TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 08.01.2020, RV/3100373/2019

Kein Eigenanspruch auf Familienbeihilfe mangels Vorliegens der Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Entscheidungstext

 

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R. in der Beschwerde­sache Bfin, Adr, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Innsbruck vom betreffend Abweisung der Anträge auf Zuerkennung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe

zu Recht erkannt: 

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach
Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

Mit den Formblättern Beih 1 und Beih 3 beantragte die Beschwerdeführerin am 9. No­vem­ber 2017 die Zuerkennung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages zur Familien­bei­hilfe als Eigenanspruch wegen Bestehens einer Suchterkrankung seit dem 16. Lebensjahr

Das Finanzamt wies die Anträge nach Einholung einer Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) mit Bescheid vom ab. Die Voraussetzungen für den Anspruch auf Familienbeihilfe lägen nicht vor, weil laut ärzt­lichem Gutachten vom keine dauernde Erwerbsunfähigkeit vor­liege .

Dagegen erhob die Beschwerdeführerin mit Eingabe vom die als Einspruch bezeichnete Beschwerde. Sie könne entgegen den Ausführungen im Bescheid nicht für ihren Lebensunterhalt sorgen, da eine 60-70%ige Behinderung festgestellt worden sei. Der begutachtende Arzt habe den Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe aufgrund ihrer früheren Lebenssituation befürwortet und de Befürwortung in einer erneuten tele­fo­nischen Absprache erneuert.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde als unbegründet ab. Aufgrund der Beschwerde sei nochmals ein ärztliches Gutachten vom Sozialministeriumservice angefordert worden. Im Gutachten vom sei eine 60%ige Behinderung ab aber keine dauernde Erwerbsunfähigkeit bescheinigt worden.

Mit Eingabe vom brachte die Beschwerdeführerin dagegen einen als Beschwerde bezeichneten Antrag auf Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht (Vorlageantrag) ein und begründete dies damit, dass es eben nicht so sei, dass sie für ihren Lebensunterhalt selber aufkommen könne. Sie bekomme seit Jahren die Mindestsicherung, was aufgrund ihrer Suchterkrankung und wegen anderer Gründe so bleiben werde, auch wenn sie das nicht wolle. Weil eine 60%ige Behinderung vorliege, habe sie ein Recht auf die erhöhte Familienbeihilfe. Laut Internetrecherche und Gespräch mit einem Anwalt würde ihr die erhöhte Familienbeihilfe ab einer 50%igen Behinderung zustehen.

Im Rahmen einer Vorsprache beim Bundesfinanzgericht am wurde die Beschwerdeführerin über die Rechtslage aufgeklärt und sie auf die Möglichkeit hingewiesen, dass sie das Gutachten anhand von weiteren Unterlagen und Nachweisen widerlegen könne. Eine Nachreichung weiterer Unterlagen erfolgte in der Folge nicht.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Gemäß § 6 Abs. 1 und 2 lit. d Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) haben volljährige Kinder einen Eigenanspruch auf Familienbeihilfe, wenn

"a) sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,

b) ihnen nicht Unterhalt von ihren Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist

und

c) für sie keiner anderen Person Familienbeihilfe zu gewähren ist.

und

sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und sich in keiner Anstaltspflege befinden."

Mit der Novelle durch BGBl. I Nr. 77/2018 wurde die Bestimmung mit Wirkung  wurde die Wortfolge "und sich in keiner Anstaltspflege befinden" wie folgt geändert:

"... und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, sofern die Vollwaise nicht einen eigen­ständ­igen Haushalt führt; dies gilt nicht für Vollwaisen, die Personen im Sinne des § 1 Z 3 und Z 4 des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, sind, sofern die Be­stim­mun­gen des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, auf sie Anwendung finden"

Nach § 8 Abs. 4 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes Kind, das erheblich behindert ist.

Als erheblich behindert gilt nach § 8 Abs. 5 FLAG 1967 ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Nach § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauern­de Un­fähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundes­am­tes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sach­ver­stän­digen­gut­achtens nachzuweisen.

