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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 04.02.2020, RV/7102887/2019

Haftungsbescheid: Haftung für Lohnsteuer

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht erkennt durch die Richterin Mag. Mirha Karahodzic MA über die Beschwerde des ***, ***, vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 1/23 vom , betreffend Inanspruchnahme zur Haftung gemäß § 9 iVm § 80 BAO zu Recht: 

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben und die Haftung auf nachstehende Abgaben im Gesamtbetrag von EUR 39.530,44 eingeschränkt:


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Abgabenart
Zeitraum
Betrag (in EUR)
Lohnsteuer
07/13
4.758,26
Lohnsteuer
08/13
8.819,13
Lohnsteuer
09/13
1.139,34
Lohnsteuer
10/13
10.912,40
Lohnsteuer
11/13
13.901,31

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

II. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang:

Mit Haftungsbescheid vom wurde der Beschwerdeführer als ehemaliger Geschäftsführer der Firma **A** GmbH in Liquidation (im Folgenden: Primärschuldnerin oder GmbH), FN ***, als Haftungspflichtiger gemäß § 9 iVm § 80 BAO für noch ausstehende Abgabenschuldigkeiten in Anspruch genommen und aufgefordert, folgende Beträge innerhalb eines Monats ab Zustellung des Bescheides zu entrichten:

Lohnsteuer 07/13 iHv EUR 6.797,51,-,

Lohnsteuer 08/13 iHv EUR 12.598,75,-

Lohnsteuer 09/13 iHv EUR 1.627,63,-,

Lohnsteuer 10/13 iHv EUR 15.589,14,-

Lohnsteuer 11/13 iHv EUR 19.859,02,-,

in Summe sohin EUR 56.472,05,-.

Begründend wurde ausgeführt, dass durch die Nichtentrichtung der fälligen Lohnsteuer von einer schuldhaften Pflichtverletzung auszugehen sei. Mit Schreiben vom sowie vom sei der Beschwerdeführer aufgefordert worden, darzulegen, dass er ohne sein Verschulden gehindert gewesen sei, für die Entrichtung der haftungsgegenständlichen Abgaben zu sorgen (Haftungsvorhalt). In seiner Stellungnahme dazu vom sei hinsichtlich anderer Abgabenschuldigkeiten die Gläubigergleichbehandlung glaubhaft dargelegt worden, allerdings sei festzuhalten, dass die Lohnsteuer vom Gleichbehandlungsgrundsatz ausgeschlossen sei. Reichen die einem Vertreter zur Verfügung stehenden Mittel nicht auch für die Entrichtung der auf die ausbezahlten Löhne entfallende Lohnsteuer aus, so dürfe der Vertreter nur einen entsprechend niedrigeren Betrag zur Auszahlung bringen. Weiters sei der Rückstand bei der Primärschuldnerin als uneinbringlich anzusehen.

