Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 08.01.2020, RV/5100697/2019

Eigenanspruch auf erhöhte Familienbeihilfe

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R in der Beschwerdesache BF, über die Beschwerde vom , eingelangt am , gegen den Bescheid der belangten Behörde Finanzamt Linz vom zu VNR, mit dem ein Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe (Eigenantrag) für den Zeitraum ab 04/2013 abgewiesen wurde, zu Recht erkannt: 

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nichtzulässig.

Entscheidungsgründe

Sachverhalt

Am langte beim Finanzamt lediglich die erste Seite eines Formblattes Beih 1 ein, aus dem ersichtlich war, dass die am Datum1 geborene Beschwerdeführerin Bf die Zuerkennung der (erhöhten) Familienbeihilfe fünf Jahre rückwirkend ab Antragstellung begehrte (Eigenantrag).

Über Aufforderung des Finanzamtes wurden von der Beschwerdeführerin die fehlenden Seiten dieses Formblattes sowie das ausgefüllte Formular Beih 3 betreffend Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung nachgereicht. Die Beschwerdeführerin gab darin an, dass sie seit dem 9. Lebensjahr an einer schweren psychischen Erkrankung (paranoide Schizophrenie) leide, laut Behindertenausweis der Grad der Behinderung 80 % betrage und sie mit dem Rollstuhl fahre. Sie beziehe seit dem Jahr 2008 Pflegegeld, Stufe 3.

Das Finanzamt forderte daraufhin vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) eine Bescheinigung im Sinne des § 8 Abs. 6 FLAG an. Im ärztlichen Sachverständigengutachten vom wurde der Grad der Behinderung mit 80 % ab festgestellt (Pos.Nr. der Anlage zur Einschätzungsverordnung: posttraumatische Belastungsstörung, depressive Störung mit psychotischen Symptomen). Diese Einschätzung stützt sich auf den vorgelegten Behindertenpass vom August 2012 bzw. das dafür erstellte Vorgutachten. Eine weiter zurückreichende Einschätzung könne wegen fehlender Befundnachweise nicht erfolgen. Die Beschwerdeführerin sei dauernd erwerbsunfähig. Zur Frage des Zeitpunktes des Eintrittes der dauernden Erwerbsunfähigkeit wird im Gutachten ausgeführt, dass wegen fehlender Befunde nicht eingeschätzt werden könne, ob die dauernde Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr eingetreten ist. Die Beschwerdeführerin vollendete das 21. Lebensjahr am Datum2.

