:
Billigkeit bedeutet die Angemessenheit in Bezug auf berechtigte Interessen der Partei. Diesen wird im gegenständlichen Fall aufgrund des Beschwerdebegehrens durch die Abstandnahme entsprochen.
Zweckmäßigkeit berücksichtigt das öffentliche Interesse an der Einbringung, aber auch das Interesse an der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit der Vollziehung. Dazu gehört auch die Berücksichtigung der Verwaltungsökonomie (Ritz, BAO6, § 20 Tz 7).
Die im gegenständlichen Fall ermittelte fehlende Einbringungsmöglichkeit der Abgabenschuldigkeiten - sowohl bei der GmbH als auch der haftungspflichtigen Bf - gebietet in Entsprechung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Verwaltungsführung, von der Festsetzung der Abgabe Abstand zu nehmen, da der mit dem Umfang des durchzuführenden Beschwerdeverfahrens verbundene Verwaltungsaufwand nicht mehr verhältnismäßig ist. Der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung steht dem nicht entgegen. Durch die Abstandnahme von der Abgabenfestsetzung wird der gesetzliche Abgabenanspruch als solches nicht "vernichtet", sondern es wird lediglich - wegen Uneinbringlichkeit - auf seine Durchsetzung verzichtet (; ).
Da die offenen Abgabenforderungen hinsichtlich Lohnsteuer, DB und DZ für die Jahre 2002, 2003 und 2004 weder bei der Bf GmbH i.L. noch bei der haftungspflichtigen Geschäftsführerin Bf einbringlich sein werden, war vor dem Hintergrund der dargestellten rechtlichen Ausführungen von einer Festsetzung der Abgaben entsprechend der Bestimmung des § 206 Abs 1 lit b BAO Abstand zu nehmen.
V. Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision gem. Art 133 Abs 4 B-VG iVm § 25a Abs 1 VwGG zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Diese Voraussetzungen treffen im Beschwerdefall nicht zu. Die Entscheidung ist im Einklang mit der angesprochenen umfangreichen, ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, sodass keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen wurde.
Demzufolge ist die Revision nicht zulässig.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 206 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2020:RV.7100272.2011 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at