Mit Schreiben vom erhob der Beschwerdeführer Beschwerde gegen den Haftungsbescheid und führte dazu aus, die beigefügten Saldenlisten zeigten die Geschäftsjahre 2012 mit EUR 3 Millionen Umsatz und 2013 mit EUR 3,7 Millionen Umsatz. Per Mitte 2013 sei zudem ein zusätzlicher Rahmenvertrag über EUR 1,4 Millionen vereinbart worden bzw. seien weitere Kundenapplikationen vor dem Abschluss gestanden, sodass eine Umsatzverdoppellung gegenüber 2012 für 2014 plausibel gewesen sei. Auf Basis dieser Geschäftsentwicklung sei eine letzte Kapitalerhöhungsrunde per Mitte 2013 vom Beschwerdeführer vorbereitet worden. Die Verhandlungen darüber hätten sich durch eine Diskussion über den Firmenwert und die damit verbundenen Anteilsverschiebungen bis in den November 2013 hingezogen, obwohl die Kapitalerhöhung bereits im September 2013 umgesetzt hätte werden sollen. Die Kapitalerhöhung selbst sollte EUR 1,4 Millionen betragen, alle Altverbindlichkeiten abtragen und die Firma bis zum Break Even samt erforderlicher Investitionen ausfinanzieren. Dies sei die Grundlage der Entscheidung des Beschwerdeführers gewesen, die Lohnabgaben erst später abzuführen. Im November/Dezember 2013 sei von vier Gesellschaftern der Plan gefasst worden, dem Beschwerdeführer als geschäftsführenden Gesellschafter die Liquidation des Unternehmens im Rahmen der letzten Gesellschafterversammlung per Mehrheitsbeschluss vorzugeben, um dann in der Folge mit einer bereits bestehenden Auffanggesellschaft Assets aus der Masse anzukaufen. Wirtschaftlich habe dies bedeutet, dass die vier Gesellschafter das prosperierende Unternehmen zu gleichen Teilen übernehmen wollten und die restlichen Gesellschafter einen Totalverlust erleiden sollten. Der Masseverwalter habe dies mit einer Fortführung der Gesellschaft bzw. mit einem Verkauf an Dritte verhindern wollen. Ein Verkauf an Dritte sei mit Mitte 2014 erfolgt. Der Beschwerdeführer habe dabei einen sehr wesentlichen Teil seines Vermögens verloren, alle Gesellschafter hätten in Summe rund EUR 10 Millionen an Verlust zu verzeichnen gehabt.

Zur Haftung betreffend Lohnsteuer 7-11 / 2013: Im Zuge des Insolvenzverfahrens seien dem Masseverwalter die Anträge auf Vergütung der Energieabgaben 2012 und 2013 zur Einreichung übergeben worden. Faktum sei jedoch, dass die Vergütung für Energieabgaben betreffend das Jahr 2012 iHv EUR 19.492,58 und für das Jahr 2013 iHv EUR 21.926,60, sohin in Summe EUR 41.419,18, jedenfalls dem Abgabenkonto der **A** GmbH gutzubringen gewesen wäre und sich damit der Schaden aus den aushaftenden Lohnsteuerbeträgen 7-11/2013 entsprechend reduziert hätte. Weiters wäre die Gutbringung der Forschungsprämie für 2011 und 2012 in Höhe von rund EUR 50.000- 55.000 ebenfalls Saldo reduzierend anzuführen. Eine Ermittlung der Forschungsprämie für 2013 könnte anhand bestehender Unterlagen sehr aufwendig rekonstruiert werden. Aus dem Vorbringen sei jedenfalls ersichtlich, dass ein Abgabenausfall bei Anrechnung der Energieabgabenvergütung 2012 und 2013 sowie der Forschungsprämie 2013 nicht gegeben sei, weshalb auch keine Haftung des Beschwerdeführers für die Lohnsteuer 7-11/2013 bestehe.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Zusammengefasst wurde ausgeführt, die Fälligkeiten der haftungsgegenständlichen Lohnsteuer lägen zwischen und , sohin in einem Zeitraum in dem der Beschwerdeführer selbstständig vertretungsbefugter Geschäftsführer der GmbH gewesen sei. Die Lohnsteuer unterliege nicht dem Gleichbehandlungsgrundsatz, sodass die einbehaltene Lohnsteuer zur Gänze zur späteren Abfuhr zu verwenden sei, was der Beschwerdeführer nicht getan habe. Soweit das Vorbringen die Rechtmäßigkeit der Abgabenfestsetzung betreffe, vermögen die vom Haftungspflichtigen für erforderlich gehaltenen Gutschriften an der Rechtmäßigkeit der Haftung gegenständliche Lohnsteuer nichts zu ändern. Die schuldhafte Pflichtverletzung bestehe bereits in der Nichtentrichtung der Lohnsteuer zum Fälligkeitstag, die auch nicht durch eine allfällige Tilgung nach Geltendmachung der Haftung beseitigt würde.

