Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 30.01.2020, RV/7101948/2016

Nichtabzugsfähigkeit von "Caverject" als außergewöhnliche Belastung - eine psychische Krankheit kann nicht festgestellt werden

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/7101948/2016-RS1
Wird eine psychische Erkrankung als Folgeerkrankung einer Behinderung behauptet, trifft den Beschwerdeführer aufgrund der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht eine erhöhte Mitwirkungspflicht.
RV/7101948/2016-RS2
Liegt für das beschwerderelevante Jahr kein ärztliches Gutachten vor, so ist das Bestehen einer Krankheit als Voraussetzung zum Abzug von Kosten als außergewöhnliche Belastung in freier Beweiswürdigung der vorliegenden Gutachten festzustellen.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht erkennt durch den Richter GK in der Beschwerdesache Bf, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt FA vom  betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2014 zu Recht:

I.

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO zum Teil Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.

Die Bemessungsgrundlage und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

II.

Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 B-VG ist nichtzulässig.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

Das Verfahren stellt sich wie folgt dar:

Der Beschwerdeführer litt unter einer bösartigen Neubildung der Prostata. Das Bundessozialamt stellte aufgrund dieser Diagnose am  bescheidmäßig eine Behinderung von 50% fest. Auf ärztliche Empfehlung wurde eine radikale Prostatektomie vorgenommen.

Der Beschwerdeführer machte in der Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2014 unter anderem Ausgaben für Caverject, ärztliche Dienstleistungen und Nahrungsergänzungsmittel als Kosten der Heilbehandlung infolge einer eigenen körperlichen Behinderung als außergewöhnliche Belastung ohne Abzug eines Selbstbehaltes geltend.

Die belangte Behörde erließ am einen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2014, wobei sie die Ausgaben für Caverject als nicht abzugsfähig, die sonst geltend gemachten Ausgaben als außergewöhnliche Belastung unter Berücksichtigung eines Selbstbehaltes feststellte.

Dagegen richtete sich die Beschwerde vom mit dem Vorbringen, dass die geltend gemachten Ausgaben im unmittelbaren Zusammenhang mit der Erkrankung und Behinderung und den üblichen, nach einer radikalen Prostatektomie auftretenden Komplikationen stehen und aufgrund ärztlicher Verschreibung und Überwachung erfolgt sind.

Durch die Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Die Behörde verwies auf die Entscheidung des ), wonach Kosten für Heilmittel gegen Funktionsstörungen im Bereich der Erektionsfähigkeit des Mannes vom Versicherten selbst zu tragen seien, weil es sich dabei nach den herrschenden gesellschaftlichen Wertvorstellungen nicht um lebenswichtige persönliche Bedürfnisse handelt. Die gesetzliche Krankenversicherung sei nicht dazu berufen, generell soziales Wohlbefinden zu finanzieren. Das Steuerrecht folge dem Sozialversicherungsrecht und daher seien Kosten für Potenzmittel mangels Zwangsläufigkeit nicht abzugsfähig.

Im Vorlageantrag vom führte der Beschwerdeführer die Entscheidung des ) an, wandte die nicht nachvollziehbare Identität von Sozial- und Steuerrecht ein und brachte ein ärztliches Attest einer Allgemeinmedizinerin bei. Danach leide der Beschwerdeführer an massiven Erektionsstörungen, die zunächst mit oral einzunehmenden Medikamenten wie Viagra erfolglos behandelt wurden. Auf Injektionen mit "Caverject" spreche der Beschwerdeführer gut an. Die Erektionsprobleme führten zu Eheproblemen und einer reaktiven Depression.

Mit Vorlagebericht vom wurde die Beschwerde von der belangten Behörde dem Bundesfinanzgericht mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde zur Entscheidung vorgelegt.

