Bescheidbeschwerde – Einzel – Beschluss, BFG vom 14.01.2020, RV/5101732/2019

Keine Zulässigkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei zur Fristversäumnis führender mangelhafter Kanzleiorganisation des steuerlichen Vertreters

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/5101732/2019-RS1
Wird seitens des steuerlichen Vertreters der tatsächliche Ausgang eines fristgebundenen Schriftstücks (hier: Behebung eines Mängelbehebungsauftrags) erst Tage nach Fristablauf, und das offenbar auch eher "zufällig" und somit keinesfalls systematisch, kontrolliert, liegt in der Kanzlei keine zielgerichtete Kontrolle der Einhaltung von wichtigen, zum Verlust von Rechten führenden Fristen wie auch der Ablage von Poststücken und somit eine ausgesprochen nachlässige Kanzleiorganisation vor. Bei einem derartig mangelhaften Kontrollsystem, welches Fristversäumnissen gleichsam Tür und Tor öffnet, kann von einer leichten Fahrlässigkeit nicht die Rede sein.

Entscheidungstext

BESCHLUSS

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag. Bernhard Renner über den Antrag vom auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Behebung des Mangels im Antrag vom  auf Vorlage der Beschwerde  vom gegen die Bescheide über die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Feststellungsbescheide Gruppenträger 2013 und 2014, jeweils vom , auf Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht (Vorlageantrag) der AntrSt,

beschlossen:

Entscheidungsgründe

Verfahrensablauf und Sachverhalt

Der von der antragstellenden Kapitalgesellschaft im Wege ihres steuerlichen Vertreters am eingebrachte Vorlageantrag betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Feststellungsbescheide Gruppenträger 2013 und 2014 vom enthielt keine Bezeichnung der Beschwerdevorentscheidung, gegen den er sich gerichtet hatte.

Das Bundesfinanzgericht trug unter Hinweis auf die Bestimmung des § 264 Abs 1 Satz 2 BAO , wonach ein Vorlageantrag die Bezeichnung der Beschwerdevorentscheidung(en), gegen die er sich richtet, zu enthalten hat und dass für den Fall, dass in einem Vorlageantrag die Bezeichnung der Beschwerdevorentscheidungen als erforderliche Formalvoraussetzung fehle (vgl ErlBem zur RV 2. AbgÄG 2014, BGBl I Nr 105/2014, 360 der Beilagen XXV. GP, S 23 zu Artikel 9 zu Z 4), ein inhaltlicher Mangel vorliege und mit Mängelbehebungsauftrag vorzugehen sei (Verweis auf Ritz, BAO6 [2017] § 264 Tz 4a mwN) der Antragstellerin mit Beschluss vom auf, innerhalb einer Frist von zwei Wochen ab dessen Zustellung diesen Mangel insoweit zu beseitigen, als die Beschwerdevorentscheidung zu bezeichnen sei und verwies darauf, dass nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist der Vorlageantrag als zurückgenommen gelte; würden hingegen die Mängel rechtzeitig und vollständig behoben, gelte der Vorlageantrag gemäß § 85 Abs 2 BAO als ursprünglich richtig eingebracht.

Da die Beschwerdeführerin der Behebung dieses Mangels innerhalb der vom Bundesfinanzgericht gesetzten Frist unstrittig nicht nachgekommen ist, erklärte das Bundesfinanzgericht mit Beschluss vom , GZ RV/5101445/2017, die Beschwerde für zurückgenommen, sodass die ursprünglich bekämpften Bescheide in Rechtskraft erwuchsen.

Die Antragstellerin hatte ihrerseits bereits am , also zwar nach Ablauf der Frist zur Mängelbebung, jedoch noch vor Erlassung des og Beschlusses betr Zurückgenommenerklärung, im Wege ihres steuerlichen Vertreters die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Behebung des Mangels im oben angeführten Vorlageantrag beantragt. Sie führte dazu unter Hinweis auf die Bestimmung des § 308 Abs 1 BAO zur Begründung aus, dass dem bevollmächtigtem Parteienvertreter der Mängelbehebungsauftrag des Bundesfinanzgerichts vom am zugestellt und die darin angesprochene Frist "kanzleiüblich vorgemerkt" worden sei. Vor dem Fristende, nämlich am , sei die Mängelbehebung in Form eines Telefaxes an das Bundesfinanzgericht, Außenstelle Linz vom steuerlichen Vertreter vorbereitet worden und hätte mit dem Postausgang spätestens am abgesandt werden sollen. Bei Durchsicht der in seiner Kanzlei für Zwecke der Dokumentation geführten Druckprotokolle am habe der steuerliche Vertreter feststellen müssen, dass der Faxausgang am fehle. Als er dem nachgegangen sei, habe er dieses Telefax bereits im Rechtsmittelordner der Antragstellerin abgelegt gefunden. Daraus könne der steuerliche Vertreter nur ableiten, dass er (selbst) das vorbereitete Fax in dem dafür vorgesehenen Pultordner, der täglich von seinem Sekretariat entleert werde, irrtümlich unter den Abschnitt "Ablage", welcher sich unmittelbar hinter dem Abschnitt "Zur Post" befinde, eingereiht habe. "Eine Dame aus dem Sekretariat" (welche allerdings namentlich nicht genannt worden ist) habe sodann das Telefax im Rechtsmittelordner der Antragstellerin abgelegt. Zur Veranschaulichung sei er gerne bereit, den Pultordner vorzulegen. Das von ihm am verfasste Telefax (Anmerkung des beschlussfassenden Richters: Eingabe, mit welcher der Mängelbehebungsauftrag erfüllt werden sollte) überreiche er in der Anlage. Der dargestellte Sachverhalt stelle ein Versehen seiner Person dar, welches „völlig unvorhergesehen“ eingetreten sei. Er sei der "festen Meinung gewesen", die Mängelbehebung innerhalb der vorgegebenen Frist beim Bundesfinanzgericht eingereicht zu haben.