Daraufhin wies das Finanzamt mit Bescheid vom den Antrag vom auf Gewährung der Familienbeihilfe und des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung für den Zeitraum ab April 2013 ab. In der Begründung wurde auf die Bestimmung des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG und das Gutachten des Sozialministeriumservice verwiesen, in dem ein Eintritt der dauernden Erwerbsunfähigkeit vor Vollendung des 21. Lebensjahres nicht festgestellt worden sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde vom . Darin brachte die Beschwerdeführerin vor, dass sie im Alter von "15 Jahren" aus der Türkei nach Österreich gekommen sei. Bis dahin habe sie mit ihren drei Brüdern, ihrer Stiefmutter und ihrem Vater in einem Dorf in A gelebt. Sie sei das älteste Kind und die einzige Tochter. Ihre leibliche Mutter sei bei ihrer Geburt gestorben. Sie habe es als Mädchen in der Türkei sehr schwer gehabt. Ihr Vater und ihre Brüder seien strenge Moslems. Ihr Vater (Alkoholiker), ihre Stiefmutter und ihr Stiefbruder hätten sie „lebenslang“ geschlagen und gequält. Sie sei seit ihrem neunten Lebensjahr psychisch krank und leide an paranoider Schizophrenie, Wahnvorstellungen, Halluzinationen, Hören von Stimmen, Verfolgungswahn. In der Türkei sei diese Krankheit tabu. Ihre Familie und die Landbevölkerung in A hätten diese schwere Erkrankung nicht wahrgenommen. Sie habe mit ca. zehn Jahren ihrem Vater und ihrer Stiefmutter erzählt, dass sie „Wesen“ sehe, Stimmen höre und unter Verfolgungswahn leide. Immer wenn sie von ihrer Krankheit erzählt habe, sei sie von ihrem Bruder, Vater und ihrer Stiefmutter brutal geschlagen worden, bis sie ohnmächtig geworden sei. Ihre Familie habe sie nie zum Arzt gebracht, und sie habe mit ihrer schweren Krankheit leben müssen. Als Türkin und als Mädchen habe sie nur gelitten. Sie habe drei Selbstmordversuche hinter sich. Sie sei nunmehr ein Pflegefall und beziehe Pflegegeld. Sie verlasse ihre Wohnung nie allein und habe ständige Betreuer, da sie ihr Leben nicht mehr allein bewältigen könne. Sie habe ihre schwere Krankheit bis zu ihrem 34. Lebensjahr (2011) allein und heimlich ertragen müssen, weil sie als Türkin und Muslime nie zum Arzt gehen habe dürfen. Darum habe sie keine Befunde vor ihrem 21. Lebensjahr. Ihre Eltern hätten sie gequält, statt sie zum Arzt zu bringen. Ihre Kultur und ihr Umfeld hätten es nicht erlaubt, dass sie als Mädchen zum Arzt gehe. Erst in Österreich habe sie im Alter von 30 Jahren zum ersten Mal einen Arzt aufgesucht. Zu diesem Zeitpunkt sei es aber für eine Therapie und Behandlungen bereits zu spät gewesen. Sie sei dauern außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Das Finanzamt forderte ein neuerliches ärztliches Gutachten vom Sozialministeriumservice an. In diesem Gutachten vom wurde der Grad der Behinderung wegen der festgestellten Posttraumatischen Belastungsstörung (schweren Grades mit weiterhin anhaltender schwerer Symptomatik und erheblicher Beeinträchtigung im Alltag) neuerlich mit 80 % ab festgestellt. Die Beschwerdeführerin sei dauernd erwerbsunfähig. Zur dauernden Erwerbsunfähigkeit wurde festgestellt, dass der „jüngste“ (gemeint wohl: älteste) vorliegende Befund aus dem Jahr 2011 stamme, dh. die Patientin sei zu diesem Zeitpunkt 34 Jahre alt gewesen; eine „Behinderungseinstufung“ sei 2012 erfolgt. Ein Auftreten der Erkrankung vor dem 21. Lebensjahr könne daher nicht bescheinigt werden, wobei anamnestisch die Antragstellerin bereits seit dem 15. Lebensjahr in Österreich lebe. Aufgrund der Dauer der Erkrankung könne auch für die Zukunft von einem Dauerzustand ausgegangen werden und somit auf eine Nachuntersuchung verzichtet werden. Alle bei der Untersuchung vorgelegten und elektronisch vorliegenden Befunde inklusive allfällig vorhandener Vorgutachten seien eingesehen und berücksichtigt worden.

Angesichts dieses Gutachtens wies das Finanzamt die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet ab.

Dagegen richtet sich der Vorlageantrag vom . Entgegen den Ausführungen des Finanzamtes liege eine dauernde Erwerbsunfähigkeit nicht erst ab dem Jahr 2011 vor, sondern habe diese schon viel früher bestanden. Sie sei bereits seit ihrer Kindheit erkrankt. Früher habe sie in A (Türkei) gelebt und sei mit "17 Jahren" nach Österreich gekommen. Ihre Familie sei streng gläubig und sie sei die einzige Tochter. Da die Krankheit von ihrer Familie nicht akzeptiert worden sei, wäre ihr nie die Möglichkeit gegeben worden, einen Arzt aufzusuchen, weder in der Türkei noch in Österreich. Aufgrund dieser Einschränkungen in ihrem Leben und in ihrer Kindheit bzw. im frühen Erwachsenenalter durch ihre Familie, habe es nie die Möglichkeit gegeben, dass ein Arzt ihre Beeinträchtigung feststellt bzw. sie eine adäquate Behandlung bekomme. Sie habe zum Arzt gehen wollen, jedoch sei sie diesbezüglich auch von ihrer Familie bedroht worden und habe Todesangst gehabt. Wie auch aus dem ärztlichen Befundbericht ihrer Psychiaterin Dr. P aus dem Jahr 2018 ersichtlich sei, liege bereits seit Jahrzehnten die Krankheit der paranoiden Schizophrenie vor (siehe beiliegende Kopie des ärztlichen Befundberichtes vom ), daher jedenfalls länger als erst seit dem Jahr 2011. Es entspreche auch nicht der Lebenserfahrung, dass eine derartige schwere Krankheit erst im Alter von 34 Jahren auftritt, vielmehr liege diese Krankheit bereits seit ihrer Kindheit und auch bis dato vor. Sie bekomme zudem unbefristete Invaliditätspension, Pflegegeld der Stufe 3 und habe 80 % Behinderung wegen ihrer psychischen und körperlichen Erkrankung.