Mit Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, die Gründe für die Behinderung im Ausmaß von 50% nachzuweisen, darzustellen, ob hinsichtlich der Verabreichung von "Caverject" ein Kostenersatz von der Sozialversicherung beantragt bzw. genehmigt und geleistet wurde oder weshalb kein dementsprechender Antrag gestellt wurde und durch fachärztlichen Befund nachzuweisen, dass ein psychisches Leiden mit Krankheitswert aufgrund der erektilen Dysfunktion bestanden hat.

In seiner Antwort verwies dieser auf den Bescheid des Bundessozialamts vom  und auf das ärztliche Attest vom  und gab bekannt, dass seitens der Sozialversicherung kein Kostenersatz genehmigt wurde.

Mit Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom wurde der Beschwerdeführer aufgefordert,  das Gutachten des ärztlichen Sachverständigen zur Feststellung des Grades der Behinderung bzw. das Beiblatt des Bescheides vom Bundessozialamt vom und den Antrag auf Kostenersatz bei der Sozialversicherung, die Erledigung der Sozialversicherung sowie den sonstigen diesbezüglichen Schriftverkehr vorzulegen.

Der Beschwerdeführer antwortete, dass ihm kein Gutachten des Bundessozialamts übermittelt wurde und legte ein Schreiben der Wiener Gebietskrankenkasse vor, nach welchem laut derzeit geltender Judikatur eine Kostenübernahme für diese Medikamentengruppe nicht möglich ist.

Mit Beschluss vom  wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, die Krankheitskosten für Magnesium und "Antiamin" betraglich gesondert anzugeben (in der Beschwerde wurde in einer Position Magnesium und "Antiamin" in einem Betrag mit 103,75 € angeführt) und die Ausgaben belegmäßig nachzuweisen, die ärztlichen Verordnungen für Magnesium und "Antiamin" vorzulegen und eventuelle Kostenersätze für Magnesium und Antiamin nachzuweisen.

Im Antwortschreiben gab der Beschwerdeführer die Kosten für Magnesium und "Amitamin" (Bezeichnung wurde seitens des Beschwerdeführers in dieser Eingabe richtiggestellt) gesondert an. Für "Magnesium Verla" wurde ein Rezept von der Ärztin für Allgemeinmedizin Ä vom vorgelegt, für "Amitamin" (bzw. dem Alternativmittel "Euviril") war keine ärztliche Verordnung mehr auffindbar, er verwies jedoch auf handschriftliche Anmerkungen von Dr. Hubmann aus 2013 und ein Rezept aus 2012.

Auf telefonische Anfrage wurden dem Bundesfinanzgericht vom Sozialministeriumservice einlangend am die Sachverständigengutachten nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) vom (Bundessozialamt, Landesstelle Wien) und vom (Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien) in Kopie zur Verfügung gestellt.

Mit Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom wurde die Ärztin Ä unter Hinweis auf das Aussageverweigerungsrecht und unter der Voraussetzung, dass Sie vom Beschwerdeführer von der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht entbunden wird, gebeten, folgende Fragen zu beantworten (mit Vorlage von Schriftstücken) oder mitzuteilen, dass die Aussage verweigert wird und die Gründe der Weigerung glaubhaft zu machen:

  • Hat Herr Bf1 im Jahr 2014 an einer psychischen Störung mit oder ohne Krankheitswert (im Sinne einer Behandlungsbedürftigkeit, weil keine Prognose für eine lediglich vorübergehende Dauer gegeben war) gelitten?

  • Welche Symptome wurden festgestellt?

  • Zu welchem Zeitpunkt wurde eine Krankheit diagnostiziert?

  • Ist die Ursache ausschließlich im Bestehen einer erektilen Dysfunktion zu sehen?

  • Welche Heilbehandlung wurde ärztlich verordnet?

  • Warum wurde diese Heilbehandlung als erfolgversprechend angesehen?

  • Wurde die Heilbehandlung durch das Hinzutreten einer psychischen Störung zur erektilen Dysfunktion verändert?