§ 8 Abs. 4 bis 6 FLAG 1967 gilt nach § 8 Abs. 7 sinngemäß für Vollwaisen, die gemäß § 6 Anspruch auf Familienbeihilfe haben.

Nach den gesetzlichen Bestimmungen ist der Bezug der Familienbeihilfe somit Grund­vor­aus­setzung für die Gewährung des Erhöhungsbetrages wegen erheblicher Be­hin­de­rung (vgl. Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Rz 20). Steht die Fa­mi­lien­bei­hil­fe mangels Erfüllung der An­spruchs­vor­aus­setzungen oder wegen eines Aus­schluss­grun­des nicht zu, kann auch der Erhöhungsbetrag nicht gewährt werden.

Im gegenständlichen Fall kommt es daher darauf an, ob die am ********* ge­bo­rene Beschwerdeführerin wegen einer körperlichen oder geistigen Behinderung dauernd außer­stande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und dieser Umstand spätestens während ihrer Berufsausbildung, welche im Juli 2012 endete, eingetreten ist.

Der Nachweis betreffend die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unter­halt zu verschaffen, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Ver­wal­tungs­gerichts­hofes ge­mäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 in einem qualifizierten Verfahren durch ein ärzt­liches Gut­ach­ten zu führen (vgl. zB ).

Das Gutachten zu einer solchen Sachfrage ist die begründete Darstellung von Er­fah­rungs­sätzen und die Ableitung von Schlussfolgerungen für die tat­säch­liche Be­ur­teilung eines Geschehens oder Zustands auf der Basis des objektiv feststell­baren Sach­verhalts durch einen oder mehrere Sachverständige. Sachverständige haben da­bei fundierte und wissen­schaft­lich belegbare konkrete Aussagen zu treffen und dür­fen ihre Beurteilungen und Feststellungen nicht auf Spekulationen, sondern aus­schließ­lich auf die festgestellten Tatsachen verbunden mit ihrem fachspezifischen Wis­sen stüt­zen. Alleine die Möglichkeit, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt ein be­stimm­ter Sach­verhalt vorgelegen sein könnte, reicht dabei keinesfalls aus, diesen Sach­verhalt gutachterlich als gegeben anzusehen und zu bestätigen (vgl. RV/0309-I/11).

Bei der Beantwortung der Frage, ob die dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, bereits vor Juli 2012 eingetreten ist, ist die Be­hör­de bzw. im Instanzenzug das Bundesfinanzgericht grundsätzlich an das der Bescheinigung des Bun­des­amtes für Soziales und Behindertenwesen (Sozial­mini­sterium­service) zugrunde liegenden Gutachten gebunden und darf dieses nur insoweit prüfen, ob es schlüssig und vollständig ist (vgl. ; und die bei Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, zu FLAG § 8 Rz 29 zitierte Rechtsprechung). Die Bei­hilfen­be­hörden haben bei ihrer Entscheidung grundsätzlich von der durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung aus­zu­gehen (vgl. ).

Im Gutachten vom stellte der sachverständige Arzt auf Grundlage der ihm vorgelegten Befunde und Untersuchung fest, dass bei der Beschwerdeführerin aufgrund ihrer Suchterkrankung ein Gesamtgrad der Behinderung von 60 % vorliege, sie jedoch nicht dauernd außerstande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen und begründete dies damit, dass unter fortgesetzter Therapie wie einer neuerlichen Entzugs- und Entwöhnungsbehandlung eine weitere Besserung sowohl der Psychopathologie als auch der sozialen Integration und Arbeitsfähigkeit möglich sei.

Der leitende Arzt des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen stimmte dem Gutachten am zu.

Das im Rahmen der Beschwerde vom Finanzamt neuerlich befasste Sozial­mini­sterium­service bestätigte diese Einschätzung mit der Bescheinigung vom

Der Hinweis auf die früheren Lebensumstände vermögen der Beschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen, weil damit nicht nachgewiesen wird, dass die Krankheit vor Vollendung der angeführten Altersgrenzen in einer solchen Intensität vorgelegen hat, dass von einer Erwerbsunfähigkeit im Sinne des Familien­lasten­aus­gleichs­ge­setzes gesprochen werden kann.