Weiters holte der steuerliche Vertreter der Antragstellerin in dieser Eingabe die von ihm unterlassene Bezeichnung der Beschwerdevorentscheidungen, gegen die sich der Vorlageantrag ursprünglich gerichtet hatte insoweit nach, als er bekanntgab, dass sich der Vorlageantrag gegen die Beschwerdevorentscheidung betreffend die Beschwerde vom gegen die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Feststellungsbescheide Gruppenträger für die Jahre 2013 und 2014 des Finanzamts Kirchdorf Perg Steyr vom richte.

Rechtslage

§ 308 Abs 1 BAO lautet:

"Gegen die Versäumung einer Frist (§§ 108-110) oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt."

§ 308 Abs 3 BAO lautet:

"Der Antrag auf Wiedereinsetzung muss binnen einer Frist von drei Monaten nach Aufhören des Hindernisses bei der Behörde (Abgabenbehörde oder Verwaltungsgericht), bei der die Frist wahrzunehmen war bzw. bei der die Verhandlung stattfinden sollte, eingebracht werden. Bei Versäumnis einer Beschwerdefrist (§ 245) oder einer Frist zur Stellung eines Vorlageantrages (§ 264) gilt § 249 Abs. 1 dritter Satz sinngemäß. Im Fall der Versäumung einer Frist hat der Antragsteller spätestens gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag die versäumte Handlung nachzuholen."

Erwägungen

Der steuerliche Vertreter der Antragstellerin hat das Schreiben zur Beseitigung des im entsprechenden Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom dargelegten Mangels (Mängelbehebungsauftrag) zwar offenkundig fristgerecht verfasst, aber sodann - offenbar irrtümlich - einen Tag vor Fristende (Montag) in einem Fach eines "Pultordners", in dem sich nicht die zur Abfertigung bzw zum Postausgang vorgesehenen Schriftstücke befinden, sondern in jenem Fach, in dem sich die bereits abgefertigten Schriftstücke befinden, abgelegt, sodass dieses Schreiben nicht, wie offenbar geplant, (im Wege eines Telefaxes) an das Bundesfinanzgericht übermittelt worden ist. Am letzten Tag der Frist (Dienstag) wurde das (nicht abgesandte) Schriftstück von einer Angestellten des steuerlichen Vertreters im Kanzleiakt der Antragstellerin abgelegt, ohne dass eine (leicht zu bewerkstelligende) Kontrolle erfolgte, ob dieses Schriftstück tatsächlich abgesandt worden sei, dh sich im Postausgang des Telefax-Gerätes befinde. Erst zwei Tage nach Ablauf der Frist (Donnerstag) hat der steuerliche Vertreter selbst bei einer Kontrolle des Postausgangs festgestellt, dass der Mängelbehebungsauftrag nicht abgesandt worden sei, was für ihn seiner Ansicht nach insoweit ein völlig unvorhergesehenes Ereignis dargestellt habe, als er der "festen Meinung gewesen" sei, die Mängelbehebung fristgerecht eingereicht zu haben.

Wie die Antragstellerin bzw deren steuerlicher Vertreter somit selbst einräumt, wurde damit eine Frist, nämlich jene, Mängel im Vorlageantrag zu beheben, jedenfalls versäumt. Der aus diesem Grund eingebrachte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war zwar dem Grunde nach fristgerecht und die Antragstellerin hat weiters die von ihr versäumte Handlung, nämlich die Behebung des ursprünglichen Mangels, zwischenzeitig nachgeholt.

Zu klären gilt es somit, ob die Antragstellerin, so wie von ihr behauptet, einerseits durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die ursprüngliche Frist, einen Mangel im Vorlageantrag zu beheben, einzuhalten und ob andererseits lediglich ein minderer Grad des Versehens im Hinblick auf die Versäumung der Frist vorgelegen ist.