Da die Ärztin vom Beschwerdeführer nicht von der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht entbunden wurde, teilte die Ärztin mit Schreiben vom mit, dass sie zur Anfrage keine Stellung nehmen kann.

Das Bundesfinanzgericht hat über die Beschwerde erwogen:

Strittig ist, ob eine Krankheit vorliegt bzw. die Ausgaben für das Arzneimittel "Caverject", ärztliche Dienstleistungen und Nahrungsergänzungsmittel  im Zusammenhang mit einer Krankheit bzw. Behinderung stehen und daher zum steuerlichen Abzug als außergewöhnliche Belastung zugelassen werden können.

1. Sachverhalt

Beim Beschwerdeführer wurde eine radikale Prostatektomie vorgenommen. Als Folgewirkung dieses Eingriffs kam es beim Beschwerdeführer zu einer erektilen Dysfunktion. Eine erektile Dysfunktion ist keine Krankheit.

Ein ärztliches Attest einer Allgemeinmedizinerin zum Vorliegen einer reaktiven Depression wurde am  erstellt. In beiden vom Sozialministeriumservice übermittelten Gutachten aus 2011 und 2016 wurden keinerlei psychische Erkrankungen diagnostiziert, wiewohl auch geistige Funktionseinschränkungen der Beurteilung der Gutachter unterlagen. Vielmehr wurde im Gutachten aus 2016 hinsichtlich der psychischen Befindlichkeit eine ausgeglichene Stimmungslage und eine normale Kommunikationsfähigkeit attestiert.

Ein ärztliches Gutachten, welches im Jahr 2014 und im Vorfeld einer Heilbehandlung eine psychische Störung mit Krankheitswert feststellt, liegt nicht vor. Eine solche Erkrankung, welche im Jahr 2014 bestanden haben soll, kann hinsichtlich des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden.

"Caverject" wird angewandt zur symptomatischen Behandlung einer erektilen Dysfunktion beim erwachsenen Mann, indem durch die Injektion in den Penis eine temporäre Erektion erzeugt wird.

Die geltend gemachten Ausgaben für ärztliche Dienstleistungen sind Folge der nach der Operation notwendigen Nachuntersuchungen und stehen daher im unmittelbaren Zusammenhang mit der Behinderung.

Hinsichtlich der Nahrungsergänzungsmittel wurden nur Ausgaben in Höhe von 10,25 € durch ärztliche Verordnung, jedoch ohne Zusammenhang mit der Behinderung nachgewiesen. Jene Mittel mit dem Inhaltsstoff L-Arginin ("Amitamin" und "Euviril") dienen laut Herstellerinformation im Wesentlichen der Behandlung von Erektionsstörungen.

Vom Bundessozialamt wurde mit Wirkung für das Jahr 2014 eine Behinderung im Ausmaß von 50% bescheidmäßig festgestellt.

2. Beweiswürdigung

Der festgestellte und entscheidungsrelevante Sachverhalt beruht auf dem von der belangten Behörde übermittelten Verwaltungsakt sowie den gerichtlichen Erhebungen.

Die Diagnose eines Prostatakarzinoms und die daraus folgende erektile Dysfunktion ist unstrittig und aus den vorliegenden ärztlichen Befunden und Gutachten nachvollziehbar.

Entscheidungsrelevant ist, ob grundsätzlich eine Krankheit körperlicher oder geistiger Natur vorliegt bzw. diese im Zusammenhang mit einer Behinderung steht sowie ob Ausgaben aus einer Heilbehandlung resultieren.

Der Oberste Gerichtshof hat in seinem Urteil vom , Zl. 10ObS227/03k, im Bereich des Sozialversicherungsrechtes erkannt, dass es sich bei Funktionsstörungen im Bereich der Erektionsfähigkeit des Mannes um keine Krankheit im Sinne einer Behandlungsbedürftigkeit handelt, weil es sich dabei nach den herrschenden gesellschaftlichen Wertvorstellungen nicht um "lebenswichtige persönliche Bedürfnisse" handle.