Mit Schreiben vom begehrte der Beschwerdeführer eine Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht. Darin führte er neuerlich aus, er gehe davon aus, dass die Energieabgabenrückvergütungen und in späterer Folge auch die Forschungsprämie jedenfalls dem Abgabenkonto gutzubringen seien und damit technisch eine Aufrechnung mit den Lohnabgaben erfolgt wäre, dem Staat somit kein Schaden entstanden sei.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Der Beschwerdeführer war vom bis TT. Jänner 2018 selbständig vertretungsbefugter Geschäftsführer der Firma **A** GmbH und vom TT. Jänner 2018 bis TT. April 2018 Liquidator der GmbH in Liquidation.

Die **A** GmbH zahlte im Zeitraum 07/2013 bis 11/2013 Löhne aus, es erfolgte jedoch keine Abfuhr der folgenden Lohnabgaben durch die genannte Gesellschaft:

  • Lohnsteuer 07/13 iHv EUR 6.797,51, fällig am

  • Lohnsteuer 08/13 iHv EUR 12.598,75, fällig am

  • Lohnsteuer 09/13 iHv EUR 1.627,63, fällig am

  • Lohnsteuer 10/13 iHv EUR 15.589,14, fällig am

  • Lohnsteuer 11/13 iHv EUR 19.859,02, fällig am ,

in Summe sohin EUR 56.472,05.

Diese Abgaben sind bei der GmbH uneinbringlich.

2. Beweiswürdigung

Die getroffenen Feststellungen gründen sich auf die vorgelegten Aktenteile, insbesondere Haftungsbescheid und Rückstandsausweis, sowie die Einsicht in das Firmenbuch zur FN *** und in das Abgabenkonto der GmbH. Der Beschwerdeführer selbst hat nicht bestritten, dass die GmbH Löhne ausgezahlt hat, sondern nur dargelegt, warum beabsichtigt gewesen sei, die Lohnabgaben "später" abzuführen. Anhaltspunkte, dass im strittigen Zeitraum gar keine Löhne ausgezahlt worden wären, gibt es nicht. Dass die Lohnabgaben uneinbringlich sind, ergibt sich aus dem Umstand, dass mit Beschluss des HG Wien vom ***, ***, der Konkurs über das Vermögen der **A** GmbH eröffnet und die Gesellschaft infolge Eröffnung des Konkursverfahrens aufgelöst wurde. Mit Beschluss des HG Wien vom ***, wurde der Konkurs nach Schlussverteilung aufgehoben und die Gesellschaft am TT. April 2018 gemäß § 40 FBG infolge Vermögenslosigkeit amtswegig im Firmenbuch gelöscht.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

3.1.1. Rechtslage

§ 9 Abs. 1 BAO lautet:

"Die in den §§ 80 ff. bezeichneten Vertreter haften neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können."

§ 20 BAO lautet:

"Entscheidungen, die die Abgabenbehörden nach ihrem Ermessen zu treffen haben (Ermessensentscheidungen), müssen sich in den Grenzen halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen."

§ 80 Abs. 1 BAO lautet:

"Die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen haben alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen.
Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden."

§ 224 Abs. 1 BAO lautet:

"Die in Abgabenvorschriften geregelten persönlichen Haftungen werden durch Erlassung von Haftungsbescheiden geltend gemacht. In diesen ist der Haftungspflichtige unter
Hinweis auf die gesetzliche Vorschrift, die seine Haftungspflicht begründet, aufzufordern,
die Abgabenschuld, für die er haftet, binnen einer Frist von einem Monat zu entrichten."

Nach § 79 Abs. 1 EStG 1988 hat der Arbeitgeber die gesamte Lohnsteuer, die in einem Kalendermonat einzubehalten war, spätestens am 15. Tag nach Ablauf des Kalendermonates in einem Betrag an das Finanzamt der Betriebsstätte abzuführen.