Nach Ansicht des beschlussfassenden Richters lag bereits kein unvorhergesehenes bzw unabwendbares Ereignis hinsichtlich der Versäumung der Frist vor. Unvorhergesehen wäre ein Ereignis nämlich nur dann, wenn es die Partei nicht einberechnet hat und sie dessen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf die ihr persönlich zumutbare Aufmerksamkeit und Vorsicht nicht erwarten konnte (vgl Ritz, BAO6 [2017] § 308 Tz 9 mwN). Unabwendbar ist ein Ereignis dann, wenn es die Partei mit den einem Durchschnittsmenschen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten und Mitteln nicht verhindern konnte (vgl Ritz, BAO6 [2017] § 308 Tz 910mwN). Der Umstand, dass ein verfasstes Schriftstück nicht abgefertigt bzw versandt, sondern infolge Nachlässigkeit an einer falschen Stelle abgelegt wird, erfüllt allerdings als Ereignis jedoch für sich gesehen diese Voraussetzungen nicht, wäre dies doch jedenfalls grundsätzlich vorhersehbar und bei gehöriger Sorgfalt auch abwendbar gewesen, selbst wenn es nicht dem üblichen Geschehensverlauf entsprechen mag. Folgt man der Argumentation des steuerlichen Vertreters, könnte nämlich jede Nachlässigkeit zur Unabwendbarkeit eines Ereignisses (hier: Fristversäumnis) führen. Somit steht bereits dieses Tatbestandsmerkmal einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entgegen.

Der Vollständigkeit halber sei aber auch noch auf die weitere Voraussetzung, welche für eine positive Erledigung eines Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens vorliegen muss, nämlich ein bloß minderer Grad des Versehens eingegangen.

Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit iSd § 1332 ABGB zu verstehen. Leichte Fahrlässigkeit liegt vor, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht. Keine leichte Fahrlässigkeit liegt vor, wenn jemand auffallend sorglos handelt. Auffallend sorglos handelt, wer die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und nach den persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht lässt. An rechtskundige Parteienvertreter ist hiebei ein strengerer Maßstab anzulegen als an am Verfahren beteiligte rechtsunkundige Parteien (Ritz, BAO6 [2017], § 308 Tz 14 ff; ). Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH ist das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten (; ).

Der vom steuerlichen Vertreter in diesem Zusammenhang vorgebrachte Sachverhalt, welche zur Fristversäumnis geführt hat, spricht diesbezüglich die von der Judikatur in zahlreichen Entscheidungen behandelte Thematik der "Kanzleiorganisation", somit eine besondere Problematik eines allfälligen Verschuldens, an; ein insoweit bloß minderer Grad des Verschuldens im Sinne einer leichten Fahrlässigkeit () würde insoweit eine Wiedereinsetzung nicht ausschließen. Diesbezüglich hat der VwGH wiederholt ausgesprochen, dass der Parteienvertreter die Organisation des Kanzleibetriebes so einzurichten hat, dass die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Wahrung von Fristen sichergestellt sind (vgl zB Erkenntnisse  vom , 2006/13/0058, , 2009/15/0024 bzw , 2007/16/0160). Der VwGH hat wiederholt ausgesprochen, dass der Parteienvertreter die Organisation des Kanzleibetriebes so einzurichten hat, dass die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Wahrung von Fristen sichergestellt sind (vgl zB Erkenntnisse  vom , 2006/13/0058, , 2009/15/0024 bzw , 2007/16/0160). Maßgebend ist somit, ob dem Parteienvertreter etwa grobe Mängel der Kanzleiorganisation anzulasten sind (Ritz, BAO6 [2017] § 308 Tz 17 mwN). Zur Kanzleiorganisation gehört zB die Führung eines Fristenvormerks (vgl zB -0249; zum Fristenkalender ; , 98/14/0155, 0174; , 2002/15/0109; zum Fristenbuch , 0020; , 2005/17/0200, AW 2005/17/0035; bei EDV-System ; , 97/19/0331). Die vom steuerlichen Vertreter an den Tag gelegte Vorgangsweise offenbart anschaulich, dass in seiner Kanzlei keinerlei zielgerichtete Kontrolle der Einhaltung von wichtigen, zum Verlust von Rechten führenden, Fristen wie auch der Ablage von Poststücken stattgefunden hat und somit eine ausgesprochen nachlässige Kanzleiorganisation vorliegt, wurde doch der tatsächliche Ausgang des Schriftstücks, mit welchem dem vom Bundesfinanzgericht erteilten Mängelbehebungsauftrag nachgekommen werden sollte, erst Tage nach Fristablauf, und das offenbar auch eher "zufällig" und somit keinesfalls systematisch, kontrolliert. Bei einem derartig mangelhaften Kontrollsystem, welches Fristversäumnissen gleichsam Tür und Tor öffnet, kann aber von einer leichten Fahrlässigkeit nicht die Rede sein.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher einerseits mangels Vorliegens eines unvorhergesehenen bzw unabwendbaren Ereignisses als auch infolge eines nicht bloß minderen Grad des Verschuldens des steuerlichen Vertreters, welches die Antragstellerin gegen sich gelten lassen muss, abzuweisen.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen einen Beschluss des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil der Beschluss von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Angesichts der og Anforderungen an ein Kanzleisystem, welche der VwGH in ständiger Rechtsprechung judiziert und welchen der steuerliche Vertreter der Antragstellerin jedenfalls nicht nachgekommen ist, lag keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd der erwähnten Tatbestandsmerkmale vor. Eine Revision an den VwGH war daher nicht zuzulassen.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 308 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise



ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.5101732.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at