Erst wenn eine Krankheit zu einer derart erheblichen Behinderung führt, welche einen Grad von mindestens 50 v.H. aufweist bzw. eine damit verbundene voraussichtliche dauernde Erwerbs­un­fähig­keit eingetreten ist, ist der Tatbestand des § 8 Abs. 5 FLAG 1967 erfüllt.

Somit kommt es weder auf den Zeitpunkt an, an dem sich die Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu (irgend) einer Be­hin­de­rung führt. Maßgeblich ist allein der Zeitpunkt, zu dem diejenige Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche die voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit nach sich zieht (vgl. , , , ).

In die Schlussfolgerungen und somit auch in die Schlüssigkeitsprüfung ist einzubeziehen, dass andere als behinderungskausale Gründe (zB mangelnde oder nicht spezifische Ausbildung, Arbeitsplatzsituation, Arbeitswilligkeit, uä) bei der Beurteilung ebenso wenig herangezogen werden dürfen, wie die Verschlechterung des Gesundheitszustandes nach Vollendung des 21. Lebensjahres bzw. spätestens nach Vollendung des 25. Lebensjahres bei Vorliegen einer Berufsausbildung (vgl. RV/0309-I/11).

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Recht­spre­chung des Verwaltungsgerichtshofes bei Begünstigungstatbeständen die Amts­we­gig­keit der Sachverhaltsermittlung gegenüber der Offenlegungspflicht des Be­günsti­gungs­werbers in den Hintergrund tritt; der Begünstigungswerber hat die Umstände darzulegen, auf die die abgabenrechtliche Begünstigung gestützt werden kann (vgl. Ritz, BAO6, § 115 Tz 10ff)

Die Pflicht zur amtswegigen Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes findet dort ihre Grenze, wo nach Lage des Falles nur die Partei Angaben zum Sachverhalt machen kann (; ). Es liegt in diesen Fällen vor allem am Antragsteller, den behaup­te­ten Sachverhalt, nämlich die eingetretene dauernde Unfähigkeit sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, klar und ohne Möglichkeit eines Zweifels nachzuweisen (vgl. auch  Lenneis in Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG § 8 Rz 32).

Das Sozialministeriumservice hat aufgrund des fachärztlichen Gutachtens nach der Aktenlage schlüssig begründet, dass eine vor­aus­sicht­liche dauernde Erwerbsunfähigkeit bei der Beschwerdeführerin nicht bestätigt werden kann.

Weitere Nachweise bzw. Unterlagen, die die vorliegenden Bescheinigungen in Bezug auf ihre Schlüssigkeit und Vollständigkeit in Zweifel zu ziehen vermögen, wurden nicht nachgereicht.

Im Ergebnis liegen die Voraussetzungen für einen zeitlich unbegrenzten Eigenanspruch auf (erhöhte) Familienbeihilfe nach § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967, nämlich der Nachweis des Vorliegens einer dauernden Un­fähig­keit, sich aufgrund einer körperlichen oder geistigen Behinderung selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine (schlüssige) Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Be­hin­derten­wesen (Sozial­ministerium­service ) auf Grund eines ärztlichen Sach­ver­stän­digen­gut­ach­tens nicht vor.

Mangels Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Grundbetrages der Fa­milien­bei­hilfe steht auch der Erhöhungsbetrag nicht zu.

Das Ergebnis der geltend gemachten Internetrecherche bzw. der behaupteten Auskunft eines Rechts­an­waltes , nämlich, dass bei einer 50%igen Behinderung jedenfalls die erhöhte Familienbeihilfe zu­ste­hen würde, ist betreffend eines volljährigen Kindes im Hinblick auf die obigen Ausführungen unvollständig.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Unzulässigkeit einer Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die für die Lösung des Beschwerdefalles bedeutsame Rechtsfrage ist durch die Recht­spre­chung des Verwaltungsgerichtshofes ausreichend beantwortet. Das Bundes­finanz­ge­richt ist davon nicht abgewichen. Tatsachenfragen sind einer Revision im Allgemeinen ohnehin nicht zugänglich. Die ordentliche Revision war daher als unzulässig zu erklären.

Innsbruck, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RV.3100373.2019

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at