Dem Vorlageantrag wurde eine Ablichtung des ärztlichen Befundberichtes der Dr. P, Fachärztin für Psychiatrie, vom angeschlossen, in dem das Vorliegen einer paranoiden Schizophrenie festgestellt wurde. In der Anamnese wird einleitend ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin zum psychiatrischen Erstgespräch „bei seit Jahrzehnten bekannter paranoider Schizophrenie“ komme.

Aktenkundig ist ferner ein Arztbrief des Dr. W an Dr. S vom , in dem dieser unter anderem ausführt: „Insgesamt scheint eine paranoide Schizophrenie … vorzuliegen.“

In einem Schreiben des Dr. M, Facharzt für Psychiatrie vom an den chefärztlichen Dienst der OÖ Gebietskrankenkasse werden eine posttraumatische Belastungsstörung, eine schwere kombinierte Persönlichkeitsstörung, Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis und somatoforme Störungen festgestellt.

Arztbriefen des Kepler Universitätsklinikums aus dem Jahr 2013 ist zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin wiederholt wegen Gastritis in Behandlung war. In diesen Arztbriefen wird in den Diagnosen auch Schizophrenie angeführt.

Im Jahr 2012 war die Beschwerdeführerin auch im Krankenhaus Gmunden in Behandlung. Dort wurde eine Verlegung in die psychiatrische Fachabteilung des Wagner-Jauregg-Krankenhauses veranlasst. Im März 2012 wurde die Beschwerdeführerin für drei Tage ( bis ) stationär im Kepler Universitätsklinikum wegen epigastrischer Schmerzen aufgenommen. Im Verlegungsbericht (an das Wagner-Jauregg-Krankenhaus) wird die „bekannte Schizophrenie“ erwähnt.

Epigastrische Beschwerden werden auch in einem Bericht des Krankenhauses Kirchdorf betreffend den Aufenthalt der Beschwerdeführerin ebendort in der Zeit vom bis erwähnt. In der Diagnose werden eine depressive Episode mit psychotischen Symptomen und eine komplexe PTSD (post traumatic stress disorder) erwähnt.

Schließlich ist auch ein Nachweis der Pensionsversicherungsanstalt über den Bezug von Pflegegeld und eine Ablichtung des Behindertenausweises aktenkundig, in dem der Grad der Behinderung mit 80 % ausgewiesen wird.

Am legte das Finanzamt die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und beantragte eine Abweisung derselben.

Am reichte die Beschwerdeführerin eine Reihe von Unterlagen nach, die größtenteils bereits vorgelegen und oben zitiert worden sind. Neu übermittelt wurde lediglich der Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom über die Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitspension samt Information über die Anweisung derselben.

Rechtslage

§ 6 FLAG 1967 normiert:

(1) Anspruch auf Familienbeihilfe haben auch minderjährige Vollwaisen, wenn

a) sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,

b) ihnen nicht Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist und

c) für sie keiner anderen Person Familienbeihilfe zu gewähren ist.

(2) Volljährige Vollwaisen haben Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie …

d) wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 25. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, sofern die Vollwaise nicht einen eigenständigen Haushalt führt; dies gilt nicht für Vollwaisen, die Personen im Sinne des § 1 Z 3 und Z 4 des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, sind, sofern die Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, auf sie Anwendung finden.

(4) Als Vollwaisen gelten Personen, deren Vater verstorben, verschollen oder nicht festgestellt und deren Mutter verstorben, verschollen oder unbekannt ist.

(5) Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3). Erheblich behinderte Kinder im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. c, deren Eltern ihnen nicht überwiegend den Unterhalt leisten und die einen eigenständigen Haushalt führen, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 und 3).