§ 78 Abs. 3 EStG 1988 lautet:

„Reichen die dem Arbeitgeber zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung des vollen vereinbarten Arbeitslohnes nicht aus, so hat er die Lohnsteuer von dem tatsächlich zur Auszahlung gelangenden niedrigeren Betrag zu berechnen und einzubehalten.“

3.1.2. Nach der im Folgenden näher dargestellten, ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Geltendmachung der Haftung nach § 9 Abs. 1 BAO
voraus, dass

  • die als haftungspflichtige in Frage kommende Person zum Personenkreis der §§ 80 ff. BAO gehört (Vertreterstellung),

  • eine uneinbringliche Abgabenforderung gegen den Vertretenen besteht (Uneinbringlichkeit),

  • ein Verschulden des Vertreters an der Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten desVertretenen vorliegt (Verschulden) und

  • die Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit ursächlich war (Kausalität).

3.1.2.1. Zur Vertreterstellung:

Primär ist jener Vertreter, der mit der Besorgung der Abgabenangelegenheiten betraut ist, zur Haftung heranzuziehen. Der Beschwerdeführer wie festgestellt im Zeitraum von bis TT. Jänner 2018 bzw. TT. Jänner 2018 bis TT. April 2018 gesetzlicher Vertreter der Primärschuldnerin und im Jahr 2013, in dem die Fälligkeit der gegenständlichen Lohnsteuern lag, jedenfalls selbständig vertretungsbefugt. Der Beschwerdeführer gehörte damit zum Personenkreis der §§ 80 ff. BAO. Zu seinen Pflichten als Geschäftsführer der GmbH gehörte es daher, die abgabenrechtlichen Verpflichtungen der Gesellschaft wahrzunehmen und für die Entrichtung der Abgaben aus den verwalteten Mitteln zu sorgen (siehe zB ; , 2006/13/0121; , 2008/15/0085).

3.1.2.2. Zur Uneinbringlichkeit der Abgaben:

Die Haftung nach § 9 BAO ist eine Ausfallshaftung. Voraussetzung ist die objektive Uneinbringlichkeit der betreffenden Abgaben im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Haftenden (). Uneinbringlichkeit liegt vor, wenn Vollstreckungsmaßnahmen erfolglos waren oder voraussichtlich erfolglos wären ().

Die Uneinbringlichkeit der gegenständlichen Abgabenschuldigkeiten (Lohnsteuer 07‑11/2013) ergibt sich zweifelsfrei aus dem Umstand, dass der Beschluss des HG Wien vom ***, mit dem der Konkurs über das Vermögen der Primärschuldnerin eröffnet wurde, nach Schlussverteilung am TT. Jänner 2018 aufgehoben und die Gesellschaft am TT. April 2018 gemäß § 40 FBG infolge Vermögenslosigkeit amtswegig im Firmenbuch gelöscht wurde.

3.1.2.3. Zum Verschulden:

Die Haftung nach § 9 BAO ist eine verschuldensabhängige Haftung. Voraussetzung ist daher ein Verschulden des Vertreters an der Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten der
vertretenen Gesellschaft.

Bei Selbstbemessungsabgaben wie den gegenständlichen ist für die Frage der Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten eines Vertreters des Abgabepflichtigen maßgebend, wann die Abgabe bei ordnungsgemäßer Selbstberechnung zu entrichten oder abzuführen gewesen wäre (vgl. ; , 2004/13/0146; , 2005/13/0095; , 2013/16/0208 ). Führt demnach ein Geschäftsführer als Vertreter der Gesellschaft geschuldete Abgaben nicht spätestens zum Fälligkeitstag ab, liegt eine objektive Verletzung der den Geschäftsführer treffenden abgabenrechtlichen Pflichten vor. Die Verschuldensprüfung hat dabei von der objektiven Richtigkeit der Abgabenfestsetzung auszugehen (vgl. ).

Den Geschäftsführer einer Gesellschaft, deren Abgaben nicht entrichtet worden und uneinbringlich geworden sind, trifft im Haftungsverfahren die Obliegenheit, darzulegen, weshalb er nicht dafür Sorge tragen konnte, dass die Gesellschaft die anfallenden Abgaben rechtzeitig entrichtet hat, widrigenfalls die Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung annehmen darf ().

