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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 11.02.2020, RV/7102329/2019

Antrag auf Wiederaufnahme - Familienheimfahrten, doppelte Haushaltsführung

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Dr. NN in der Beschwerdesache BF, über die Beschwerde vom   gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt XYZ vom  betreffend Abweisung des Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 BAO hinsichtlich Einkommensteuer 2014 und gegen die Bescheide der belangten Behörde Finanzamt XYZ vom betreffend Abweisung der Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 BAO hinsichtlich Einkommensteuer 2015 bis 2017 und zu Recht erkannt: 

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben. Die angefochtenen Bescheide werden ersatzlos aufgehoben.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

Sachverhalt/Verfahren

Angefochten sind die Bescheide über die Abweisung der Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer 2014 bis 2017.

Der Beschwerdeführer brachte seine Erklärungen zur Arbeitnehmerveranlagung 2014 bis 2017 elektronisch ein, die jeweils erklärungsgemäß veranlagt wurden (Bescheide vom , , , ).

Durch Vorlage seiner Erklärungen zur Arbeitnehmerveranlagung 2014 bis 2017 am ersuchte der Beschwerdeführer um eine neue Sachentscheidung über die nunmehr geltend gemachten Aufwendungen für Familienheimfahrten und doppelte Haushaltsführung.

Das Finanzamt wies diese Anträge am (2015 bis 2017) bzw. (2014) mangels Hervorkommens neuer Tatsachen ab.

Gegen diese Bescheide erhob der Beschwerdeführer elektronisch am Beschwerde und beantragte, jährlich jeweils 6.240 € als Werbungskosten zu berücksichtigen.

Mit Vorhalt vom ersuchte das Finanzamt unter Fristsetzung um Vorlage diverser Beweismittel (Heiratsurkunde, Familienstandsbescheinigung, Einkommensnachweis der Gattin, Meldezettel aller Personen am Familienwohnsitz, Mietvertrag der Wohnung in Wien, Aufstellung der einzelnen Familienheimfahrten) und um eine Begründung, warum die Verlegung des Familienwohnsitzes unzumutbar sei.

Mit elektronischer Vorhaltsbeantwortung vom legte der Beschwerdeführer die angeforderten Unterlagen innerhalb der gesetzten Frist vor. Da der Akt nicht zeitnah hochgeladen worden war, ergingen am (2014) bzw. (2015 bis 2017) abweisende Beschwerdevorentscheidungen; als Begründung für die Abweisung wurde die Nichtbeantwortung des Vorhaltes angegeben.

Mit elektronisch eingebrachtem Schreiben vom legte der Beschwerdeführer "Beschwerde" gegen die Beschwerdevorentscheidungen ein.

Mit Vorlagebericht vom legte das Finanzamt die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor. Auf die Begründung wird verwiesen.

Festgestellter Sachverhalt

Der Beschwerdeführer arbeitete in den beschwerdegegenständlichen Jahren 2014 bis 2017 bei der X GmbH und wohnte unter der Woche in einer Mietwohnung in W. Seine Frau und sein Sohn hingegen lebten im eigenen Haus in der Slowakei. Der Beschwerdeführer fuhr jeweils am Wochenende zu seiner Familie. Der Lebensmittelpunkt befindet sich in der Slowakei. Die einfache Wegstrecke von W zum Familienwohnsitz beträgt 190 km.

Hinsichtlich der doppelten Haushaltsführung und der Familienheimfahrten lagen dem Finanzamt neben den Erklärungen zur Arbeitnehmerveranlagung, in denen jedoch diesbezüglich keine Werbungskosten beantragt worden waren, keinerlei Unterlagen vor. Erst mit der Vorhaltsbeantwortung vom legte der Beschwerdeführer die im Zuge der Beschwerdevorentscheidungen angeforderten Unterlagen (Heiratsurkunde, Familienstandsbescheinigung, Einkommensnachweis der Gattin, Meldezettel aller Personen am Familienwohnsitz, Mietvertrag der Wohnung in W, Katasterauszug des Hauses in der Slowakei) innerhalb der gesetzten Frist vor.

Beweiswürdigung

Der Sachverhalt hinsichtlich der Wiederaufnahme des Verfahrens ist unstrittig; es handelt sich um eine reine Rechtsfrage.

Rechtslage

Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO idF FVwGG 2012 kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Die Änderungen des Wiederaufnahmerechts durch das FVwGG 2012 waren in erster Linie durch rechtspolitische (bzw. sogar verfassungsrechtliche) Bedenken gegen die Unterschiede bei der Wiederaufnahme auf Antrag und jener von Amts wegen bedingt; diese Änderungen beziehen sich nicht auf die Wortfolgen „gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist“ und „wenn Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen (bzw. neu hervorgekommen sind) und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte“ (vgl. Ritz, BAO6, § 303 Tz 1-3).

Die Neufassung des § 303 tritt mit in Kraft (nach § 323 Abs. 37). § 303 ist eine Verfahrensbestimmung. Sie gilt daher ab Inkrafttreten auch für die Wiederaufnahme vor ihrem Inkrafttreten mit Bescheid abgeschlossener Verfahren.