Die ärztliche Attestierung einer reaktiven Depression ist in Anbetracht dessen, dass diese Feststellung erst im September 2015 erfolgt ist und nicht im Vorfeld einer ärztlichen Behandlung in 2014 erfolgt ist, in Zusammenschau mit den Ergebnissen der beiden Sachverständigengutachten nach der Einschätzungsverordnung, aus denen keine psychischen Störungen beim Beschwerdeführer in den Jahren 2011 und 2016 hervorgehen, in freier Beweiswürdigung als nicht glaubhaft einzuschätzen.

Das Anwendungsgebiet von "Caverject" ergibt sich aus der Fach- und Gebrauchsinformation des Herstellers "Pfizer", abrufbar auf dessen Website (http://labeling.pfizer.com/ShowLabeling.aspx?id=1890).

Die Wirkungsweise von Arzneimitteln zur Ausübung des Geschlechtsverkehrs (und dazu zählt auch "Caverject") ist aus dem Erstattungskodex des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger ableitbar. Danach werden Arzneimittel zur Anreizung bzw. Verstärkung des Sexualtriebes und nicht zur Therapie einer Krankheit im Sinne des § 120 Abs 1 Z 1 ASVG eingesetzt, und dienen somit nicht der Krankenbehandlung im Sinne des § 133 Abs 2 ASVG. Bei der Verwendung von Arzneimitteln, die bei vorhandenem Sexualtrieb die Ausübung des Geschlechtsverkehrs ermöglichen, kann zwar eine Krankheit im Sinne des § 120 Abs 1 Z 1 ASVG vorliegen; diese wird jedoch durch das verwendete Arzneimittel nicht beeinflusst oder behandelt, weil durch dieses lediglich die Ausübung des Geschlechtsverkehrs ermöglicht wird, ohne im Sinne einer Krankenbehandlung die zugrundliegende Störung körperlicher und/oder psychischer Natur zu beheben.

Die Wirkungsweise von solchen Arzneimitteln ist glaubhaft aufgrund der Tatsache, dass unter anderem Vertreterinnen und Vertreter der Wissenschaft und Mitglieder der Ärztekammer an der Erstellung dieses Erstattungskodex mitgewirkt haben.

Die Ausgaben für ärztliche Dienstleistungen (75,60 €) stehen im Zusammenhang mit der Behinderung, da im aktenkundigen postoperativen Entlassungsbrief ärztliche Kontrollen vorgesehen sind und im Sachverständigengutachten aus 2016 weiterhin Beschwerden nach der Prostataoperation festgestellt wurden.

Ein Teil der Ausgaben für Nahrungsergänzungsmittel (10,25 €) wurde mittels Beleg und ärztlicher Verordnung nachgewiesen. Die sonst geltend gemachten Ausgaben konnten durch Notizen von Ärzten nicht glaubhaft gemacht werden, da diese aus anderen als dem beschwerderelevanten Jahr stammen und lediglich Empfehlungen darstellen.

Vor diesem Hintergrund durfte das Bundesfinanzgericht die obigen Sachverhaltsfeststellungen gemäß § 167 Abs 2 BAO als erwiesen annehmen.

3. Rechtliche Beurteilung (siehe I.)

Bei der Ermittlung des Einkommens (§ 2 Abs 2) eines unbeschränkt Steuerpflichtigen sind gemäß § 34 Abs 1 EStG 1988 nach Abzug der Sonderausgaben (§ 18) außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muss außergewöhnlich sein (Abs 2), zwangsläufig erwachsen (Abs 3) und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen (Abs 4). Die Belastung darf weder Betriebsausgaben, Werbungskosten noch Sonderausgaben sein.  

Die Belastung erwächst dem Steuerpflichtigen gemäß § 34 Abs 3 EStG 1988 zwangsläufig, wenn er sich ihr aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann. 