Die gegenständlichen Lohnabgaben waren zwischen und fällig. Der Beschwerdeführer als Vertreterin der Primärschuldnerin hat keine Zahlungen geleistet und auch nicht dargetan, weshalb er nicht dafür Sorge tragen konnte, dass die Gesellschaft die anfallenden Abgaben rechtzeitig entrichtet . Mit seinem Beschwerdevorbringen hat er vielmehr dargetan, dass eine geplante Kapitalerhöhung Grundlage der Entscheidung des Beschwerdeführers gewesen sei, die Lohnabgaben erst „später“ abzuführen und es seines Erachtens zu Verrechnungen mit erwarteten Guthaben aus Energieabgabenvergütungen und Forschungsprämien kommen sollte, weshalb Ausfälle der Lohnsteuer gar nicht bestünden.

Verfügt der Vertretene über (wenn auch nicht ausreichende) Mittel, so darf der Vertreter bei der Entrichtung von Schulden Abgabenschulden aber nicht schlechter behandeln als die übrigen Schulden ("Gleichbehandlungsgrundsatz"; ). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt bei der Lohnsteuer der Gleichbehandlungsgrundsatz jedoch nicht zum Tragen; die Verpflichtung eines Vertreters nach § 80 BAO geht nämlich hinsichtlich der Lohnsteuer über das Gebot der gleichmäßigen Behandlung aller Schulden hinaus (; Ritz, BAO6, § 9 Tz 11d):

§ 78 verpflichtet den Arbeitgeber, bei jeder Lohnzahlung, also im Zeitpunkt des Zuflusses an den Arbeitnehmer, Lohnsteuer einzubehalten (Jakom/Lenneis EStG, 2017, § 78 Rz 1, mit Verweis auf ). Aus der Bestimmung des § 78 Abs. 3 EStG 1988, wonach in Fällen, in denen die dem Arbeitgeber zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung des vollen vereinbarten Arbeitslohnes nicht ausreichten, die Lohnsteuer von dem tatsächlich zur Auszahlung gelangenden niedrigeren Betrag zu berechnen und einzubehalten ist, ergibt sich nämlich, dass jede vom Geschäftsführer einer GmbH vorgenommene Zahlung voller vereinbarter Arbeitslöhne, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel nicht auch für die darauf entfallende Lohnsteuer ausreichen, eine schuldhafte Verletzung seiner abgabenrechtlichen Pflicht mit den Rechtsfolgen des § 9 Abs. 1 BAO darstellt ().

Die Auszahlung von Löhnen ohne korrekte Einbehaltung und Abfuhr der Lohnsteuer wie im vorliegenden Fall stellt daher in jedem Fall eine Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten dar (). Die auf ausbezahlte Löhne entfallenden Lohnsteuerbeträge sind somit unabhängig von einer Gleichbehandlung der anderen Gläubiger stets zu entrichten; die Nichtabfuhr der Lohnsteuer, die auf den ausbezahlten Arbeitslohn entfällt, kann nicht damit entschuldigt werden, dass die Geldmittel nicht ausgereicht haben.

Eine Geschäftsführerhaftung für Lohnsteuer besteht nur dann nicht, wenn wegen fehlender Mittel überhaupt keine Löhne mehr zur Auszahlung gelangt sind. Dafür gibt es im vorliegenden Fall aber keine Anhaltspunkte.