Gemäß § 8 Abs. 1 FLAG 1967 bestimmt sich der einer Person zustehende Betrag an Familienbeihilfe nach der Anzahl und dem Alter der Kinder, für die ihr Familienbeihilfe gewährt wird. Die Höhe dieses Grundbetrages wird in § 8 Abs. 2 und 3 FLAG näher geregelt.

Gemäß § 8 Abs. 4 FLAG erhöht sich die Familienbeihilfe monatlich für jedes Kind, das erheblich behindert ist, um die dort angeführten Beträge (Erhöhungsbetrag).

Als erheblich behindert gilt ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muß mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs. 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen (§ 8 Abs. 5 FLAG).

Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen. Die diesbezüglichen Kosten sind aus Mitteln des Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen zu ersetzen (§ 8 Abs. 6 FLAG).

Erwägungen

Ein sogenannter Eigenanspruch der Beschwerdeführerin auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe (Grundbetrag gemäß § 6 Abs. 5 iVm § 6 Abs. 2 lit. d FLAG und Erhöhungsbetrag gemäß § 8 Abs. 4 FLAG) würde im gegenständlichen Fall voraussetzen, dass die in den vorliegenden Gutachten des Sozialministeriumservice festgestellte dauernde Erwerbsunfähigkeit bereits vor Vollendung des 21. Lebensjahres (somit vor dem Datum2) eingetreten ist.

Durch die Bestimmung des § 8 Abs. 6 FLAG hat der Gesetzgeber die Frage des Grades der Behinderung und auch die damit in der Regel unmittelbar zusammenhängende Frage der voraussichtlich dauernden Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, der eigenständigen Beurteilung der Familienbeihilfenbehörden entzogen und dafür ein qualifiziertes Nachweisverfahren eingeführt, bei dem eine für diese Aufgabenstellung besonders geeignete Institution eingeschaltet wird und der ärztliche Sachverstand die ausschlaggebende Rolle spielt. Die Beihilfenbehörden haben bei ihrer Entscheidung jedenfalls von dieser durch ärztliche Gutachten untermauerten Bescheinigung auszugehen und können von ihr nur nach entsprechend qualifizierter Auseinandersetzung abgehen (). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Behörde an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrundeliegenden Gutachten gebunden und darf diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig und im Falle mehrerer Gutachten nicht einander widersprechend waren (z.B. mwN). Daraus folgt, dass de facto eine Bindung der Beihilfenbehörden an die Feststellungen der im Wege des Bundessozialamtes erstellten Gutachten gegeben ist. Die Tätigkeit der Behörden (bzw. des Bundesfinanzgerichtes) hat sich daher im Wesentlichen auf die Frage zu beschränken, ob die Gutachten als schlüssig anzusehen sind (vgl. Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Rz 29 mwN; ebenso z.B. ; ; ; ).

Dies gilt auch für rückwirkende Feststellungen im Gutachten zur Frage, ab wann der festgestellte Grad der Behinderung eingetreten ist, und genauso zur Frage, seit wann eine Person dauernd erwerbsunfähig ist. Der Sachverständige kann dabei in der Regel nur aufgrund von vorliegen Befunden Rückschlüsse darauf ziehen, zu welchem Zeitpunkt eine erhebliche Behinderung bwz. eine dauernde Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist (vgl. Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Rz 32; ; ). Die Beihilfenbehörde ist an eine Bescheinigung im Sinne des § 8 Abs. 6 FLAG auch dann gebunden, wenn darin schlüssig begründet wird, warum eine rückwirkende Feststellung betreffend einen lange zurückliegenden Zeitpunkt nicht möglich ist ().