Rechtliche Erwägungen

Strittig ist, ob ein Wiederaufnahmegrund vorliegt.

Zu prüfen ist daher, ob nach dem im gegenständlichen Beschwerdefall zur Anwendung kommenden Tatbestand Tatsachen oder Beweismittel neu hervorgekommen sind.

Tatsachen sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände (zB ; ); also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis (als vom Bescheid zum Ausdruck gebracht) geführt hätten, etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Eigenschaften (zB ; ; ; ). Tatsachen sind nicht nur sinnlich wahrnehmbare Umstände, sondern auch innere Vorgänge, soweit sie rational feststellbar sind (Ansichten, Absichten oder Gesinnungen wie zB die Zahlungsunwilligkeit, ) (Ritz, BAO6, § 303 Tz 21).

Solche Tatsachen sind zB getätigte Ausgaben (die Betriebsausgaben, Werbungskosten, Sonderausgaben oder außergewöhnliche Belastungen sind) (Ritz, BAO6, § 303 Tz 22).

Maßgebend ist, ob der Abgabenbehörde in dem wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung gelangen hätte können (zB ; ; ; ; Ritz, BAO6, § 303 Tz 24). Die Wiederaufnahme auf Grund neu hervorgekommener Tatsachen oder Beweismittel bietet die Möglichkeit, bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen Rechnung zu tragen; sie dient aber nicht dazu, bloß die Folgen einer unzutreffenden rechtlichen Würdigung eines offengelegten Sachverhaltes zu beseitigen (). Wiederaufnahmegründe sind nur im Zeitpunkt der Bescheiderlassung existente Tatsachen, die später hervorkommen (nova reperta). Später entstandene Umstände (nova producta) sind keine Wiederaufnahmegründe (zB ; ) (Ritz, BAO6, § 303 Tz 30).

Die Wiederaufnahmegründe für die Wiederaufnahme auf Antrag sind dieselben wie für eine amtswegige Wiederaufnahme. Der Neuerungstatbestand (§ 303 Abs. 1 lit b idF FVwGG 2012) fordert, dass (entscheidungsrelevante) Tatsachen oder Beweismittel im (abgeschlossenen Verfahren neu hervorkommen. Gemeint ist in jenem Verfahren, das bereits durch Bescheid abgeschlossen ist. Nach bisheriger Judikatur (zu § 303 Abs. 4 BAO aF) ist das Hervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens zu sehen (vgl. zB ). Maßgebend ist der Wissensstand der Abgabenbehörde, bezogen auf die Aktenlage im Zeitpunkt der Erlassung des das Verfahren abschließenden Bescheides (vgl. zB ; ; ). Weder der neue Wortlaut des § 303 noch die Gesetzesmaterialien zum FVwGG 2012 deuten darauf hin, dass diese Rechtslage geändert werden sollte. Daher ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens (wie bisher) ausgeschlossen, wenn der Abgabenbehörde im wiederaufzunehmenden Verfahren bei richtiger rechtlicher Beurteilung zu der Entscheidung gelangen hätte können, die nunmehr in einem wiederaufgenommenen Verfahren erlassen werden soll (vgl. zB ; ; Ritz, BAO6, § 303 Tz 45, 46).

Wenn die belangte Behörde vermeint, es bestünden keine Wiederaufnahmegründe, so ist dies nicht richtig. Maßgebend ist nicht, dass die Tatsachen aus Sicht des Beschwerdeführers neu hervorgekommen sind, sondern der Wissensstand der Abgabenbehörde bezogen auf die Aktenlage im Zeitpunkt der Erlassung des das Verfahren abschließenden Bescheides.

Letztendlich sind durch das finanzbehördliche Ermittlungsverfahren im Rahmen der Erstellung der Beschwerdevorentscheidungen wesentliche Grundlagen, die für die Gewährung von Familienheimfahrten und doppelter Haushaltsführung sprechen, hervorgekommen. Aus den dem Finanzamt ursprünglich lediglich vorliegenden Erklärungen zur Arbeitnehmerveranlagung waren die näheren Umstände einer doppelten Haushaltsführung nicht ersichtlich. Es liegen nunmehr neu hervorgekommene Tatsachen im Sinne des § 303 BAO vor, sodass eine Wiederaufnahme des Verfahrens möglich ist.

Ein Verschulden der Partei an der behördlichen Unkenntnis entscheidungsrelevanter Umstände (zB an der Nichtgeltendmachung von Betriebsausgaben in der Abgabenerklärung) stellt idR keinen Grund dar, eine sich zu Gunsten der Partei auswirkende Wiederaufnahme des Verfahrens zu unterlassen. Ein solches (grobes) Verschulden steht der Bewilligung einer Wiederaufnahme als Folge der Neufassung des § 303 Abs. 1 durch das FVwGG 2012 nicht mehr entgegen (Ritz, BAO6, § 303 Tz 34).

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im gegenständlichen Fall wird über den Wiederaufnahmegrund gemäß § 303 Abs. 1 lit b BAO abgesprochen. Es liegt eine einheitliche Rechtsprechung vor. Eine Revision ist demnach nicht zulässig. Eine Revision ist demnach nicht zulässig.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 303 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.7102329.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at