Wäre die Lohnsteuer unter Berücksichtigung der (ohnedies) zur Verfügung stehenden Mittel ordnungsgemäß einbehalten und abgeführt worden, hätte ein uneinbringlicher Rückstand an Lohnsteuer erst gar nicht entstehen können. Eine Verschuldensentkräftigung ist daher ausgeschlossen (vgl. Stoll, BAO, 129). Zahlungsschwierigkeiten, die die Gesellschaft nicht gehindert haben, Lohn zu zahlen, dürfen sie auch nicht hindern, die darauf entfallende Lohnsteuer einzubehalten und abzuführen. Stehen daher nur mehr beschränkte Mittel zur Verfügung, ist vor Durchführung der Lohnzahlung sicherzustellen, dass die auf die Löhne entfallende Lohnsteuer auch entrichtet werden kann. Ist dies nicht der Fall, muss die Lohnzahlung so weit reduziert werden, dass mit den vorhandenen Mitteln auch noch die auf diese eingeschränkte Lohnzahlung entfallende Lohnsteuer einbehalten und abgeführt werden kann.

Soweit der Beschwerdeführer mit seinen Beschwerdebehauptungen zum Unterbleiben der geplanten Kapitalerhöhung durch die Gesellschafter der GmbH darauf abzielen sollte, dass ihm keine ausreichenden Mittel zur Entrichtung der haftungsgegenständlichen Abgaben zur Verfügung gestanden wären und ihm daher die Erfüllung seiner abgabenrechtlichen Pflichten unmöglich gewesen wäre, ist ihm folgendes entgegenzuhalten:

Zum einen ist für die Haftung nach § 9 BAO ohne Bedeutung, ob den Vertreter ein Verschulden am Eintritt der Zahlungsunfähigkeit trifft (). Zum anderen kann die Nichtabfuhr der Lohnsteuer aber ohnedies nicht mit dem Hinweis auf das Fehlen ausreichender Mittel gerechtfertigt werden (), liegt die schuldhafte Pflichtverletzung des Beschwerdeführers doch bereits darin begründet, dass er von den Löhnen nicht einen entsprechend niedrigeren Betrag zur Auszahlung brachte, sodass die auf diese niedrigeren Löhne entfallende Lohnsteuer - ungeachtet der wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Primärschuldnerin - auch einbehalten und an das Finanzamt hätte abgeführt werden müssen. Die Lohnsteuer für die für den Zeitraum von Juli bis November 2013 ausbezahlten Löhne wäre jedenfalls zu den jeweiligen Fälligkeitszeitpunkten abzuführen gewesen.

Soweit das Beschwerdevorbringen die Rechtmäßigkeit der Abgabenfestsetzung betrifft, vermögen die vom Haftungspflichtigen für erforderlich gehaltenen Gutschriften aus der Vergütung der Energieabgaben für das Jahr 2011 und 2012 oder der Forschungsprämien an der Rechtmäßigkeit der Haftung gegenständliche Lohnsteuer nichts zu ändern: D ie Verpflichtung zur Entrichtung der Lohnsteuer besteht unabhängig von der Entstehung eines sich nach der Fälligkeit ergebenden Guthabens. Ob ein Entrichtungsversuch durch Abgabe von Erklärungen, die zu einem Guthaben am Abgabenkonto führen sollten, erfolgreich ist oder nicht, ändert nichts an der vorangegangenen Pflichtverletzung ().

3.1.2.4. Zur Kausalität:

Hat der Vertreter schuldhaft seine Pflicht verletzt, für die Abgabenentrichtung aus den Mitteln der Gesellschaft zu sorgen, so darf die Abgabenbehörde auch davon ausgehen, dass die Pflichtverletzung ursächlich für die Uneinbringlichkeit war (). Die Verletzung der Einbehaltungspflicht nach § 78 Abs. 1 EStG 1988 führte zur Uneinbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Lohnsteuer in der vom Finanzamt festgestellten Höhe. Hätte der Beschwerdeführer die Lohnsteuer bei der Auszahlung der Löhne einbehalten bzw. im Sinne des § 78 Abs. 3 BAO entsprechend niedrigere Löhne zur Auszahlung gebracht, wäre der Abgabenausfall nicht eingetreten. Diese Pflichtverletzung war somit auch kausal für die Uneinbringlichkeit ().