§ 6 Abs. 2 lit. d FLAG stellt darauf ab, dass der Vollwaise (hier: Sozialwaise im Sinne des § 6 Abs. 5 FLAG) auf Grund einer zu einem bestimmten Zeitpunkt eingetretenen Behinderung außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Eine derartige geistige oder körperliche Behinderung kann durchaus die Folge einer Krankheit sein, die schon seit längerem vorliegt (bei angeborenen Krankheiten oder genetischen Anomalien etwa seit Geburt), sich jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt manifestiert. Erst wenn diese Krankheit zu einer derart erheblichen Behinderung führt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt, ist der Tatbestand des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG erfüllt. Mithin kommt es weder auf den Zeitpunkt an, zu dem sich eine Krankheit als solche äußert, noch auf den Zeitpunkt, zu welchem diese Krankheit zu (irgend)einer Behinderung führt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem diejenige Behinderung (als Folge der allenfalls schon länger bestehenden Krankheit) eintritt, welche die Erwerbsunfähigkeit bewirkt (; ). Das Vorbringen im Vorlageantrag, dass die Erkrankung der Beschwerdeführerin nicht erst im Alter von 34 Jahren (erste ärztliche Untersuchung) aufgetreten ist, sondern der Krankheitsverlauf bis in die Kindheit zurückreicht, ist angesichts der dargestellten persönlichen Lebensumstände nachvollziehbar. Entscheidend ist aber nach der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, zu welchem Zeitpunkt diese Krankheit die Erwerbsunfähigkeit bewirkt hat. Dieser Zeitpunkt konnte aber mangels vorliegender ärztlicher Befunde vor dem Jahr 2011 nicht festgestellt werden. Die Beschwerdeführerin hat im Vorlageantrag selbst darauf hingewiesen, dass es ihr aus den angeführten Gründen unmöglich gewesen sei, vor diesem Zeitpunkt ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Es ist daher nicht unschlüssig, wenn das Sozialministeriumservice mangels ärztlicher Befunde vor 2011 zum Ergebnis gelangt ist, dass der Eintritt der dauernden Erwerbsunfähigkeit vor dem Datum2 (Vollendung des 21. Lebensjahres) nicht festgestellt werden konnte.

Ferner ist zu berücksichtigen, dass nach der allgemeinen Lebenserfahrung psychische Störungen unterschiedlich schwer ausgebildet sein können, je nach Ursache unterschiedlichste Defizite und Symptome zeigen und vor allem immer auch im Zusammenhang mit dem Alter des Kindes stehen. Die Schwere der Erkrankung und der Defizite kann daher immer nur im Zuge einer aktuellen umfassenden Untersuchung festgestellt werden. Fehlen derart umfassende ärztliche Untersuchungen, kann nur der aktuelle Zustand beurteilt werden, rückwirkende Beurteilungen (hier: zur Frage des Eintrittes der dauernden Erwerbsunfähigkeit) sind dann ausgeschlossen (vgl. ). Auch angesichts der Tatsache, dass psychische Krankheiten häufig einen schleichenden Verlauf nehmen (vgl. dazu Csaszar/Lenneis/Wanke, FLAG, § 8 Tz 32), ist die Jahre oder Jahrzehnte rückwirkende Feststellung des Zeitpunktes des Eintrittes der dauernden Erwerbsunfähigkeit ohne das Vorliegen ärztlicher Befunde praktisch ausgeschlossen.

Dazu kommt, dass die Beschwerdeführerin laut den im Abgabeninformationssystem gespeicherten Einkommensteuerbescheiden für die Jahre 1999, 2000 und 2001 (somit nach Vollendung ihres 21. Lebensjahres) in diesen Jahren sehr wohl erwerbstätig war. So war sie unter anderem vom bis bei der Fa. Z GmbH in X beschäftigt. Der Beihilfendatenbank ist ferner zu entnehmen, dass sie in den Jahren 1995 bis 1998 eine Fachschule für Familienhilfe und Pflegehelfer besucht hatte. Zwar kann aus diesen Umständen nach der jüngeren Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes durch die Beihilfenbehörde nicht außerhalb des in § 8 Abs. 6 FLAG geregelten Nachweisverfahrens abgeleitet werden, dass die Beschwerdeführerin in den genannten Zeiträumen erwerbsfähig war, da diese Feststellung allein dem Sozialministeriumservice bzw. dem untersuchenden und das Gutachten erstellenden Arzt zukommt. Gleichwohl sprechen diese Umstände aber nicht gegen, sondern für die Schlüssigkeit der vorliegenden Gutachten, in denen ein Eintritt der dauernden Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr nicht festgestellt wurde.

Da es somit insgesamt gesehen an den tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe fehlte, erweist sich der angefochtene Bescheid als rechtmäßig und war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Da im gegenständlichen Verfahren die entscheidungsrelevanten Rechtsfragen bereits ausreichend durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt sind, und die Entscheidung von dieser Rechtsprechung nicht abweicht, ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig.

Linz, am

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