Die aufgrund der §§ 34 und 35 EStG ergangene Verordnung BGBl 303/1996 idF BGBl II 2010/430 lautet auszugsweise wie folgt:

"§ 1. (1) Hat der Steuerpflichtige Aufwendungen

- durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung,

[...]

so sind die in den §§ 2 bis 4 dieser Verordnung genannten Mehraufwendungen als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen.

(2) Eine Behinderung liegt vor, wenn das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) mindestens 25% beträgt.

(3) Die Mehraufwendungen gemäß §§ 2 bis 4 dieser Verordnung sind nicht um eine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage oder Blindenzulage) oder um einen Freibetrag nach § 35 Abs. 3 EStG 1988 zu kürzen.

[...]

§ 4. Nicht regelmäßig anfallende Aufwendungen für Hilfsmittel (zB Rollstuhl, Hörgerät, Blindenhilfsmittel) sowie Kosten der Heilbehandlung sind im nachgewiesenen Ausmaß zu berücksichtigen."

Kosten zur Heilbehandlung einer eigenen Krankheit bzw. einer Folgeerkrankung () erwachsen zwangsläufig und ermöglichen grundsätzlich unter den Voraussetzungen der §§ 34 und 35 EStG 1988 den steuerlichen Abzug. Unter Krankheit ist eine gesundheitliche Beeinträchtigung zu verstehen, die eine Heilbehandlung bzw. Heilbetreuung erfordert.

- Ausgaben für "Caverject"

Nach Auffassung des Bundesfinanzgerichts können die Kosten des Beschwerdeführers für das Arzneimittel "Caverject" steuerlich nicht als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden.

Die Verabreichung von "Caverject" ist nicht als Heilbehandlung anzusehen, da weder die erektile Dysfunktion eine Krankheit darstellt, noch das Grundleiden/die Behinderung geheilt bzw. gelindert wird.

Die Wirkstoffe dieses Arzneimittels sind nicht auf eine Heilbehandlung ausgerichtet, sondern ermöglichen dem Anwender, die Erektion auf Dauer eines Geschlechtsverkehrs aufrechtzuerhalten und sexuelle Bedürfnisbefriedigung zu erlangen.

Das Bundesfinanzgericht zweifelt nicht daran, dass soziales Wohlbefinden, wie zB durch die Möglichkeit sexuelle Handlungen vornehmen zu können, die Heilung von Erkrankungen verschiedener Arten begünstigt, jedoch bedarf es für die steuerliche Abzugsfähigkeit eines Arzneimittels der charakteristischen Eigenschaft zur Behandlung einer konkreten Krankheit.

Es würde der Zwangsläufigkeit von außergewöhnlichen Belastungen widersprechen, würden alle, auch nur mittelbar zusammenhängende, der Heilung förderlichen Ausgaben abzugsfähig sein. Nur zwangsläufig erwachsenen Belastungen kann sich der Steuerpflichtige nicht entziehen (§ 34 Abs 3 EStG 1988).

Nach Ansicht des VwGH sind auch Krankheitskosten etwaiger Folgeerkrankungen einer Behinderung im Sinne des § 1 Abs 2 der Verordnung als Kosten der Heilbehandlung nach § 4 der Verordnung und somit ohne Abzug des Selbstbehalts zu berücksichtigen ().

Hinsichtlich des Ermittlungsverfahrens zur Feststellung, ob die behauptete Folgeerkrankung (reaktive Depression) im Veranlagungszeitraum vorgelegen ist, ist insbesondere auf die Rechtsprechung des VwGH hinzuweisen, nach der der Steuerpflichtige, der eine abgabenrechtliche Begünstigung in Anspruch nimmt, selbst einwandfrei und „unter Ausschluss jeden Zweifels“ das Vorliegen der Umstände darzulegen hat, auf die die Begünstigung gestützt werden kann, wobei die Gründe im Einzelnen anzuführen sind ().