3.1.2.5. Zum Ermessen:

Die Inanspruchnahme zur Haftung liegt im Ermessen (§ 20 BAO). Dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" ist dabei die Bedeutung "berechtigte Interessen der Partei", dem Gesetzesbegriff "Zweckmäßigkeit" die Bedeutung "öffentliches Anliegen an der Einbringung der Abgaben" beizumessen. Wesentliches Ermessenskriterium ist die Vermeidung eines endgültigen Abgabenausfalles. Aus dem auf die Hereinbringung der Abgabenschuld beim Haftenden gerichteten Besicherungszweck der Haftungsnorm folgt, dass die Geltendmachung der Haftung in der Regel ermessenskonform ist, wenn die betreffende Abgabe beim Primärschuldner uneinbringlich ist. Die Uneinbringlichkeit bei der Primärschuldnerin steht als Folge des Konkursverfahrens fest. Bei der Ermessensübung ist zudem auf den Grad des Verschuldens des Haftenden Bedacht zu nehmen. Der Beschwerdeführer war alleiniger Geschäftsführer der Primärschuldnerin und war für die Entrichtung der Abgaben verantwortlich.

Eine allfällige derzeitige Uneinbringlichkeit der geltend gemachten Verbindlichkeiten beim Haftungspflichtigen schließt nicht aus, dass künftig neu hervor gekommenes Vermögen oder künftig erzielte Einkünfte zur Einbringlichkeit führen könnten (). Die Inanspruchnahme der Haftung in Ausübung des Ermessens ist mit dem derzeitigen, im Zeitpunkt der Erlassung des Haftungsbescheides vorhandenen Vermögen nicht begrenzt (). Die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Haftenden wie etwa dessen Vermögenslosigkeit und/oder Arbeitsunfähigkeit stehen nach der Rechtsprechung in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Geltendmachung der Haftung und können somit die Ermessensübung nicht beeinflussen ().

Ein langer Zeitabstand zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld oder der Feststellung der Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Primärschuldnerin einerseits und der bescheidmäßigen Inanspruchnahme zur Haftung andererseits ist ein Umstand, der bei der Inanspruchnahme zur Haftung im Sinne des Ermessens nicht außer Betracht gelassen werden darf ().

Auch wenn zwischen dem Zeitpunkt der endgültigen Feststellung der Uneinbringlichkeit der Abgaben und der Haftungsinanspruchnahme des Beschwerdeführers nur wenige Monate liegen, ist auf die lange verstrichene Zeit zwischen der Fälligkeit der Abgabenschuldigkeiten und der Haftungsinanspruchnahme zur Hintanhaltung von Unbilligkeiten bei der Ermessensübung Bedacht zu nehmen, sodass eine Reduzierung der Haftungsbeträge um 30% (sohin um EUR 2.039,25 betreffend Lohnsteuer 07/13; um EUR 3.779,63 betreffend Lohnsteuer 08/13; um EUR 488,29 betreffend Lohnsteuer 09/13; um EUR 4.676,74 betreffend Lohnsteuer 10/13 und um EUR 5.957,71 betreffend Lohnsteuer 11/13, sohin um insgesamt EUR 16.941,62) gerechtfertigt erscheint und der Beschwerde insoweit teilweise stattzugeben und der angefochtene Bescheid spruchgemäß abzuändern ist.

Da keine Gründe vorliegen, die für eine weitere Reduzierung der Haftungsbeträge bzw. gegen eine Inanspruchnahme des Beschwerdeführers als Haftenden gemäß §§ 9 iVm 80 BAO sprechen, ist die Beschwerde darüber hinaus als unbegründet abzuweisen.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Unzulässigkeit der Revision)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Die rechtlichen Voraussetzungen zur Inanspruchnahme zur Haftung sind durch die höchstgerichtliche Rechtsprechung hinreichend geklärt (vgl. 3.1.); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 9 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 20 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 80 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 224 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 79 Abs. 1 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
§ 78 Abs. 3 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.7102887.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at