Auch wenn das Bundesfinanzgericht zwar die Feststellungslast für alle Tatsachen, die vorliegen müssen, trägt, befreit dies die Partei nicht von ihrer Offenlegungs- und Mitwirkungs­pflicht ().

Nach der Judikatur liegt eine erhöhte Mitwirkungs­pflicht des Beschwerdeführers (§ 115 Abs. 1 BAO) in Fällen vor, in denen die Ermittlungsmöglichkeiten der Abgabenbehörde eingeschränkt sind, wie zB im konkreten Fall beim Vorliegen der ärztlichen Verschwiegenheits­pflicht ().

Des weiteren ist hinsichtlich des Ermittlungsverfahrens die höchstgerichtliche Rechtsprechung anzuführen, nach welcher für die Anerkennung der getätigten Aufwendungen zum Nachweis der Zwangsläufigkeit der außergewöhnlichen Belastung jedenfalls eine ärztliche Verordnung gefordert wird, aus der sich die medizinische Notwendigkeit der betreffenden Maßnahme klar ergibt und die noch vor Beginn der Behandlungsleistungen zu erfolgen hat (). Daraus ist zu schließen, dass ein nach den Denkgesetzen zeitlich vorgelagertes ärztliches Gutachten ebenfalls vor Behandlungsbeginn notwendig ist.

Da ein solches nicht vorgelegt wurde und auch seitens des Bundesfinanzgerichts nicht erhoben werden konnte, kann eine Folgeerkrankung in Form einer reaktiven Depression in Zusammenschau aller aktenkundigen Beweismittel in freier Beweiswürdigung nicht festgestellt werden und sind daher auch diese Ausgaben nicht als Kosten der Heilbehandlung zu qualifizieren.

- Ausgaben für ärztliche Dienstleistungen

Die belangte Behörde hat diese Ausgaben in seinem Erstbescheid als außergewöhnliche Belastung unter Berücksichtigung eines Selbstbehaltes anerkannt.

Da die diesbezüglichen Ausgaben nach Abzug der Kostenersätze durch die Wiener Gebietskrankenkasse im unmittelbaren Zusammenhang mit der Behinderung stehen, sind diese als Kosten der Heilbehandlung gem §§ 1 Abs 3 und 4 der Verordnung ohne Kürzung des Freibetrages gem § 35 Abs 3 EStG 1988 abzugsfähig und ist daher dem Beschwerdeantrag in diesem Punkt Folge zu geben.

- Ausgaben für Nahrungsergänzungsmittel

Das Finanzamt hat die Ausgaben als außergewöhnliche Belastung unter Berücksichtigung eines Selbstbehaltes in voller Höhe anerkannt.

Kosten für Nahrungsergänzungsmittel sind in der Regel steuerlich nicht abzugsfähig, da sie aufgrund ihrer Wirkung der Gesundheitsvorsorge nicht zwangsläufig erwachsen. Werden solche Ausgaben jedoch belegmäßig und durch ärztliche Verordnung nachgewiesen, so sind sie in diesem Ausmaß als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig.

Da kein Zusammenhang mit der Behinderung vorliegt, ist dabei jedoch aufgrund der Berücksichtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ein Selbstbehalt gem § 34 Abs 4 EStG 1988 abzuziehen.

Insoweit diese Nachweise nicht gelingen, sind die entsprechenden Ausgaben steuerlich nicht abzugsfähig und ist insofern das Beschwerdebegehren nicht statthaft.

4. Unzulässigkeit einer Revision (siehe II.)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere, weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Fragen, ob eine Krankheit vorliegt bzw. Arzneimittel zur Heilbehandlung einer Krankheit/Behinderung dienen, sind Sachverhaltsfragen, die einzelfallbezogen zu beantworten sind und hängen nicht von der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung ab.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 167 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 34 Abs. 3 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 35 Abs. 3 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 34 Abs. 4 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 115 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.7101948.2016

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at